Ein König und eine Königin, die sich seit langem ein Kind gewünscht hatten, bekamen endlich eine Tochter. Ihre Freude darüber war so groß, daß sie ein Fest veranstalteten, das drei Tage dauerte.
Alle Vornehmen des Reiches wurden geladen. Unter ihnen waren auch zwölf Feen und jede von ihnen machte der neugeborenen Prinzessin eine Eigenschaft oder eine Tugend zum Geschenk, die ihr Leben bereichern und sie zu einem glücklichen Menschen machen sollte.
Schönheit nannte da eine, eine andere Klugheit, weitere Gaben waren Bescheidenheit, Anmut, Fleiß und Freundlichkeit.
Gerade als die elfte Fee der kleinen Prinzessin die Tugend der Geduld verliehen hatte, stürmte eine Frau in schwarzen Gewändern in den Saal und unterbrach die feierliche Zeremonie.
Es war eine weitere Fee, die dreizehnte, die im Königreich lebte. Voller Zorn darüber, daß man sie nicht zum Fest geladen hatte, stand sie nun an der Wiege des neugeborenen Mädchens.
"Wenn du fünfzehn Jahre alt bist, sollst du eine Spindel berühren und daran sterben", rief sie. Dann rauschte sie wütend, wie sie gekommen war, zur Tür hinaus.
Die königliche Familie und alle Gäste waren starr vor Entsetzen.
Die zwölfte Fee sagte: "Ich kann diesen schrecklichen Fluch nicht rückgängig machen, will aber versuchen, ihn abzumildern. Die Prinzessin soll nicht sterben, sondern nur in einen hundertjährigen Schlaf fallen."
Am nächsten Tag erließ der König ein Gesetz, das sämtliche Spindeln im ganzen Reich verbot. Trotz dieser Maßnahme schwebte die Drohung der Fee wie ein Schatten über der Kindheit der Königstochter.
Als sie fünfzehn Jahre alt und einmal für einige Stunden unbeaufsichigt war, beschloß sie, im Schloß auf Entdeckungsreise zu gehen. Es war nämlich so, daß die zwölfte Fee ihr eigentlich die Tugend, niemals neugierig zu sein, hatte verleihen wollen, stattdessen aber den Fluch der bösen Fee abgeschwächt hatte. So kam es, daß die Neugierde einer der wenigen Fehler der Prinzessin war.
In einer winzigen Kammer ganz oben in einem der Türme stieß sie auf eine alte Frau, die spann.
"Was machst du da? Was hast du da für ein seltsames Gerät?" rief die Prinzessin.
"Ich spinne Garn", sagte die Alte mit einem eigentümlichen Lächeln.
"Oh, das will ich auch mal versuchen!" rief das Mädchen aus und schon hatte es die Spindel in die Hand genommen. Augenblicklich fiel es in tiefen Schlaf.
Als der König und die Königin ins Schloß zurückkehrten und ihre Tochter nirgends auffindbar war, überfiel sie eine böse Ahnung. Vor Kummer wurden sie krank und schon bald darauf starben beide.
Die Bediensteten verließen das Schloß, das langsam verfiel.
Um das einst so prächtige Gebäude herum wuchs eine Dornenhecke, die es bald völlig überwucherte.
Die Jahre kamen und gingen und die Menschen in der Gegend erzählten sich die Legende von der verwunschenen Königstochter, die im Schloß schlafen und einst von einem Prinzen wachgeküßt werden sollte.
Manch junger Mann versuchte, ins Schloß einzudringen, doch hatten bisher alle ihr Vorhaben nur allzu schnell wieder aufgegeben. Zum einen nahm kaum einer die Geschichte von der schlafenden Prinzessin wirklich ernst genug, um sich dafür seine Kleidung in den Dornen zu ruinieren, zum anderen hatten sich die Zeiten geändert und boten eine Fülle vergnüglicherer Freizeitaktivitäten, die weniger Anstrengung erforderten.
Wahrscheinlich hätte auch der junge Reisende, der an einem klaren Herbsttag zu den Schloßtürmen aufsah, bald einen Rückzieher gemacht, wäre ihm nicht der Zufall zu Hilfe gekommen.
Der Jüngling war zwar kein Prinz - echte Prinzen gab es nur noch ausgesprochen selten - doch war er immerhin adliger Abstammung und verfügte über genügend Vermögen, um recht sorglos leben zu können.
Als er nun an die Dornenhecke herantrat, traute er seinen Augen nicht.
"Wow!" rief er verblüfft aus. Denn die Zweige bogen sich vor ihm auseinander, so daß sie einen bequemen Durchgang bildeten.
