diktion des wolken

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seefeldmaren

Mitglied
im auge der wolken

fragte wer seid ihr, ineinandergenähte grauflächen, wie ein hund
mit satellit, sputnik, gekräuselter marc krause, meine scheinflucht
in einen vegetativen zustand - kronen in weiß, hufe in grau, blau-
er schimmer einer milchkanne, rauer schatten, deine lippen sind
gartenzaunfiligran, druck, bei vier grad über patronenarmut, einem
weißen kleid, mit der hanna sprechen, pferdemädchen mein
verwelkendes wunder, mein verwundetes welken, fast ekelhafte
zärtlichkeit, diese lust der bindfäden, vertikales zerschnitten von
realität, du-hafen, du-abspaltung, wie diese eine rose, die ich aus
dem eimer der eitelkeit nahm, keiteleit, leit, leud, leute, witze
über zu dünnem regen, du dünne flüssigkeit, du über-
schuss einer kohärenz, inerte stoffe, mit hornbach über grabstein
sprüche gewitzelt, lucky-strike - live happy, die happy and then sue.

im hirn des regens

sagte: du heuler, abgeschaffter beamter, dachbehauser einer süd-
ländischen zypresse, kunstharzüberzug und eine singende rose
im riss des windes. braucht die wiese pausenbrot, morsecode, wenn
ich weine bin ich eine erweiterte reimregel, ein unbeliebter freund
der wasserfälle, schlamm ins maul, nennt mich pfütze, ich nütze
nur der innerlichkeit, einsichtsinteresse, ich-modul, novemberpastellnacht,
aus nass wird nicht nässer, ungefasstes schäumen, rosa nacht, nächtens
du egaler behälter, hallo liebe alle, ich erweitere eure sinne mit flüssigkeit
und einem geruch, der in die herzen steigt.
 

Frodomir

Mitglied
Hallo seefeldmaren,

zu diesem Gedicht finde ich, egal von welcher Seite ich es auch betrachte, leider keinen Zugang. Ich könnte nichtmal ein Thema nennen, ich sehe nur unglaublich viele Substantive und eine überwiegende Eliminierung des Subjekts. Wenn ich am Kiosk in modernen Literaturzeitschriften nach Gedichten suche, finde ich dort sehr oft Texte in dieser Form und finde ebenso keinen Zugang. Im gegenwärtigen Lyrikdiskurs der elaborierten Szene scheint ein solcher Stil also durchaus seine Fans zu haben, aber für den Feld-Wald-und-Wiesen-Leser bleibt der intellektuelle Zugang zur postmodernen Lyrik größtenteils verwehrt. Wer will es ihm und im diesen Falle auch mir verdenken?

Viele Grüße
Frodomir
 

seefeldmaren

Mitglied
Guten Morgen, lieber Frodomir,

danke für Deinen Besuch und Deinen klugen Einwurf. Du hast vollkommen recht! Es gibt innerhalb der zeitgenössischen Lyrik eine bemerkenswerte Spannweite an Textarten, und ein Großteil der Arbeiten bewegt sich heute in einer Sphäre der Verschlüsselung, Emotionalisierung oder bewussten Undurchdringlichkeit. Viele Autorinnen und Autoren scheinen sich geradezu in der Dunkelkammer der Bedeutung einzurichten. Man schlägt dort sozusagen das Himmelszelt auf. Die Zahl jener, die klar, unverklausuliert und dennoch poetisch gültig schreiben (was ist das?!), nimmt tatsächlich ab, womit die alte Frage „Ist das Kunst oder kann das weg?“ plötzlich wieder erstaunlich berechtigt klingt. Andererseits erhalten Texte wie diese, wenn man ihnen eine Chance gibt, eine eigene Schönheit. (Ist nur meine Meinung) -

Was den Titel betrifft: darin liegt eine syntaktische Verstörung, denn im Moment gehe ich größere Risiken ein. Und manchmal kassiere ich dafür Schellen.

