Rainer Lieser
Mitglied
Die weiße Stadt
Auf einer kleinen Anhöhe, in einer von Hitze, Sand und bizarren Felsformationen gekennzeichneten Landschaft, ragte eine strahlend weiße Mauer in den Himmel empor. Sie umschloss eine Stadt, in die man nur durch ein winzig kleines Türchen gelangte, welches ebenfalls komplett in weiß gehalten war – und deshalb nur schwer gefunden werden konnte. Doch die Erzählungen, die mir den bisherigen Weg gewiesen hatten, halfen mir auch dabei, den versteckten Eingang zu entdecken. Ich öffnete das Türchen und ging hindurch. Von der Stadt dahinter sahen meine Augen zunächst nicht allzu viel. Um mich her war alles weiß. Erst durch den Blick nach oben, in den Mittagshimmel, liessen sich die Formen von Dächern erkennen, deren Weiß sich deutlich vom Blau des Himmels abhob. Als ich den Kopf wieder senkte, entdeckte ich allmählich feine Tönungen innerhalb des weißen Schleiers, der mich umgab. Gebäudekanten und Straßenverläufe wurden schemenhaft sichtbar. Sie stimmten mit den Beschreibungen überein, die ich mir aus unterschiedlichen Quellen zusammengetragen hatte. Ich wußte also wo ich mich befand und machte mich nun auf die Suche nach dem eigentlichen Ziel meiner Reise: dem Baumeister der Stadt.
Kaum war ich ein paar Schritte gegangen, schrie jemand »Aua! Haben Sie denn keine Augen im Kopf? Sie haben mir gerade auf den Fuß getreten!«
»Äh … Tut mir leid. Wer spricht da? Ich sehe hier niemanden.« Entgegnete ich.
»Oh, verdammt. Da haben Sie natürlich recht.« Plötzlich erschienen direkt vor mir zwei Hände aus dem Nichts und schoben eine weiße Kapuze über einen Kopf mit langem weißem Bart und schlohweißen Haaren zurück. Mir gegenüber stand ein uralter Mann, der völlig in weiß gekleidet war. Teile von ihm verschwanden selbst jetzt noch, nachdem er sich mir zu erkennen gegeben hatte, in dem allgegenwärtigen Weiß der Stadt. »Ist es nun besser?« Erkundigte er sich in freundlichem Ton.
»Besser.« Gab ich zurück.
»Was führt sie hierher?«
»Ich suche den Baumeister dieser Stadt, um von ihm zu lernen, wie man solch eine Stadt baut.«
Der alte Mann sah mich fassungslos an. »Ich bin der Baumeister. Aber ich weiß nicht, was ich Ihnen beibringen könnte. So wie die Stadt heute ist, war sie nie geplant gewesen. Ganz im Gegenteil. Einst erstrahlte hier alles in den schönsten Farben und kühnsten Formen. Jeder der in der Welt der Kunst von Rang und Namen war, lebte hier und gestaltete sein Umfeld nach eigenen Vorstellungen. Einst gab es hier nirgendwo mehr ein Stück, dessen Form und Farbe nicht von eines Künstlers Hand mit bedacht geschaffen worden war. Einst war dies ein Paradies für die Augen und die Seele. Einst sollte dies die erste Stadt von vielen dieser Art sein.«
»Was geschah?«
»Mit der Zeit wuchs Neid und Argwohn in den Seelen der Künstler. Sie bekamen Angst davor, einer ihrer Nachbarn könne ein noch größeres Werk erschaffen als sie selbst. Aus Neid und Argwohn wuchs Wut und Zorn. Sie begannen damit sich des Nachts gegenseitig die Wände mit weißer Farbe zu übermalen. Was danach folgte, war noch sehr viel schlimmer. Und so wie sie alle zuvor in Scharen gekommen waren, flohen sie dann alle auch wieder in Scharen. Seither lebe ich allein an diesem entlegenen Ort. Sorge dafür, dass mir dieses Mahnmal erhalten bleibt.« Der Alte breitete seine Arme weit aus und verwies auf die Mauern die uns umgaben.
»Nein, junger Mann, ich könnte sie zwar lehren, wie man SOLCH eine Stadt baut, aber das wäre falsch. Sie müssen lernen, wie man eine BESSERE Stadt baut. Eine Stadt, die in den Menschen, die darin leben, nicht das Schlechte nach außen kehrt. Die Chancen das Ihnen das gelingt, sind weitaus größer, wenn Sie das ohne meine Hilfe versuchen, glauben Sie mir.«
Ich verliess den alten Mann und die Stadt.
Am Rand der Sauerstoffzone zog ich den Raumanzug an. Das Shuttle brachte mich zur Rakete. Die Rakete brachte mich zurück zur Erde. Meinen Kollegen und mir schien es nun fragwürdiger denn je, ob wir es schaffen würden, eines Tages eine bewohnbare Stadt außerhalb unseres Sonnensystems zu erbauen.
