Die Vergebung

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Erst jetzt gelesen und seltsam und stark berührt durch den - Verzeihung - "Plot". Er hat tatsächlich etwas Binationales, im guten Sinn, also Fruchtbares. Wer von uns anderen könnte so etwas erfinden?

Arno Abendschön
 

TaugeniX

Mitglied
Danke, Arno!

Ich überlege gerade, was an diesem Plot "anders" ist. Dass der Protagonist sein Leben an ein Bußritual bindet? Oder die ausbleibende Vergebung? Überhaupt das "Schuld-und-Sühne" Komplex?

Der katholische "Westeuropäer" hat mehr Vertrauen in die Beichte, nicht wahr? Der Orthodoxe ist eigentlich angehalten, bis zu seinem Lebensende über seine Sünden zu weinen, - Beichte hin oder her.

Was wäre nach Deiner Meinung die "deutsche" Version dieser Geschichte?
 
TaugeniX, nun so ausgesprochen deutsch bin ich kulturell gar nicht. Ich versuche es mal als Westeuropäer (nicht religiös): Der Schuldige könnte z.B. den Sachverhalt so lange verstandesmäßig durchleuchten, bis er damit für sich an ein Ende kommt. Also sich sagen, dass der damalige Sachverhalt nicht restlos aufgeklärt werden kann und man sich damit abfinden muss, und zwar beide Seiten. Ferner könnte er relativ rasch versuchen, Kontakt zu dem Opfer aufzunehmen und herauszufinden versuchen, ob es eine gemeinsame Basis für die Bewältigung des Schadens gibt (materiell, immateriell).

Ein wenig läuft es hier ja nach dem Muster von Tschechows "Tod eines Beamten" ab, wenn auch die Schuldsituation da eine andere ist - ich meine hier ihr unablässiges Prolongieren. Schuld und Sühne sollten kein Selbstzweck sein, sondern zur Befriedung im Hier und Jetzt führen (sagt der Westler).

Arno Abendschön
 

TaugeniX

Mitglied
"Abfinden" ist das Schlüsselwort, nicht wahr? Auf einer Seite mit der letztendlichen "Unklärbarkeit" des Tatbestandes und auf der anderen Seite die Abfindung im Sinne eines Schadenersatzes.

Chehow war gnadenlos zu "uns", gell? Weißt Du, warum DU bei meinem Text an diesen unseligen Tscherwjakov denkst und ich niemals an ihn denken würde? Weil ich selbst durch die Tscherwjakovsche Brille in die Welt gucke. In meiner Geschichte verhalten sich sogar Beide wie ein "Tscherwjakov" und verharren am gemeinsamen Bußritual. Das ist es auch, "westeuropäisch" wäre gemeinsame Lösungssuche, für uns kommt "Wer ist schuld" weit vor dem "Was ist zu tun?"

Chehow war ja nicht orthodox. Ich vermute sogar, dass er ein Atheist war, so wie er sich über Merezhkowskij und dessen Gläubigkeit äußerte.

Ich frage mich, ob meine Landsleute irgendeine "außerreligiöse" Ethik entwickelt haben. Mir kam jedenfalls vor, dass die sowjetische Art Moral, wie sie uns beigebracht wurde, starke religiöse Züge trug und den gleichen byzantinischen Wüstengeist trug, wie die Orthodoxie.

Aber mein Lieblingsspruch ist doch deutsch, bzw. aus der Stoa übernommen: "Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Übel größtes aber ist die Schuld."

Ich fürchte, dass ich nicht fähig bin, ein "außerreligiöses" Weltbild wirklich nachzuvollziehen.
 
Abschließend, TaugeniX, nur noch diese Bemerkung von mir: "Starke religiöse Züge" zur Absicherung und Unterfütterung weltlicher Strukturen sind nicht auf den orthodoxen Kulturkreis beschränkt. Maskiert tauchen sie auch im heutigen Westen auf. Ich werde mich aber hüten, da jetzt ins Detail zu gehen. Manche würden sich auf die Füße getreten fühlen ... oder dein Text von Gewicht würde am Ende im Forum Lupanum landen, was schade wäre.

Arno Abendschön
 



 
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