Die kleineren Titel im Zyklus deuten zwar eine Richtung an, doch bleibt der Gesamtgestus schwebend; ein tastendes Schreiben an der Kante zwischen Bedeutung und Auflösung und dazwischen keimt das Thema "Natur" auf. Solche Texte sind ein Balanceakt, ständig gefährdet, ins Banale, völlig Unverständliche oder Sentimentale abzugleiten, oder sind im Begriff der Selbstzerstörung. Dort liegt aber auch der Reiz!

Dieses freie, entgrenzte Schreiben ist riskant, ja, aber auch eine Form der Entlastung, ein bewusster Bruch mit der Kontrollpflicht des reflektierten Schreibens. Man muss die Bereitschaft haben, darauffolgende Verrisse von Leser:innen als Teil der poetischen Topographie zu akzeptieren. Wer sich wirklich auf diese Freiheit einlässt, nimmt in Kauf, dass manches scheitert, aber was gelingt, trägt dafür eine seltene Unmittelbarkeit.

Außerdem finde ich, dass Texte wie diese sich beim Vortrag ganz anders entfalten, als sie nur im Stillen zu lesen. Trotzdem und hier nochmal: Stimme ich dir zu! Es gibt auch für mich Texte, wo ich sagen muss: "Nein, danke!". Ob ich Texte mittlerweile aber immer entschlüsseln möchte? Ich denke nicht, manche bleiben verschlossen, nehmen mich aber trotzdem mit... Die wirken dann irgendwie magnetisch. :)

Und jetzt verabschiede ich mich in die ozeanischen Augen des Tages! Wünsche Dir einen schönen Tag, Frodomir!

Maren :)

PS: @Ubertas Danke! <3
 

Anders Tell

Mitglied
In der unseligen Coronazeit habe ich einmal unvoreingenommen einen Poetryslam besucht. Dort haben hauptsächlich sehr junge Leute ihre Texte vorgetragen. Und es stimmt: Geslamt, skandiert entwickelt Texte wie Deiner eine ganz andere Wirkung. Meine alten Maßstäbe konnte und wollte ich hier nicht anlegen. Ich musste mich einlassen. Und im Ergebnis habe ich mich unbändig gefreut, dass so junge Menschen Gedichten so viel Bedeutung geben. Es sind dieselben Miese Peter, die zum Grölemeyer Konzert rennen, um dessen ach so tolle Texte zu hören (singen kann er ja nicht), die niemals mehr ein Gedicht lesen, weil sie in der Schule angeblich zu sehr damit gequält wurden.
Eine neue Generation erlebt die Welt anders und findet andere Ausdrucksformen. Rap ist auch nicht mein Ding, aber die Texte sind sehr oft beeindruckend gut. Ist es nicht toll, dass wir daran teilhaben können?
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Maren,

vielen Dank für deine interessante Antwort auf meinen Kommentar. Eine ähnliche Diskussion wie diese hier hat sich zwischen Ubertas und mir unter Ubertas Gedicht Demut entsponnen und dort habe ich die Meinung vertreten, dass wir in der postmodernen Kunst Gefahr laufen, an Substanz zu verlieren und beliebig zu werden. Ich habe es dort noch ein bisschen genauer hergeleitet und will es deshalb hier nicht wiederholen.

Ich würde dein vorliegendes Gedicht, auch bezogen auf deine Erklärung, mit abstrakter bildender Kunst vergleichen. Du nimmst ja im Gedicht selbst sogar Bezug auf einen Vertreter dieser Kunstrichtung und hast dich möglicherweise auch dort inspirieren lassen. Wenn du nun sagst:

Andererseits erhalten Texte wie diese, wenn man ihnen eine Chance gibt, eine eigene Schönheit.
dann freue ich mich über diese Meinung, weil sie mir eine Perspektive gibt, die ich in meiner bzw. meinem - man könnte es negativ gesehen vielleicht Borniertheit, positiver betrachtet auch Freude am Sinn nennen, nicht ohne weiteres aufbringen kann. Das heißt leider nicht, dass ich die angesprochene Schönheit im vorliegenden Gedicht im vielleicht gleichen Maße, wie du es kannst, wahrnehme, aber es nimmt mir zumindest etwas die Verbissenheit.