Auf einer kleinen Anhöhe, in einer von Hitze, Sand und bizarren Felsformationen gekennzeichneten Landschaft, ragte eine strahlend weiße Mauer in den Himmel empor. Sie umschloss eine Stadt, in die man nur durch ein winzig kleines Türchen gelangte, welches ebenfalls komplett in weiß gehalten war – und deshalb nur schwer gefunden werden konnte. Doch die Erzählungen, die mir den bisherigen Weg gewiesen hatten, halfen mir auch dabei, den versteckten Eingang zu entdecken. Ich öffnete das Türchen und ging hindurch. Von der Stadt dahinter sahen meine Augen zunächst nicht allzu viel. Um mich her war alles weiß. Erst durch den Blick nach oben, in den Mittagshimmel, liessen sich die Formen von Dächern erkennen, deren Weiß sich deutlich vom Blau des Himmels abhob. Als ich den Kopf wieder senkte, entdeckte ich allmählich feine Tönungen innerhalb des weißen Schleiers, der mich umgab. Gebäudekanten und Straßenverläufe wurden schemenhaft sichtbar. Sie stimmten mit den Beschreibungen überein, die ich mir aus unterschiedlichen Quellen zusammengetragen hatte. Ich wußte also wo ich mich befand und machte mich nun auf die Suche nach dem eigentlichen Ziel meiner Reise: dem Baumeister der Stadt.
Kaum war ich ein paar Schritte gegangen, schrie jemand »Aua! Haben Sie denn keine Augen im Kopf? Sie haben mir gerade auf den Fuß getreten!«
»Äh … Tut mir leid. Wer spricht da? Ich sehe hier niemanden.« Entgegnete ich.
»Oh, verdammt. Da haben Sie natürlich recht.« Plötzlich erschienen direkt vor mir zwei Hände aus dem Nichts und schoben eine weiße Kapuze über einen Kopf mit langem weißem Bart und schlohweißen Haaren zurück. Mir gegenüber stand ein uralter Mann, der völlig in weiß gekleidet war. Teile von ihm verschwanden selbst jetzt noch, nachdem er sich mir zu erkennen gegeben hatte, in dem allgegenwärtigen Weiß der Stadt. »Ist es nun besser?« Erkundigte er sich in freundlichem Ton.
»Besser.« Gab ich zurück.
»Was führt sie hierher?«
»Ich suche den Baumeister dieser Stadt, um von ihm zu lernen, wie man solch eine Stadt baut.«
Der alte Mann sah mich fassungslos an. »Ich bin der Baumeister. Aber ich weiß nicht, was ich Ihnen beibringen könnte. So wie die Stadt heute ist, war sie nie geplant gewesen. Ganz im Gegenteil. Einst erstrahlte hier alles in den schönsten Farben und kühnsten Formen. Jeder der in der Welt der Kunst von Rang und Namen war, lebte hier und gestaltete sein Umfeld nach eigenen Vorstellungen. Einst gab es hier nirgendwo mehr ein Stück, dessen Form und Farbe nicht von eines Künstlers Hand mit bedacht geschaffen worden war. Einst war dies ein Paradies für die Augen und die Seele. Einst sollte dies die erste Stadt von vielen dieser Art sein.«
»Was geschah?«
»Mit der Zeit wuchs Neid und Argwohn in den Seelen der Künstler. Sie bekamen Angst davor, einer ihrer Nachbarn könne ein noch größeres Werk erschaffen als sie selbst. Aus Neid und Argwohn wuchs Wut und Zorn. Sie begannen damit sich des Nachts gegenseitig die Wände mit weißer Farbe zu übermalen. Was danach folgte, war noch sehr viel schlimmer. Und so wie sie alle zuvor in Scharen gekommen waren, flohen sie dann alle auch wieder in Scharen. Seither lebe ich allein an diesem entlegenen Ort. Sorge dafür, dass mir dieses Mahnmal erhalten bleibt.« Der Alte breitete seine Arme weit aus und verwies auf die Mauern die uns umgaben.
»Nein, junger Mann, ich könnte sie zwar lehren, wie man SOLCH eine Stadt baut, aber das wäre falsch. Sie müssen lernen, wie man eine BESSERE Stadt baut. Eine Stadt, die in den Menschen, die darin leben, nicht das Schlechte nach außen kehrt. Die Chancen das Ihnen das gelingt, sind weitaus größer, wenn Sie das ohne meine Hilfe versuchen, glauben Sie mir.«
Ich verliess den alten Mann und die Stadt.
Am Rand der Sauerstoffzone zog ich den Raumanzug an. Das Shuttle brachte mich zur Rakete. Die Rakete brachte mich zurück zur Erde. Meinen Kollegen und mir schien es nun fragwürdiger denn je, ob wir es schaffen würden, eines Tages eine bewohnbare Stadt außerhalb unseres Sonnensystems zu erbauen.