Die Wahrheit über die Loreley

Die Wahrheit über die Loreley

Auf seiner Reise von den Gipfeln der Alpen zu den Tiefen der Nordsee fliesst der Rhein an einem Felsen mit dem Namen Loreley vorbei. Der Felsbrocken sieht zwar wenig spektakulär aus, doch die Sage, die sich um ihn rankt, macht ihn weltberühmt. Clemens Brentano war der erste Dichter, der sich 1800 der Sage annahm. 1824 folgte ihm Heinrich Heine, aus dessen Zeilen später Friedrich Silcher das bekannte Lied von der Loreley komponierte.

Nach Brentano besagt die Legende, dass Loreley eine schöne Zauberin gewesen ist, die den Männern reihenweise den Verstand raubte. Deshalb wurde sie dem Bischof vorgeführt, aber selbst der Diener Gottes verliebte sich sogleich in Loreley. Er brachte es nicht über das Herz, die Angeklagte an den Scheiterhaufen zu binden, obwohl sie selbst ihn darum bat. Loreley liebte nämlich einen Mann, der ihre Gefühle nicht erwiderte und eines Tages sogar das Land verlassen hatte. Um Gnade vor Recht ergehen zu lassen, entschied der Bischof, Loreley in ein Kloster zu schicken. Drei Ritter geleiteten Loreley zu ihrem neuen Heim. Als sie an einem Felsen am Rhein vorbeikamen, von dem aus man bis zum Schloss ihres Schwarms sehen konnte, bat Loreley die Ritter, hinaufsteigen zu dürfen, um einen letzten Blick darauf zu erhaschen. Oben angekommen meinte sie ihren Liebsten auf einem Boot im Rhein zu erkennen, beugte sich zu stark vor und fiel den Felsen runter in den Fluss. Auch die Ritter, die ihr auf den Felsen gefolgt waren, sollen dort ihr Ende gefunden haben.

Die Schilderung von Heine ist dagegen weit weniger dramatisch: Loreley sass auf dem Felsen und kämmte singend ihr Haar. Ein Rheinschiffer liess sich von ihr ablenken und kenterte.

So weit, so tragisch, klingen die Sagen. Aber wie so oft bei Mythen und Legenden, trugen sich die wahren Begebenheiten nur ansatzweise wie überliefert zu. Im Falle der Loreley beispielsweise war nicht Zauberei oder eine unerwiderte Liebe und auch nicht Haarpflege in der Öffentlichkeit ausschlaggebend, sondern der Einsatz einer jungen Frau für ein wenig Gleichberechtigung.

Und das kam so:

Das aufgeregte Flüstern vor ihrem Zimmer hielt an bis Loreley endgültig darob erwachte. Und mit dem Erwachen setzen sogleich die Kopfschmerzen und die Übelkeit ein. Stöhnend drehte sie sich auf ihrem Strohsack um und öffnete dabei die Augen, nur um sie von der Morgensonne, die durch die Ritzen der Bretterwand schien, geblendet, gleich wieder zu schliessen. Reflexartig zog sie sich die Decke über den Kopf. Das Tuscheln wurde sogleich lauter.

Loreley wollte wieder einschlafen, um dem heftigen Kater zu entfliehen, aber das Gemauschel draussen liess sie keine Ruhe finden. Widerwillig hob sie ihre Decke einen schmalen Spalt und blinzelte darunter hervor in Richtung der Geräusche. Die feinen Linien, welche die Sonnenstrahlen auf den Boden malten, tanzten, also musste sich draussen vor dem Bretterverschlag etwas bewegen. Erfolglos tastete Loreley den Boden neben ihrem Bett ab, bis sie bemerkte, dass sie einen ihrer Schuhe noch am Fuss trug. Sie streifte ihn ab und schleuderte ihn gegen die Zimmerwand. Gleich nach dem dumpfen Knall, waren hastige Schritte zu vernehmen, die sich rasch entfernten.

Der Knall hatte allerdings nicht nur die Unbekannten draussen, sondern auch einen Unbekannten drinnen aufgeschreckt! Es zuckte auf der anderen Seite des Strohsackes und die erstaunte Loreley blickte einen ebenso erstaunten Mann an. Dem schien es wie Loreley zu gehen, denn kaum war er wach, wich auch schon die Farbe aus seinem Gesicht. Er schloss die Augen wieder, liess sich stöhnend zurückfallen und kauerte sich in Embryostellung zusammen. Fieberhaft versuchte Loreley sich zu erinnern, was gestern Abend vorgefallen war. Weiter als bis zum Konzert, das sie und ihre Freunde am Vorabend in der Vollen Kanne gespielt hatten, kam sie jedoch nicht. Bis zur Hälfte des Konzerts waren die Erinnerungen noch einigermassen klar. Das Wirtshaus war zum Bersten gefüllt gewesen und soweit Loreley durch die Fenster und die Türe erkennen konnte, hatten sich auch draussen scharenweise Menschen zusammengedrängt.

