Gerd Geiser
Mitglied
Meine Puppe hieß Doris. Sie war eine gute Puppe, keine von der gewöhnlichen Sorte. Bestimmt hätte sie ihren Platz in meinem Herzen gefunden, doch dummerweise war sie aus Porzellan. Nur die guten Puppen, das lehrte man mich damals, wurden aus Porzellan hergestellt, und dieses war anfällig, und eine Puppe aus solcherart Material folglich zu schade, als dass man mit ihr hätte spielen dürfen.
Stoßanfällig war sie, vor allem ihr Kopf, und als Mittel der Wahl gegen diese Schlaganfälligkeit wurde ihr Höhenluft verordnet. Man suchte einen Platz für sie, an dem sie sich schonen konnte, einen absolut sicheren Schonraum, der die Gewähr dafür bot, keinen Schlagunfall zu erleiden und fand ihn auch prompt zwischen Zinnbierhumpen und einer kleinen Klöppelarbeit hoch oben auf dem obersten Bord unseres Bücherregals. Hier kurte sie wohl lange Zeit, ohne dass für mich eine Besserung ihres latenten Gesundheitszustandes in Erwartung stand. Ich spürte, dass ihr liebevolle Zuwendung zuteil werden musste, sollte eine Linderung ihres Anfallleidens eintreten, war auch bereit (und ich schwöre, ich war´s!), ihr diese zu geben, doch Mutters Verbot und die Höhe ihres Luftkurortes ließen eine Genesung in unerreichbare Ferne rücken. Mit rot geschminkten Lippen und traurigen Augen fristete sie ihr Dasein oberhalb des täglichen Wohnzimmertreibens, ihrem Schicksal ergeben.
Einzig an Freitagen zog ein wenig Leben in ihre Trostlosigkeit ein. Dann war Visite, und Mutter, auf einer Trittleiter stehend und sich nach ihr reckend, fächelte Doris mit einem weichen Staubwedel Sauerstoff zu, hob sie mitunter auch hoch und zupfte ihre Kleider zurecht. Doch diese Augenblicke der Fürsorge reichten für eine dauerhafte Gesundung nicht aus. Ihr Lebenswille schwand, ihre Ausstrahlung verblasste und verschmolz allmählich mit der der Bierhumpen. Die freitäglichen Akte der Reanimation wurden mir zunehmend egal, meine ungestillte Sehnsucht wich einem Gefühl der Gleichgültigkeit ihr gegenüber, Doris entschwand meinem Blickfeld.
Sie war von Anfang an ein Irrläufer. Bis heute weiß ich nicht, wer ihr zum Einlass in unsere Familie verholfen hatte, noch weiß ich etwas über ihren endgültigen Verbleib. Jahre später fand ich sie zufällig in einem der Wäschefächer unseres Kleiderschrankes wieder, auf weißes Linnen gebettet, mit Wangen, die ich roter in Erinnerung hatte und Augenlidern, die geschlossen waren. Ein kleines Büschel Herbstkräuter (wohl gegen Mottenbefall) lag ihr zur Seite und rundete die Szene ab. In die Dunkelheit dieses Schubfaches hatte sie ein Stück ungelebtes Leben von mir mitgenommen. Hier hatte sie ihre Ruhestätte gefunden, ohne selbst je wirklich gelebt zu haben.
Vor 10 Jahren traf ich sie wieder. Sie hieß Doris. Mein Freund hatte sie mitgebracht und stellte sie mir als seine neue Errungenschaft vor. Ihre erotische Ausstrahlung beflügelte meine Fantasie, und für kurze Zeit flatterte ich aufgescheucht durch unruhige Tage und Nächte.
Danach war es gut.
Stoßanfällig war sie, vor allem ihr Kopf, und als Mittel der Wahl gegen diese Schlaganfälligkeit wurde ihr Höhenluft verordnet. Man suchte einen Platz für sie, an dem sie sich schonen konnte, einen absolut sicheren Schonraum, der die Gewähr dafür bot, keinen Schlagunfall zu erleiden und fand ihn auch prompt zwischen Zinnbierhumpen und einer kleinen Klöppelarbeit hoch oben auf dem obersten Bord unseres Bücherregals. Hier kurte sie wohl lange Zeit, ohne dass für mich eine Besserung ihres latenten Gesundheitszustandes in Erwartung stand. Ich spürte, dass ihr liebevolle Zuwendung zuteil werden musste, sollte eine Linderung ihres Anfallleidens eintreten, war auch bereit (und ich schwöre, ich war´s!), ihr diese zu geben, doch Mutters Verbot und die Höhe ihres Luftkurortes ließen eine Genesung in unerreichbare Ferne rücken. Mit rot geschminkten Lippen und traurigen Augen fristete sie ihr Dasein oberhalb des täglichen Wohnzimmertreibens, ihrem Schicksal ergeben.
Einzig an Freitagen zog ein wenig Leben in ihre Trostlosigkeit ein. Dann war Visite, und Mutter, auf einer Trittleiter stehend und sich nach ihr reckend, fächelte Doris mit einem weichen Staubwedel Sauerstoff zu, hob sie mitunter auch hoch und zupfte ihre Kleider zurecht. Doch diese Augenblicke der Fürsorge reichten für eine dauerhafte Gesundung nicht aus. Ihr Lebenswille schwand, ihre Ausstrahlung verblasste und verschmolz allmählich mit der der Bierhumpen. Die freitäglichen Akte der Reanimation wurden mir zunehmend egal, meine ungestillte Sehnsucht wich einem Gefühl der Gleichgültigkeit ihr gegenüber, Doris entschwand meinem Blickfeld.
Sie war von Anfang an ein Irrläufer. Bis heute weiß ich nicht, wer ihr zum Einlass in unsere Familie verholfen hatte, noch weiß ich etwas über ihren endgültigen Verbleib. Jahre später fand ich sie zufällig in einem der Wäschefächer unseres Kleiderschrankes wieder, auf weißes Linnen gebettet, mit Wangen, die ich roter in Erinnerung hatte und Augenlidern, die geschlossen waren. Ein kleines Büschel Herbstkräuter (wohl gegen Mottenbefall) lag ihr zur Seite und rundete die Szene ab. In die Dunkelheit dieses Schubfaches hatte sie ein Stück ungelebtes Leben von mir mitgenommen. Hier hatte sie ihre Ruhestätte gefunden, ohne selbst je wirklich gelebt zu haben.
Vor 10 Jahren traf ich sie wieder. Sie hieß Doris. Mein Freund hatte sie mitgebracht und stellte sie mir als seine neue Errungenschaft vor. Ihre erotische Ausstrahlung beflügelte meine Fantasie, und für kurze Zeit flatterte ich aufgescheucht durch unruhige Tage und Nächte.
Danach war es gut.