Dorfidylle

Papiertiger

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Vögel zwitschern, es hört sich an wie im Dschungel. Jemand tritt in vielleicht dreißig Metern Entfernung gegen einen Fußball. Ein Flugzeug ist zu hören und nach einer halben Minute ist es schon außer Reichweite, um es noch zu bemerken. Heute ist Sonntag, somit fallen die Geräusche Rasenmäher und Lieferfahrzeuge weg. Es ist Mai, da wird das Dorf an Gerüchen blühende Rapsfelder und idealerweise den herrlichen Duft von gegrilltem Fleisch zu bieten haben. So eine Umgebung ist herrlich, um dort zu leben, aber zu einem Roman wie Patrick Süßkinds „Das Parfüm“ werden einen diese doch sehr überschaubaren Sinneseindrücke eher nicht inspirieren.

Mein Blick fällt auf ihre Füße. Eine breite Lederschnalle gibt ihren Füßen Halt in ihren schwarz-gelb gestreiften Lacklederpumps. Dazu trägt sie eine schwarze Lederhose und ein langes, gelbes Kleid. Sie schlägt verführerisch ihre Beine übereinander und nimmt ihre Valentino-Handtasche vom freien Stuhl neben sich und legt das sicher nicht preiswerte, edle Stück auf den Tisch. Sie kramt nach einer Schachtel Zigaretten und nach ihrem Feuerzeug. Das Aufglühen der Zigarettenspitze, das genussvolle Einsaugen des Rauchs und das sinnliche Ausatmen überflutet mich mit anregenden Reizen. Der Duft ihres Parfüms, das perfekt aufgetragene Make-up und diese tiefe, sinnliche Stimme bringen mich um den Verstand. Ich spüre wie ich unkontrolliert mehr Speichel produziere so wie es bei der Vorfreude auf eine leckere Mahlzeit oder eben beim Anblick einer bildhübschen Frau der Fall ist. Ja, solche Momente haben das Zeug zu bemerkenswerten Geschichten zu werden. So sollte eine Story beginnen, wenn die Blicke der Leser gebannt am Papier kleben bleiben sollen. Was ist dran an den Waffen einer Frau? Ich denke an diesen Jura-Studenten, der sich aus lauter Geldgier bis zum Mord treiben ließ, weil er seine deutlich jüngere Freundin mit Geld beeindrucken und halten wollte. Er war 27 und sie 17 oder so ähnlich. Bonnie und Clyde. Kurt und Courtney. Lady Macbeth. Die Drahtzieherin aus dem „Horrorhaus“ von Höxter, die ihrem Mann befahl, Frauen ins Haus zu locken und zu quälen. Ist es frauenfeindlich, darüber nachzudenken? Ich denke, es ist wohl nicht selten so wie es Bruce Springsteen in seinem Song „Highway 29“ auf den Punkt bringt. Darin geht es um einen Schuhverkäufer, der einer hübschen, dominanten Frau verfällt, mit ihr einen blutigen Bankraub verübt, sich danach dessen gewahr wird, was er angerichtet hat und liebend gern der Frau die Schuld dafür geben will. Aber dann, in einem Moment der absoluten Ehrlichkeit stellt er fest:

„In a little desert motel, the air it was hot and clean
L slept the sleep of the dead, I didn't dream
I woke in the morning washed my face in the sink
We headed into the Sierra Madres 'cross the borderline
The winter sun, shot through the black trees
I told myself it was all something in her
But as we drove I knew it was something in me
Something had been comin' for a long long time
And something that was here with me now
On highway twenty nine“

Abgründe tun sich auf und sie wirken vermutlich um so erschütternder, wenn sie mitten in einer so heilen, intakten Welt auftreten. Ich hänge meinen Gedanken weiter nach. Dann reißt mich Alice aus meinem Trott heraus: „Jetzt komm schon, wir sind gleich da, die Kameraden warten schon für den Fototermin“. Ich hatte diesen Urlaub nicht gewollt, sie hat gesagt, es müsse sein. Aber es ist schon hübsch idyllisch dieses Braunau am Inn. Und nach dem Urlaub ziehe ich endlich in den Bundestag ein. Dann wird sich vieles ändern. Ich sehe wie Alices blonde Haare sanft im milden Frühlingswind wehen und das gleichmäßige Klacken ihrer High Heels hat eine hypnotisierende Wirkung auf mich. Ja, mein Schatz, ich folge dir. Was soll schon schiefgehen?
 

Papiertiger

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Bitte um Verzeihung, ob meiner Unkenntnis ueber modische Bekleidung, War die Lederhose eine "Unterlederhose", oder gibt es sonst noch eine Erklaerung fuer diese Kombination?
Viele Gruesse///Onivido
Hi Onividio,

schönen Dank für das Lesen meines Textes. Seit Jahren sehe ich Frauen, die Leggings unter ihren kurzen Röcken tragen und gerade erst fiel mir das Foto einer Dame auf, die tatsächlich eine ganz normale Lederhose trug und darüber hatte sie ein Kleid angezogen - das sah etwas unkonventionell aus, hat aber seinen Reiz, weil es das etwas Grobe und Derbe des Leders mit dem eleganten, leichten Stoff des Kleids kombiniert. Das ist meine Erklärung.

Viele Grüße

Tiger
 



 
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