Die Stimmung war rauschend gewesen. Das Publikum hatte bei jedem Lied mitgegrölt, -geklatscht und -gehüpft. Auch der Wirt war bestens gelaunt und liess den Musikanten nach jedem zweiten Stück einen frischen Krug Bier oder Wein auf die Bühne bringen. Im Saal war es dermassen heiss und stickig, dass die Krüge die Pausen zwischen den Liedern jeweils kaum überdauerten. Die Band spielte sich getragen von der feiernden Meute in Ekstase. Weil Loreley das Konzert schon mit einem ordentlichen Pegel in Angriff nahm, hatte sie schon früh Schlagseite, aber die Energie des tobenden Publikums riss sie mit. Irgendwann riss aber auch der Film und der Typ, der da neben ihr lag, befand sich nicht mehr drauf. Ihre Erinnerungen zu durchforsten war anstrengend und verstärkte die Kopfschmerzen. Deshalb brach Loreley das Vorhaben ab und liess sich ebenfalls wieder ins Stroh sinken.

Geraume Zeit lagen die beiden still leidend nebeneinander, bis sich der Fremde zaghaft erkundigte, wo er sei. Auf Loreleys Antwort, dass er hier sei, folgte langes Schweigen, bis er lallend meint, dass sei nicht da, wo er gedacht hätte. Zum Glück sei sie da, wo sie gedacht habe, stellte Loreley fest, worauf ihr Gast seufzte, dass er das auch gerne wäre. Aber er sei ja da wo sie denke, murmelte Loreley. Das schien den Unbekannten ins Grübeln gebracht zu haben, denn er holte mehrmals Luft, aber brach nach der ersten Silbe wieder ab, bevor er schliesslich stammelte, dass hier aber nicht da sei, wo er sein sollte. Matt pflichtete ihm Loreley bei und dann gaben sich Beide wieder ihrem Leiden hin.

Der nächste Konversationsversuch eine halbe Stunde später erwies sich etwas ergiebiger. Der Gast stellte sich als Soldat Ewald Führich vor, der in der nahegelegenen Burg Stahleck stationiert war. Er hatte sich für zehn Jahre in den Dienst des Pfalzgrafen verpflichtet und vor einigen Tagen wie viele andere Soldaten des Heeres den Marschbefehl erhalten, um gegen die anrückenden Normannen in die Schlacht zu ziehen. Das Konzert von Loreley und ihrer Band war sein letzter freier Abend, bevor seine Kompanie aufbrach. Und das sei schon heute Abend und deshalb sollte er nicht hier sein, sondern schon längst wieder in der Kaserne, um seine Sachen zu packen und die Wagen zu beladen, sonst kassiere er eine ungeheuerliche Abreibung vom Kommandanten und der Sold werde gestrichen und er müssen wochenlang Küchen- und Latrinendienst schieben, jammerte Ewald und geriet darob zusehends in Aufregung. Das schien seinem lädierten Magen nicht gut zu bekommen, denn unvermittelt drehte er sich ab und reiherte neben den Strohsack, direkt über Loreleys zweiten Schuh.

Obwohl ihr dieser Ewald nicht unsympathisch war, widerte ein kotzender Kerl im Zimmer Loreley an und sie jagte den Soldaten, soweit es ihre hämmernden Kopfschmerzen zuliessen, mit Schimpf und Schande aus der Tür. Liebend gerne hätte sie sich anschliessend nochmals aufs Ohr gehauen, aber kaum hatte sie sich wieder hingelegt, dröhnte schon Bauer Ottfrieds Brüllen über den Hof. Nicht nur Ewald erwartete an diesem Morgen die Schelte eines verärgerten Vorgesetzten.

Die Übelkeit und das Pochen in den Schläfen waren immer noch nicht ganz verklungen, als Loreley am Abend in ihre Baracke zurückkehrte. Sie wusste sie nicht, wie sie diesen Tag überstanden hatte. Die ganze Zeit über hatte sie alles wie durch einen Schleier wahrgenommen und einfach irgendwie funktioniert. Nun wollte sie sich nur noch hinlegen. Der scharfe Gestank, der ihr entgegenschlug, erinnerte sie jedoch an Ewalds Abschiedsgeschenk. Sie hatte am Morgen bloss noch Zeit gefunden, notdürftig den Schuh zu putzen. Jetzt musste sie noch den Rest der Sauerei beseitigen. Fluchend machte sie sauber und stiess dabei auf ein Taschentuch, einen Lederriemen, eine Messerscheide und, als sie erschöpft ins Bett sank, auch noch auf eine Halskette, die Ewald am Morgen bei seinem überstürzten Aufbruch liegen gelassen hatte. Sie warf den Krempel in eine Ecke und war Sekunden später eingeschlafen.

