Die Zehn Gebote, aktualisiert

Das erste Gebot
Du sollst dich selbst verwirklichen. Werde, der du bist.

Das zweite Gebot
Du sollst dir die Geheimzahl deiner Kreditkarte merken und deine Passwörter monatlich ändern.

Das dritte Gebot
Du sollst den Feiertag heiligen, falls er nicht gerade verkaufsoffen ist.

Das vierte Gebot
Du sollst immer erreichbar sein, außer für deinen Vater und deine Mutter.

Das fünfte Gebot
Du sollst nicht töten - oder nur aus großer, sicherer Entfernung und wenn du hinterher ein Alibi hast.

Das sechste Gebot
Du sollst beim Sex Kondome benutzen.

Das siebte Gebot
Du sollst nicht stehlen - oder wenn, dann behaupte, es handele sich um unrechtmäßigen Besitz.

Das achte Gebot
Du sollst keine Fake News verbreiten - außer im Interesse einer guten Sache. (Definiere selbst, was das ist.)

Das neunte Gebot
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, Wohnung oder Garten – oder behaupte, sie wegzunehmen läge im allgemeinen Interesse.

Das zehnte Gebot
Du sollst mit deinem Nächsten alles teilen: ob Auto, Fotos, Weib, Mann oder Transgender.

Fassung: Sommer 2019. Kann jederzeit abgeändert werden.
 

minitaurus

Mitglied
sehr anregend, dieser Text.
Allerdings würde ich aufstocken um etliche Gebote.
Spontan fallen mir ein zB
Du sollst ein größeres Auto haben als Dein Nachbar, oder auch:
Du sollst ein größeres Haus/Wohnung etc haben,oder ganz allgemein:
Du sollst mehr haben als Dein Nachbar. Oder noch allgemeiner:
Du sollst reich sein.

Du sollst im Schweiße Deines Angesichts für Deine Gesundheit alles erleiden, was Dein Arzt Dir vorschlägt.
Allgemeiner: Du sollst fit sein.
Ganz wichtig in diesem Zusammenhang auch:
Du sollst nicht rauchen, egal ob es Dir Spaß macht oder nicht. und überhaupt sollst Du so was gar nicht erst zum Thema machen.

Und
Du sollst das Wachstum anbeten, es sei denn, es handelt sich um Krebszellen.
Du sollst nicht lügen, es sei denn, Du kannst vorgeben, dass Du damit Arbeitsplätze erhältst.
Du sollst "die Märkte" ehren, d.h. die Anziehungskraft des höheren Profits, d.h. die segensreiche Kraft der Habgier.
Du sollst keine Hilfe leisten, wenn es sich um Flüchtlinge handelt. (unterlassene Hilfeleistung ist out, auch wenn es noch entsprechende Gesetze gibt) Aber Du darfst natürlich so tun als ob...
Das fünfte Gebot würde ich ergänzen:
Du sollst nicht töten - oder nur aus großer, sicherer Entfernung und wenn du hinterher ein Alibi hast - aber das Handeln mit Tötungswaffen muss erlaubt sein.
In diesem Zusammenhang hätte ich noch einen kleinen Vierzeiler:
Aug um Auge, Zahn um Zahn
ist sicher nicht der Stein der Weisen,
denn schlussendlich wär‘n wir dann
ein Heer von blinden Mümmelgreisen.​
 
Danke, minitaurus, für deine positive und an weiteren Vorschlägen reiche Antwort. Mir kam es bei meinem Spiel bewusst auf bissige Verkürzung an.

Ich habe mir überlegt, wie man deine Ideen umsetzen könnte. Es müsste ein etwas längerer, weit verbreiteter Text sein, der Normen enthält, die man nun satirisch ins Gegenteil verkehrt. Und da fiel mir ein: das Grundgesetz. Fraglich nur, ob der Text dann zu lang wird. Die Wirkung erschöpft sich ja für den Leser nach einiger Zeit.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

minitaurus

Mitglied
auch eine schöne Idee, das mit dem GG.Noch lieber wäre mir aber, wenn sich noch mehr Leute so anstecken ließen wie ich. Denn jeder hat eine eigene Handschrift, und die Belebung durch eine Vielzahl von Stilen würde der Lesbarkeit sicher auch gut tun.
Wie auch immer: Ich verspreche, wenn Du etwas zum GG vorlegst, lasse ich mir auch wieder etwas einfallen dazu.

liebe Grüße
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Arno,

ganz gut gelungen.

Beim fünften und achten Gebot bleibt aber das Lachen im Halse stecken. Eigentlich sind sie weder lustig noch satirisch.

Du kannst doch töten. Nur vorher absichern. (5)

Und: Der Zweck heiligt die Mittel. (8)

Diesen Spruch gibt es real auf katholischer Seite!

Trotzdem amüsiert,

DS
 
Danke, Doc, für die anerkennend kritische Äußerung. Richtig ist, dass die Methode hier im Einzelnen variiert und vielleicht auch mal zu nicht ganz befriedigendem Ergebnis führt. Das liegt daran, dass schon in der Vorlage sehr Verschiedenes rasch aufeinanderfolgt. Töten lässt sich nur schwer als solches satirisch verarbeiten, besonders bei der hier gebotenen Kürze. Wenn man Swifts "Bescheidener Vorschlag" untersucht, stellt man fest, die darin enthaltene Grausamkeit (Vorschlag, armer Leute Kinder zu mästen, um sie dann zu essen) wird erst durch die pseudogelehrte Umständlichkeit und Länge des satirischen Textes für den Leser erträglich.

Woran habe ich bei meiner Formulierung konkret gedacht? An einen Präsidenten Silberzunge, der weltweit als redlicher Friedensfürst gefeiert wurde, während er tatsächlich den Einsatz von Tötungsdrohnen massiv ausdehnte. (Ähnliche Diskrepanzen bei ihm in Bezug auf Whistleblower und Grenzregime zu Mexiko.) Es gibt Fakten, bei denen man eben nicht mehr mit Tucholsky sagen kann: "Die Zeit schreit nach Satire". Satirisch ausbeuten könnte man allerdings immer noch die Blindheit oder Scheinheiligkeit von Zeitgenossen.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 



 
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