Dornenrose

froderik

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DORNENROSE


Es waren einmal vor langer Zeit ein König und eine Königin, die wünschten sich nichts mehr in der Welt als ein Kind. Aber sie bekamen keines, was sie auch taten. Nicht einmal die dreizehn Mondhexen des Königreiches konnten ihnen mit ihren Zauberkräften helfen.
Als die Königin eines Tages zum Baden an den See hinter dem Schloss ging, da redete sie der Teufel in Gestalt einer Ratte an. Er wusste vom sehnlichsten Wunsch des Königspaares und versprach zu helfen. Und außer ihrem Dank wollte er nichts von der Königin. Diese ahnte nicht, mit wem sie es zu tun hatte, und stimmte schnell und ohne Nachdenken zu.
Der König war zuerst entsetzt, als seine Frau ihm alles berichtete. Er war misstrauisch und hatte Angst vor den Folgen dieses eiligen Vertrages. Aber die Königin umschmeichelte ihn mit süßen Worten, und rasch vergaß er seine Zweifel und freute sich ebenso sehr wie sie.
Bald darauf wurde die Königin schwanger, und alle hielten den König für den Vater des Kindes, selbst die Königin.
Schließlich schenkte die Königin einer Tochter das Leben, und es wurde ein großes Fest im Schloss abgehalten, und alle, die Rang und Namen hatten im Königreich waren geladen. Auch die dreizehn Mondhexen, die das Land und das Volk mit ihren Zauberkräften beschützten, waren dort, und brachten dem Kind Geschenke und gute Gaben.
Aber eine von ihnen hatte durch Träume und Vorzeichen von der wahren Natur des Kindes erfahren. Als das Fest in höchstem Gange war, schlich sie sich unbemerkt von der Tafel zur Wiege. Dort wollte sie einen Zauber wirken, welcher das Böse aus dem Kind austreiben sollte. Aber die Wachen entdeckten sie.
Sie wurde vor den König geführt und musste sich erklären. Die Hexe erzählte , was sie wusste, aber man schenkte ihr keinen Glauben. Selbst ihre Schwestern lachten sie aus, waren sie doch den Genüssen des Hofes mehr zugetan als den uralten Überlieferungen ihrer Zunft. Der König aber war sehr erbost und ließ die dreizehnte Hexe noch in der gleichen Nacht mit Schimpf und Schande aus dem Königreich jagen.
Das Mädchen wuchs heran, beschützt von den Wachen des Königs und unterrichtet von den Mondhexen, denn sie hatte eine natürliche Begabung für die magischen Künste. Und auch wenn eine Königstochter niemals Hexe sein durfte, so konnte es doch nichts schaden, über derlei Dinge Bescheid zu wissen.
Nach vierzehn Jahren war aus dem Kind eine wunderschöne Frau geworden, und obwohl sie bleich und herzlos war, liebten sie der König und die Königin über alles. Im ganzen Königreich war sie angesehen, auch wenn sie einigen bei Hofe, die sie näher kannten, unheimlich war.
Da ihre Tochter nun im richtigen Alter war, wollten der König und die Königin sie verheiraten. Deswegen reisten sie mit beinahe dem gesamten Hofstaat in ein benachbartes Königreich, mit dem sie schon seit langer Zeit immer mal wieder im Krieg lagen. Sie versprachen sich von dieser Hochzeit einen dauerhaften Frieden und zwei blühende Reiche. Die Königstochter aber blieb mit einem Teil der Leibgarde und einigen Dienern allein im Schloss zurück.
Die dreizehnte Hexe hatte auf einen solchen Moment nur gewartet. Auf ihren Reisen durch ferne Länder hatte sie ihr Wissen und ihre Zauberkraft gemehrt und war schon vor Jahren heimlich in das Königreich zurückgekommen. Seitdem hatte sie das Schloss beobachtet und einen Plan ersonnen.
Die Hexe schlich sich unsichtbar in das Schloss und drang in die Gemächer der Königstochter vor, um ihr eine magische Nadel ins Fleisch zu stoßen, auf das sie in einen Zauberschlaf falle und keine Gefahr mehr darstelle. Die Königstochter aber erwies sich als sehr gerissen und der Magie mächtig, und die Hexe hätte beinahe keinen Erfolg gehabt.
Danach trug sie Furcht und Schrecken unter die Wachen und Diener, auf das sie schreiend und dem Wahnsinn nahe aus dem Schloss flohen. Als alle fort waren, vergrub die Hexe entlang der Mauer Zaubersamen, und über Nacht wuchs daraus eine turmhohe und undurchdringliche Dornenhecke, damit niemand die Königstochter aus ihrem Schlaf erwecken könne.