Deinen Punkt, dass solcherlei Texte beim Vortrag einen Zugewinn erfahren würden, kann ich nachvollziehen. Aber müsste dann nicht die vielleicht provokative Frage erlaubt sein: Ist es mehr Schein als Sein? Oder wie schon in meiner Diskussion mit Ubertas formuliert: Ist die Grenze zur Beliebigkeit nicht überschritten, wenn das Design nicht mehr die Formerweiterung der Substanz ist, sondern einfach nur Fassade, maximale Freiheit ohne Verwurzelungen, Idee ohne Metaphysik? Ich sehe das sehr kritisch, vor allem weil es Mode ist und nichts Revolutionäres mehr an sich hat... seit mittlerweile über einem Jahrhundert.

Vielen Dank für die interessante Diskussion.

Viele Grüße
Frodomir
 

seefeldmaren

Mitglied
Hallo @Anders Tell,

Sprache ist im Wandel und zwar immer. Gut ist es, dass junge Menschen Lyrik in sich tragen.

Hallo @Frodomir,

was interessant ist: Was Substanz früher war und was Substanz heute ist und wieso das Gefühl besteht, dass die Substanz abhanden kommen könnte.
Wie ich es eben zu @Anders Tell schrieb: Sprache ist im Wandel und zwar immer. Wenn sich Sprache wandelt, wandelt sich auch die Lyrik, denn die lyrische Basis ist Sprache. Diese Angst des Substanzverlustes (so nehmen es viele in lyrikforen wahr) ist für mich ein Zeichen, dass Sprache sich bereits lange gewandelt hat, sie wuchs bereits in die Zukunft und das merkt man, weil das, was man mag, nun vergangen ist. Jetzt muss ich mich fragen, ob das unbedingt schlecht oder weniger wert ist. Schein- und Schundlyrik gab es schon immer und gute Lyrik bewegt sich anscheinend auf genau dieser Spur. Immer drohend in die Bedeutungslosigkeit zu fallen, beim Fall aber so viel Reiz mitnehmen, dass davon etwas hängen bleibt.

Was mein überschäumendes verschlüsseltes Gedicht betrifft: es bewegt sich zwischen Natur, Selbstverlust und Zugehörigkeit, es kämpft um Kohärenz, um das Fragmentarische als Wahrheitsform und nimmt dabei ein gewisses Risiko in Kauf, rein nach dem Motto, wenn es einmal fließt, muss man es fließen lassen. Wo nicht gehobelt wird, fallen keine Späne.
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Maren,

unsere Diskussion schneidet ja ganz Elementares des postmodernen Diskurses an. Rein am Sprachwandel festzumachen, warum ein Substanzverlust eigentlich in der gesamten Kunst wahrgenommen wird, degradiert die Sprache gewissermaßen zum bloßen Symbol. Es gibt ja genügend Intellektuelle, die das aber genau richtig finden, ich gehöre nicht dazu (und wohl auch nicht zu den Intellektuellen ;)).

Ich könnte es viel vereinfachter so auf den Punkt bringen: Bei dieser Art von Lyrik und weiterführend auch bei dieser Art von Kunst finde ich keine Worte mehr, mich über deren Ästhetik zu unterhalten. Ich kann sie auch nicht interpretieren. Ich kann sie nur anschauen wie eine Form. Mir persönlich gibt das nichts, aber das ist letztlich nur meine persönliche Sicht der Dinge.

Ich bedanke mich jedenfalls für die angeregte Diskussion und verbleibe abschließend mit freundlichen Grüßen
Frodomir
 

seefeldmaren

Mitglied
Hallo Frodomir,
warum ein Substanzverlust eigentlich in der gesamten Kunst wahrgenommen wird
Basiert diese Annahme auf deinen persönlichen Eindruck?
Also ich finde schon, dass es eine Menge guter Künstler im Allgemeinen gibt. Susanne Kiesewetter, Christiane Baumgartner - mir fallen viele ein, die richtig gute
Kunst machen.

