Die Verschorlung des Florian H.

Die Winterarbeit ist erledigt, der Rückschnitt der Reben ermöglicht jetzt den nachwachsenden Trieben einen Wuchs der neuen Vegetation. Florian Haas macht es sich nach getaner Arbeit auf seiner Bank im oberen Bereich des Weinbergs bequem, er ist mit seiner Arbeit zufrieden. Er, der in vierter Generation Weinbau im traditionellen Stil betreibt, muss sich in Kürze um den Vertrieb des letzten Jahrgangs kümmern. Seine Weine sind stets von guter Qualität, seine Abnehmer wissen dieses zu schätzen. Er selber schätzt es allerdings nicht, was sich in den letzten Jahren bei vielen Weintrinkern eingeschlichen hat. Eine weit verbreitete Unsitte macht ihm Sorgen, die die Qualität seiner Produkte aus ehrlicher Arbeit verwässert. Er nennt es 'Verschorlung': Hochwertige Qualitätsweine werden mit Mineralwasser versetzt und dann von schmelzenden Eiswürfeln noch zusätzlich verdünnt. Er, der Purist, versteht dieses nicht. Er will der Sache auf den Grund gehen. Aufgeschreckt wurde Florian durch einen Artikel eines amerikanischen Gastro-Kritikers. Dieser hat einen der besten Weißweine der Welt, einen Corton Charlemagne Grand Crû vom Jahrgang 2017, gelobt, verstieg sich aber dann zu der Meinung, ein zusätzlicher Eiswürfel hätte den Genuss perfekt gemacht. Welch ein Idiot!, so der spontane Ausruf des deutschen Winzers.Und er macht sich auf, in die internationale Welt der Weine und der drohenden Verschorlung. Sein erstes Ziel ist die Heimat des unsäglichen Weinjournalisten, die USA, ein großes Anbauland voller hervorragender Weine. Er reist nach Kalifornien und besucht dort eine renommierte Weinkellerei. Hier ist man amüsiert über das Anliegen des deutschen Kollegen. Den betreffenden Artikel des Journalisten hat man hier zur Kenntnis, aber nicht ernst genommen. Das wäre ohnehin ein Spinner, so erfährt es Florian. Amüsant finden die Amerikaner jedoch den beabsichtigten Feldzug gegen die Verschorlung, nachdem Florian ihnen diesen Begriff erklärt hat. Aber für eine solche Kampagne wären die USA ganz sicher nicht das richtige Land; denn so etwas wäre hier schon seit ewigen Zeiten gängiger Standard. 'Wine Cooler' wird so etwas genannt; der Wein wird dabei noch zusätzlich mit verschiedenen Aromen versetzt. Florian ist entsetzt. Er befolgt den Rat, in ein Land mit traditioneller Weinverarbeitung zu reisen.

Sein nächstes Ziel ist daraufhin Chile. Dort, zwischen Anden und Pazifik, werden hervorragende Weine erzeugt. Unweit der Hauptstadt Santiago de Chile trifft er auf Winzer ganz nach seinem Geschmack. Die nehmen ihn ernst und wollen ihn gerne unterstützen. Sie erschauern förmlich, als Florian ihnen das Getränk beschreibt, das ihn umtreibt. Gehört hätten sie schon davon, aber niemals getrunken, so etwas käme wohl aus dem ungeliebten Nachbarland Argentinien und wird dort 'Vino Spritzer' genannt. Nun wähnt sich Florian auf der richtigen Spur. In dem argentinischen Weinort Cafayate, am Fuß der Anden-Kordillere, sucht er den renommierten Sommelier Ruben Gutiérrez auf. In diesem findet er einen Weinbruder im Geiste. Sie verbringen Tage voller Weinseligkeit, kein Wässerchen trübt die köstlichen Tropfen. Vor der Weiterreise verspricht der Argentinier Florian, mit seinem Ruf als hiesiger Weinpapst, hier im Lande der Gauchos, mit der Unsitte des 'Vino Spritzers' aufzuräumen. Er selbst sähe aber eine große Gefahr von jenseits des Rio de la Platas, aus dem kleinen Nachbarland Uruguay heraufziehen. Die hätten einige durchaus brauchbare Weißweine in ihrem Land, würden ansonsten aber alles mischen, was zu mischen ist.

