Die Tagediebin *

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Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
„Guten Morgen, Sternchen!“
„Hör mir nur auf. Der Morgen und der Rest vom Tag werden so wie gestern werden.
Es wird ein furchtbarer Tag. Ich weiß es genau!“
„So! Pass auf! Ich erzähl dir während des Frühstücks eine Geschichte.“
„Wenn´s unbedingt sein muss!“

Was für ein Tag, dachte der Tag.
Kaum war er aus seiner nächtlichen Decke geschlüpft, war ihm schon wieder nach Kuscheln in dunkelster Nacht. Das würde wieder was werden. Als hätte es gestern nicht gereicht. Aber er kannte ja seine Pappenheimer. Also warum sollte es heute besser werden?
Den Wolken hatte er kräftigen Wind versprochen. Der Sonne reichlich Platz für ihren prahlerischen Schein. Der Wind wollte aber seine Ruhe haben. Das wiederum bedeutete, dass, sollte er die Wolken gewähren lassen, kein noch so winziger Raum für den klitzekleinsten Sonnenstrahl wäre. Dies würde die Sonne zum Anlass nehmen, um mit ihrem „du wirst schon sehen, was du davon hast“ Gelaber anzufangen.
„Wenn da kein Platz für meine Strahlen ist, muss ich meine Energie halt auf andere Art und Weise loswerden. Ein Paar meiner berühmten Explosionen und plumps, fangen die Handys der Menschen an zu spinnen. Und das werden sie natürlich auf den Tag schieben. Man kennt das ja…diese Sprüche:
Was für ein Tag. Wäre ich nur liegen geblieben. Den Tag kannste echt in der Pfeife rauchen. Nix klappt! Scheiß Tag!
Stell dir nur das Chaos vor. Die Satelliten gestört. Kein Fernsehen. Stromausfälle. Sie werden dich hassen, lieber Tag.“
So oder ähnlich wird es kommen. Ich weiß es genau. Und dann ist wieder einmal meine Diplomatie gefragt. Werde mit den Wolken verhandeln, ob der Wind hier und da ein Lücke für die Sonne schaffen kann und darf.
Dann zum Wind reisen und ihn bitten, wenigstens ein wenig zu wehen. Er wird mir was von ausgeleierten Blasebälgen und diesem Ziehen in den Lungenflügeln erzählen. Ich werde bitten und betteln, und schließlich wird er großherzig, nicht ohne dass ich ihm für Morgen die größten Versprechungen gemacht habe, zustimmen.
Die Sonne wird mit dem Ergebnis gerade so zufrieden sein, nicht ohne dass ich ihr wolkenlose Tage verspreche.
Die Wolken werden mich darauf hinweisen, dass sie, sollte auch nur ein Sonnenstrahl sie pieksen, sie zukünftig zu keinem Kompromiss mehr bereit sein werden.
So werde ich ins Land ziehen und abends voller Freude auf meine Schwester warten.
Endlich Ruhe. Ein wenig Schlaf. Kein Gemaule. Und wenn ich zu ihr gute Nacht sage, wird sie anfangen:
Ja klar! Du hast gut reden. Den ganzen Tag nichts zu tun. Immer schön auf der faulen Haut.
Und ich? Die Wolken werden den Mond verdecken, worauf er mit einem furchtbaren Vollmond drohen wird. Die Sterne werden mit einem Streik bei der Sternschnuppenproduktion drohen. Liebespaare werden traurig zum Himmel schauen. Und ich kann mich dann mit den Wolken rumschlagen. Vom Wind ganz zu schweigen. Der wird mir nämlich erzählen, dass du ihn durchs Land gescheucht hast. Aber mein Bruder macht einen auf müde. Ja, ja. So gut wie du möchte ich es auch einmal haben.

„Und jetzt?“
„Nichts weiter! Jetzt geh den Tag grüßen. Zeig ihm, was so eine richtige Tagdiebin ist. Das wird ihn anspornen.“
„Na klar! Du musst es ja wissen. Tagediebin! So ein Blödsinn.“
„Ganz genau, mein Sternchen.“
 



 
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