Drücken musste!

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flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Drücken musste!

Oma Friedas Fernsehapparat ging kaputt. Der damals heiß begehrte Farbfernseher gab nach nahezu zwanzig Jahren treuer Dienste den Geist auf und war nur noch zum Wegwerfen gut. Was nun? Ein Leben ohne Fernsehen? Kaum denkbar. Und von den paar Hartz IV Kröten war es nicht möglich, einen neuen Apparat zu kaufen. Hartz IV bekommt man bekanntlich erst, wenn alle Ersparnisse und sonstige Reserven aufgebraucht sind.
Aber es gibt ja auch Leute, die ein Zweitgerät in der Küche oder im Schlafzimmer zu stehen haben. Vielleicht könnte Frieda so eines preisgünstig abstauben. Also fragte sie herum und streckte ihre Fühler in alle Richtungen aus, leider ohne Erfolg. Erst nach über einem Jahr schenkte ihr eine Bekannte einen alten Apparat, den sie fast vergessen noch im Keller zu stehen hatte. Der bot zwar auch Farbfernsehen und alle Kanäle, aber der Bildschirm war nicht größer als ein Blatt Papier. Das war jedenfalls besser als nichts und Oma Frieda war dankbar.
Jedoch schon nach wenigen Wochen begann auch dieser zu flackern und zu knistern – das Fernsehen war kein Vergnügen mehr. Nur noch zum Konservengucken taugte die kleine Mattscheibe. Also steckte Frieda die Antenne in den DVD – Player, so konnte sie störungsfrei wenigstens ihre geliebten Heimatschnulzen anschauen.
Eines Tages war sie bei ihrer Tochter zu Besuch und ihr Blick fiel auf den Flachbildschirm, den sich die junge Frau gekauft hatte, sobald der Artikel auf dem Markt war. Zum ersten Mal in ihrem Leben wurde Frieda neidisch auf die Tochter. Sie seufzte: „So ein Teil hätte ich wohl auch gerne!“
Die Tochter griente: „Eigentlich soll ich ja nischt sagen, aber wir haben zusammengelegt und du bekommst zu Weihnachten auch ein LCD Gerät“.
Da war die Freude groß! Frieda kam sich schon wie ein kleines Kind vor, weil sie die Tage bis zum Fest aller Feste akribisch zählte.
Endlich war es soweit. Die Familie saß beisammen, es wurden Weihnachtslieder gesungen und Frieda konnte den Gänsebraten gar nicht richtig genießen aus lauter Vorfreude auf die große Glotze. Allerdings konnte sie nirgends einen entsprechend großen Karton entdecken. Zur Bescherung war die Enttäuschung groß, denn da sagten die Söhne: „Du musst leider bis nächstes Jahr warten, es gab Schwierigkeiten mit der Anlieferung. Etwa Mitte Januar kommt die Kiste“.
Frieda fügte sich mit: „Na gut“ und saß den Rest des Tages mit langem Gesicht herum.