Die Hexe hielt sich von da an im nahen Wald verborgen, um über das Schloss zu wachen.
Als der König und die Königin mit ihrem Hofstaat zurückkehrten, war das Entsetzen groß. Die Wachen des Königs versuchten vergebens, die Dornenhecke zu zerschlagen oder zu verbrennen. Nicht einmal den herbeigerufenen Mondhexen gelang es einzeln oder zusammen, in das Schloss zu gelangen, den die dreizehnte Hexe störte heimlich, so es nötig war, ihre Zauber.
Der König und die Königin ließen in der nahen Stadt ein neues Domizil errichten. Aber die beiden und das Königreich erholten sich nie von diesem Unglück. Ohne Tochter gab es keine Heirat, und der Krieg mit dem benachbarten Königreich brach erneut aus. Viele Dinge waren auf immer im Schloss verloren, vor allem gelehrte Bücher und nicht zuletzt die Schatzkammern. Hunger, Armut und Seuchen suchten das Königreich heim.
Die Königin gab sich wegen des Vertrages mit der Ratte die Schuld an allem, und sie versank in tiefe Trauer und starb binnen eines Jahres. Alsbald wurde auch der König trübsinnig, hatte er doch Frau und Kind verloren.
Die zwölf Mondhexen befragten ihre Spiegel und Kristallkugeln und erfuhren so von den Taten ihrer heimgekehrten Schwester. Sie begannen, Jagd auf sie zu machen, um sich zu rächen, wenn sie schon nicht den Zauber der Dornenhecke brechen und die Königstochter befreien konnten.
Sie durchsuchten den Wald nach ihr, und es gab manchen Kampf und manches Zauberduell, und wenn auch die dreizehnte Hexe bei weitem die mächtigste war, so war doch die Überzahl zu groß. Ihre Kräfte schwanden rasch, und sie hatte immer mehr Mühe, sich ihrer Schwestern zu erwehren. Viele konnte sie bannen, verwandeln oder erschlagen, doch im Kampf mit den beiden letzten Hexen kam auch sie zu Tode.
Das Reich verfiel zusehends und wurde kleiner, und das Volk wanderte in bessere Landstriche aus. Bald starb auch der König, und das Königreich geriet langsam in Vergessenheit. Das Schloss hinter der Dornenhecke war nun sich selbst überlassen.
Der Teufel hatte das alles über die Jahre mit wachsendem Unmut beobachtet. Er wollte ein stetig wachsendes Reich des Bösen auf Erden haben, mit seiner Tochter als Dunkler Königin, und nun hatte er nur ein halbverfallenes, zugewachsenes Schloss.
Doch so leicht gab der Teufel nicht auf. Er ließ Gerüchte verbreiten von einem verwunschenen Schloss, einer bösen Hexe, ungezählten Schätzen und einer im Zauberschlaf liegenden wunderschönen Königstochter. Nicht alles davon war Lüge.
Viele Prinzen und Helden begaben sich auf die Suche, und sie erhofften sich eine Hochzeit und ein Königreich. Die meisten fanden das Schloss, aber keinem gelang es, die Dornenhecke zu überwinden. Die Klügeren gaben auf und zogen fort, die anderen spießten sich an den Dornen auf oder blieben stecken und verhungerten jämmerlich.
In eine fürchterliche Wut geraten, beschloss der Teufel seinen mächtigsten Streiter zu diesen Zeiten, den Schwarzen Ritter, ein lebendes Skelett in einer schwarzen Eisenrüstung, seine Tochter befreien zu lassen.
Der Schwarze Ritter suchte und fand das Schloss, und mit seinem unheiligen Schwert hackte er mit Leichtigkeit einen Durchgang in die Dornenhecke. Er gelangte in die Gemächer der Königstochter, zog ihr die magische Nadel aus dem Fleisch und erweckte sie somit . Als er aber die bleiche und wunderschöne Königstochter sah, da regte sich ein begehrliches Verlangen in ihm, vielleicht der letzte Rest seiner verderbten Menschlichkeit.
Die Dornenhecke war in der Zwischenzeit wieder zugewuchert, und die Königstochter befahl dem Schwarzen Ritter, ihr einen Weg nach draußen zu hacken. Der aber wollte sie ganz für sich allein haben und fürchtete, sie könne ihn verlassen. Und er kam ihrem Befehl nicht nach.
So wurden die Pläne des Teufels auf der ganzen Linie vereitelt von einer einzelnen Mondhexe, und er verlor nicht nur seine Tochter, sondern auch seinen mächtigsten Streiter.
Und wenn niemand die beiden befreit hat, dann warten sie noch immer dort, hinter der Dornenhecke.
 



 
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