Was die Lyrik betrifft, glaube ich, wir sprechen weniger "gegeneinander" als von unterschiedlichen Rändern desselben Feldes.
Wenn Sprache sich wandelt, wandelt sich auch das Verhältnis zwischen Zeichen und Bedeutung und damit das, was wir als „Substanz“ wahrnehmen. Vielleicht geht sie nicht verloren, sondern verschiebt sich: von der Benennung hin zur Bewegung, vom Inhalt zur Relation, von der Form zur Übertragung, von der Flucht zur Exegese und schlussletztlich in den Wahrnehmungsapparat. :)

Dass du sagst, du kannst diese Art von Lyrik nicht „interpretieren“, finde ich interessant! Vielleicht verlangt sie auch gar nicht nach Interpretation im klassischen Sinn, sondern nach einem anderen Modus des Lesens, einer Aufmerksamkeit für das, was sich abwenden will. Oder anders: Ich gebe Dir insofern in einer Sache recht, dass die Form der Lyrik (klassische metrische Strophen bspw) als tragende Substanz abhanden kommt.

Mir scheint, dass genau dort, wo Sprache zum Symbol wird, auch ihre tiefste Erfahrungsqualität liegt. Aber das ist subjektiv und nur ein Punkt, warum ich die Zeitgenossen so liebe! :)

Dir noch einen angenehmen Sonntagabend!

MAren
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Maren,

meine Aussage basiert auf persönlichen Erfahrungen einerseits, zudem auf meinem Studium an der Universität, wo mich dieses Thema besonders interessiert hat und drittens habe ich es auch deiner Antwort entnommen, in der du schriebst:

Diese Angst des Substanzverlustes (so nehmen es viele in lyrikforen wahr)
Naja, der Unterschied zwischen uns scheint vielleicht darin zu liegen, dass du vor allem den Sprachwandel betonst und diesen gewissermaßen als natürliche Entwicklung proklamierst, während ich ihn mehr als Konsequenz von gesellschaftlichen Entwicklungen interpretiere.

Und damit kommen wir vielleicht auch zum wesentlichsten Unterschied: Du kannst dem, was du schön als von der Benennung hin zur Bewegung, vom Inhalt zur Relation, von der Form zur Übertragung, von der Flucht zur Exegese und schlussletztlich in den Wahrnehmungsapparat benannt hast, etwas abgewinnen, während ich darin einen Verlust sehe, dem ich nachtraure.

Und weil wir so unterschiedliche Prädispositionen haben, ist unsere Diskussion so interessant, aber gleichzeitig kommen wir natürlich auch nicht zueinander.

Ich wünsche dir auch einen schönen Abend.

Viele Grüße
Frodomir
 

seefeldmaren

Mitglied
Hallo Frodomir,

vielleicht liegt darin ja gerade der gemeinsame Punkt: dass sich Entwicklung und Wandel nicht voneinander trennen lassen. Ein Wandel der Sprache ist nie nur sprachlich, so wie eine gesellschaftliche Veränderung nie ohne ihre sprachliche Spur geschieht. Es verkonsequenziert sich. Was geschah denn mit der Gesellschaft als mIRC und ICQ in unser Leben Einzug hielt; und später dann Discord und Twitch.TV. Geflutet wurde damit youtube und vice versa. Ich spreche von den sprachlichen Veränderungen. Sprache verändert nicht nur, wie wir sprechen, sondern was überhaupt gedacht, erinnert, gefühlt werden kann, sie verschiebt die Möglichkeiten der Wahrnehmung und damit auch der Erfahrung. Sogesehen, der Erlebung. *hust

Ob man das nun als Verlust oder als Öffnung begreift, hängt wohl davon ab, welchen Ort man der Sprache im eigenen Denken einräumt. Ich neige dazu, Wandel nicht als Gegensatz zur Substanz zu sehen, sondern als ihre Fortsetzung im Bewegten und in der Veränderung. Deine obige Frage nach Scheinlyrik ist sehr berechtigt, weil man hinterfragen könnte, was zeitgenössische lyrik denn überhaupt will? Ich denke, du und ich, können uns darauf einigen, wenn ich behaupte, dass ein Gedicht eine Form hat und ein Mitteilungsbedürfnis besitzt. Andererseits sind wir, du und ich, auch Lyriker und ich als Lyrikerin will wachsen. Wieso also nicht gemeinsam Lyrik erleben - du versuchst dich daran, die Art von Text zu schreiben, die du eher ablehnst und ich kehre mal wieder in eine jambische Klassik zurück. So unterschiedlich sind wir dann doch nicht, oder? Suche ein Thema raus, ich bin sofort dabei bei der Spielerei! Kann nur den Horizont erweitern :)

Ich verabschiede / verabschiebe mich für heute (als zeitgenössin darf ich sowas!)


