Die Wassermelone

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Galaxius

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Ich liege lässig auf meinem Sofa, meine ausgebeulte Jogginghose bedeckt locker meine Beine und das Unterhemd gewährt mir volle Bewegungsfreiheit. Der Fernseher läuft, doch ich schaue nicht hin. In Gedanken bin ich weit weg.
Ruth, die beste aller Ehefrauen, ist in der Küche und bereitet das Mittagessen zu. Der Duft des angebratenen Fleisches hat das Wohnzimmer erreicht und fährt wie ein wütendes Tier in meinen Magen.
Während ich mich also mental auf das kommende Essen vorbereite, dringt die Stimme meiner Gattin an mein Ohr: „Erwin, Liebster, lauf doch schnell zum Gemüsehändler an der Ecke und hol eine Wassermelone zum Nachtisch.“
Normalerweise würde ich jetzt warten, bis die Aufforderung ein zweites Mal an mein Ohr dringt. Aber da es ums Essen geht, bin ich sofort motiviert.
Während ich mir ein T-Shirt überwerfe, angele ich die Schlappen unter dem Schuhschrank hervor und überprüfe rasch den Inhalt des Geldbeutels.
Gut, das Geld langt. Und schon bin ich auf dem Weg zum Gemüsehändler.
Der ist ein kleiner, älterer Mann, der noch wie früher jeden seiner Kunden selbst bedient. Eigentlich ist der Laden viel zu teuer, aber wir kaufen trotzdem oft bei ihm ein, denn es ist praktisch, so einen Laden in der Nähe zu haben. Oft hat die Gattin eine wichtige Zutat nicht zur Hand und so renne ich schnell hin und besorge das Verlangte. So auch jetzt.
Nach einer kurzen Begrüßung und der gegenseitigen Versicherung, dass es den jeweiligen Gattinnen gut geht, äußere ich meinen Einkaufswunsch.
Mit sicherem Griff nimmt der Mann eine Melone aus der Kiste und dreht sie in den Händen. Dann wirft er sie hoch, fängt sie wieder auf, klopft an die Schale und riecht an ihr. Dann legt er sie wortlos wieder zurück.
Dieselbe Prozedur macht er noch mit zwei anderen Melonen.
Erst die vierte Melone findet sein Gefallen. Mit einem Lächeln reicht er mir das besondere Stück.
„Ist die denn auch wirklich süß?“ frage ich naiv.
„Junger Mann“, sagt der Verkäufer fast beleidigt, “Ich verkaufe seit 20 Jahren Melonen. Und die hier ist süß und saftig!“
Also zahle ich den geforderten Preis und mache mich auf den Weg in die Wohnung.
Mit dem großen Küchenmesser macht sich meine Holde an der Melone zu schaffen. Seltsamerweise ist die Schale besonders hart. Mit dem Küchenmesser wird das nichts. Also gehe ich zu meiner Werkzeugkammer und entnehme die Säge. Obwohl Ruth mich milde anlächelt, setzte ich beherzt zum schwungvollen Schnitt an.
Und schon nach der ersten Bewegung der Säge entgleitet mir die Melone und saust wie ein geölter Blitz über den Küchenfußboden. Doch der Fluchtversuch nützt nichts.
Als die Melone gegen die Wand kracht, löst sich ein kleines Stück Putz.
Das macht mich nur wütend und so fange ich die Melone ein und halte sie energisch fest, während Ruth mit dem Küchenmesser ans Werk geht.
Todesmutig sehe ich zu, wie die Klinge tief durch die Schale in das Fruchtfleisch dringt.
Und schon kurze Zeit später ist das Werk vollendet. Die Melone ist in mundgerechte Stücke geteilt und liegt anmutig auf einem Teller.
Doch als ich in das erste Stück herzhaft hinein beiße, stockt mir der Atem.
So einen unglaublich widerlichen Geschmack habe ich noch nie auf der Zunge gespürt. Mit aller Macht wehrt sich der Magen gegen die Zufuhr dieses erbärmlich stinkenden Stückes Obst. Und bei meiner Liebsten ist es genau dasselbe.
„Oh, warte“ rufe ich und bin schon auf dem Weg zum Gemüsehändler. „dieser Schurke soll mich kennen lernen“.
Dort angekommen verlange ich erbost Ersatz für die entgangenen Gaumenfreuden.
Nach einigen wilden Gesten meinerseits und wortreichen Entschuldigungen Seitens des Händlers, greift er wieder in die Kiste mit den Riesenfrüchten und beginnt seine Prozedur. Er wirft die Melone hoch, fängt sie wieder auf, klopft an die Schale, riecht an ihr und legt sie wieder zurück.
Diesmal treibt er sein Spiel besonders gründlich. Erst die fünfte Melone findet seinen Gefallen.
„Die hier ist super süß und sonnensaftig“, versichert er mir.
Ich bin wieder beruhigt und nehme die Melone mit.
Wieder in der Wohnung angekommen, zerteile ich das gute Stück eigenhändig.
Doch was ist das? Gerade steche ich mit dem Messer in die Frucht, spritzt mir Obstsaft entgegen. Natürlich bin ich vollkommen eingesaut. Ich renne ins Bad, um mich abzutrocknen, da höre ich, wie die Gattin in der Küche schimpft.
