Die SPD und der Fußpilz - Intime Fragen

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Nach dem Duschen, beim Abtrocknen, kommt mir oft diese Erinnerung an etwas sehr Fernes. Ich war noch einige Jahrzehnte jünger als heute und hatte auf einer Dampferfahrt über die Havel ein Münchner Touristenpärchen kennengelernt. Gern vermeide ich jetzt den Ausdruck aufgerissen. Ich nahm sie mit in meine damalige Wohnung und – das muss jetzt nicht genau geschildert werden. Der Ältere war Mitte oder Ende dreißig, sein Trabant etwa zehn Jahre jünger. Wir duschten hinterher, einer nach dem anderen, der Planet zuerst. Als sein Mond dran war, unterhielt sich dieser Saturn oder Neptun mit mir im Wohnzimmer.

„Du hast SPD gewählt?“ forschte er mich aus, ohne Zusammenhang. Ich gestand es gleich ein. Wer hat damals nicht alles SPD gewählt! Der Planet allerdings nicht, sein Tonfall, seine Miene verrieten es. Wie hatte er meine Präferenz erraten können? Es gab im ganzen Appartement keinen Hinweis auf die Partei, weder Plakate noch Broschüren. Ich fühlte, dass mir das Bekenntnis in diesem Moment peinlich war, aber man soll ja nicht lügen. Wir vertieften nichts.

Ich ging als Letzter duschen, kam zurück, begann mich abzutrocknen. Dann bückte ich mich, das Tuch in der Rechten, nahm einen Fuß in die Linke. Der Planet äußerte leicht besorgt: „Du trocknest dich doch auch zwischen den Zehen ab? Wegen Fußpilz.“ - „Aber ja, bestimmt, das habe ich immer schon getan.“ Wir waren uns vollkommen einig und von uns hatte auch keiner Fußpilz. Man kann wählen, was man will, Schwamm drüber – wichtiger ist, Pilzbefall zu vermeiden. Ich fühlte mich schon wieder akzeptiert und damit rehabilitiert.

Sie brachen bald auf und ich glaube, ich habe sie nie mehr getroffen. Nur nach dem Duschen sehe ich sie heute wieder vor mir, undeutlich, und höre den Älteren sagen: „Du hast SPD gewählt? Aber zwischen den Zehen trocknest du dich doch ab?“ Man wird nicht alles im Leben falsch gemacht haben.
 

Matula

Mitglied
Hallo @Arno Abendschön !
Der Vorspann ist mir offen gesagt ein wenig zu neckisch, zumal es für die Moral von der Geschicht' nicht relevant ist, ob da zwei, drei oder ein ganzes Rudel von Männern Sex hatte. Dass kleine Details, wie die Ausdrucksweise, die Art der Einrichtung, herumliegende Schallplatten oder Zeitungen etc auf den sozialen Status und damit das Wahlverhalten schließen lassen, hat Pierre Bourdieu für Frankreich in "Die feinen Unterschiede" 1979 sehr treffend beobachtet. Solche Intuition könnte hier am Werk gewesen sein. Die überschießende Schlussfolgerung auf die Hygienestandards müsste den Protagonisten mE zu der Frage bringen, warum er sich mit solchen, wie wir in Wien sagen, "Wapplern" eingelassen hat.

Schöne Grüße,
Matula
 
Der Vorspann ist mir offen gesagt ein wenig zu neckisch, zumal es für die Moral von der Geschicht' nicht relevant ist, ob da zwei, drei oder ein ganzes Rudel von Männern Sex hatte.
Eine Moral von der Geschicht' war nicht beabsichtigt, Matula. Es ging mir nur um das überraschende Aufeinandertreffen von drei Lebensbereichen, die sonst wenig miteinander zu tun haben: Sex, Wahlverhalten und Fußhygiene. Wenn du den Text partiell als "neckisch" empfindest, so habe ich schon ein Ziel erreicht. Der gesamte Ablauf ist leicht komisch, denke ich. Dabei bleibt hier offen, inwieweit er überhaupt autobiographisch ist.

Herzlichen Dank für die günstige Bewertung.

Schönen Abend
Arno
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Arno,

ich finde, das ist ein ganz hervorragender Text! Ich lese nicht oft etwas so Komisches von Dir, so sehr auf den Punkt, die Selbstbetrachtung, die Erfahrungen von Jahrzehnten und vor allem die Selbstironie mit einem Schuss Bitterkeit, den viele nachschmecken können.
Am Ende des Tages ist es vollkommen egal - oder eben gerade nicht, weil wir Individuen sind - aus welchen Situationen sich solche Mementos ergeben.
Über Deinen letzten Satz kann man lange nachdenken.

Liebe Grüße
Petra
 
Danke, liebe Petra, für die Würdigung mit Worten, auch für die Bewertung. Ich hatte bei diesem Text zuerst an die Sparte "Humor und Satire" gedacht, dann aber davon abgesehen. Dort kommt es besonders oft zu Missverständnissen oder im Geschmack begründeten Ablehnungen. Das liegt, glaube ich daran, dass es fast so viele Arten von Humor und Ironie gibt wie Autoren.

Noch einen schönen Sommertag
Arno
 



 
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