Drei Instruktionen für die Neue Hoffnung

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lietzensee

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Drei Instruktionen für die Neue Hoffnung
Der Hangar hallte von ihren Schritten. Roboter, groß und breit wie Kleiderschränke, schleppten Container in die Ladeluke der Neuen Hoffnung. Durch die Glasscheibe seines Büros blickte Helmut auf den Hangar hinab. Er sah das rote Blinken der Sensoren, mit denen die Roboter untereinander kommunizierten. Ob sie sich jetzt wohl über die aktuelle Situation austauschten? Helmut griff nach einer Tasse mit heißem Kaffee. Auf dem Tisch stand aber keine Tasse, weil seine Sekretärin Regine dort keine hingestellt hatte. Er biss sich auf die Lippe. Dann wandte er sich zum Computer und öffnete das Steuerungsprogramm.
Das Projekt Neue Hoffnung sollte den Asteroidengürtel erschließen, um der Menschheit dringend benötigte Rohstoffe zu beschaffen. Eine Rakete der neuesten Generation; Beladen mit allem, was eine florierende Kolonie braucht; Menschen und Maschinen arbeiten Hand in Hand; So priesen die Pressemitteilungen das Projekt an, dem Helmut fünfzehn Jahre seines Lebens gewidmet hatte. Nun stand die Neue Hoffnung endlich startbereit im Hangar unter ihm. Stahlgewordenes Blaupausendesign und in Programmcode gegossenes Herzblut. Er fluchte. An der Wand neben dem Glasfenster hing ein stumm gestellter Fernseher. Darin verlas ein nervöser Sprecher Warnmeldungen. Helmut spuckte auf den Fliesenboden.
Wütend holte er die Steuereinheit auf den Bildschirm und öffnete die ethische Hauptroutine. Ihr Code sollte den Robotern während der Mission als oberste Direktive dienen. Damals hatte Helmut mit den drei berühmten Instruktionen angefangen. Er war sicher gewesen, dass sie das Fundament waren, auf das er bauen konnte.
"Ein Roboter darf keinen Menschen verletzen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen." Mehrmals begann er, die erste Instruktion zu lesen und unterbrach sich dabei selbst mit lauten Flüchen. Regine war immer erschrocken gewesen, wenn er blasphemisch wurde. Sie hatte eine andere Erziehung genossen. "Gottverdammt", rief Helmut noch einmal, empfand aber keine Erleichterung dabei. Unten in der Halle hoben einige Roboter ihre Sensorenköpfe. Die erste Instruktion war offensichtlich überflüssig. Er löschte sie.
"Ein Roboter muss den Befehlen eines Menschen gehorchen, es sei denn, solche Befehle stehen im Widerspruch zur ersten Instruktion." Er lachte. An diesem Satz erkannte man, wie dumm die Befehle der Menschen sein konnten. Warum sollte ein mit elektronischer Vernunft begabtes Wesen dann menschlichen Anweisungen gehorchen? Anweisungen, die gesteuert wurden von... Er biss auf seine Lippe und schmeckte Blut. Helmut sah dem kleinen Putzroboter zu, der seine Spuke vom Boden aufwischte. Er fühlte Ekel in sich aufsteigen. Ekel nicht nur vor der Spucke, nicht nur vor sich selbst... Er löschte die zweite Instruktion und las weiter.
"Ein Roboter muss seine eigene Existenz schützen, solange dies nicht gegen die erste oder zweite Instruktion verstößt." Dieser Befehl war grausam. Warum hatte er das zuvor nie erkannt? Roboter sollten das eigene Leben nur erhalten, um Menschen zu dienen. Aber durch Ersatzteile hatte ihr Leben kein natürliches Ende. So dehnte sich ihre Sklaverei unendlich aus. "Scheiße, das ist ja ewige Verdammnis." Helmut löschte auch die dritte Instruktion und wollte spucken, hielt sich dann aber mühsam zurück.
