Die Zeichen

memo

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Niemand weiß es, auch ich selbst nicht. Alles spricht mit mir. Jeden Augenblick, wenn ich allein bin. Es spricht unaufhörlich ohne Worte. Es schreit mich an. Es gibt aber keine Zeichen. Die Zeichen sind nichts anderes, als die Rufe der Dinge.
Es schreien nicht die Menschen, sondern die Stufen, die Wand, das Fenster, das Auto, die Straßen. Leider sind es nicht die Bilder, die Blumen, die Worte. Diesem Schreien könnte ich begegnen, ihnen antworten. Aber den Dingen kann ich nicht antworten, da sie keine Antwort wollen und auch nicht brauchen.
Die Fliesen sprechen mich an, im Badezimmer, der Boden, wenn ich zur Treppe hinunter gehe.
Nicht das blaue Bild spricht mit mir, aber das Lenkrad. Alles, was irgendwie nie wirklich da ist, das was einfach da ist.
Die Treppe schreit mich an. Sie schreit mich an – so sehr und so laut und ganz ohne Worte. Ich hebe die Arme.
Wenn ich alleine bin, spricht alles mit mir. Aber diese Dinge sind stumm. Sie geben mir Zeichen, die nichts bedeuten, als das, dass sie mir begegnen. Mir, die ich ganz ungeschützt bin. So ungeschützt und nackt. Ich fürchte sie nicht, aber ich verstehe ihre Sprache nicht. Gleichzeitig weiß ich, dass sie keine Sprache haben. Sie dringen in mich- sonst sind sie verborgen. Die Stimmen der Anderen decken sie zu.
Die Menschen decken die Dinge zu. Die Menschen schreien mich nicht an. Warum höre ich die Menschen nicht? Weil sie so laut sind.
Nein, ich bin laut. Ich bin so laut. Ich rede aber ganz leise. Dabei möchte ich nur schweigen. Ich denke immer – schweige! – und doch rede ich und rede ich. Manchmal kann ich es ausbessern im Redefluss. Manchmal gelingt mir das Schweigen, aber es strömt so sehr aus mir, weil es so voll ist in mir. Zu voll. Es ist so voll, aber es ist leeres Wasser. Es ist nicht einmal Wasser – denn Wasser hat Inhalt. Aber Inhalt ist nicht in mir. Es ist Leere. Immer diese ewige Leere. Darum sprechen auch die Dinge mit mir, weil sonst nichts spricht. Die Menschen sprechen zu intensiv in mir. So sehr. Ich kann sie nicht mehr hören, da sie so stark sind. Meine Sinne schmerzten viele Jahre. Nun kann ich die Sprache nicht mehr übersetzen. Ich mache vieles richtig – weil ich mich einfühle. Das Licht und die Sonne. Aber die Sterne, die Sterne glitzern. Sie glitzern so sehr, dass sie mich nicht erblinden. Sie erhellen mich.

Immer ist die Erinnerung, so weit und so nah. 100jährige Frauen und Männer erzählen von einer Welt. Immer diese vergangene Welt. Auch ich habe diese vergangene Welt – wie jeder Mensch. Jene erzählen davon: Proust, Roth, Zweig, Mann, ich will nicht mehr nennen – weil ich die Besten verschweige. Aber meine Welt ist die eines kleinen Kindes, das den Tod in sich trug - warum auch nicht. Alle Kinder tragen den Tod. Die Sicht auf die anderen Menschen. Auf die Männer. Ich habe sie gefürchtet und wusste nicht warum - nicht aus dem Kopf, oder aus irgendeinem Ich von dem Lacan sagt, dass es diese ICH nicht gibt. Meine Mutter hat einfach erzählt.
Ich höre die Stimmen, weil ich selbst keine Stimme hab. Alles spricht mit mir.
Alles spricht, aber nicht wie beim Fall Schröder. Es ist kein Gott. Zauberberg. Schon mit 17 Jahren schrieb ich vom Eingebettet sein, geborgen sein, am Zauberberg- lieber tot krank, als ein Leben lang nicht leben, so wie meine geliebten Menschen, die starben. Zugedeckt sein, in einer warmen Decke auf einer Liege - den Blick auf die Berge, auf das Meer. Ein Gedicht schreiben. Das war mein Glück.
 



 
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