Die Welle (Sonett)

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anbas

Mitglied
Die Welle

Weit draußen auf dem Meer hat mich der Wind geboren,
als hoch am Himmel eine kleine Möwe schrie,
und auch der Wind sang leise seine Melodie.
So wurde meine Sehnsucht nach dem Strand beschworen.

Ich machte mich sogleich auf diese lange Reise,
durch die ich stetig an Erfahrungen gewann.
Im Lauf der Zeit wuchs ich dann immer weiter an,
begleitet von des Windes sanft gesummter Weise.

Hab ich mich zwischendurch auch manchmal überschlagen,
und riss mich hin, mein Schicksal tosend zu beklagen,
erlebte ich auch immer wieder großes Glück.

Ich werde irgendwann den fernen Strand erreichen
und über seinen feinen Sand hinüber streichen
- doch dann kehr ich nach Hause in das Meer zurück.
 

Tula

Mitglied
zu sanft die Brise

Hallo anbas

um Dir nicht einen schnöden Sechser zu verpassen, hier ein paar etwas ausführlichere Gedanken:

Die Grundidee und das Gleichnis der Welle gefallen mir (das ewige Entstehen, Wachsen und Vergehen).
An sprachlicher Eleganz braucht man sich bei Dir auch nicht zu beklagen. Das Bild des sich Überschlagens (und des sich damit verbundenen wieder Aufraffens) finde ich besonders gelungen.

Was mir weniger gefällt:
So wie der Mensch nur an besonders schweren Herausforderungen wirklich wächst, braucht es bei der Welle einen etwas stärkeren Wind, oder eben auch Sturm (wir vergessen hier mal, dass Wellen MIT dem Wind laufen). Dass der Wind am Anfang eine sanfte Melodie singt, ist passend (unser Kindesalter sollte ja so sein), total widersprüchlich aber ist:

Im Lauf der Zeit wuchs ich dann immer weiter an,
begleitet von des Windes sanft gesummter Weise.


Nee, da baut sich keine Welle auf.
Es wäre auch sinnbildlich und poetisch viel schöner, wenn sich die Welle (so wie sie es wirklich tut) vor dem Strand noch einmal mit letzter Kraft aufbäumt, um sich dann tosend über ihn zu brechen (das langersehnte Ziel wurde erreicht), bevor sie sanft wieder ins Meer zurück sinkt (der ewige Kreis schließt sich wieder). Gerade dieser Gegensatz und seine Dramatik gäben dem Gedicht ein sinntiefes Ende und den notwendigen Spannungsabfall (welche – die Spannung – sich hier besser und glaubwürdiger aufbauen sollte).

Ansonsten schreien die Möwen nicht 'weit auf dem Meer' (es sei denn, ein Kutter ist in der Nähe), die Wiederholung von 'Melodie' und 'gesummter Weise' für den Wind ist ohnehin nicht besonders gut, die Zeile mit dem immer wieder großen Glück sieht sehr reim-herein-gebogen aus.

Sprachlich gewandt, eine schöne Idee, aber inhaltlich doch verbesserungswürdig. Nur Mut, aus diesem wird noch mehr.

LG
Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ich habe noch nie eine Welle vom Strand ins Meer zurücklaufen sehen. Sie müßte den Nachfolgerwellen entgegenlaufen, deren Wellenberge verdoppeln und deren Täler ausgleichen. Überkreuzende Wellen habe ich oft gesehen, aber nicht so ein Reflektiertwerden vom Strand.
 

anbas

Mitglied
Nu aber ... :D


Hallo Tula,

hab sehr vielen Dank für die ausführliche und konstruktive Textkritik! Einige Deiner Kritikpunkte kann ich durchaus nachvollziehen. Im Moment fehlt mir leider etwas die Ruhe und Energie, an dem Gedicht weiterzuarbeiten. Doch ich werde es mir bestimmt noch einmal vornehmen.

Die Grundidee habe ich aus einem Bericht über Willigis Jäger ( https://de.wikipedia.org/wiki/Willigis_Jäger ) übernommen, der in einem seiner Bücher das Leben mit einer Welle vergleicht (auch, wenn Spiritualität nicht jedermanns/fraus Sache ist, so findet man dort trotzdem zum Teil sehr schöne und passende Bilder) - gelesen habe ich allerdings bisher noch nichts von ihm.

Liebe Grüße

Andreas
 

anbas

Mitglied
Hallo mondnein,

das zurücklaufende Wasser der (ehemaligen) Welle kann man aus meiner Sicht durchaus auch als das Zurücklaufen der Welle beschreiben.