Aufgeregtes Flüstern draussen vor ihrem Zimmer weckte Loreley aus ihrem Schlaf. War das gestern nicht genau dasselbe? Hatte der gestrige Tag überhaupt stattgefunden oder war sie nur wieder eingenickt und hatte alles geträumt? Verwirrt fuhr sie hoch und schaute sich um. Aus der Richtung des Getuschels tanzten die Sonnenstrahlen wieder, oder immer noch, zwischen den Bretterritzen hindurch. Allerdings fühlte sie weder Kopfschmerzen noch Magenbeschwerden und neben ihr lag niemand in ihrer Schlafstätte. Sie trug auch keinen Schuh und in der Ecke lagen die Utensilien des Soldaten. An diese tastete sie sich nun heran, ergriff die Messerscheide und schleuderte sie gegen die Wand.

Das war doch eigenartig. Loreley konnte sich keinen Reim aus diesem Getuschel vor ihrer Baracke machen. Fest stand einzig, dass ihr diese Art geweckt zu werden noch tierischer auf die Nerven ging als Bauer Ottfrieds Gebrüll. Dessen Frau war es dann, die nach dem Morgenessen ein wenig Licht ins Dunkel brachte. Was das denn für Gesindel sei, das da seit gestern andauernd um den Hof herumstreune, fragte sie in die Runde der Mägde, die am Brunnen Kleider wuschen. Nicht nur der Sittenstrolch, der gestern im Unterhemd mit einem Bündel unter dem Arm davongestrauchelt sei, sondern auch sonst allerlei Pack treibe sich plötzlich in den Büschen herum. Loreley horchte auf. Weil sie gestern ihre ganze Energie und Aufmerksamkeit darauf hatte verwenden müssten, sich irgendwie durch den Arbeitstag zu mogeln und nicht zusammen- oder zu erbrechen, hatte sie davon nichts mitgekriegt. Deshalb unterliess sie es lieber etwas zu antworten. Das war auch nicht nötig, denn innert Kürze kursierten unter den Waschweibern die wildesten Gerüchte.

Glücklicherweise rückte keines davon Loreley ins Zentrum. Aber nun, da sie von den Geschehnissen erfahren hatte, achtete sie bei ihrer Arbeit darauf, was in ihrer Umgebung vor sich ging. Tatsächlich herrschte um den Hof herum merklich mehr Betrieb als sonst. Ausnahmslos männliche Zaungäste verkehrten im Umkreis des Hofes und spähten mal mehr, mal weniger unauffällig hinüber. Dieser Zustand hielt auch am nächsten Tag an, ebenso wie das morgendliche Getuschel vor ihrer Baracke. Der Verdacht, wonach die beiden Phänomene miteinander zusammenhingen, war ihr schon früh gekommen, aber keinesfalls hätte Loreley einen direkten Zusammenhang zu ihr selbst vermutet. Die wöchentliche Bandprobe änderte dies.

Ob sie neuerdings wieder eine Bluse trage, begrüsste Helga Loreley mit einem breiten Grinsen. Ob sie neuerdings zur Begrüssung eine aufs Maul wolle, gab Loreley arglos zurück, bevor sie die Schalmeispielerin umarmte. Konrad kicherte nur blöd im Hintergrund und meinte, sie könne ihre Konzertkluft sonst gerne auch zur Bandprobe tragen. Und er könne sonst wie an den Konzerten auch bei den Proben seine Klappe halten, liess sie den Trommler immer noch ahnungslos wissen und knuddelte auch diesen herzlich. Erst als gleich darauf Gundula mit ihrer Geige eintraf und sie als Vorkämpferin der Frauenrechte begrüsste und zu einer Lobeshymne auf ihren Mut für dieses Zeichen ansetzte, wurde Loreley stutzig. Wovon sie da eigentlich labere, unterbrach sie Gundulas Redeschwall fragend und erntete ungläubige Blicke, bevor Helga und Konrad losprusteten.

Nachdem sich die beiden von ihrem Lachkrampf erholt hatten, wurde Loreley in allen Einzelheiten geschildert, was sich an ihrem Konzert in der Vollen Kanne zugetragen hatte. Zwar schien auch bei den anderen drei Bandmitgliedern das Erinnerungsvermögen im Verlauf des Abends gelitten zu haben, aber darin, dass Loreley völlig ausser Rand und Band geraten war und nach der zweiten Pause oben blankgezogen hatte, stimmten ihre Aussagen zu Loreleys Leidwesen überein.