Maren
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Maren,

vielleicht liegt darin ja gerade der gemeinsame Punkt: dass sich Entwicklung und Wandel nicht voneinander trennen lassen. Ein Wandel der Sprache ist nie nur sprachlich, so wie eine gesellschaftliche Veränderung nie ohne ihre sprachliche Spur geschieht.
Ja, in dieser Einschätzung liegt auf jeden Fall ein gemeinsamer Punkt.
Ob man das nun als Verlust oder als Öffnung begreift, hängt wohl davon ab, welchen Ort man der Sprache im eigenen Denken einräumt. Ich neige dazu, Wandel nicht als Gegensatz zur Substanz zu sehen, sondern als ihre Fortsetzung im Bewegten und in der Veränderung.
Hier unterscheiden wir uns wieder ein bisschen. Auf die individuelle Person bezogen mag das auf den ersten Blick zutreffen, aber im Hinblick auf die historische Entwicklung von Sprache sollte man meiner Meinung nach auch über das Individuelle hinaus schauen. In der Gegenwart z.B. hat sich aus verschiedenen Gründen (du hast ja z.B. die Einführung von Kommunikationsmedien angesprochen) ein Wandel hin zum äußerst emotionalen Geschmacksurteil ergeben. "Geil, Alter" ist sozusagen die am häufigsten gebrauchte Ausdrucksform für eine Beifallsbekundung.
Der Substanzverlust liegt dabei gewiss nicht im emotionalen Impuls, viel direkter kann man es ja nicht mehr ausdrücken. Aber wenn man sich Teile der Kunst oder auch die politische Debatte anschaut, dann ist diese Art des simplen Ausdrucks allgegenwärtig. Es fällt zunehmend schwer, sich differenziert und auch analytisch Ausdruck zu verschaffen.

Wenn ich also, um beim Thema zu bleiben, vor einem gegenstandslosen Gemälde stehe oder eben auch vor einer Literatur wie dieser hier, dann kann ich sogut wie nicht mehr über etwas Tiefgründiges, also Substanzielles im Kunstwerk sprechen, sondern mir bleibt maximal noch der emotionale Ausruf, also z.B. "Geil!", um zu beschreiben, was ich bei der Betrachtung fühle.

Wäre dies eine gewisse Avantgarde, die sich von allzu festen Formen freizuschwimmen gedenkt, hätte ich damit kein Problem und würde es womöglich gutheißen, aber es ist ja allerorten und somit leistet diese Art von Kunst für mich einen Beitrag zu meinem Gefühl, die Welt um mich verlöre an Sinn - denn bloßes Design kann nicht sinnvoll berühren.

Ich denke, du und ich, können uns darauf einigen, wenn ich behaupte, dass ein Gedicht eine Form hat und ein Mitteilungsbedürfnis besitzt.
Aber wenn die Form im postmodernen Diskurs eher irrelevant wird und das Mitteilungsbedürfnis keinen Anspruch auf nur irgendetwas (sei es Weisheit, Wahrheit, Berührung, ...) erhebt, was soll ich dann mit dem im Gedicht Ausgedrückten als Mensch nur anfangen?
Andererseits sind wir, du und ich, auch Lyriker und ich als Lyrikerin will wachsen.
In welche Höhen? Oder in welche Tiefen?

Wieso also nicht gemeinsam Lyrik erleben - du versuchst dich daran, die Art von Text zu schreiben, die du eher ablehnst und ich kehre mal wieder in eine jambische Klassik zurück.
Das kann ich nicht. Ich fühle, wenn ich schreibe, in dieser Art, dass ich daran auch leide. Es könnte mir dann nicht ernster sein. Aber du bringst mich doch immerhin auf die Idee, mich mal wieder um Gedichte in sächsischer Mundart zu kümmern, die sind für den Humor gedacht und warten auf ihre Überarbeitung :)

Ich wünsche dir einen guten Start in die Woche.

