Drei braune Haufen

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Lars Lang

Mitglied
Drei braune Haufen

Vierzig Meter lang und etwa halb so breit, mit drei alten Obstbäumen, einigen Gemüsebeeten, ungepflegten Rasenstücken und einem mit Moos bewachsenem Steinplattenweg, der zu der windschiefen Hütte führte – das war sein Garten. Das Ganze eingezäunt mit einem Maschendrahtzaun, der auch schon bessere Tage gesehen hatte. Bei Ostwind stank der kleine Komposthaufen mit der Hütte und ihrem Besitzer um die Wette und überdeckte selbst den schweren Blütenduft der anderen Nachbargärten. Das Schlimmste jedoch war er selbst: in Jogginghose und Unterhemd schlurfte er tagein tagaus scheinbar ziellos durch sein Revier, ohne wirklich etwas entscheidend zu bearbeiten. Er hatte einfach kein anderes Zuhause mehr und sein Ehrgeiz, dieses Stückchen Land zu beackern, war wohl schon vor vielen Jahren erloschen, und da er nie Besuch erhielt, war es ihm ohnehin egal. Dabei waren die Möglichkeiten durchaus verlockend. Die Obstbäume hingen Jahr für Jahr voll, doch er ließ die Früchte am Boden verrotten, was etliche Schädlinge und weitere Geruchsbelästigungen mit sich brachte. Bodennahe Früchte konnte er nicht mehr ernten, denn er hatte es im Rücken und wäre nie wieder allein in eine aufrechte Haltung zurück gelangt.
Den Beweis dafür erhielt ich dann vor wenigen Wochen. Es war ein Sonntag, der tatsächlich seinem Namen alle Ehre machte, an dem er einfach vornüber in seinen von morschen Brettern eingezäunten Komposthaufen fiel. Das Gesicht verschwand dabei vollkommen in der breiigen Masse, die er noch vor wenigen Minuten aus seinem Kochtopf gekratzt hatte, und das Geräusch, das bei seiner weichen Landung entstand, erinnerte mich an einen umfallenden Sack Blumenerde.
Wie es der Zufall wollte, stand ich zu diesem Zeitpunkt an meinen Stachelbeerbüschen. Ich konnte seine letzte Bewegung aus dem Augenwinkel beobachten, und ich sah noch etwas: Schulze, der sich auf der anderen Seite auf seinen Rechen stützte und mit einem kaum merklichen Grinsen den letzten Sturz unseres gemeinsamen Nachbarn verfolgte. Unsere Blicke trafen sich für einen Moment, fast so, als würden wir uns in einem Western duellieren, und ich konnte seine Gedanken lesen.

Jetzt wird er mir gehören! Ich hatte genügend Gründe, Schulze mehr zu hassen als meinen frisch verstorbenen Nachbarn. Er zupfte ständig Unkraut, polierte täglich seine Gartenzwergarmee und frisierte seine Büsche wie Königspudel. Sein Gartenhaus war die Nachbildung einer kleinen Villa, auf dessen Dach die Imitation eines Hahns zu jeder vollen Stunde blechern kikerikite. Er war einfach widerlich vorbildlich sauber und ich hasste ihn plötzlich abgrundtief. Seit der magere Körper im Nachbargarten zwischen die Regenwürmer gefallen war, hatte ich einen neuen Nachbarn, auch wenn uns noch ein Stück Niemandsland trennte. Jetzt fixierten wir uns über die Zäune hinweg, wie die Soldaten im ersten Weltkrieg. Jeder in seinem Graben. Niemand bewegte sich. Der laue Wind trieb eine süßsaure Wolke zu mir, obwohl der alte Mann doch erst vor Sekunden gestorben war.

Mir wurde klar, dass ich die Leiche entsorgen müsste. Niemand würde nach ihm fragen. Ich würde den Zaun abreißen, die Hütte, dann etwas Arbeit in das Grundstück stecken… Schulze konnte meine Gedanken lesen. In seinem spärlich behaarten Kopf arbeitete sein Hirn auf Hochtouren. Dann ließ er – gegen seine Gewohnheit – sein Werkzeug einfach in sein Tulpenbeet fallen und lief so schnell, wie es sein unförmiger Körper erlaubte, in seine Gartenbehausung. Wenige Minuten später hörte ich, wie sich das Klappern seiner Schreibmaschine mit dem Brummen der Schmeißfliegen auf dem Kompost vermischte. Endlich spannte er den Bogen Papier aus und lief mit einem kleinen Tintenfass in meinen Nachbargarten. Er beuge sich vorsichtig über meinen noch lauwarmen Exnachbarn und bestrich seinen Daumen mit dunkler Tinte. Noch während er den leblosen Finger über das Papier rollte, grinste er mich schadenfroh an. Dann säuberte er peinlich genau den Daumen, in diesem Bereich hatte er ja einige Übung.
Ich aber war zu langsam. Mir blieb nur die Rolle des Zuschauers. Und so musste ich mit ansehen, wie Schulze in den nächsten Tagen den Zaun zu seinem Garten abriss und Stück für Stück den Boden bearbeitete. Hätte die Polizei mir geglaubt? Sicher nicht. So beschloss ich, die Geschichte auf meine Art zu lösen. Ich wartete, bis Schulze eines Tages zufrieden grinsend in seinem nun vergrößerten Mustergarten stand, dann endlich wurde ich aktiv. Eine ganze Nacht arbeitete ich wie besessen. Am nächsten Morgen ließ ich mich müde auf meinen Plastikliegestuhl fallen und wartete auf Mister Gartenzwerg. Endlich watschelte er heran, schloss seine Gittertür auf und blickte sich zufrieden um. Dann sah er die drei lockeren braunen Erdhaufen, die mein Verbündeter in der letzten Nacht aufgewühlt hatte und vergas dabei, seine Gesichtszüge zu kontrollieren. Und während ihm der Schweiß ausbrach und er sich an sein ohnehin kränkelndes Herz griff, erlaubte ich mir ein breites Grinsen, denn ich hatte soeben Feindesland erobert. Als ich müde aber glücklich die Augen schloss, hörte ich einen sehr großen Sack Blumenerde umfallen.
 



 
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