Um ihr beizustehen, laufe ich mit dem Handtuch in den Händen in die Küche. Dort treffe ich meine fassungslose Frau und sehe eine leere Melone. Anscheinend war das Mistvieh, nein nicht die Gattin, die Melone, nur mit fünf Liter Melonensaft gefüllt.
Und genau diese Menge an Fruchtsaft hat sich über den Tisch und den Fußboden verteilt.
Mein Blutdruck steigt in ungeahnte Höhen und ich nehme die leeren Hälften mit zum Obstmann, um sie ihm mit den entsprechenden Worten eigenhändig da hin zu stecken, wo er keine Nase hat.
Aber anscheinend hat er Unrat gewittert, denn als ich mit hochrotem Kopf im Laden ankomme, steht sein Sohn hinter der Theke.
Und der sieht aus wie ein Schlachter.
Hundertzwanzig Kilo schwer, zwei Köpfe größer als ich und eine spiegelblanke Glatze. Außerdem hat er ein Kartonmesser in der Hand, mit dem er gerade die neue Lieferung Bananen auspackt.
Meinen Schwung kann ich kurz vor seinem im weißen Kittel steckenden Bauch abbremsen.
Aber die Melonenhälften in meiner Hand kann er nicht übersehen.
Mit vielen Worten entschuldigt er sich für das Unglück, das er über uns gebracht hat und geht dann selbst zur Melonenkiste.
Aber diesmal bin ich schneller. So wie ich es vorher auch gesehen habe, greife ich eine Melone heraus, drehe sie in den Händen, klopfe auf die Schale, werfe sie hoch und fange sie auf.
Dann rieche ich daran und nehme die nächste.
Interessiert blickt mir der Händlersohn über die Schulter und verfolgt gespannt meine Auswahl.
Als ich mich für eine entscheide, will er Einspruch erheben, aber ein Blick meinerseits lässt ihn verstummen.
Mit meiner Beute unter dem Arm kehre ich nun Heim in die Küche und zerteile die Frucht eigenhändig.
Gott sei Dank hat die Beste aller Ehefrauen die letzten Kampfspuren beseitigt, sodass nun dem verdienten Genuss einer wohlschmeckenden Wassermelone nichts mehr im Wege steht.
Wie von selbst gleitet der blanke Stahl des Messers durch die Schale und gibt das tiefrote, saftige Fruchtfleisch preis. Malerisch sind die kleinen, schwarzen Kerne im oberen Drittel der Melone angeordnet.
Es muss halt nur der richtige Mann die Auswahl treffen.
Nachdem ich die Melone auf die Teller verteilt habe, genehmige ich mir erstmal ein Siegerschlückchen von dem guten Roten.
Und dann beiße ich herzhaft in die Melone, um sie genau so heftig wieder auszuspucken. Das, was sich in meinen Mund verirrt hat, schmeckt wie das Frotté-Tuch, mit dem ich unseren Rex abtrockne, wenn es geregnet hat.
Ein Blick in das entsetzte Gesicht meiner Gattin sagt mir, dass auch ihr Stück nicht besser ist.
Gerade, als ich mich lauthals über die schlechte Wirtschaftslage im Allgemeinen und die miserable Qualität der Wassermelonen im Besonderen echauffieren will, steht Ruth ohne Worte auf und verlässt die Wohnung.
Ob sie mich jetzt verlässt?
Sie hat sicher jetzt genug von meinen Eskapaden und besonders meiner Unfähigkeit, einfache Dinge zu erledigen.
Ich bin noch nicht einmal in der Lage, eine Wassermelone zu kaufen!
Zu allem fähig und zu nichts zu gebrauchen.
Doch Ruth ist in aller Ruhe zum Gemüsehändler gegangen. Dort angekommen, lässt sie sich eine Wassermelone von dem alten, kleinen Händler geben und ist in kürzester Zeit zurück.
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht teilt sie die Melone in kleine Stücke, entfernt gekonnt die Kerne und spießt ein Stück mit der Messerspitze auf, um es mir in den vor Staunen offenen Mund zu schieben.
Welch ein Hochgenuss!
Schon auf der Zunge breitet sich ein sanfter Geschmack aus.
Der Saft läuft schon beim Andrücken mit der Zunge am Gaumen in Strömen die Kehle herunter. Fast tropft mir der Überfluss aus dem Mund.
Und erst das Fruchtfleisch. So zart und trotzdem fest im Biss! Ein wohliger Schauer läuft mir über den Rücken und schon schreit das Gehirn nach mehr.
Ohne Unterlass greife ich mir ein Stück nach dem anderen und lasse es in meinem gierigen Mund verschwinden.
Nach und nach verschwindet die Melone in meinem Bauch und ein wohliges Sättigungsgefühl übermannt mich.
Fast atemlos komme ich zur Ruhe.
Und sehe jetzt erst das zufriedene Gesicht meiner Liebsten!
Wenn sie mich so ansieht, weiß ich, dass ich wieder einmal eine Niederlage einstecken muss.
Es gibt eben Sachen, die könne Frauen besser als Männer.