An einem Donnerstag im Januar hatte sie einen gewissen Freundeskreis zum Kaffeeklatsch eingeladen. Dabei wurde nicht nur Kaffee und Kuchen genossen, sondern auch gewürfelt und ein Likörchen getrunken. Plötzlich klingelte es und Friedas Sohn stand mit einem unhandlichen Karton an der Tür. Der neue Fernseher war endlich da! Hurra!
Während die Würfel über den Tisch polterten, schloss der brave Sohn den Apparat an und verband ihn auch gleich mit dem Viedeorecorder und dem DVD – Player. Dann zeigte er seiner Mutter, welcher Knopf der Fernbedienung wofür zuständig ist. Frieda war so aus dem Häuschen über die 94cm Breite des hochmodernen Gerätes, dass ihr alkoholisiertes Hirn kaum irgendetwas begreifen konnte. Sie nickte nur strahlend „Ja, ja!“ und der junge Mann verabschiedete sich.
Alle bewunderten das tolle Gerät: „Mann, is der groß!!!“
„Der verdeckt ja fast das Fenster. Ob du dich daran wirst gewöhnen können?“
Und Frieda antwortete keck: „Klar! An Luxus gewöhnt man sich wesentlich schneller als an Entbehrungen!“
Natürlich blieb der Fernseher an. Nachdem die Freunde gegangen waren, räumte Frieda auf, wusch das Geschirr ab und stellte fest, dass die eine Likörflasche noch fast voll war. „Halb besoffen is weggeschmissenes Geld!“, erinnerte sie sich an einen Spruch ihres Vaters, holte ein frisches Glas, schenkte sich ein und machte es sich vor dem Heimkino bequem. Sie zappte durch alle Kanäle, aber nirgends kam eine Sendung nach ihrem Geschmack. Doch wozu hatte sie denn ihren Schrank voller Videokassetten und DVDs? Schnell war eine ihrer geliebten Heimatschnulzen eingelegt und der Abend war gerettet.
Gegen Ende des Films war auch die Flasche geleert und eine gewisse „Bettschwere“ erreicht. Mit traumhafter Sicherheit schaltete Frieda die Glotze aus und legte sich schlafen.
Am anderen Vormittag wollte sie sich noch mal an ihrem Weihnachtsgeschenk erfreuen und betrachtete es genauer. Schöner großer Flachbildschirm, mit Klavierlack hochglänzendem Gehäuse, nicht erkennbare Lautsprecher, keinerlei Bedienknöpfe an der Vorderseite. Ihre Finger glitten sanft über das spiegelglatte Material und es war keine Unebenheit zu ertasten. Bei dem alten Apparat war da vorn der Hauptschalter, aber wie ging der neue nun wohl an? Was hatte der Sohn gesagt? „Du brauchst jetzt nur noch eine Fernbedienung für alles“. Schön, da liegt sie ja. Also Knöpfchen drücken. Nur welchen? Den roten nicht, damit haste gestern ausgeschaltet. Da muss es noch einen grünen geben zum Einschalten.
Gab es aber nicht. Es gab runde, ovale und viereckige, aber keinen grünen. Also alle mal ausprobieren. Ich werde das Ding doch wohl eingeschaltet bekommen!!!
Aber es half alles nichts, der Bildschirm blieb schwarz.
Da schoss ein Gedanke durch ihr verkatertes Hirn: Du hast wahrscheinlich die Kindersicherung aktiviert. Schau doch mal in der Bedienanleitung nach, welcher Knopf dafür zuständig ist. Wenn du diese Sicherung löst, dann wird das Teil schon funkeln.
Gedacht, getan. Alles durchgelesen und es stand da nichts von einer Kindersicherung, aber davon, dass der rote Knopf nicht nur der Ausschalter, sondern auch der Einschalter ist. Puh!
Die Fernbedienung greifen und mit vor Freude zitternden Händen den Knopf drücken war eins. Aber es tat sich nichts. Noch mal gedrückt und wieder nichts.
Da war guter Rat teuer. Wen konnte sie anrufen zur Klärung des Dilemmas? Die Kinder waren auf Arbeit und die Freunde hatten keine Ahnung von der Technik des Weißen Mannes. Jedoch sie hatte einen Nachbarn, der Fernseher und andere Apparate reparierte. Der sollte doch wohl diese dumme Fernbedienung bändigen können!
Er kam auch tatsächlich schon nach wenigen Minuten vorbei, nahm die Fernbedienung in die Hand, drückte den roten Knopf und der Bildschirm erhellte sich, der Ton kam auf und schon flutete eine Sommerlandschaft ins Zimmer mit „Milka, die zarteste Versuchung“.
Frieda staunte Bauklötzer und ärgerte sich zugleich: „Muss immer erst n Mann kommen, damit was Technisches funzt?!“
„Und“, fragte der Nachbar gelassen, „wo ist nun das Problem?“
„Na, die Glotze wollte ums Verrecken nich angehen!“
„Du hättest eben den Knopf eine halbe Sekunde länger drücken müssen. Wie Zille schon sagte – drücken musste!“
„Na, vielen Dank ooch. Dafür bekommste von mir heute Abend ne schöne Portion Bratkartoffeln mit Speck, Zwiebeln und Eier“.
Und seitdem hat Frieda mit ihrem netten Nachbarn ein Bratkartoffelverhältnis.
 
S

suzah

Gast
hallo flammarion,

so kann es einem gehen, denn die gebrauchsanweisungen versteht man eigentlich erst, wenn man bereits weiß, wie das gerät funktioniert. welch glücklicher zufall, dass der fernsehtechniker nebenan wohnt und sogar zufrieden ist mit bratkartoffeln statt ein fürstliches entgelt zu fordern.

die einführung dieser geschichte finde ich etwas zu lang, vielleicht solltest du diese kürzen?

"Die Kinder waren auf Arbeit und die Freunde hatten keine Ahnung von der Technik des Weißen Mannes. "
die zweite hälfte des satzes würde ich streichen.

"Also [blue]steckte Frieda die Antenne in den DVD – Player, [/blue]so konnte sie störungsfrei wenigstens ihre geliebten Heimatschnulzen anschauen." (besser das kabel der antenne.)

so ganz unbedarft scheint mir frieda zwar nicht zu sein, sie weiß immerhin, was eine antenne ist (wahrscheinlich meint sie aber satellitenschüssel) nur was soll die im dvd player?

das "bratkartoffelverhältnis" wird sich also auch zukünftig als nützlich erweisen.

liebe grüße suzah
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
vielen

dank für s lesen und kommentieren, liebe suzah.
kürzen? nee.
die technik des weißen mannes ist ein geflügeltes wort in meiner familie und ich halte das für einen guten gag, wird also auch bleiben.
aber den satz mit der antenne und dem dvd teil werde ich verbessern.
vielen dank für den guten hinweis.
lg
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo liebe Christa,

"Dein Bratkartoffelverhältnis" hat mich sehr amüsiert, zumal ich die geschichtliche Relevanz hinter dem Terminus bislang nicht kannte!
Die Geschichte mit dem defekten TV erinnert mich an das Versagen des Gerätes meiner Oma, die auch zunächst meinte, auf ihre gezählten Tage sei die Anschaffung eines neuen Gerätes pure Geldverschwendung. Damals war die Aufstellung des Neuen noch durch das Einstöpseln des Steckers getan. Was für Zeiten!

Lieben Gruß,

Elke
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo,

liebe elke, danke für s lesen, kommentieren und bewerten.
ja, so ein bratkartoffelverhältnis hat manchmal schon was . . .
lg
 



 
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