Lieber
@Patrick Schuler
Dein Werk erinnert mich an den Tor-Browser, oder auch "Onion-Browser". Weil die sprachliche Oberfläche durch ihre Bildhaftigkeit, dem Ich einen mehrdimensionalen Schutz gewährt. Es lebt von Kontrasten, die nicht auf dem ersten Blick ersichtlich werden: Die Kontrastierung von physischer Nähe und emotionaler Distanz, symbolisiert durch die „weiche Kadenz deiner Lippen“ im Gegensatz zu den „rostigen Nägeln“, die metaphorisch das Ich halten (Schutzargument), eröffnet eine Untersuchung der Spannungen zwischen äußerem Schein und innerem Empfinden. Diese Spannungen werden weiter durch das Bild des „zerhackten Kinderbetts“ vertieft, das ein starkes Symbol für gebrochene Unschuld und verlorene Kindheit
für mich darstellt.
Ab dem Punkt, könnte ich die Analyse wie folgt fortführen! Für mich besonders interessant ist die Art und Weise, wie Du, lieber Patrick, das „verschüttete Lächeln deiner Mutter“ einfängst, das „wie alte Kaffeeflecken“ aufgewischt wird. Diese Zeilen suggerieren eine Geschichte des Ichs von Vernachlässigung und Verlust, die in den alltäglichen Handlungen des Lebens verankert ist, und verleihen dem Gedicht für mich
eine Schicht (von vielen weiteren) der Melancholie.
Die Zeilen, die die Indifferenz bzw. Ununterscheidbarkeit von „Vaters Silhouette mit der Axt“ und „Menschen mit geöffneten Händen“ betrachtet, fordert mich heraus, über die Polysemie von Beziehungen und die Demarkationen zwischen Fürsorge, Aggression und Gewalt nachzudenken. Diese Ambivalenz fungiert als potentes Finale für das Gedicht und hinterlässt für mich eine Resonanz der Perturbation (innere Unruhe) und Kontemplation. Also, alles wirklich sehr fein und sehr gut geschrieben! Hier als NP-externer Intensivierer: Voll der geile Scheiß!
Über was könnte ich denn Meckern? Die Träger des Gedichts werden durch zwei Adjektiv-Nomen Konstruktionen gehalten, nämlich: zerhacktes Kinderbett und verschüttete Lächeln. Ich fände es interessanter, käme in dem Werk Adjektiv+Nomen nur einmal vor. Ich sehe hier die Gefahr, zu sehr in die "es ist kunst" abzurutschen. Das ist aber nur mein persönlicher Eindruck und bei all dem Lob, das von mir ausging, fällt das ja nun wahrlich nicht in's Gewicht.