Drei Zimmer, Küche, Bad

Zwei Jahre habe ich in dieser möblierten Wohnung in Moabit gelebt. Der Blick ging über den Tiergarten, rechts die Siegessäule, links der Fernsehturm am Alexanderplatz. War ich dort Mieter oder Untermieter? Oder Unteruntermieter? Jedenfalls war es eine rechtlich wacklige Konstruktion. Ich muss etwas ausholen …
Wissen Sie, was Lastenausgleichswohnungen waren? Nun, der Staat gab Bauherren billiges Geld, die Wohnungen durften nur an Vertriebene vergeben werden, die Mieten waren niedrig. Hier gab es nun einen Oberschlesier, nennen wir ihn Matecki, nach Krieg und Vertreibung in zweiter Ehe mit einer geschiedenen Lehmann verheiratet. Sie war nicht vertrieben und brachte ihm einen Stiefsohn ein: Heribert. Die Konfusion begann, als die geschiedene Lehmann starb und Heribert Ärger mit Matecki bekam. Der Stiefvater ergab sich, wie es in alten Romanen heißt, dem Trunk. Er soff also, grölte und randalierte nächtens im Treppenhaus. Die Nachbarn beschwerten sich, der Vermieter kündigte.
Ich habe die Prozessakte in der Wohnung gefunden. Das Verfahren endete mit einem außergerichtlichen Vergleich. Matecki verließ die Wohnung, Heribert durfte bleiben, der Vermieter nahm die Kündigung zurück. Wie bitte? Ja, sie fingierten gegenüber der Behörde die Fortdauer des Mietverhältnisses mit dem Berechtigten Matecki. Nur er konnte nach dem Gesetz dort Mieter sein, nicht Heribert allein. Matecki war also zum zweiten Mal vertrieben.
Heribert widmete sich mit Erfolg der Schauspielkunst. Er bekam ein längeres Engagement in München und wollte die Berliner Wohnung behalten. Jetzt kam ich ins Spiel. Wir schlossen einen jederzeit kündbaren Mietvertrag und ich zog dort heimlich ein. Miete und Telefonrechnung bezahlte ich monatlich per Postanweisung unter Heriberts Namen. Bei der Rundfunkgebühr gab ich als Einzahler Matecki an.
Alles ging gut, fast alles. Die Hausmeisterin gab mir zu verstehen, sie wisse Bescheid – und falls es herauskomme, habe sie nichts gewusst. Mit den Nachbarn hatte ich keinen Verkehr. Nur der Briefträger mischte sich ein, er meldete der Gebührenstelle, dass da kein Matecki mehr wohne, sondern ein Abendschön. Ich musste das Radio ummelden.
Tollkühn geworden vermietete ich nach einiger Zeit ein Zimmer an K. Er war damals Fischverkäufer und wurde später Geheimagent. Er war gewitzter als ich, kannte viele Kniffe und viele Leute. Ich wollte von seinem Wissen profitieren. Wir passten nicht gut zusammen und lachten doch viel miteinander. Wir waren jung.
Ab und zu brachte K. nachts Gesellschaft für sich mit nach Hause. Manchmal verdross es mich. Ich erinnere mich an einen Vorfall. K. klopfte nachts um drei an meine Zimmertür und sagte fröhlich: „Du, ich hab ihn grad rausgeschmissen, ein unverschämter Kerl …“ Dann rannte er zum Spion und kam lachend zurück: „Jetzt schifft er ins Treppenhaus!“ Ich sah zu, dass ich K. bald loswurde.
Manchmal rief Mateckis damalige Freundin an und fragte: „Ist Heribert da? Oder wohnen Sie jetzt dort?“ Ich sagte: „Nein – nein.“ Dann legte sie auf. Braute sich etwas zusammen?
Die Wohnung gefiel mir immer weniger. Die Schränke voll gestopft mit den Sachen fremder Leute. Die Probleme, wenn eine Reparatur notwendig wurde. Das ewige Rattern der Züge auf dem Stadtbahnviadukt. Und so suchte ich mir etwas Neues und zog auf die andere Seite des Tiergartens.
 



 
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