Wie sie erfuhr, hatte sie sich anscheinend darüber aufgehalten, dass sich einige männliche Konzertbesucher in der drückenden Hitze im Gasthaus beim Herumhopsen ihrer Hemden entledigt hatten, während die Frauen in Vollmontur vor sich her schwitzten. Loreley habe in den Saal hinaus proklamiert, dass die Temperatur für alle gleich sei und sich deshalb auch die Frauen ihrer Schürzen und Umhänge entledigen dürften. Ihr Aufruf habe jedoch keine Wirkung erzielt, ausser blödem Gejohle der besoffenen Männer. Selbstverständlich grölte die Hälfte davon in Richtung Bühne, sie solle doch selbst den Anfang machen.

Helga behauptete steif und fest, sie habe gesehen, wie daraufhin Dampf aus Loreleys Ohren getreten sei. Jedenfalls habe Loreley einen kräftigen Schluck aus dem Weinkrug genommen, in den Saal geschrien, dass sie im Gegensatz zu den Luschen dort unten nicht nur Wein saufe, sondern ihn auch predige oder so und dann ihre Bluse über den Kopf gezogen. In Sekundenschnelle sei es mucksmäuschenstill geworden im Gasthof und die Kinnladen seien reihenweise nach unten geklappt. Loreley habe den Weinkrug in einem Zug geleert, ins Publikum gebrüllt, ob sie bereit seien abzugehen wie noch nie zuvor und dann das nächste Lied angezählt. Konrad sei aber ebenfalls gelähmt gewesen, lachte Helga, uns so sei bereits die Frau des Wirts herangerauscht und habe Loreley eine Decke übergeworfen, noch bevor der erste Takt des Lieds gespielt worden war.

Das darauffolgende Handgemenge zwischen der Sängerin und der Wirtin sei zum Glück glimpflich ausgegangen und einen Krug Bier später sei eine notdürftig bekleidete, ordentlich zerzauste Loreley wieder inbrünstig auf der Bühne am Singen gewesen.

Bischofsvikar Eusebius Immel verfluchte einmal mehr das Zöllibat, als ihm dieser bezaubernde blonde Engel vorgeführt wurde. Die Berichte, die er gehört hatte, trugen das ihrige dazu bei, ihn in Wallung zu bringen. Kein Wunder, dass dieser heisse Feger einen derartigen Tumult ausgelöst hatte, wenn es stimmte, was ihm zu Ohren gekommen war.

Plötzlich fand er es gar nicht mehr schlimm, dass der Freiherr von Bingen ihm diesen Fall übergeben hatte. Es verstosse gegen kein Gesetz, sich bei einem Bauernhof herumzutreiben, auch wenn die Beweggründe noch so anstössig seien. Vor allem aber habe er seit dem Ausbruch des Kriegs keine Männer vorrätig, um all die Lüstlinge zurück zu ihrer Arbeit oder ihren Familien zu treiben, meinte der feiste Adlige. Da sei es doch weit weniger aufwändig, einfach die Ursache der Unruhen, diese Loreley, aus dem Verkehr zu ziehen. Diese Nymphe habe die armen Männer ja sicher verzaubert, wenn Hochwürden wissen, was er meine, schloss der Freiherr augenzwinkernd, brauenhebend und kopfnickend.

Selbstverständlich wusste der Bischofsvikar auch ohne das theatralische Getue, was der kleine Gauner meinte. Allerdings konnte er nicht so mir nichts dir nichts ein Mädchen als Hexe verbrennen. Ein solcher Entscheid musste vom Bischof abgesegnet werden und damit war immer ein riesiges Brimborium verbunden mit Verhören, Gerichtstagungen und einer Unmenge an Papierkram. Ausserdem gingen ihm das Gekreische und der Geruch der brennenden Frauen jeweils arg an die Nieren. Leider stand er jedoch beim Freiherr von Bingen in der Schuld, seit ihn dessen Schergen bei einer Razzia in einem Dirnenhaus inflagranti erwischt hatten. Deshalb konnte er sich nicht widersetzen, den Fall zu übernehmen.

Als Loreley nun in ihrer ganzen Pracht vor ihm stand, fand er es ohnehin eine Schande ein derart bezauberndes Wesen den Flammen übergeben zu wollen. Sie war eine wahre Schönheit. Der gestandene Bischofsvikar war aufgeregt wie ein kleiner Junge, als er das Wort an sie richtete und mit seiner Befragung begann. Entgegen ihrer zauberhaften Erscheinung legte sie jedoch einen widerborstigen Charakter und keinerlei Manieren an den Tag, was sie in Eusebius' Augen aber nur noch begehrenswerter machte. Als er sie mit dem Vorwurf konfrontierte, sie habe die Männer in der Gegend verzaubert, lachte sie bloss laut auf und bezeichnete die Anschuldigung als den grössten Schwachsinn, den sie je gehört habe. Das seien schlicht und einfach notgeile Böcke, die sich nicht unter Kontrolle hätten. Diese elenden Spanner würden ihr selbst am allermeisten auf die Nerven gehen und wenn sie eine Hexe wäre, dann würde sie diese Trottel sicher nicht herbei- sondern wegzaubern.