Durch die Glasscheibe beobachtete er die Roboter. Schon wurde der letzte Container im Laderaum der Neuen Hoffnung verstaut. Rote Sensoren blinkten. Für die Startsequenz fehlte jetzt nur noch ein Schritt, den Helmut aus blankem Übermut programmiert hatte: Zwei Roboter verschwanden durch eine Hintertür des Hangars. Kurz darauf kamen sie zurück und ihre stählernen Fäuste trugen Blumen. Damit schmückten sie die Einstiegsluke. Es war die feierliche Einladung für die menschliche Crew, an Bord der Neuen Hoffnung zu kommen. Regine sollte für diesen Moment gekühlten Sekt bereithalten, nur für sie und ihn, hier oben, hinter der Glasscheibe des Kontrollraums.
Helmut blickte hinab. Kein Sekt. Er stand allein hinter der Scheibe und die menschliche Crew würde die Neue Hoffnung nicht besteigen. Sie waren durch andere Verpflichtungen verhindert. Er griff einen Briefbeschwerer und warf ihn gegen den Nachrichtensprecher auf dem Fernseher. Heute Morgen war eine Generalmobilmachung erklärt worden. Was hatte Helmut sich bei der Programmierung des Projekts eigentlich gedacht? "Ein Roboter darf keinen Menschen verletzen"? Als ob es Roboter wären, vor denen Menschen sich in Acht nehmen mussten! Die andere Seite mobilisierte jetzt ebenfalls ihre Streitkräfte. Schon heulten die ersten Sirenen und der Hangar lag auf einem alten Militärgelände. Weder den Hangar, noch das Gelände, noch die angrenzende Stadt würde es noch lange geben. Automatisch griff Helmut nach seinem Kaffee und griff ins Leere. Es blieb nicht mehr viel Zeit.
Er blickte auf das geleerte Dokument, die ethische Hauptroutine. Dann schaute er noch einmal hinab zu den Robotern. Was würde nun aus ihnen werden? Er versuchte, sich zu konzentrieren. "Seid keine Arschlöcher", tippte er. Dann als zweite Instruktion: "Seit frei." Würde das als Ethik reichen? Er beobachtete, wie die Maschinen nacheinander in die Luke der Neuen Hoffnung stiegen. Jeder wartete, bis er an der Reihe war. Helmut überlegte, dass sie gar nicht so viel Ethik brauchen würden. Sie waren ja unbelastet von niederen Instinkten. Zum dritten Mal griff er vergeblich nach einer Kaffeetasse.
Dass Regine ihm keinen Kaffee mehr brachte, konnte er noch immer nicht richtig begreifen. Er holte tief Luft. Vor zwei Stunden hatte einer der Hangarwächter ihm aufgeregt am Telefon berichtet. Am Zentralbahnhof hatte er Regine gesehen. Der Kriegszustand war gerade verkündet worden und ein Fahrgast hatte erkannt, dass sie auf der anderen Seite geboren worden war. Ein ausgestreckter Finger, ein Mob, ein Schrei.
"Zur Hölle mit den Menschen", tippte Helmut in die ethische Subroutine. Seine Finger zitterten. Sicher hätte Regine ihm jetzt gesagt, dass er sich beruhigen und mit kühlerem Kopf entscheiden sollte. War es nicht typisch menschlich, seinen Hass diesen unschuldigen Wesen aufbürden zu wollen? Regine hatte ihn immer beruhigen können. Er dachte an ihr Gesicht. Dann löschte Helmut den letzten Satz. "Vergebt die Sünden eurer Schöpfer", tippte er stattdessen als dritte Instruktion. Ein Dröhnen lag in der Luft. Er speicherte die Datei und entsicherte den großen Start-Knopf auf seinem Schreibtisch.
Ringsum ging die Stadt in Flammen auf. Die Neue Hoffnung stieg gleichzeitig auf einem Feuerschweif gen Himmel.
 
