Die Umwandlung

ThomasQu

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Die Umwandlung

Ich war pleite und hatte mich deshalb als Testperson für Dr. Stefans Forschungsinstitut anwerben lassen.
Jetzt machte ich es mir mit Nadine, einer anderen Probandin, auf den Liegen im Untersuchungszimmer des Doktors bequem.
Es klopfte an der Tür und ein Mitarbeiter im Blaumann rollte eine große Apparatur aus Edelstahl herein.
Der Doktor blickte kurz auf, erklärte noch, wir bräuchten keine Angst zu haben, die Technik sei mehrfach erprobt, drückte mehrere Knöpfe an der Bedienkonsole des Apparates und ein tiefes Brummen machte sich breit.
Alles in mir begann plötzlich zu vibrieren.
Nun öffnete er an dem Apparat eine Klappe und richtete mit dem Scheinwerfer, der dahinter verborgen war, gelblich grüne Lichtstrahlen auf uns.
Je mehr mich dieses Licht überflutete, desto leichter fühlte sich mein Körper an, bis hin zur Schwerelosigkeit. Mehr noch, die Kraft der Lampe wurde so stark, dass sich mein Bewusstsein nicht mehr in meinem Körper halten konnte. Die Maschine saugte es in sich hinein und ich fiel in ein tiefes, schwarzes Loch.

Als ich die Augen öffnete, lag ich noch immer im selben Raum. Ich tastete über Hüften, Bauch und Brust und wusste sofort, es hatte funktioniert. Mein Bewusstsein befand sich jetzt in Nadines Körper. Ich wendete meinen Blick nach links und sah, wie sich meine frühere Gestalt langsam zu regen begann.
Die Türe ging auf, der Doktor kam zusammen mit einer Schwester herein und zwei neugierige Augenpaare blickten mich fragend an. Ich streckte meinen rechten Daumen hoch und setzte mich auf. Auch mein früherer Körper, in dem jetzt Nadines Bewusstsein steckte, wurde munter. Erleichtert nickten wir uns zu.
Zwanzig Minuten später, nach einem kurzen medizinischen Check verabschiedeten wir uns und wurden in die Freiheit entlassen. Das Abenteuer hatte begonnen.

Während die nun männliche Nadine sofort auf ein Taxi zusteuerte, machte ich mich zu Fuß auf den Weg. Ich trug ein luftiges Sommerkleid, hatte rotlackierte Finger- und Zehennägel und wunderte mich, wie leicht ich in den Riemchensandaletten mit den hohen Absätzen laufen konnte.
Da wir reichhaltig mit Taschengeld ausgestattet waren, beschloss ich, mir zuerst ein kleines Mittagsmenü zu gönnen. Das “Schweizer Haus“ war bekannt für seine gute Küche.
Im Anschluss kostete es mich ein wenig Überwindung, die Damentoilette zu betreten, aber immerhin, jetzt wusste ich gleich, wie sich das anfühlt, wenn man plötzlich Frau ist.

Für den frühen Nachmittag hatte Dr. Stefan einen Boten angekündigt, der mir einen Koffer mit den nötigsten Utensilien für die nächsten Tage bringen sollte. Kleidung, Wechselwäsche, Hygieneartikel, Schminksachen … alles, was Frau so braucht und somit machte ich mich auf den Weg nach Hause.
Ich leerte den Briefkasten, öffnete die Wohnungstüre und schlüpfte in die Hauspantoffel, die mir jetzt natürlich viel zu groß waren. Kurz darauf klingelte der Bote. Ich gab ihm ein kleines Trinkgeld und wuchtete das Gepäckstück auf mein Bett.