Weil sein Sekretär, ein Priester und zwei Wachen anwesend waren, war Eusebius gezwungen die Befragung ordnungsgemäss zu Ende führen. Sein Entschluss war jedoch schon lange davor festgestanden. Diese Augenweide würde er auf keinen Fall verbrennen lassen. Vielmehr würde er sie ins Frauenkloster Altmünster schicken, wo er als einer von nur einer Handvoll Männer auf Gottes Erde Zugang hatte und sie ungestört würde besuchen gehen können. Sei es aus Dankbarkeit oder halt irgendwann aus purer Verzweiflung, würde sie sich ihm dort schon hingeben.

Wie sich bald herausstellte, würde es wohl auf letzteres hinauslaufen. Denn als er ihr schliesslich eröffnete, er könne sie vor den Flammen verschonen, dafür müsse sie aber für den Rest ihres Lebens in einem Kloster Sühne üben, fiel Loreley nicht etwa dankend auf die Knie, sondern beschwerte sich lauthals. Das könne wohl kaum sein Ernst sein, sie habe doch gar niemandem etwas getan. Was könne sie denn dafür, dass diese Spanner völlig schwanzgesteuert seien. Aber es sei natürlich einfacher, eine Frau zu verurteilen, wenn man eine feige Kanaille sei. Dann solle er sie aber lieber auf den Scheiterhaufen schicken, als in ein bescheuertes Kloster. Sie würde lieber in den Flammen sterben, als vor Langeweile. Da sei die Qual wenigstens mal vorbei und dauere nicht bis in alle Ewigkeit.

Loreleys Protest wollte nicht abebben, so dass sich Eusebius gar dazu hinreissen liess, der Angeklagten die Vorzüge des Klosterlebens anzupreisen. Sie lenkte jedoch nicht ein. Als er einsah, dass es hoffnungslos war, verkündete Bischofsvikar Immel schroff, man müsse die Männer der Gegend vor der Angeklagten und die Angeklagte vor sich selbst beschützen. Deshalb laute sein Urteil, dass Loreley ins Frauenkloster Altmünster zu überführen sei, damit sie dort Busse tue und geläutert werde. Und jetzt wolle er keinen Mucks mehr hören, fügte er noch an und liess die Verurteilte abführen. Ohne Mucks ging das allerdings nicht von Statten.

Egal ob Scheiterhaufen oder Kloster, sie würde keines von beidem akzeptieren, schwor sich Loreley, als sie auf der Pritsche in ihrer Zelle sass. Sie würde sich sicher nicht bestrafen lassen, nur weil ein paar rammlige Lustmolche ihre Triebe nicht im Griff hatten. Zwar hatte Loreley damit gerechnet, dass ihre Einlage am Konzert in der Vollen Kanne noch ein Nachspiel haben würde, aber sein Dasein für den Rest des Lebens in einem öden Kloster fristen zu müssen, war ja wohl völlig übertrieben. Sie musste irgendwie hier rauskommen und dann halt in ein fremdes Land abhauen.

Während Loreley über einen Fluchtplan brütete, vernahm sie plötzlich eine wohlbekannte Stimme durch das kleine Gitterfenster ihrer Zelle. Helga piepste vor einer Nachbarzelle herum. Rasch trat Loreley zum Fenster und lotste Helga zu ihrer Zelle. Wie unglaublich gerne wäre sie ihrer Freundin in die Arme gefallen. Die Umstände liessen aber bloss einen umständlichen Händedruck zu. Helga reichte Loreley einen Apfel und etwas Brot durch die Gitterstäbe und liess sich über den Stand der Dinge unterrichten. Daraufhin schmiedeten sie einen Plan für Loreleys Befreiung.

Zuerst benötigte sie Halskette und Taschentuch, die Ewald in ihrem Zimmer liegen gelassen hatte. Helga schlich sich am nächsten Abend erneut zu Loreleys Zelle und steckte ihr die Utensilien durch die Gitterstäbe zu. Am Morgen darauf, bat Loreley um eine Audienz beim Bischofsvikar. In der Hoffnung auf ein unmoralisches Angebot der Gefangenen, zögerte der keine Sekunde ihr den Wunsch zu erfüllen und wenige Minuten später stand Loreley vor ihm.