Viele Grüße
Frodomir
 

seefeldmaren

Mitglied
Guten Morgen, lieber Frodomir!


In welche Höhen? Oder in welche Tiefen?
Weder noch, denn in meinem Verstehen von Texten liegen alle Autoren auf derselben Ebene. Ähnlich wie mit dem modernen Wissen in der Psychologie, so ist auch die Literatur für mich ein breites Spektrum. Für mich gibt es außerdem keine schlechten Texte - weil, wie ich finde, ich als Leserin das Werk ja erst forme, in dem ich es zu durchdringen versuche.

Man könnte sich also die zentrale Frage stellen: Was würde ich als Leserin und Kritikerin tun, wäre ich dazu gezwungen Rezensionen über Werke zu schreiben, die mir nicht gefallen. Verreiße ich diese Werke? Ich könnte ebenso nichts schreiben und die Tatsache ignorieren, dass es Werke gibt, die mir nicht gefallen und was mache ich dann damit? Am anderen Ende steht ja der Autor und dieser kann nur dann gesund reagieren, wenn ich es als Kritikerin schaffe, den Autor von seinem Ufer abzuholen. Dann springt er in mein Boot, und man schippert gemeinsam zu einer neuen Insel und der Antrieb und Motor ist der Austausch, das Gespräch. Daraus leitet sich ab, dass ein Werk auch zwingend davon abhängig ist, welchen Wert es durch andere zugesprochen bekommt und hier kommen Lesefähigkeit ins Spiel und wie gut und mit wie viel Empathie ich in ein Werk gehen kann. Für mich gilt für zeitgenössische Lyrik:

a) was ist das werk? (form)
b) wie kommt es daher (technik und sprache, wortarten)
c) was gefällt mir? (und warum)
d) was gefällt mir nicht (und warum)

Wenn ich für mich diese zentralen Punkte durchgehe, kommt es vor, dass Lyrik auch manchmal weh tut, weil ich mir eingestehen muss, dass ich persönliche Abneigung ins Werk lege - ein Gedicht ist mir gegenüber aber nicht persönlich, was dazu führt, dass meine Ablehnung im Werk nichts zu suchen hat.

Wenn ich also als Leserin, die kommentieren will, es nicht schaffe, dann was genau möchte ich dem Autor mitgeben? Ich könnte Dinge schreiben wie "Mädchen, was du schreibst ist absoluter Bockmist, banal, langweilig, unzugänglich, keinerlei Rohstoff, nix Bambus, eher ein Kaputtnix, überschäumende Redundanz, höre auf zu schreiben, es ist ja schlimm". Ich liebe Werke, die man fünf Leserinnen präsentiert und die jeweils fünfmal unterschiedlich gelesen werden, aber mindestens einen Punkt haben, die alle fünf erkennen können.

Aber warum schreibe ich so, wie ich es schreibe? Ich liebe es Assoziationen auf einer Schnur aufzufädeln, ohne mich dabei hemmen zu lassen, ohne mich dabei in ein Format pressen zu lassen, außerdem bin ich eine Rebellin, ich breche mit allem in der Kunst, womit ich brechen kann. Dem werde ich solange nachgehen, bis es mir keinen Spaß mehr macht. Mein Antrieb ist immer die Neugier. Natürlich gibt es Werke wie meines, es gibt aber auch andere Werke in der zeitgenössischen Lyrik, die für dich mehr Substanz haben sollten. Es gibt diese also noch! ;) Wenn ich ein Werk in die LL schiebe, dann immer zu Testzwecken bevor es in den Mülleimer wandert oder ins Skript.