Genau an jenem Tag waren nämlich die hundert Jahre abgelaufen und der Fluch begann, unwirksam zu werden.
"Das ist ja leichter, als ich gedacht habe", murmelte der junge Mann. "Jetzt brauche ich nur noch reinzugehen, die Prinzessin wachzuküssen, und schon kann ich sie heiraten!"
Doch dann zögerte er.
"Aber halt, will ich das eigentlich - eine Frau, die die letzten hundert Jahre verschlafen und nichts mitgekriegt hat? Sie hat ja keine Ahnung, was auf der Welt los ist.
Andererseits sind Frauen, die immer und überall den Durchblick haben und alles besser wissen, manchmal auch recht lästig.
Es könnte sogar Vorteile haben, wenn sie ein bißchen altmodisch ist. Vielleicht kann sie kochen wie Oma! Ich hab es sowieso satt, ständig Hamburger und Pizza zu essen. Und auf jeden Fall ist sie nach hundert Jahren Schlaf ordendlich ausgeruht - wenn ich sie heirate, könnte ich mir das Geld für die Putzfrau sparen und die Schmutzwäsche bräuchte ich zum Waschen und Bügeln auch nicht mehr wegzugeben.
Ha, je länger ich darüber nachdenke, umso mehr glaube ich, daß so eine verwunschene Prinzessin eine tolle Partie ist!"
Versonnen zog er an seiner Zigarette.
"Hm, vielleicht sollte ich nicht gleich beim Wachküssen einen schlechten Eindruck auf sie machen. Wie die meisten unmodernen Frauen wird sie was gegen Zigarettenrauch haben..."
Seufzend drückte er seine Camel im Geäst aus, um sich gleich darauf einen Kaugummi in den Mund zu stecken. So machte er sich auf den Weg durch die Dornen.
Durch den beißenden Qualm war ein Täubchen wach geworden, das in der Hecke geschlafen hatte. Es hörte das Selbstgespräch mit an und flatterte dann aufgeregt in den Innenhof des Schlosses. Da schliefen seit hundert Jahren ein paar Hühner.
"Alarm!" gurrte das Täubchen. "Gefahr für die Prinzessin!"
Das riß die Hühner aus dem Schlaf, sie gackerten und pickten auf den Hahn ein, bis dieser ebenfalls erwachte.
"Alarm! Gefahr!"
Der Hahn flog hinauf zum höchsten Turm und durch das Fenster der Kammer, in der die Königstochter lag.
"Kikeriki!" krähte er, so laut er konnte. "Wach auf! Gefahr! Hau ab, hau ab!"
Die Prinzessin schreckte auf und wußte kaum, wie ihr geschah. Noch schlaftrunken purzelte sie die steile Treppe mehr hinunter als sie lief, rannte aus dem Schloß und verschwand in der Dornenhecke, die sich für sie öffnete und hinter ihr wieder schloß.
Die einzigen Lebewesen, auf die der junge Mann bei seiner Suche im Schloß stieß, waren Mäuse, Ratten und Spinnen. Von einer Prinzessin keine Spur.
Ärgerlich kickte er in der Schloßküche einen rostigen Blecheimer an die Wand.
"Scheiße!" sagte er . "Und jetzt nichts wie raus hier, sonst merkt noch jemand, daß ich auf diese blöde Story reingefallen bin. Ich bin nicht wild darauf, mich auslachen zu lassen."
Für die Königstochter war es anfangs nicht leicht, sich in der Welt zurechtzufinden. Vieles hatte sich in den vergangenen hundert Jahren verändert - für Prinzessinnen hatte man keine Verwendung mehr.
Daß sie jedoch eine gehörige Portion Neugier besaß, kam ihr nun zugute: Allem Ungewohnten gegenüber war sie aufgeschlossen und stets bereit, Neues zu lernen.
Da sie sich seit ihrem Erlebnis mit der Spindel für Garn und Stoffe interessierte und obendrein geschickte Hände besaß, ging sie zu einem Schneider in die Lehre. Später absolvierte sie eine Fachschule für Modedesign und entwarf Modelle für eine große Bekleidungsfirma. Ihr Beruf machte ihr Freude und durch ihre offene und fröhliche Art war sie bei den Menschen beliebt.
Obwohl ihr Leben niemals so bequem und luxuriös wurde, wie es sich für eine richtige Märchenprinzessin gehört hätte, war sie stets guten Mutes und wurde zu einer zufriedenen und selbstbewußten jungen Frau.