Was ihm das gute Kind denn Wichtiges mitteilen möchte und ob er die Wachen fortschicken solle, erkundigte sich der Geistliche mit lüsternem Grinsen. Ohne auf die zweite Frage einzugehen, brach Loreley in Tränen aus und eröffnete dem Bischofsvikar, dass sie nicht ins Kloster gehen könne, denn sie habe sich mit Soldaten Ewald Führich verlobt, bevor dieser vor zwei Wochen in den Krieg gezogen sei. Das Grinsen des Geistlichen erstarb. Na das könne ja jede behaupten, die sich vor ihrer Strafe drücken wolle, zischte er und wollte wissen, ob sie das denn auch irgendwie beweisen könne. Loreley zog das Taschentuch und die Halskette hervor und quetschte erneut ein paar Tränen heraus. Das sei ja rührend, meinte Bischofsvikar Immel dieses Mal mit einem ironischen Grinsen, aber mit einer Kette und einem alten Lappen könne jede herumwedeln.

Loreley brodelte innerlich und war kurz davor, Hochwürden die Kette ins Gesicht zu schleudern, als eine der Wachen sich plötzlich zu Wort meldete. Er kenne diesen Ewald, er sei mit ihm in der Burg Stahleck stationiert gewesen, bevor er letzte Woche ins Heer eingezogen wurde. Das Grinsen des Bischofsvikars erstarb abermals und er starrte den Wachsoldaten grimmig an. Sein Entschluss stehe aber fest, knurrte er störrisch. Sie gehe ins Kloster. Wenn dieser Ewald, sofern Gott wolle, dann tatsächlich aus dem Krieg zurückkehren sollte, solle er gefälligst vorbeikommen und bezeugen, dass er wirklich mit ihr verlobt sei. Aber bis dahin gelte sein Urteil. Da holte Loreley endgültig zum Wurf aus, aber wurde im letzten Augenblick von den Wachsoldaten zurückgehalten und in ihre Zelle gezerrt.

Die Überführung der künftigen Nonne ins Kloster Altmünster wurde auf den kommenden Dienstag gelegt. Als sich Helga, Gundula und Konrad gemeinsam zu Loreleys Gefängnis schlichen, um mit ihr einen neuen Fluchtplan auszuhecken, blieben ihnen somit bloss etwas mehr als zwei Tage Zeit. Der Plan war ambitioniert und erforderte einiges an Vorbereitung. Als sich die drei Fluchthelfer wieder davonschlichen, lag viel Arbeit vor ihnen, wobei ihnen das Problem mit den Haaren am meisten Kopfzerbrechen bereitete.

An lange blonde Haare zu kommen, war verzwickt. Die naheliegendste Lösung fiel weg, weil weder Helga noch Gundula blond waren. Auch die Frauen in ihrem Bekanntenkreis, die derart goldblonde Haare hatten wie Loreley, waren rar gesät und es zeigte sich, dass selbst gegen eine beträchtliche Entschädigung keine davon bereit war, sich von ihrer Haarpracht zu trennen. Immerhin war Konrad mit dem Holzgestell und Gundula mit den Näharbeiten zügig fertig geworden und Helga hatte das Kleid auftreiben können. Trotzdem wurde die Zeit knapp, denn es musste auch noch alles positioniert werden, bevor Loreley überführt werden sollte. Die Ideen, wie sie auf die Schnelle an geeignete Haare kommen sollten, reichten vom Ersatz aus Stroh bis hin zum Abschneiden der Haare einer Nachbarin von Gundula im Schlaf. Schliesslich einigten sie sich aber, zuerst noch beim Bader in Koblenz vorbeizuschauen, wo sich die Adligen und Reichen die Haare schneiden liessen.

Die Hoffnung, dort geeignete Haare zu kriegen, zerschlug sich allerdings alsbald, denn der Bader hatte kein offenes Ohr für ihr Anliegen und spedierte sie ruckzuck wieder auf die Strasse. So standen die drei etwas abseits in einer Gasse neben dem Geschäft und rateburgerten wie es weitergehen sollte. Sie waren dermassen ins Gespräch vertieft, dass sie nicht mitbekamen was um sie herum geschah, bis sie von einer äusserst unangenehmen Piepsstimme aufgefordert wurden, gefälligst Platz zu machen für die Tochter des Pfalzgrafen. Verwundert blickten die drei auf. Der Befehl war von einer Dame mit langen blonden Haaren gekommen, die ein teures Kleid trug und auf einem prächtigen beigen Hengst sass. Sie wurde von zwei weiteren blonden Damen und einem Wachsoldaten flankiert.