Maren

Dir auch eine schönen Wochenstart, muss jetzt los.
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Maren,

Aber warum schreibe ich so, wie ich es schreibe? Ich liebe es Assoziationen auf einer Schnur aufzufädeln, ohne mich dabei hemmen zu lassen, ohne mich dabei in ein Format pressen zu lassen, außerdem bin ich eine Rebellin, ich breche mit allem in der Kunst, womit ich brechen kann.
Ich will dir dabei nicht im Wege stehen, im Gegenteil, ich bin froh über deinen Willen zur Freiheit. Meine persönliche Enttäuschung lag nur darin begründet, dass ich diese Art der Kunst gerade nicht als rebellisch wahrnehme, sondern als etwas, was mir gerade in der elobierten Szene allerorten begegnet. Deshalb wollte ich darüber in den Diskurs einsteigen, was unsere Kunst in den letzten Jahrzehnten und mit dem Aufkommen der Postmoderne meiner Ansicht nach verloren hat - aber ich lasse es jetzt gut sein, denn ich verstehe deine letzte Antwort so, dass wir erstens leider gar nicht zusammen kommen können (weil für mich Lyrik viel mehr ist als Form und Technik - was ist mit dem Sinn? :oops:) und zweitens ich, wie ich schon im Thread von Ubertas schrieb, nicht die Meinung teile, dass alle Texte gut sind und der Leser in der Verantwortung steht, Form und mögliche Beliebigkeit zu Sinn zu formen.

Der wichtigste Punkt ist aber, dass ich nun nicht auf deine Kosten die Postmoderne diskutieren möchte, das habe ich nun schon zur Genüge getan und bin, wie ich jetzt merke, vielleicht über das Ziel hinausgeschossen. Das tut mir Leid.
Weder noch, denn in meinem Verstehen von Texten liegen alle Autoren auf derselben Ebene.
Ich meinte das nicht aus einer Konkurrenzperspektive, sondern individuell, psychologisch.

Viele Grüße
Frodomir
 

Anders Tell

Mitglied
"Unsere Kunst"?

Und dann hat sie auch noch etwas verloren, unsere Kunst. Wer entscheidet das denn. Das Amt für ästhetische Reinerhaltung, oder?
 

mondnein

Mitglied
diese lust der bindfäden, vertikales zerschnitten von
realität, du-hafen, du-abspaltung, wie diese eine rose, die ich aus
dem eimer der eitelkeit nahm, keiteleit, leit, leud, leute, witze
über zu dünnem regen, du dünne flüssigkeit, du über-
schuss einer kohärenz
Ich lese, liebe Seefeldmaren,

mit der Sympathie einer stilistischen Resonanz meiner Verse in Deinen Versen
die Art von Silben-Wellen auf der Sprachoberfläche,
die ich (sogar im Gereimten) ähnlich weit getrieben habe, wie Du in diesem Gedicht,
vergleiche die vierte Strophe und ihren letzten Vers im "purusha tausendmundig" https://www.leselupe.de/beitrag/puruscha-tausendmundig-163878/

Ich bin begeistert,
grusz, hansz
 

seefeldmaren

Mitglied
was unsere Kunst in den letzten Jahrzehnten und mit dem Aufkommen der Postmoderne meiner Ansicht nach verloren hat
Was hat denn Kunst deiner Meinung nach verloren und was hat Lyrik deiner Meinung nach verloren. Wir schreiben über Substanz und Qualitätsverschiebungen, sprachen aber noch nicht über das Was! Benenne bitte konkret deine Sorge! Dann können wir schauen, ob wir gegenseitig erweiternd wirken können.

@mondnein

Danke Dir!

@Clown seiner Klasse
Das hoffe ich auch, den Stock für die Fingerchen will ich nicht hochholen müssen. :))
Ich denke aber, dass wir das hinbekommen!

Maren
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Maren,

Gegenständlichkeit, Inhalt, Wille zur Wahrheit. Weisheit auch. Zudem Berührungspunkte mit dem Empfinden. Kohärenz außerdem.

Ich habe es doch in obigen Beiträgen doch schon viel eindrücklicher beschrieben. Ich denke, nun ist unsere Diskussion an ihrem Ende angekommen. Ich kann zu diesem Thema nichts mehr beitragen.

Vielen Dank und viele Grüße
Frodomir
 



 
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