Nur manchmal bedauerte sie es, niemals von einem Prinzen wachgeküßt worden zu sein, und sie erfuhr nie, daß dies eigentlich zu ihrem besten gewesen war.
Alle Vornehmen des Reiches wurden geladen. Unter ihnen waren auch zwölf Feen und jede von ihnen machte der neugeborenen Prinzessin eine Eigenschaft oder eine Tugend zum Geschenk, die ihr Leben bereichern und sie zu einem glücklichen Menschen machen sollte.
Schönheit nannte da eine, eine andere Klugheit, weitere Gaben waren Bescheidenheit, Anmut, Fleiß und Freundlichkeit.
Gerade als die elfte Fee der kleinen Prinzessin die Tugend der Geduld verliehen hatte, stürmte eine Frau in schwarzen Gewändern in den Saal und unterbrach die feierliche Zeremonie.
Es war eine weitere Fee, die dreizehnte, die im Königreich lebte. Voller Zorn darüber, daß man sie nicht zum Fest geladen hatte, stand sie nun an der Wiege des neugeborenen Mädchens.
"Wenn du fünfzehn Jahre alt bist, sollst du eine Spindel berühren und daran sterben", rief sie. Dann rauschte sie wütend, wie sie gekommen war, zur Tür hinaus.
Die königliche Familie und alle Gäste waren starr vor Entsetzen.
Die zwölfte Fee sagte: "Ich kann diesen schrecklichen Fluch nicht rückgängig machen, will aber versuchen, ihn abzumildern. Die Prinzessin soll nicht sterben, sondern nur in einen hundertjährigen Schlaf fallen."
Am nächsten Tag erließ der König ein Gesetz, das sämtliche Spindeln im ganzen Reich verbot. Trotz dieser Maßnahme schwebte die Drohung der Fee wie ein Schatten über der Kindheit der Königstochter.
Als sie fünfzehn Jahre alt und einmal für einige Stunden unbeaufsichigt war, beschloß sie, im Schloß auf Entdeckungsreise zu gehen. Es war nämlich so, daß die zwölfte Fee ihr eigentlich die Tugend, niemals neugierig zu sein, hatte verleihen wollen, stattdessen aber den Fluch der bösen Fee abgeschwächt hatte. So kam es, daß die Neugierde einer der wenigen Fehler der Prinzessin war.
In einer winzigen Kammer ganz oben in einem der Türme stieß sie auf eine alte Frau, die spann.
"Was machst du da? Was hast du da für ein seltsames Gerät?" rief die Prinzessin.
"Ich spinne Garn", sagte die Alte mit einem eigentümlichen Lächeln.
"Oh, das will ich auch mal versuchen!" rief das Mädchen aus und schon hatte es die Spindel in die Hand genommen. Augenblicklich fiel es in tiefen Schlaf.
Als der König und die Königin ins Schloß zurückkehrten und ihre Tochter nirgends auffindbar war, überfiel sie eine böse Ahnung. Vor Kummer wurden sie krank und schon bald darauf starben beide.
Die Bediensteten verließen das Schloß, das langsam verfiel.
Um das einst so prächtige Gebäude herum wuchs eine Dornenhecke, die es bald völlig überwucherte.
Die Jahre kamen und gingen und die Menschen in der Gegend erzählten sich die Legende von der verwunschenen Königstochter, die im Schloß schlafen und einst von einem Prinzen wachgeküßt werden sollte.
Manch junger Mann versuchte, ins Schloß einzudringen, doch hatten bisher alle ihr Vorhaben nur allzu schnell wieder aufgegeben. Zum einen nahm kaum einer die Geschichte von der schlafenden Prinzessin wirklich ernst genug, um sich dafür seine Kleidung in den Dornen zu ruinieren, zum anderen hatten sich die Zeiten geändert und boten eine Fülle vergnüglicherer Freizeitaktivitäten, die weniger Anstrengung erforderten.
Wahrscheinlich hätte auch der junge Reisende, der an einem klaren Herbsttag zu den Schloßtürmen aufsah, bald einen Rückzieher gemacht, wäre ihm nicht der Zufall zu Hilfe gekommen.
Der Jüngling war zwar kein Prinz - echte Prinzen gab es nur noch ausgesprochen selten - doch war er immerhin adliger Abstammung und verfügte über genügend Vermögen, um recht sorglos leben zu können.
Als er nun an die Dornenhecke herantrat, traute er seinen Augen nicht.
"Wow!" rief er verblüfft aus. Denn die Zweige bogen sich vor ihm auseinander, so daß sie einen bequemen Durchgang bildeten.
Genau an jenem Tag waren nämlich die hundert Jahre abgelaufen und der Fluch begann, unwirksam zu werden.
