Die Tränen des Schneemanns

Marc H.

Mitglied
Die Tränen des Schneemanns


»Oh, sieh nur, Vater! Es schneit!«, schrie das kleine Mädchen, gekleidet in ihren Schlafanzug und sprang aufgeregt vor dem Fenster herum, mit dem Blick, aus dem karg möblierten Wohnzimmer, hinaus in den Garten. Ihre blonden, geflochtenen Zöpfe wippten auf und ab, als sie jubelnd hinaussah.
»Ja, Liebes, es schneit tatsächlich und das schon die ganze Nacht über.« , antwortete der Vater sichtlich amüsiert. Er stand, seine Hände stützend auf die Tischplatte gesetzt, hinter ihr und beobachtete ihre Freude über den üppig, weißen Garten.
»Dann bauen wir sicher wieder einen Schneemann, oder? Ach, bitte Vater, lass uns sofort hinausgehen und gleich damit anfangen, ja?«, quiekte sie voller Vorfreude auf das alljährliche Spektakel.
»Aber sicher tun wir das, Liebes. Wir müssen jedoch erst feststellen, ob es der passende Schnee ist. Der, welcher unter den Schuhsohlen knirscht, du weißt schon oder?«
»Ja, Papa! Der knirschende Schnee muss es sein! Ich ziehe mich schnell um!«, sagte sie und spurtete die Treppe hinauf, in ihr Zimmer.
Nicht allzu lange danach schritt sie zügig die Treppe wieder herab, gehüllt in Wintermantel und Schneehose. Die neuen Winterstiefel, die Vater neulich gekauft hatte, trug sie ebenfalls.
»So, ich bin fertig! Es kann losgehen!«, bekundete sie strahlend.
Der Blick in die leuchtenden Augen seiner niedlichen Tochter versetzte ihm einen wohligen Stich ins Herz. Er musste kurz schlucken und legte seine Handfläche auf den schmerzenden Bauch.
Er zog seinen Mantel an, setzte seine Wintermütze auf und öffnete die Hintertür, welche in den kleinen Garten führte. Kalter Wind, gepaart mit Schneeflocken, zog in die Wohnung hinein.
»Also, mein Schatz, prüfe doch mal mal den Schnee, ob er geeignet ist.«
Das Mädchen rannte hinaus, blieb jedoch außerhalb der Tür kurz stehen und setzte die Sohle ihres rechten Stiefels prüfend auf den Schnee. Knirschend drang die Schuhsohle in das Weiß hinein.
»Papa! Es ist der passende Schnee! Komm raus!<<
Der Vater bückte sich, griff mit beiden Händen in den Schnee hinein, und formte eine Kugel. Dann legte er sie auf den Schnee und begann sie zu rollen. Nach einigen Metern schon hatte sich ein beachtlicher Ball gebildet.
»Der Schnee ist perfekt, Liebes.« sprach er zu seiner Tochter. »Komm, rollst du nun den Ball etwas weiter.«
Begeistert spurtete sie zu der Schneekugel und begann sie weiter zu rollen, bis sie schließlich erschöpft aufgeben musste, weil der Ball zu groß und schwer geworden war.
»Gut so, Schatz! Ich denke, das genügt für das Unterteil, meinst du nicht?«
Gemeinsam rollten sie eine weitere, etwas kleinere Kugel und setzen sie auf die Große.
»Papa, das wird der größte Schneemann, den wir jemals gebaut haben!«, schrie sie begeistert.
»Ja, jetzt fehlt nur noch der Kopf und die Arme.«
Unter einiger Anstrengung schafften sie es schließlich gemeinsam den Kopf auf den Oberkörper des Schneemanns zu hieven. Dann formten sie noch die kurzen Arme und pappten sie seitlich an das Gebilde.
Stolz blickte die kleine auf die imposante Figur, die sei geschaffen hatten.
»Lauf doch schnell in den Keller, liebes und hol ein paar Kohlestücke, für den Mund und die Augen. Ich gehe in die Küche und hole eine Mohrrübe für die Nase.«
Vater hatte kaum ausgesprochen, da spurtete sie schon los, hinab in den Keller, und kam kurz darauf mit den Händen voller Kohlestücke wieder zurück. Sie presste sie vorsichtig an den Kopf des Schneemanns und bildete einen lächelnden Mund und die Augen. Vater steckte die Mohrrübe als Nase hinzu. Dann nahm er noch seine Wintermütze ab und setze sie dem Schneemann auf den Kopf.
»Ich denke, wir sollten jetzt erst mal ins Haus gehen und uns etwas aufwärmen, Schatz.«
Mit einem Becher heißem Kakao in den Händen stand die Kleine noch lange am Fenster und blickte glücklich auf den Schneemann, der mittig im weißen Garten stand, bis es schließlich dunkel wurde.

