Arno Abendschön
Mitglied
Weißli war und blieb die Lieblingskatze meiner Eltern. Sie verdrängte ihre Konkurrentin Lätzli erst aus der Kellerküche, dann aus dem ganzen Souterrain und damit aus dem Haus. Beide waren gleich alt, wenn auch aus verschiedenen Würfen, und sehr klein zu uns gekommen. Weißli hatte sich als die Umgänglichere, Anschmiegsamere allmählich durchgesetzt. Sie hatten sich gejagt und wechselseitig gebissen. Lätzli, ungeachtet ihres Namens eine kräftige schwarze Katze mit weißem Fleck am Hals, schlug dann ihr Quartier unter dem Vordach eines entfernteren Nebengebäudes auf, wurde dort versorgt und brachte halbwild bleibende Katzenkinder zur Welt. Selbst ließ sie sich nicht mehr berühren. Ihre Sicht auf die Welt blieb ein Geheimnis.
Wenn ich die Alten damals besuchte, einige Tage oder auch länger, fand ich oft die weiße Katze auf meinem Vater ruhend; manche Stunde verdämmerten sie so, gemeinsam auf dem Kellerküchensofa liegend. Ging er da unten zu Tisch, folgte sie und erbettelte sich den Großteil seiner Fleischportion. Dazu schlug sie, sich von den Hinterbeinen aufrichtend, die Vorderkrallen in seinen Hosenstoff. Ich genoss das possierliche Bild, litt es aber nicht, wenn sie mit mir ebenso verfahren wollte.
Weißlis Welt war das Souterrain und für Ausflüge noch der Garten und die Wildnis eines aufgegebenen Steinbruchs hinter dem Haus. Sie durfte nie in die Räume im Erdgeschoss vordringen. Meine Eltern nutzten tagsüber nur die untere Ebene und gingen erst abends hinauf. Immer zog es die weiße Katze magisch zu dieser Oberwelt hin. Wenn ich von meinem dort gelegenen Zimmer hinunter wollte, fand ich sie manchmal hinter der Kellertreppentür hocken – oder sie schloss sich mir beim Hinaufgehen an, um vor dieser Tür zurückbleiben zu müssen. Eines Tages wollte ich ihre Neugierde befriedigen und nahm sie auf den Arm und zeigte ihr die Räume, alle Möbel, Teppiche, Pflanzen. Sie blieb dabei eng an mich geschmiegt, war ganz Auge, voller Konzentration. Was sie in sich aufnahm, war vielleicht ein himmlisches Katzen-Jerusalem.
Solange mein Vater mich noch bei meiner Abreise zum Bahnhof fuhr – später nahm ich den Bus -, brachte ich jeweils am Vorabend den gepackten Koffer in die Kellerküche; die Garage war gleich daneben. Und jedes Mal amüsierte mich die folgende Szene. Weißli, sonst so keck und mutwillig, zeigte alsbald Furcht vor dem großen schwarzen Koffer. Sie machte auf ihren Wegen durch die Küche einen weiten Bogen und sah dabei ängstlich zu ihm hinüber. Sie ließ auch aus großer Distanz zu ihm merken, dass sie sich belästigt fühlte; da war sogar ein Anflug von Beleidigtsein. Auf einen großen schwarzen Hund würde sie ähnlich reagiert haben. Ich machte mir klar, dass sie keinen Unterschied zwischen belebter und unbelebter Welt kannte. (Umgekehrt bereitete das Jagen einer Spielzeugmaus ebenso viel Spaß wie das einer echten.)
Lange danach in einem Tiroler Gebirgstal. Ich bin gerade angekommen, habe den schwarzen Koffer ausgepackt und mache einen ersten Rundgang durch den Ort. Die Hauptstraße ist stark befahren. Ich überquere die Einmündung einer Seitenstraße und mir bietet sich ein zuerst idyllisches, dann schmerzliches Bild. Drei Kätzchen spielen und sie jagen sich, springen über etwas hinweg. Ich sehe genauer hin – das Hindernis ist ein toter Katzenkörper, das Tier wohl erst vor Stunden überfahren worden. Der Kadaver stört die kleinen Katzen nicht, im Gegenteil, sie benutzen ihn als Deckung und sie zerren auch spielerisch an seinem Fell. Was ist es für sie: eine ausgewachsene Katze, jetzt ruhend, oder nur noch ein Objekt wie andere Gegenstände auch? Es könnte ihre tote Mutter sein, aber sie scheinen keinen Begriff vom Tod zu haben. Die Szene blieb mir bis heute im Gedächtnis.