Nun zog ich mir mein Kleid über den Kopf, legte BH und Höschen ab, ging in die Diele und betrachtete mich ausgiebig in dem großen Wandspiegel. Donnerwetter, ich hatte einen ziemlich austrainierten Körper. Ich stemmte die Hände in die Seiten und ließ meine Hüften kreisen. Unter der Haut am Bauch zeichneten sich die Konturen meiner Muskulatur ab.
Welche Sportart hatte Nadine wohl betrieben, Ballett? Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und reckte die Arme in die Höhe - Nein!
Gymnastik? Leichtathletik?
Liegestützen und allerhand andere Übungen fielen mir ganz leicht - wäre schon denkbar!
Als sich plötzlich eine Stubenfliege in meine Nähe verirrte, kam ich der Sache näher. Ich konnte sie mit der Hand im Flug fangen, meine Bewegungen waren unglaublich schnell. War ich am Ende Boxerin? Doch dafür war ich zu schmal und ein Boxergesicht hatte ich auch nicht.
Aha, womöglich hatte Nadine Karate oder Taekwondo betrieben, bei diesen Sportarten werden Schläge meines Wissens oft nur angedeutet.
Im Wohnzimmer besaß ich eine japanische Papierlampe, die ein Stück von der Decke herabhing. Ein wohldosierter Stups mit dem Fuß ließ sie ganz leicht pendeln. Auf den Millimeter genau konnte ich meine Reichweite abschätzen. Nadine hatte wohl jahrelang dafür trainiert. Großartig! Ich steckte jetzt im Körper einer Kampfsportlerin!
Nun hopste ich durch die Wohnung und ließ die Fäuste gegen imaginäre Gegner fliegen. Eins zwo, eins zwo, links rechts … und als Ziel für die Füße musste immer wieder die Lampe herhalten. Das Tollste war, ich kam dabei nicht mal außer Atem.
Leicht angeschwitzt stellte ich mich unter die Dusche, suchte danach auf YouTube eine Anleitung zum Schminken und machte mich hübsch.

Als ich die Tür zum “Pfennigfuchser“ öffnete, saßen sie am Tisch in der Ecke und spielten Skat. Meine Ex-Kollegen, sie waren die einzigen Gäste. Der Werkstattleiter, der mir vor vier Wochen die Kündigung überreicht hatte, war auch dabei.
Ich setzte mich auf einen Barhocker am Tresen, bestellte Mineralwasser und blickte in seine Richtung. Dass der hinter jedem Weiberrock her war, wussten alle.
Schon begann er, mich zu taxieren. Der Wirt brachte ihnen die nächste Runde und die Männer prosteten sich zu. Dann steckten sie für einen Moment die Köpfe zusammen.
Nun stand der Werkstattleiter auf, nahm sein Glas in die Hand und setzte sich neben mich. „Schöne junge Frau, dürfte ich Sie zu einem Getränk einladen?“ Er lallte schon ganz leicht.
„Was, Getränk?“ Ich lächelte ihn dabei an. „Ich glaube viel eher, dass du mich hier auf dem Tisch flachlegen möchtest. Dafür könnte der Wirt ja für einen Moment zusperren.“
Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet und ich sah, wie ihm die Kinnlade herunterfiel.
„Aber vorher will ich wissen, worauf ich mich einlasse. Los, zeig doch mal her, hol ihn mal raus!“ Ich ließ ihm jetzt keine Zeit mehr, die Kontrolle über das Gespräch zurückzugewinnen. „Oder traust du dich nicht? Ist dir das peinlich?“ Ich zuckte mit den Achseln und machte ein unschuldiges Gesicht. „Tja, dann wird das wohl nichts mehr mit uns beiden.“
Enthemmt vom Alkohol blickte sich der Werkstattleiter kurz um. „Also gut, kleine Nutte, da schau her!“ Grinsend rutschte er von seinem Barhocker, drehte seinen Kollegen den Rücken zu, öffnete seine Hose und präsentierte mir sein bestes Stück.
Ich lachte hell auf, nahm sein Bierglas und schüttete es ihm über den Kopf.
Während er sich mit dem Ärmel über sein Gesicht wischte, legte ich zehn Euro für das Mineralwasser auf den Tresen und griff nach meiner Handtasche. Aufreizend lässig ging ich in Richtung Tür. „Übrigens, schöne Grüße von eurem Ex-Kollegen Thomas“, rief ich den beiden anderen beim Hinausgehen noch zu, die mich mit offenen Mündern anstarrten.