Und er wird in der Landeshauptstadt Montevideo fündig. Ruben hat recht gehabt: Hier mischen sie auf Teufel komm raus. Sie vermischen selbst ihr Nationalgetränk, den Mate-Tee, mit äußerst fragwürdigen Substanzen. Im Hotel 'Hyatt Centric Montevideo' steigt er für einige Tage ab und muss für seine Recherchen das Haus gar nicht mehr verlassen. Die Roof-Bar des Hotels ist bereits ab spätem Vormittag gut besucht. Unter den einheimischen Gästen gibt es nur wenige, die das hier anscheinend beliebteste Getränk nicht kredenzen: Mio-Mio. Florian lässt sich dessen Zusammensetzung erklären und ist entsetzt. Dieses Gesöff besteht aus trockenem Weißwein und süßem Sekt. Klingt für ihn furchtbar, aber er probiert es. Man will es nicht glauben, er mag diese Mischung, herrlich erfrischend und köstlich. Sollte er letztlich auch schon verschorlt sein, ist das der Kipppunkt in seinem Leben? Seine Zechkumpane, mit denen er mehrere Tage und Nächte verbringt, sind sehr unterhaltsam. Sie zeigen ihm die Attraktionen der Hauptstadt und vor allem die Spezialitäten der Getränkelisten. Falls man ihnen glauben kann, dann gibt es nur noch ein Land, in dem es mehr und kurioser gemischte Getränke gibt, nämlich das benachbarte Brasilien. Der Wein dort sei allerdings lausig, so die Tresenfreunde in Montevideo, daher auch der Zwang, diesen zu vermischen.

Das schreckt Florian Haas jetzt nicht mehr ab, er begibt sich auf den Weg nach Sao Paulo. In den vielen Bars und Kneipen dort bestätigt sich die Aussage der Trinker aus Uruguay: Mixgetränke soweit das Auge reicht. Und in einer der Kneipen erhält einen wertvollen Hinweis. Im Städtchen Ouro Preto, im Bundesstaat Minhas Gerais, existiert bis in die heutigen Tage das Lokal, in dem das Mixgetränk kreiert wurde, das später unter dem Begriff 'Cocktail' weltweit bekannt wurde. Hier erfährt er nun wirklich noch die letzte Wahrheit aus der Welt der Mischgetränke. Es wurden seinerzeit diverse alkoholische Getränke mittels einer bunten Hahnenschwanzfeder verrührt, mit einem 'Rabo de Galo'. Für einen Genießer reinster Art eine fürchterliche Vorstellung. Amerikanischen Touristen gefielen die bunten Farben der Federn und der Getränke. Sie übersetzten den Begriff wörtlich ins Englische und trugen den Begriff Cocktail um die Welt.

Florian hat nun endgültig genug von all diesen Mischungen, ihm ging es eigentlich nur darum, der Unsitte der Weinschorle auf die Spur zu kommen. Er reist ab. In seinem Betrieb zuhause wartet eine Menge Arbeit auf ihn. Der neue Weinjahrgang muss vermarktet werden. Auch in diesem Jahr gelingt es ihm, mit seinem 'Riesling Kabinett Trocken' die Silbermedaille bei der landesweiten Prämierung zu er erhalten. Sein Verhältnis zur Weinschorle hat sich inzwischen entkrampft. Nicht so weit, dass er diese genussvoll trinken würde, aber immerhin kommt sie auf die Getränkeliste seiner Weinstube – ganz weit nach unten, dort, wo Cola und andere Erfrischungsbrausen gelistet sind.
 

Bo-ehd

Mitglied
Moment, ich muss erstmal mein Glas mit einen ganz zart gekühlten Vernatsch füllen. Bei dieser Sauhitze geht nichts anderes. Da muss es ein ganz Leichter sein.
Jetzt nehme ich an der Reise durch die Geschmäcker und Gewohnheiten der Weintrinker auf der Welt teil. Herrlich, wie dein Protagonist gegen die Mauern der Wein-Unkultur anrennt. Ja, wie will man der Unsitte des Panschens begegnen? Einer im Kampf gegen milliarden Menschen? Ich hätte kein Problem damit, wenn man wirklich schlechte Weine ohne Marktchance spritzt und an Leute verkauft, die Wein gegen den Durst trinken. Aber nein, sie verschneiden und spritzen die wirklich guten. Verstehe das, wer will. Inzwischen ist die Amerikanisierung und Kommerzialisierung so fortgeschritten, dass die Blüten kaum zu ertragen sind: Lidl verkauft Sekt in Dosen!
Originell auch deine Variante von der Geburt des Cocktails. Ja, wer hat ihn erfunden? Bei Ricola weiß ich es, das waren die Schweizer.
Gruß
Bo-ehd
 
Freut mich, Bo-ehd, dass dich die Geschichte anspricht. Als Verfechter von Unverfälschtem versuche ich den Purismus nicht zu übertreiben. Bei Wein allerdings bin ich "gnadenlos" . Ich akzeptiere Verschnitte nur mit verschiedenen Rebsorten, zu einem Cuvée, und das auch nur von Expertenhand vollzogen. Wer Wein oder Sekt aus Dosen trinkt, hat m.E. die Kontrolle über sein Leben abgegeben. Wohl bekomm's und Gruß von mir. Horst
 



 
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