Die drei Bandmitglieder traten zur Seite und schauten zu, wie die edle Gesellschaft ihre Pferde festband. Danach wandte sich die Grafentochter an Konrad. Wenn er ihren liebsten Goldschweif und auch die anderen Pferde striegeln, füttern und gut auf sie aufpassen werde, würde sie ihn nach ihrer Rückkehr vom Bader mit einen Heller für seine Dienste entlöhnen. Kaum gesagt, machte sie auf dem Absatz kehrt, dass ihr langes blondes Haar durch die Luft wehte und stolzierte mit ihrer Entourage im Schlepptau davon. Die drei blickten der adligen Dame nach, bis sie aus der dunklen Gasse geschritten, wo ihre Locken gülden im Sonnenlicht aufglänzten, und um die Ecke gebogen waren. Konrad, Helga und Gundula nickten sich grinsend zu.

Derweil jammerte Loreley im Gefängnis bei jedem sich bietenden menschlichen Kontakt über ihr grausames Schicksal, das sie von ihrem geliebten Verlobten getrennt hat. Ohne ihren Liebsten hätte ihr Leben keinen Sinn und sie ertrage den Gedanken nicht, ihn bei seiner heldenhaften Rückkehr aus dem Krieg nicht in die Arme schliessen zu können. Nicht nur den Krieg, sondern auch noch eine Klostermauer zwischen ihnen zu wissen, sei die grösste Qual, die sie sich ausmalen könne. Der Gedanke an den Tod sei ihr lieber als der Gedanke für ewig von ihrem Ewald getrennt zu sein. Man möge sich ihrer erbarmen und ihr einen Strick bringen, damit sie ihrem Schmerzen ein Ende setzen könne. Auch bei Bischofvikar Immel, dem sie vor der Überführung ins Kloster nochmals vorgeführt wurde, heulte sie ohne Unterlass und bat darum, ihr seinen Brieföffner zu reichen, damit sie sich ihn ins Herz rammen könne.

Wie erwartet war der Vikar bei seinem Entschluss geblieben und zwei Stunden später machte sich Loreley bewacht von drei Soldaten auf den Weg. Erfreut stellte Loreley fest, dass ihre Bewacher nicht eben Elitesoldaten waren, weshalb sie wohl auch nicht für den Krieg eingezogen worden sind. Einer hätte ihr Grossvater sein können, ein anderer hinkte so fest, dass er kaum geradeaus gehen konnte und dem letzten fehlte ein Auge. Die Soldaten sassen auf klapprigen Gäulen, die wie ihre Reiter wohl nicht mehr für die Schlacht taugten, während Loreley zu Fuss gehen musste. Der erste Teil des Weges zum Kloster Altmünster führte dem Rhein entlang und kaum hatten sie die Stadt verlassen, lag Loreley den Soldaten in den Ohren damit, wie fest sie ihren Ewald vermisste und dass ein Leben ohne ihn hinter einer Klostermauer keinen Sinn habe. Unter dem unablässigen Gejammere von Loreley näherte sich die Reisegesellschaft dem Felsen, den Loreley und ihre Freunde auserkoren hatten.

Der Fels stieg vom Ufer des Rheins, der ihn in einem Rechtsbogen umströmte, steil in die Höhe. Seine Kuppe ragte etwas über das Umland, in das sich der Fluss über die Jahrtausende tief hineingefressen hatte, hinaus. Als Kind war er Loreleys Spielplatz gewesen. Helga und sie waren als Mädchen stundenlang darin herumgeklettert und kannten den Felsen in- und auswendig. Kein Ort war besser geeignet für ihren Plan als dieser Felsen.

Am Fusse des Felsens begann Loreley zu wanken und brach zusammen. Sie wolle nur noch ein letztes Mal nach der Burg Stahleck blicken, vor deren Mauern sie und ihr Verlobter sich zum ersten Mal geküsst hätten und oben auf dem Felsen, wo er vor seiner Abreise um ihre Hand angehalten habe, für sein Wohlergehen in der Schlacht beten. Man solle ihr doch bei der Soldatenehre bitte diesen letzten Wunsch erfüllen. Sie verspreche, sich dann ihrem Schicksal zu fügen und für den Rest des Weges zu schweigen. Die drei Soldaten streckten kurz ihre Köpfe zusammen, dann knurrte Hinkebein, dass sie seinetwegen kurz rauf dürfe. Aber danach habe sie sich gefälligst erkenntlich zu zeigen, fügte er mit einem schmierigen Grinsen an. Sie würden es alle drei nicht bereuen, ihr diesen Wunsch erfüllt zu haben, flötete Loreley zurück.