Liebe Grüße

Andreas
 
Hallo anbas,
Dein Sonett gefällt mir nicht schlecht, freilich verfällt es über den sechshebigen Jambus in einen Erzählton, den es m.E. nicht braucht. Warum muss die Möwe klein, warum das Glück groß sein? Vor allem Adjektive gibt es einige, die den Text fast geschwätzig werden lassen. Hier meine um eine Hebung verkürzte Version:

Fern auf dem Meer hat mich der Wind geboren,
als hoch am Himmel eine Möwe schrie,
und auch der Wind sang seine Melodie.
So wurde meine Strandsehnsucht beschworen.

Ich machte mich sogleich auf diese Reise,
durch die ich an Erfahrungen gewann.
Im Lauf der Zeit wuchs ich dann weiter an,
begleitet von des Windes sanfter Weise.

Hab ich mich zwischendurch auch überschlagen,
riss es mich hin, mein Schicksal zu beklagen,
erlebte ich auch immer wieder Glück.

Ich werde irgendwann den Strand erreichen
und über seinen Sand hinüber streichen
- dann kehr ich heim und in das Meer zurück.

Vielleicht magst Du diese Version in Deine Überlegungen mit einbeziehen!

Mit Gruß

E. L.
 

James Blond

Mitglied
Ein interessanter Vergleich!

Die gekürzten Verse steigern die dramatische Wirkung erheblich. Aber ist das auch erwünscht? Mir offenbart sich da ein Dilemma der Story: Während der erzählerische Charakter der 6-hebigen Verse den weiten Weg und das allmähliche Wellenwachstum gut trifft, passt dies weniger zum tosenden Überschlag und dem Ausblick auf das Ende, der hier ja auch weniger dramatisch auf zärtliche Weise beschrieben wird.

Mit der 5-hebigen Fassung verhält es sich umgekehrt, der anfängliche episch-narrative Märchenton geht verloren, dafür gewinnt die Dramatik zunehmend an Fahrt.

Ich frage mich, ob man sich diese Wirkung durch einen Wechsel von 6 auf 5 Jamben nicht zunutze machen könnte, wenn es, wie hier, dem Thema entspricht.
 

Tula

Mitglied
Hallo Andreas

Danke für die Antwort. Was kurios ist: ich hatte im Titel des Kommentars erst "zu viel Zen" zu stehen. Jetzt überfliege ich den wiki vom Willigis Jäger und muss schmunzeln. Muss ich ja jetzt alles wieder zurücknehmen...

Eikes Version gefällt mir auch, hat James auch gut zusammengefasst. Nur die Kreation "Strandsehnsucht" wirkt auf mich sehr unbeholfen.
 

anbas

Mitglied
Hallo Eike, hallo James,

vielen Dank für Eure Beiträge - so liebe ich die Textarbeit (das bezieht auch die Kritik von Tula mit ein)!

Ursprünglich sollte das Sonett auch nur 5-hebig sein. Da ich die Zeile 4 in Strophe 1 aber nur 6-hebig hinbekam, habe ich den Rest angepasst. Auch bei Deinem Vorchlag, Eike, habe ich mit dem Wort "Strandsehnsucht" meine Probleme. Ansonsten passen Deine Vorschläge genau in mein ursprüngliches Konzept.

Die Idee von Dir, James, einen Wechsel von 6- auf 5-hebig vorzunehmen, finde ich sehr reizvoll. Strophe 1 würde dann so bleiben, wie sie ist, und ab Strophe 2 würde das Ganze in die "5-Hebigkeit" wechseln.

Ich werde noch eine Zeit drüber nachdenken.

Nochmals vielen Dank und liebe Grüße

Andreas
 

anbas

Mitglied
Hallo Tula,

das ist wirklich kurios ... :)

Mit "Strandsehnsucht" tue ich mich auch schwer. - Mal sehen, ich werde weiter drüber nachdenken.

Liebe Grüße

Andreas
 

anbas

Mitglied
Die Welle

Weit draußen auf dem Meer hat mich der Wind geboren,
als über mir am Himmel eine Möwe schrie,
und auch der Wind sang leise seine Melodie.
So wurde meine Sehnsucht nach dem Strand beschworen.

Ich machte mich sogleich auf diese Reise,
durch die ich an Erfahrungen gewann.
Im Lauf der Zeit wuchs ich dann weiter an,
begleitet von des Windes rauer Weise.

Hab ich mich zwischendurch auch überschlagen,
und riss mich hin, mein Schicksal zu beklagen,
erlebte ich auch immer wieder Glück.

Ich werde irgendwann den Strand erreichen,
nur einmal über ihn hinüber streichen
- und kehre dann nach Hause in das Meer zurück.
 

anbas

Mitglied
Hallo in die Runde,

ich habe "Die Welle" nun überarbeitet und einen großen Teil Eurer Anregungen übernommen. Mit persönlich gefällt der Wechsel in der Metrik - auch der erneute am Ende des Gedichtes - richtig gut.