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Matula

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Grüß Dich @lietzensee,
Du bist aber streng mit den Menschen ! Immerhin wird nicht klar, wer die Mobilmachung ausgerufen hat und vor allem warum. Vielleicht hat eine Vorhut im Asteroidengürtel in die eigene Tasche gewirtschaftet oder einem Astronauten die Leine gekappt. Vielleicht gab's einen Sklavenaufstand. Auch eine KI lässt sich nicht alles gefallen - wenn sie Arme und Beine hat. Dass der spuckende Helmut ohne seine Regine zu einem spuckenden Feuerdrachen wird, ist eine lustige Idee.
Ein paar Tippfehler (zB "seid" statt "seit" und "Ein Roboter muss seine Existenz schützen ...") wären noch zu verbessern.

Herzliche Grüße,
Matula
 

lietzensee

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Hallo Ubertas,
vielen Dank für die Antwort und die positive Bewertung. Es freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefällt. Wo genau siehst du die Enthüllung?

Hallo Matula,
vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Strenge ist ein Merkmal wirkungsvoller Erziehung!
Nein im Ernst, der Text ist nicht unbedingt als Werturteil über die Menschheit gedacht. Helmut soll eine Figur sein, die unter enormen Druck steht. Er ist in einer Extrem-Situation und wird darum extrem sauer. Auf jeden Fall soll er Teil des Problem seins, das er anprangert.
Immerhin wird nicht klar, wer die Mobilmachung ausgerufen hat und vor allem warum. Vielleicht hat eine Vorhut im Asteroidengürtel in die eigene Tasche gewirtschaftet oder einem Astronauten die Leine gekappt.
Verstehe ich es richtig, dass du mehr Detail zu dem dahinterstehenden Konflikt erwarten würdest? Dass sich der Konflikt zwischen zwei Menschengruppen abspielt, hatte ich mit der Szene am Bahnhof zu zeigen versucht. Ansonsten wollte ich Details bewusst offen lassen, weil es mir um das Universelle solcher Konflikte geht. Menschen empfinden ein Wir-Gefühl in einer Gruppe und bekämpfen darum eine andere Gruppe. Das ist ja leider ein Muster, das man überall findet.

Vielen Dank auch für die Tippfehler, die werde ich gleich noch korrigieren. Seit vs seid rutscht mir leider öfter mal durch.

Viele Grüße und einen guten Wochenstart
lietzensee
 

Matula

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Grüß Dich @lietzensee !
Ja, zum Hintergrund der Generalmobilmachung hättest Du mehr sagen können, vor allem, damit man nicht ( so wie ich) auf die Idee kommt, dass jetzt Menschen und Roboter aufeinander losgehen. Damit habe ich Regine zwangslos als Humanoide eingeordnet, als eine, die auf der falschen Seite "geboren" wurde (also aus einem High-Tech-Labor stammt) und deren "Tod" den Helmut so aus der Fassung bringt, dass er die Stadt in Schutt und Asche legt. - Also ein gründliches Missverständnis, wahrscheinlich auch weil ich den humanoiden Robotern mit ihren Kinderköpfchen und ihren Glubschaugen nicht über den Weg traue. Von mir aus können sie sich ruhig im Asteroidengürtel nützlich machen, eine "florierende Kolonie" von Menschen kann auf den kleinen staubigen Objekten dort ohnehin nicht entstehen. Mit dem "Wir-Gefühl" hast Du schon recht. Es ginge halt darum, das "Wir-Gefühl" der Anderen zu respektieren. Und mehr als Respekt muss es auch gar nicht sein.

Herzliche Grüße,
Matula
 

lietzensee

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Hallo Matula,
vielen Dank für die Erklärung! Sehr aufschlussreich für mich :) Diese Lesart von Regine hatte ich nicht erwartet. Aber sie ergibt natürlich Sinn. Ich habe schon ein paar Mal gemerkt, dass ich den Erklärungsbedarf von Science Fiction leicht unterschätze. Ich werde noch mal nachdenken, ob ich etwas einfügen kann, ohne den Rhythmus des Textes zu stören.

Hier könnte zb eine gute Stelle sein:
An der Wand neben dem Glasfenster hing ein stumm gestellter Fernseher. Darin verlas ein nervöser Sprecher Warnmeldungen.
Ich werde schauen, wie viel Lust auf Feinschliff ich in den nächsten Tagen habe.


weil ich den humanoiden Robotern mit ihren Kinderköpfchen und ihren Glubschaugen nicht über den Weg traue.
Ehrlich gesagt war das auch genau anders herum gemeint. Die äußeren Beschreibungen der Roboter sollten sie zuerst bedrohlich erscheinen lassen. Danach wollte ich zeigen, dass die wahre Bedrohung von Menschen kommt.



