Arno Abendschön
Mitglied
Zimmerleute tun es heute noch: auf die Walz gehen, d.h. als junge Gesellen herumziehen und in der Fremde mal hier und mal da arbeiten, dabei ein Stück von der Welt sehen und sich beruflich vervollkommnen. Bis etwa zum Ersten Weltkrieg war dieses wandernde Handwerksburschenwesen in vielen Berufen verbreitet.
Mein Großvater, Jahrgang 1889, war eines von fünf Kindern eines Bergmanns. Nach der Volksschule weigerte er sich, wie die meisten dort in die Grube einzufahren. Er wollte Zeitungssetzer werden. Bald nach Ende der Lehrzeit verließ er Elternhaus und Rheinprovinz und ging zu Fuß ins nahe Luxemburg, wo er die erste Arbeit annahm. Er sparte sich einiges zusammen und wanderte dann nach Paris, um sich die "Hauptstadt des 19. Jahrhunderts" einmal näher anzusehen.
Ich weiß nicht, ob er auf allen Stationen seiner dreijährigen Wanderschaft gearbeitet hat. Als Gewerkschaftsmitglied bekam er in jeder deutschen Stadt, in der er neu war und nicht gleich Arbeit fand, eine Art Handgeld. Erstaunlich ist für mich, wie offen die Grenzen und der Arbeitsmarkt damals gewesen sein müssen. Er ging von Paris in die Schweiz und später nach Österreich-Ungarn, hat zumindest in Wien und Prag eine Zeitlang gearbeitet. Er war auch in Berlin, in Hamburg und im Ruhrgebiet. Berlin sagte ihm, dem in Preußen geborenen Preußenhasser, nicht zu, dafür Dresden umso mehr. In Dresden verbrachte er die längste Zeit.
Er kehrte nach Hause zurück, um sich mustern zu lassen. Dann verschwand er für drei Jahre in einer Kölner Kaserne. Er hat auch den Kommiss gehasst. Anschließend kehrte er nach Dresden zurück, für lange, wie er dachte. Und dann der Sommer 1914. Es ist nicht wahr, dass die gesamte deutsche Bevölkerung den Kriegsausbruch freudig begrüßt hätte. In Dresden gingen Arbeiter für den Frieden auf die Straße, darunter mein Großvater. Militär zog auf, drohte, in die Menge zu schießen. Da zerstreuten sie sich.
Er war vier Jahre in Frankreich an der Front und blieb unverwundet. Nach dem Krieg wollte er nicht gleich nach Dresden zurückgehen. Die Lebensmittelversorgung war in den Großstädten noch immer unzureichend. Zu Hause lebten die Arbeiter in eigenen kleinen Häusern mit Gemüsegärten, hielten Ziegen. Er heiratete bald und baute selbst ein Haus.
Dresden lockte noch einmal. In den zwanziger Jahren besuchte ihn auf der Rückreise aus Frankreich sein früherer Chef und bot ihm erneut Arbeit an. Er wäre gern übergesiedelt, aber der Frau war es nicht recht. Vielleicht entging er so dem Inferno. Er blieb für die letzten fünfzig Jahre seines Lebens in seinem Nest hängen. Wenn ich ihn, lange nach dem Zweiten Weltkrieg, reden hörte, war er nicht nur bei uns, sondern auch in den großen Städten seiner jungen Jahre zu Hause.
Er starb 1978. Von ihm habe ich vielleicht die Neigung zum Nomadisieren, sicher die Lust am Lesen. Und da ich im Unterschied zu ihm nicht heimgekehrt bin und keine Familie gegründet habe, beschreibe ich stattdessen, was gewesen ist.
Mein Großvater, Jahrgang 1889, war eines von fünf Kindern eines Bergmanns. Nach der Volksschule weigerte er sich, wie die meisten dort in die Grube einzufahren. Er wollte Zeitungssetzer werden. Bald nach Ende der Lehrzeit verließ er Elternhaus und Rheinprovinz und ging zu Fuß ins nahe Luxemburg, wo er die erste Arbeit annahm. Er sparte sich einiges zusammen und wanderte dann nach Paris, um sich die "Hauptstadt des 19. Jahrhunderts" einmal näher anzusehen.
Ich weiß nicht, ob er auf allen Stationen seiner dreijährigen Wanderschaft gearbeitet hat. Als Gewerkschaftsmitglied bekam er in jeder deutschen Stadt, in der er neu war und nicht gleich Arbeit fand, eine Art Handgeld. Erstaunlich ist für mich, wie offen die Grenzen und der Arbeitsmarkt damals gewesen sein müssen. Er ging von Paris in die Schweiz und später nach Österreich-Ungarn, hat zumindest in Wien und Prag eine Zeitlang gearbeitet. Er war auch in Berlin, in Hamburg und im Ruhrgebiet. Berlin sagte ihm, dem in Preußen geborenen Preußenhasser, nicht zu, dafür Dresden umso mehr. In Dresden verbrachte er die längste Zeit.
Er kehrte nach Hause zurück, um sich mustern zu lassen. Dann verschwand er für drei Jahre in einer Kölner Kaserne. Er hat auch den Kommiss gehasst. Anschließend kehrte er nach Dresden zurück, für lange, wie er dachte. Und dann der Sommer 1914. Es ist nicht wahr, dass die gesamte deutsche Bevölkerung den Kriegsausbruch freudig begrüßt hätte. In Dresden gingen Arbeiter für den Frieden auf die Straße, darunter mein Großvater. Militär zog auf, drohte, in die Menge zu schießen. Da zerstreuten sie sich.
Er war vier Jahre in Frankreich an der Front und blieb unverwundet. Nach dem Krieg wollte er nicht gleich nach Dresden zurückgehen. Die Lebensmittelversorgung war in den Großstädten noch immer unzureichend. Zu Hause lebten die Arbeiter in eigenen kleinen Häusern mit Gemüsegärten, hielten Ziegen. Er heiratete bald und baute selbst ein Haus.
Dresden lockte noch einmal. In den zwanziger Jahren besuchte ihn auf der Rückreise aus Frankreich sein früherer Chef und bot ihm erneut Arbeit an. Er wäre gern übergesiedelt, aber der Frau war es nicht recht. Vielleicht entging er so dem Inferno. Er blieb für die letzten fünfzig Jahre seines Lebens in seinem Nest hängen. Wenn ich ihn, lange nach dem Zweiten Weltkrieg, reden hörte, war er nicht nur bei uns, sondern auch in den großen Städten seiner jungen Jahre zu Hause.
Er starb 1978. Von ihm habe ich vielleicht die Neigung zum Nomadisieren, sicher die Lust am Lesen. Und da ich im Unterschied zu ihm nicht heimgekehrt bin und keine Familie gegründet habe, beschreibe ich stattdessen, was gewesen ist.