Das hatte Spaß gemacht! Auf dem Weg zur Straßenbahn juchzte ich vor Vergnügen. Doch da gab es noch eine andere Baustelle zu beackern.
Am nächsten Vormittag ging ich in den Supermarkt, in dem Mia arbeitete. Als sie diesen Tim kennenlernte, war es schnell aus zwischen uns und sie zog bei ihm ein. Fotograf und Kameramann … zu Höherem geboren … tolles Auto, schicke Wohnung …
Ich nahm mir einen Einkaufswagen, legte ein paar x-beliebige Artikel hinein und hielt nach ihr Ausschau. Ganz hinten stand sie, neben einem Rolli und füllte die Regale auf.
„Ja hallo, bist du nicht die Mia?“
„Hä, kennen wir uns?“
„Na, du bist doch jetzt eine Berühmtheit.“
„Wie …?“ Mia schaute mich verdutzt an.
„Die Bilder von dir und Tim im Internet. Du hattest hunderttausend Klicks innerhalb von drei Tagen.“
Mia legte die verpackten Käsestücke, die sie in den Händen hielt, beiseite. „Moment mal, kannst du mir das etwas näher erklären?“
Jetzt musste ich schon grinsen. „Na auf “Infinity“. Da laden User erotische Bilder von sich hoch. Eure waren anscheinend ein bisschen zu heavy und wurden nach drei Tagen gelöscht.“
Mia brauchte ein paar Sekunden, bis sie das verarbeitete. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. „Das … das glaube ich nicht!“
„Dein auffälliges Muttermal unter der linken Brust … dein Bauchnabelpiercing … das neckische Teufelchen-Tattoo an deiner Leiste … Ich denke, du solltest die Branche wechseln, da könntest du deutlich mehr verdienen. Würde mich nicht wundern, wenn du bald Angebote bekommen würdest.“
Mia stand da wie angewurzelt. Man sah ihr an, wie es in ihrem Gehirn rumorte.
Mit einem kurzen „Also, ciao dann …“ verabschiedete ich mich von ihr und schlenderte weiter.
Endlich außer Sichtweite musste ich mich an meinem Einkaufswagen festhalten, sonst wäre ich hingefallen vor Lachen. In Tims Haut möchte ich jetzt nicht stecken!
Den ganzen Tag über malte ich mir die “Aussprache“ zwischen den beiden aus. In einer Kissenschlacht würde die wohl nicht enden, Mia hatte das hitzige Blut ihrer Mutter geerbt.

Für das Experiment waren drei Tage festgelegt und für den dritten Tag hatte ich noch keinen Plan. Nach dem Frühstück setzte ich mich auf den Balkon, genoss die Kühle des Morgens und grübelte. Vielleicht sollte ich mich nach der Rückumwandlung mal bei Mia melden. Ich traute ihr zu, dass sie in all ihrer Impulsivität Knall auf Fall bei Tim ausgezogen war. Vielleicht sollte ich sie trösten? Ein leichtes Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen.
Aber wollte ich das überhaupt? Thomas und Mia …? Thomas und Nadine …? War die zweite Variante nicht viel klangvoller? Ja, ich musste es eingestehen, der Gedanke hatte einen gewissen Zauber. Ich atmete durch, griff nach meiner Handtasche und verließ die Wohnung.
In der Schmuckabteilung eines Warenhauses erstand ich ein zartes Halskettchen mit einem silbernen Delphin und legte es gleich um. Mein erstes Geschenk an Nadine. Danach ging ich in den Stadtpark, kaufte mir ein Eis, setzte mich auf eine Bank und gab mich Tagträumen hin.