Gefolgt von den drei Soldaten machte sich Loreley an den Aufstieg. Sie kletterte wie eine Gämse die steile Wand hinauf. Während Väterchen und Hinkebein schon von Beginn weg den Anschluss verloren, hielt Einauge noch einen Moment lang mit, aber mangels Geschicks und behindert durch seine Rüstung, wurde auch der Abstand zu ihm rasch grösser. Noch bevor sie in der Hälfte angelangt war, ertönten von unten her wütende Befehle, sofort anzuhalten. Loreley ignorierte sie und kletterte weiter.

Auf dem verabredeten Plateau warteten ihre drei Freunde bereits mit der Puppe hinter einer Felswand. Sie war lebensgross, hüllenlos und hatte lange blonde Haare. Ihre Gliedmassen bestanden aus Flachssäcken, die mit Stroh und Steinen gestopft waren und wurden zusammengehalten von einem Holzgestell, das auf kleinen Rollen stand. Loreley hatte einen komfortablen Vorsprung auf ihre Verfolger herausgeklettert. Rasch ging sie hinter der Felswand in Deckung, schlüpfte aus ihrem Kleid und zog das Ersatzkleid an, während Helga und Gundula der Puppe ihr Kleid überstreiften und sie herrichteten. Mit einem langen Stock schob Konrad die Puppe nach vorne an den Rand des Abgrundes, wo sie weitherum sichtbar war, auch für ihre Verfolger. Aus ihrem Versteck hervor begleitete Loreley die Puppe mit lautem Wehklagen und stimmte anschliessend eine todtraurige Melodie an.

Die beschwichtigenden Rufe ihrer Verfolger zeigten, dass die List funktionierte und die Soldaten tatsächlich glaubten, Loreley könnte sich von der Klippe stürzen. Als die Soldaten zu nahe zu kommen drohten, versetzte Konrad der Puppe mit dem Stock einen Stoss und sie fiel mit flatternder Mähne runter. Mit einem lauten Klatsch landete sie in den Wassermassen des Rheins, wo sie von den eingearbeiteten Steinen auf den Grund gezogen wurde.

Während sich die Soldaten fluchend wieder an den Abstieg machten, machten sich Loreley und ihre Freunde in die entgegengesetzte Richtung aus dem Staub. Erst als sie nach einer halben Stunde im Laufschritt hinter einer Jagdhütte im Wald eine kurze Rast einlegten und das Adrenalin langsam aus Loreley Körper wich, wurde ihr bewusst, dass sie sich nun von ihren Freunden verabschieden musste. Sie war es, die auf der Flucht war und sie wollte ihre Freunde nicht in Gefahr bringen, falls man sie zusammen erwischen würde. Der Gedanke ihre Freunde nie wieder zu sehen, schnürte ihr die Kehle zu, während sie studierte, wie sie das ihren Freunden beibringen sollte.

Die armen Tröpfe schienen sich dessen nämlich nicht bewusst zu sein, denn nach einer kurzen Verschnauf- und Trinkpause machte sich bei ihnen schon wieder Betriebsamkeit breit. Sie gingen in die Jagdhütte und kamen mit dicken Bündeln und Instrumenten wieder raus. Loreley konnte sich keinen Reim daraus machen, aber Tatsache war, dass sie rasch weitermusste. Sie sei ihnen so unendlich dankbar für ihre Hilfe und es tue ihr so schrecklich leid, aber sie könne hier nicht verweilen, begann sie ihre Rede stotternd bis Helga ihr ins Wort fiel. Das sei ja wieder mal typisch für das kleine Prinzesschen, da bereite man ein Abschiedskonzert vor, aber die feine Dame habe natürlich Wichtigeres zu tun. Nun begriff Loreley gar nichts mehr. Sie musste ziemlich dumm aus der Wäsche geguckt haben, denn Gundula und Konrad kriegten einen Lachanfall und Helga knuffte sie nach Grossmutterart in die Wange. Sie würden denk mitkommen, eröffnete ihr Helga und hielt ihr ein gefaltetes Pergament unter die Nase.

Perplex entfaltete Loreley das Plakat. Es zeigte die Skizzen von zwei Frauen und einem Mann, die ihr verdächtig bekannt vorkamen. Darunter stand zu lesen, dass der Pfalzgraf höchstpersönlich die drei niederträchtigen Vandalen gegen ein Kopfgeld suche, um sie ihrer gerechten Strafe zu zuführen, die da sei Kerker, Pranger und Peitschenhiebe. Ihnen werde zur Last gelegt, des Pfalzgrafen holder Tochter liebstes Pferd in schändlicher Weise verunstaltet zu haben, indem sie dem wehrlosen, edlen Tier skrupellos Mähne und Schweif geschoren hätten.
 
Das fing ja ganz amüsant an und blieb es bis in die Mitte. Dann wurde es leider zu unübersichtlich und anstrengend zu lesen. Weniger wäre hier mehr gewesen. Trotzdem finde ich die Idee und den Anfang klasse.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 



 
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