Wenn ich die Alten damals besuchte, einige Tage oder auch länger, fand ich oft die weiße Katze auf meinem Vater ruhend; manche Stunde verdämmerten sie so, gemeinsam auf dem Kellerküchensofa liegend. Ging er da unten zu Tisch, folgte sie und erbettelte sich den Großteil seiner Fleischportion. Dazu schlug sie, sich von den Hinterbeinen aufrichtend, die Vorderkrallen in seinen Hosenstoff. Ich genoss das possierliche Bild, litt es aber nicht, wenn sie mit mir ebenso verfahren wollte.
Weißlis Welt war das Souterrain und für Ausflüge noch der Garten und die Wildnis eines aufgegebenen Steinbruchs hinter dem Haus. Sie durfte nie in die Räume im Erdgeschoss vordringen. Meine Eltern nutzten tagsüber nur die untere Ebene und gingen erst abends hinauf. Immer zog es die weiße Katze magisch zu dieser Oberwelt hin. Wenn ich von meinem dort gelegenen Zimmer hinunter wollte, fand ich sie manchmal hinter der Kellertreppentür hocken – oder sie schloss sich mir beim Hinaufgehen an, um vor dieser Tür zurückbleiben zu müssen. Eines Tages wollte ich ihre Neugierde befriedigen und nahm sie auf den Arm und zeigte ihr die Räume, alle Möbel, Teppiche, Pflanzen. Sie blieb dabei eng an mich geschmiegt, war ganz Auge, voller Konzentration. Was sie in sich aufnahm, war vielleicht ein himmlisches Katzen-Jerusalem.
Solange mein Vater mich noch bei meiner Abreise zum Bahnhof fuhr – später nahm ich den Bus -, brachte ich jeweils am Vorabend den gepackten Koffer in die Kellerküche; die Garage war gleich daneben. Und jedes Mal amüsierte mich die folgende Szene. Weißli, sonst so keck und mutwillig, zeigte alsbald Furcht vor dem großen schwarzen Koffer. Sie machte auf ihren Wegen durch die Küche einen weiten Bogen und sah dabei ängstlich zu ihm hinüber. Sie ließ auch aus großer Distanz zu ihm merken, dass sie sich belästigt fühlte; da war sogar ein Anflug von Beleidigtsein. Auf einen großen schwarzen Hund würde sie ähnlich reagiert haben. Ich machte mir klar, dass sie keinen Unterschied zwischen belebter und unbelebter Welt kannte. (Umgekehrt bereitete das Jagen einer Spielzeugmaus ebenso viel Spaß wie das einer echten.)
Lange danach in einem Tiroler Gebirgstal. Ich bin gerade angekommen, habe den schwarzen Koffer ausgepackt und mache einen ersten Rundgang durch den Ort. Die Hauptstraße ist stark befahren. Ich überquere die Einmündung einer Seitenstraße und mir bietet sich ein zuerst idyllisches, dann schmerzliches Bild. Drei Kätzchen spielen und sie jagen sich, springen über etwas hinweg. Ich sehe genauer hin – das Hindernis ist ein toter Katzenkörper, das Tier wohl erst vor Stunden überfahren worden. Der Kadaver stört die kleinen Katzen nicht, im Gegenteil, sie benutzen ihn als Deckung und sie zerren auch spielerisch an seinem Fell. Was ist es für sie: eine ausgewachsene Katze, jetzt ruhend, oder nur noch ein Objekt wie andere Gegenstände auch? Es könnte ihre tote Mutter sein, aber sie scheinen keinen Begriff vom Tod zu haben. Die Szene blieb mir bis heute im Gedächtnis.