Aber welcher Mann gibt das gerne zu?
 

Ji Rina

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Hallo Galaxius!

Na, da ist ja wieder ordentlich was los, im Haus der besten aller Ehefrauen!
Man braucht garnicht mehr hinaus zu gehen, gelle? Bei Euch ist immer was los!

Nur eine Frage, zum Eigenleben der Melone :

Sie saust “wie ein geölter Blitz” über den Fussboden – und dann gegen die Wand, wo ein Stück Putz abbröckelt. Und dort fängst Du sie ein?

Und den Ladenverkäufer: Kennt ihr den nicht mittlerweile? Er bedient jeden und ihr kauft dort oft ein. Wieso “Junger Mann”? (Ich würde bei dem nix mehr kaufen).

Und dann wollt ich noch wissen: War der Braten am Ende nicht längst kalt?

Bin gespannt was als nächstes passiert. Wie heisst die Familie denn? Du könntest den Stories doch einen Titel geben, nach dem Motto: Zuhaus bei Schulzes (oder so), was?
Lieben Gruss,
Ji
 

Galaxius

Mitglied
Hallo Ji
Danke fürs lesen meines neuesten Abenteuers.
Natürlich haben die Geschichten autobiografische Züge, doch weise ich jeden Bezug zu mir und meiner Familie weit weg.
Tatsächlich habe ich insgesamt sieben Episoden aus dem Leben des Erwin Müller, seiner Frau Ruth und den Kindern Thomas und Julia geschrieben.
Auch wenn die Story manchmal "spießbürgerlich" daherkommt, denke ich nicht, dass man darüber nicht berichten sollte.

Die Melone ist tatsächlich von Erwin gefangen worden. Er war ja schließlich in jungen Jahren eine echte Sportskanone und seine Zeit als Torwart im Sportclub ist in die Geschichte eingegangen. Also hat er sich todesmutig in Torwartmanier auf die Pille geworfen und "auf der Linie" gerettet.

Der Gemüsehändler sagt "Junger Mann" gerade weil er Erwin schon länger kennt und meint es eher ironisch belehrend.

Natürlich war das Essen inzwischen kalt. Aber das ist nicht so wichtig. Nach den ganzen Aufregungen und der doch noch wohlschmeckenden Melone hatten beide keinen Appetit mehr und haben das Essen eingefroren.
 



 
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