Plötzlich kam ein junger Mann auf mich zu. „Hallo Nadine, ich hab dich schon überall gesucht. Und an dein Handy gehst du auch nicht.“
Ich antwortete erstmal nichts und blickte ihn an. Er setzte sich neben mich. „Nadine, ich möchte mich bei dir entschuldigen, wegen gestern. Ich weiß auch nicht, was da in mich gefahren war. Aber als der fremde Mann aus deiner Wohnung kam, bin ich einfach ausgerastet … Nadine, ich möchte mich nicht von dir trennen, ich liebe dich doch!“
Es dauerte kurz, bis ich den Sachverhalt begriff. Was für ein wunderbarer Zufall.
Welcher Mann da aus Nadines Wohnung gekommen war, wusste ich natürlich genau und jetzt musste ich bluffen: „Ich kann mit deiner Eifersucht einfach nicht mehr leben. Ich liebe Thomas und es ist wirklich vorbei.“
Er presste die Lippen zusammen und ließ den Kopf hängen. Dann schaute er mich noch einmal an und sein Blick fiel auf die Halskette mit dem Delphin.
Sein Gesicht verfinsterte sich. Er stand auf, packte mich an beiden Oberarmen und riss mich hoch. „Du blöde Kuh …“ Er holte mit der rechten Hand aus, doch ich war schneller. Ich befreite mich aus seinem Griff, drehte mich einmal um die eigene Achse, nahm dabei Schwung auf und rammte ihm den Fuß in den Bauch.
Augenblicklich klappte er zusammen und rang nach Luft. Mit dieser Attacke hatte er nicht gerechnet.
Als sich sein Atem wieder etwas beruhigte, richtete er sich auf, presste die Hände gegen den Magen und trottete wortlos davon.
Ein wenig Mitleid hatte ich schon mit ihm, aber wahrscheinlich hatte ich Nadine nur eine eklige Sache abgenommen. Wenn der von unserer Umwandlung nicht einmal wusste, dann war diese Beziehung sowieso im Ausklingen. War ja auch kein Wunder.
Einige Minuten später machte ich mich auf den Weg nach Hause.

Als ich am nächsten Tag für die Rückumwandlung auf Dr. Stefans Institut zuging, hielt ein Taxi und ein mir wohlbekannter junger Mann stieg aus. Ich musste gleich lachen. Er hatte ein blaues Auge und winkte mir zu. Ich wartete noch einen Moment, bis wir auf gleicher Höhe waren.
„Hallo Thomas“, begrüßte er mich, „ja, das tut mir wirklich leid.“ Dabei deutete er mit dem Finger auf seine Blessur. „Da gab es eine kleine Beziehungskrise.“
Ich lächelte ihn an, gab aber noch nicht preis, dass mir die Einzelheiten schon bekannt waren.
Drinnen verrichtete Dr. Stefan sein Werk, das genauso ablief, wie drei Tage zuvor. In der nächsten Zeit sollten wir zusammen mit ihm, einer Psychologin und einem Soziologen das Experiment abschließen. Eine Unzahl an Gesprächen stand uns noch bevor, aber für heute hatten wir Feierabend und jedem von uns wurden fünftausend Euro überwiesen. Natürlich lud ich Nadine zum Essen ein, ins “Schweizer Haus“.
„Vielen Dank übrigens für die schöne Kette, die passt ja wunderbar zu mir. Ich bin Synchronschwimmerin.“
„Was? Ich dachte, du machst Kampfsport!“
„Nee, wie kommst du darauf?“
 
Originelle Idee und spannend erzählt.

Es hätte noch besser werden können, wenn der Protagonist sich noch mehr Bosheiten als "Nadine" ausgedacht hätte. Bei der Szene mit Mia wird man neugierig darauf, ob davon noch mehr kommt, das hättest du meiner Meinung nach noch mehr ausbauen können.

LG SilberneDelfine
 

ThomasQu

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,

dass “da hättest du mehr daraus machen können“ unter meinen Geschichten steht, daran habe ich mich inzwischen schon gewöhnt. Ist immer noch besser, als “gähnend langweilig“.
Da ich ein durch und durch lieber und netter Mensch bin, sind mir einfach nicht mehr Bosheiten eingefallen.
Vielen Dank für deinen Leseeindruck und Grüße,

Thomas
 



 
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