"Das ist ja leichter, als ich gedacht habe", murmelte der junge Mann. "Jetzt brauche ich nur noch reinzugehen, die Prinzessin wachzuküssen, und schon kann ich sie heiraten!"
Doch dann zögerte er.
"Aber halt, will ich das eigentlich - eine Frau, die die letzten hundert Jahre verschlafen und nichts mitgekriegt hat? Sie hat ja keine Ahnung, was auf der Welt los ist.
Andererseits sind Frauen, die immer und überall den Durchblick haben und alles besser wissen, manchmal auch recht lästig.
Es könnte sogar Vorteile haben, wenn sie ein bißchen altmodisch ist. Vielleicht kann sie kochen wie Oma! Ich hab es sowieso satt, ständig Hamburger und Pizza zu essen. Und auf jeden Fall ist sie nach hundert Jahren Schlaf ordendlich ausgeruht - wenn ich sie heirate, könnte ich mir das Geld für die Putzfrau sparen und die Schmutzwäsche bräuchte ich zum Waschen und Bügeln auch nicht mehr wegzugeben.
Ha, je länger ich darüber nachdenke, umso mehr glaube ich, daß so eine verwunschene Prinzessin eine tolle Partie ist!"
Versonnen zog er an seiner Zigarette.
"Hm, vielleicht sollte ich nicht gleich beim Wachküssen einen schlechten Eindruck auf sie machen. Wie die meisten unmodernen Frauen wird sie was gegen Zigarettenrauch haben..."
Seufzend drückte er seine Camel im Geäst aus, um sich gleich darauf einen Kaugummi in den Mund zu stecken. So machte er sich auf den Weg durch die Dornen.
Durch den beißenden Qualm war ein Täubchen wach geworden, das in der Hecke geschlafen hatte. Es hörte das Selbstgespräch mit an und flatterte dann aufgeregt in den Innenhof des Schlosses. Da schliefen seit hundert Jahren ein paar Hühner.
"Alarm!" gurrte das Täubchen. "Gefahr für die Prinzessin!"
Das riß die Hühner aus dem Schlaf, sie gackerten und pickten auf den Hahn ein, bis dieser ebenfalls erwachte.
"Alarm! Gefahr!"
Der Hahn flog hinauf zum höchsten Turm und durch das Fenster der Kammer, in der die Königstochter lag.
"Kikeriki!" krähte er, so laut er konnte. "Wach auf! Gefahr! Hau ab, hau ab!"
Die Prinzessin schreckte auf und wußte kaum, wie ihr geschah. Noch schlaftrunken purzelte sie die steile Treppe mehr hinunter als sie lief, rannte aus dem Schloß und verschwand in der Dornenhecke, die sich für sie öffnete und hinter ihr wieder schloß.
Die einzigen Lebewesen, auf die der junge Mann bei seiner Suche im Schloß stieß, waren Mäuse, Ratten und Spinnen. Von einer Prinzessin keine Spur.
Ärgerlich kickte er in der Schloßküche einen rostigen Blecheimer an die Wand.
"Scheiße!" sagte er . "Und jetzt nichts wie raus hier, sonst merkt noch jemand, daß ich auf diese blöde Story reingefallen bin. Ich bin nicht wild darauf, mich auslachen zu lassen."
Für die Königstochter war es anfangs nicht leicht, sich in der Welt zurechtzufinden. Vieles hatte sich in den vergangenen hundert Jahren verändert - für Prinzessinnen hatte man keine Verwendung mehr.
Daß sie jedoch eine gehörige Portion Neugier besaß, kam ihr nun zugute: Allem Ungewohnten gegenüber war sie aufgeschlossen und stets bereit, Neues zu lernen.
Da sie sich seit ihrem Erlebnis mit der Spindel für Garn und Stoffe interessierte und obendrein geschickte Hände besaß, ging sie zu einem Schneider in die Lehre. Später absolvierte sie eine Fachschule für Modedesign und entwarf Modelle für eine große Bekleidungsfirma. Ihr Beruf machte ihr Freude und durch ihre offene und fröhliche Art war sie bei den Menschen beliebt.
Obwohl ihr Leben niemals so bequem und luxuriös wurde, wie es sich für eine richtige Märchenprinzessin gehört hätte, war sie stets guten Mutes und wurde zu einer zufriedenen und selbstbewußten jungen Frau.
Nur manchmal bedauerte sie es, niemals von einem Prinzen wachgeküßt worden zu sein, und sie erfuhr nie, daß dies eigentlich zu ihrem besten gewesen war.