Als sie am folgenden Morgen erwachte und aus dem Fenster auf den Schneemann blickte, sah sie, dass sich das einst lächelnde Gesicht zu einer traurigen Grimasse gebildet hatte. Verwirrt blickte sie auf die verschobenen Kohlestückchen. Sie rannte hinauf in das Schlafzimmer des Vaters, um ihm davon zu berichten. Ihr Vater lag zitternd und stark schwitzend in seinem Bett.
»Vater? Geht es dir nicht gut?«, fragte sie ihn unsicher.
»Ach, ich habe nur etwas Fieber, Kleines. Das vergeht wieder«, krächzte er. »Ich brauche nur etwas Ruhe, Liebes.«
Besorgt schaute sie den ganzen Tag über immer wieder in das Schlafzimmer des Vaters, doch er schlief tief und fest.

Während der folgenden Nacht schlief sie sehr unruhig. Alpträume plagten sie und sie wälzte sich in ihrem Bett hin und her. Irgendwann schlief sie dann aber doch ein. Als der Morgen dämmerte, erwachte sie, stieg aus dem Bett und trat mit ihren Füßen in eine riesige Wasserlache auf dem Boden vor ihr. Mittig darin lagen die Kohlestücke, die Mohrrübe und Vaters Mütze. Als sie die Treppe hinunterrannte, um nach ihrem Vater zu sehen, bemerkte sie, dass die Stufen hinauf zu ihrem Zimmer ebenfalls nass waren. Die Hintertür zum Garten stand weit geöffnet. Der Schneemann war verschwunden.
Zitternd öffnete sie die Tür zu Vaters Zimmer. Er lag zufrieden lächelnd und tot in seinem Bett.

Jahrzehnte später.
»Mama! Sieh nur! Es schneit! Lass uns hinausgehen und einen Schneemann bauen, ja?«, quiekte ihre Tochter begeistert.
»Ja, Schatz, das machen wir. Wir müssen nur erst sicher sein, dass es der richtige Schnee ist. Der, welcher unter den Schuhsohlen knirscht.«, erwiderte sie und sah ihre Tochter mit Tränen in den Augen an.



Snow can wait
I forgot my mittens
Wipe my nose
Get my new boots on
I get a little warm in my heart
When I think of winter … Tori Amos – Winter
 
G

Gelöschtes Mitglied 24694

Gast
Hallo Marc,

deine kleine Geschichte gefällt mir.

Einige Kleinigkeiten sind mir aufgefallen, die du leicht vermeiden kannst. Unter anderem wäre es die vielen „Liebes“. Es handelt sich um ein Kind, da könntest die Anrede du fast unendlich viel einfallen lassen, ich allerdings würde sie ganz weg lassen. Wie hier z.B.:


Der Schnee ist perfekt, Liebes.« sprach er zu seiner Tochter

Er stand, seine Hände stützend auf die Tischplatte gesetzt

Hier würde ich den Satz einfacher formulieren: Er stand sich auf dem Tisch abstützend hinter ihr …

Dann:


Aber sicher tun wir das, Liebes. Wir müssen jedoch erst feststellen, ob es der passende Schnee ist. Der, welcher unter den Schuhsohlen knirscht, du weißt schon oder?«
Wir müssen erst schauen, ob die weiße Pracht zum Schneemann bauen taugt. Das weißt du ja.

Hier ist dir ein ziemlicher Fehler passiert:

Der Blick in die leuchtenden Augen seiner niedlichen Tochter versetzte ihm einen wohligen Stich ins Herz.

Ein Stich ins Herz kann niemals wohlig sein, er schmerzt.


der mittig im weißen Garten stand
Das würde ich streichen. Mich als Leser interessiert es nicht wo der Schneemann steht. Doch wenn du nicht drauf verzichten möchtest, dann ändere doch das mittig ab zu: der Mitten im weißen Garten steht. Mittig ist eher ein handwerklicher Ausdruck, würde ich sagen.

Als der Morgen dämmerte, erwachte sie, stieg aus dem Bett und trat mit ihren Füßen in eine riesige Wasserlache auf dem Boden vor ihr.

Vielleicht wäre diese Formulierung eine Alternative für dich: Früh (morgens) am Morgen stand sie auf und trat vor ihrem Bett in eine riesige Wasserlache

Es gibt noch den ein oder anderen komlizierten Satzbau, den ich vereinfachen würde.


Ein lieber Gruß
AVALON
 



 
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