Das alles (auch der inhaltliche Erzählstil) mag nicht der "reinen Lehre" entsprechen. Wenn es dadurch zu einem schlechten Sonett aber guten Gedicht wird, habe ich kein Problem damit, wenn es ins "Gereimte" verschoben wird. - Es kann aber auch gerne hier bleiben ;).

Liebe Grüße und nochmals danke für die Anregungen - ich habe viel gelernt!

Andreas
 

James Blond

Mitglied
Lieber Andreas,

es freut mich, wenn sich jemand in eine Sache reinkniet und einer Arbeit am Text offen gegenübersteht, denn allzuoft geht hier die Alarmanlage los, wenn jemand fremden Vitrinen zu nahe kommt. ;)

Ich finde, dein Sonett hat durch den Metrikwechsel erheblich hinzugewonnen und zu seinem Vorteil auch einen großen Teil der übrigen Vorschlägen aufgenommen. Womit ich allerdings noch nicht so ganz glücklich bin, ist die episodenhafte Darstellung der Geschichte, deren Teile mir noch etwas unverbunden erscheinen.

Ich habe einmal versucht, die Story noch etwas mehr zu "verdichten", ohne allzuviel am Stil oder Inhalt zu ändern, auch das geänderte Metrum und die Reimwörter (mit einer Ausnahme) übernommen. Da wir uns hier bereits im Bereich persönlicher Vorlieben bewegen, erwarte ich nicht, dass du dies als Verbesserungsvorschlag aufgreifst. Betrachte es einfach als interessante Variante, die ich dir nicht ersparen wollte.

:)
JB

Dort draußen auf dem Meer wurd ich vom Wind geboren,
wo fern am Himmel eine weiße Möwe schrie,
der Wind trug's leis mir zu als Wiegenmelodie
und hat so früh die Sehnsucht nach dem Strand beschworen.

Seitdem bin ich beständig auf der Reise
und weiß genau, dass ich nie rasten kann,
mir wuchsen Kamm und Rücken weiter an,
als ich vernahm des Sturmes raue Weise.

Er reizte mich, sich kühn und wild zu überschlagen
und riss mich hin, mein Schicksal zu beklagen,
doch niemals schwand die Hoffnung auf mein Glück.

Einst werde ich in Weiß den Strand erreichen,
im sanften Rausch einmal darüber streichen
- dann kehre ich ins offne Meer zurück.
 

anbas

Mitglied
Die Welle

Weit draußen auf dem Meer hat mich der Wind geboren,
als über mir am Himmel eine Möwe schrie,
und auch der Wind sang leise seine Melodie.
So wurde meine Sehnsucht nach dem Strand beschworen.

Sogleich begann ich meine lange Reise,
auf der ich an Erfahrungen gewann.
Im Lauf der Zeit wuchs ich allmählich an,
begleitet von des Windes rauer Weise.

Hab ich mich zwischendurch auch überschlagen,
und riss mich hin, mein Schicksal zu beklagen,
erlebte ich doch immer wieder Glück.

Am Ende werde ich den Strand erreichen
und einmal über ihn hinüber streichen
- dann kehre ich nach Hause in das Meer zurück.
 

anbas

Mitglied
Hallo James,

schön, dass Dir die Änderungen gefallen.

Deine Version hat was - ist aber, wie Du schon ahntest - nicht meine.

A b e r ... sie hat mich dazu inspiriert, noch einmal am Text zu arbeiten und das eine oder andere zu ändern. Ich persönlich finde, dass der Text nun rund ist.

Doch ich kenne mich - dieser Eindruck kann schon bald schwinden, und ich bastel weiter dran herum :D.

Danke für Deine Rückmeldung!

Liebe Grüße

Andreas
 

anbas

Mitglied
Die Welle

Weit draußen auf dem Meer hat mich der Wind geboren,
als über mir am Himmel eine Möwe schrie,
und auch der Wind sang leise seine Melodie.
Da wurde meine Sehnsucht nach dem Strand beschworen.

Sogleich begann ich meine lange Reise,
auf der ich an Erfahrungen gewann.
Im Lauf der Zeit wuchs ich allmählich an,
begleitet von des Windes rauer Weise.

Hab ich mich zwischendurch auch überschlagen,
und riss mich hin, mein Schicksal zu beklagen,
erlebte ich doch immer wieder Glück.

Am Ende werde ich den Strand erreichen
und einmal über ihn hinüber streichen
- dann kehre ich nach Hause in das Meer zurück.
 



 
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