Die Virtuosin

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hermannknehr

Mitglied
Unendlich traurig ist ihr Blick,
in sich gekehrt und so als hielte
sie letzte Töne noch zurück,
die sie auf ihrer Geige spielte.

Ihr zart geschwungener Schwanenhals,
der jahrelanges Üben kennt,
liegt so an ihrer Geige als
liebkose sie ihr Instrument.

So steht sie regungslos und schlicht,
die Geige noch am Kinn, bis sie,
mit einem Lächeln im Gesicht,

sie sinken lässt und der Applaus
aufbrandet in dem großen Haus,
der ihr die Würdigung verlieh.
 

Herr H.

Mitglied
Lieber Hermann,
wieder einmal ein sehr sensibles Sonett von dir, das mich tief berührt. Kleine Änderungsvorschläge meinerseits:
S2: Ihr zart geschwungner Schwanenhals/liegt, wie gefangen im Moment (oder: liegt, weithin sichtbar und präsent], an ihrer Violine, als/liebkose sie ihr Instrument.
S4: sie sinken lässt und den Applaus/entgegennimt vom großen Haus, dem ihre Spielkunst Glanz verlieh.

Vielleicht kannst du mit meinen Anregungen etwas anfangen.

Liebe Grüße
Arnd
 

hermannknehr

Mitglied
Unendlich traurig ist ihr Blick,
in sich gekehrt und so als hielte
sie letzte Töne noch zurück,
die sie auf ihrer Geige spielte.

Ihr zart geschwungener Schwanenhals,
weich und entspannt in dem Moment,
liegt so an ihrer Geige als
liebkose sie ihr Instrument.

So steht sie regungslos und schlicht,
die Geige noch am Kinn, bis sie,
mit einem Lächeln im Gesicht,

sie sinken lässt und der Applaus
aufbrandet in dem großen Haus,
der ihr die Würdigung verlieh.
 

hermannknehr

Mitglied
Lieber Arnd,
vielen Dank für deine Anregungen. Ich habe die erste etwas abgewandelt eingearbeitet. Ich glaube, so ist es wirklich besser. Mit deinem zweiten Vorschlag war ich nicht so ganz glücklich. Die an sich guten Formulierungen "Applaus entgegennehmen", "dem großen Haus Glanz verleihen" waren mir hier etwas zu schwach. Applaus entgegennehmen kann man beispielsweise auch bei einer sehr verhaltenen Reaktion des Publikums. Mir schwebte aber die Situation vor, dass nach den letzten, sehr ruhigen Tönen der Virtuosin, ein ohrenbetäubender Applaus mit lauten Bravo-Rufen losbricht (aufbrandet), der ihre Kunst entsprechend würdigt.
Vielen, herzlichen Dank für dein Interesse.

Liebe Grüße
Hermann
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
for he on honey dew hath fed and drunk the milk from paradise

Perfekte Ironie: Statt in die Musik einzutauchen, genießt der Zuschauer die Schönheit der Virtuosin. Er hört nicht zu, die optische Welt überlagert die akustische. Deshalb entgeht ihm, daß die Musikerin das Medium einer Komposition ist, die Aufführende eines Stücks, z.B. eines dreisätzigen Violinkonzerts, dessen Gliederung, Polyphonie und Raffinesse sie offenbart. Ihr Schwanenhals lenkt ihn von der Durchführungsphase in der Sonatenhauptsatzform oder von den Modulationstreppen weiträumiger Steigerungen ab. Aber der Schwanenhals ist nicht ihre Leistung und trägt auch nichts zur Musik bei. Der Schwanenhals ist gewiß eine gelungene Komposition des deus sive natura, aber welche Virtuosin will schon ihre Frisur, ihren Busen oder das, was dazwischen glänzt, aufführen?
"close your eyes with holy dread ..." (Coleridge, Kubla Khan)
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Mondnein,
Was man so alles in mein Gedicht hinein interpretieren kann, ist schon erstaunlich. Eine "perfekte Ironie"? Nun ja. Wer es denn so lesen will. As you like it!
Hermann
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Lieber Hermann!

Hab gerade ein entsprechendes Gedicht eingebracht, allerdings kein Sonett.
Es entstand damals, als ich Deins las.
(Ich bin mit dem Schreiben über ein Jahr meinen Leselupenbeiträgen voraus).

grusz, hansz
 

hermannknehr

Mitglied
violinkonzert

Hallo Mondnein,
in der Tat, Dein Gedicht ist sicher aus einer ganz ähnlichen Situation heraus entstanden, wie meine Virtuosin. Durch die fehlenden Satzzeichen ist es für mich etwas schwer zu lesen. Man muss auch über die zahlreichen Metapher nachgrübeln. Knaben geleiten die Braut zum Opferaltar, Geld klimpert, Nornen erzittern...Zeile1/Vers 4 habe ich gar nicht verstanden. Insgesamt schwingt aber etwas von dem Zauber eines Konzertes in dem Gedicht, das mir gut gefällt.
Gruß
Hermann
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Deins ist auch pure Musik

Ja, Hermann, es ist pure Musik, nichts sonst.

Ich habe versucht, polyphon zu schreiben, oder (richtiger) polymetaphorisch, polysemantisch. Das betrifft besonders die vierte Strophe, die ziemlich viele Bedeutungen zugleich durchspielt.

Bei Dir ist auch alles Musik, allerdings konsistenter über ein geschlossenes Bild geführt, das den ästhetischen Reiz quasi optisch trägt, nicht über solche Instrumentalgruppen von Sinnfarben, Klang- und Tonartwechseln, Modulationen im Rhythmus der Verse.

grusz, hansz
 



 
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