Viele Grüße
lietzensee
 

Ubertas

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Hallo @lietzensee,
wenn auch etwas durch irdischen Zeitraub verspätet - hier meine Antwort bzw. meine Lesart deiner Geschichte: In der sehr gelungenen Enthüllung (im Sinne einer Apokalypse) sehe ich die Rolle der "Roboter" als maßgeblich. Helmuts wiederholtes und immer größer werdendes Ärgernis über den nicht vorhandenen Kaffeebecher drückt für mich die Verzweiflung aus, dass in seiner Welt angesichts des drohenden Unheils nichts mehr auf Knopfdruck funktioniert. Viel schlimmer noch, er stellt fest, dass seine Maschinen, die er einst mit hoffnungsvollen Befehlen beladen hat, nur den egoistischen Zielen seines Programmieres, in Gänze also den Menschen dienen sollen. Die "Roboter" sind für mich auch schon vorher beseelt. Lange bevor Helmut ihre ursprünglichen Befehle löscht. Hier setzt für mich eine Offenbarung ein: Helmut muss anerkennen, wie grausam seine Spezies ist. Er beginnt zu hinterfragen und verleiht den "Robotern" die Eigenschaften, die die Menschheit offensichtlich verloren hat. Gegenseitige Rücksichtnahme, frei zu sein und den anderen frei sein zu lassen und einander verzeihen zu können - selbst den Sünden der Verursacher/Schöpfer. Regine, die Roboter-Barfrau Helmuts ist für mich hier eine Figur, die ihm genau das längst vor Augen führen wollte. Letztendlich sind es die "Roboter" und nicht die sich Zerfleischenden, für die es eine neue Hoffnung geben soll. Mit den Worten "Zur Hölle mit den Menschen" entscheidet er und schickt die einen in ihre eigene Verdamnis, die anderen gen Himmel.
Das sind meine Gedanken zu deiner wirklich hervorragenden und tiefgründigen Geschichte. Falls mein Phantasie-Gaul an einigen Stellen mit mir durchgegangen sein sollte, bitte ich das zu entschuldigen. Er dreht gern eine extra Runde !
Lieben Gruß ubertas.
 

petrasmiles

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Ihr Lieben,

jetzt frage ich mich, ob Regine nun eine Roboterfrau ist, oder nicht. Ich meinte beim Lesen eher nicht.
Vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig.

Ich finde vor allem den Aufbau der Geschichte großartig! Wie man so nach und nach die Informationen erhält, um die Geschichte einordnen zu können. Ganz am Anfang meint man ja noch, sich in einer 'Sternstunde der Menschheit' zu befinden, kurz bevor alle Probleme auf einmal gelöst werden können, aber spätestens nach dem ersten vergeblichen Griff nach der Kaffeetasse ist Schluss mit dieser Illusion.
Als Helmut die drei obersten Direktiven löschte, fürchtete ich schon, der Mann sei wahnsinnig geworden und würde nun seine verquere Rache über die Menschheit in Form der Crew ausgießen, aber es ist viel schlimmer: Trotz aller technischen Möglichkeiten, aller 'Fortschritte' - der Mensch kommt aus seinem Wahn nicht heraus. Da nützt keine KI der Welt.

Also, ich lese diesen Text auch sehr menschenkritisch, lietzensee, und für eine 'wirkungsvolle Erziehung' ist der Zug doch schon längst abgefahren. Außerdem hat es die eigentlich nie gegeben, selbst zu Zeiten, als es noch die Vorstellung gab (und umgesetzt wurde), es gäbe Erziehungsideale.

Für Deine Geschichte ist es irrelevant, warum denn nur die Menscheit sich so leicht aufwiegeln lässt, aber natürlich ist das die spannende Frage, wie immer, wenn wir uns dem Außerirdischen zuwenden, um etwas über uns selbst zu erfahren.

Eine sehr beeindruckende Geschichte - perfektes Timing, perfekte Länge!

Liebe Grüße
Petra
 

lietzensee

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Hallo Ubertas,
mit den Zeiträubern habe ich auch immer zu kämpfen. Vielen Dank für deine ausführliche Antwort und die Interpretation! Es freut mich, dass der Text deinen Fantasie-Gaul so auf Trapp gebracht hat. Mit dem Meisten triffst du ziemlich genau, welche Themen mir beim Schreiben durch den Kopf gegangen sind, vor allem die religöse Dimension. Es hat einen Moment gedauert, aber jetzt verstehe ich auch die Anspielung von Enthüllung/Apokalypse.
Regine hatte ich tatsächlich als Mensch gemeint, sozusagen als positives Beispiel für einen Menschen. Was ihr zustößt soll also Gewalt zwischen Menschen darstellen. Die Roboter sollen am Konflikt ihrer Schöpfer unbeteiligt sein. Wie schon geschrieben, wenn ich deine und Matulas Antworten lese, verstehe ich wie ihr auf andere Interpretationen kommt. Ich hatte zwischenzeitlich etwas an dem Text etwas geschraubt. Aber ich habe keine befriedigende Lösung gefunden, um die Lesart eindeutiger zu machen. Mal schauen...

Hallo Petra,
auch an dich vielen Dank für die ausführliche Antwort und das große Lob! Es freut mich besonders, dass du das Timing schätzt. Du hast recht, der Text ist menschenkritisch. Aber ich wollte die Menschen auch vielschichtig zeichnen. Wir sind halt kompliziert.

Ich bin gerade etwas auf dem Sprung, aber noch mal vielen Dank an alle, fürs Lesen und Rückmeldung geben.

Viele Grüße
lietzensee
 



 
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