du schöner Mai

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Tula

Mitglied
du schöner Mai


Alles blüht und singt, wie losgerissen
jagen Düfte durch den Park der Stadt.
Irgendwo will jemand endlich küssen.
Schöner Mai! Wie schön, dass man dich hat.

Alles strahlt und lacht. - Mit langen Beinen
zieht die Lebenslust an mir vorbei.
Herzlos sprießt ein Kraut auf mürben Steinen.
Warum glaubte ich dir, lieber Mai?

Würmer, die im Beet der Trübsal wühlen,
himmelstürmend noch im letzten Jahr.
Nachtigallen feixen wie Gargylen:
Nichts wird jemals sein wie es nie war.

Träume auf der Parkbank. Eine Eule
stürzt sich lautlos in ein dunkles Tal.
Alles brüht und sinkt in brauner Fäule.
Ja, du schöner Mai. Du kannst mich mal.
 
G

Gelöschtes Mitglied 18005

Gast
Hi Dirk!

Ist die Überschrift im Text nicht redundant? Ich meine weil ja das Thema (der Titel) schon zuvor gelesen wird. Aber jeder hat hier seinen Stil habe ich das Gefühl :) ok schlecht formuliert, ich meine, dass die Überschrift zweimal dort steht, einmal über dem Text und einmal dort wo alle Überschriften stehen ... dass das "du schöner Mai" auch noch im Gedicht erwähnt wird passt so und ist völlig legitim!

Das Ende hat mich sehr angesprochen! Eine irgendwie unerwartete Wende

Was mir sonst noch sehr gefällt:
Nichts wird jemals sein wie es nie war.
man erwartet hier ein "mal" anstatt dem "nie", doch die Erwartung wird durchbrochen und man erhält einen Handwärmer bei frostigen Fingern oder ähnliches :D

Wieso die Nachtigallen feixen oder wie das aussehen soll, weiß ich noch nicht ganz, aber darüber kontempliere ich noch eine Weile :)

Es ist ein Übergang zwischen erstem Vers, bzw erster Strophe und letztem Vers, dh. letzter Strophe, ein fast durchgehender Übergang, schön!

Vom Blühen ins Brühen,
Vom Singen ins Sinken,
Von Düften in Fäule,
Von der Kussbereitschaft in ein dunkles Tal

Vielleicht könnten die "Träume auf der Parkbank" Albträume sein (das Satzzeichen lasse ich hier bewusst weg)

Impressionen, hübsch, oder vielleicht expressionistisch

Das Kraut auf mürben Steinen ist toll!

Überhaupt ein sehr aufgeladenes Gedicht, super Bilder!

Was interessant ist, ist wie "alles strahlt und lacht", jedoch im nächsten Vers sogleich die Lebenslust am lyrischen Ich vorbeizieht!

Erste Zweifel kommen klar in Vers Acht zur Sprache.

Das Beet der Trübsal! Beachtenswert
Lustig, wie die Würmer zu etwas himmelstürmenden imstande waren :D Würmer! Würmer!

Es hat großen Spaß gemacht zu kommentieren und zu lesen, dafür bin ich gerne länger als sonst wach geblieben!

Machs gut!
Peter
 

Willibald

Mitglied
Feine Sache

In Ergänzung zu und Überschneidung mit Etma:

In der Tradition von feinen Könnern wie Robert Gernhardt ("Sonette find ich sowas von beschissen...), so scheint mir, ein wirklich feines Frühlingslied im Kreuzreim und brav fünfhebigem Trochäus.

Bei ersten Assoziationen etwa an "Komm, lieber Mai und mache" (oder gar "o du schöööner Westerwald") die panegyrisch-preisende erste Strophe. Dann deutet sich bereits an, wie wenig davon ankommt beim LI oder wie intensiv frustig das lyrische Ich sich fühlt.

In der Verszäsur von Zeile 5 läuft es subversiv los. Die langen Beine sind als Synekdoche für langbeinige Frauen zu lesen, gleichzeitig als Metapher für Lebenslust und das "vorbeiziehen" polysem als harmlos neutrales Verb, aber auch als Nichtbeachten und Nichttangieren gegenüber dem beobachtenden LI. Die Nachtigallen, eher akustisch traditionell vernehmbar, sind hier visuell im Vergleich gefasst. Apotreptische durch Hässlichkeit wirkende Figuren mögen auch auf die Abwehr des LI zielen und sind insoweit eben keine Träger des Nachtigallen-Liebes-Codes in RomeoundJulia-Manier.

In der letzten Strophe die Trübsal- und Vernichtungseule im Sturzflug und in die Finsternis. In "Alles brüht" kann man sogar die unselig-unglücklich-spotterregende Darbietung des Deutschlandliedes angespielt hören ("Brüh im Lichte dieses Glückes"; Sarah Connor), Entsprechend dann die apotreptische Wendung nach der Verszäsur (letzte Zeile) und ein adäquates Fazit in der Maiapostrophe "Du kannst mich mal".

Auffallend in der Trochäus-Metrik:

Das "warum" in Zeile 8 kann mit WArum und waRUM motil gelesen werden, vielleicht auf jeden Fall mit einem Nebenakzent, so das eine spondeusnahe, hebungsprallige Intonation in das metrische, regelmäßige Gitter einschleicht. Schön, weil hier die Glaubensenttäuschung rhythmisch markiert wird. Und das "schön", beziehungsweise "lieb" an Strahlkraft verliert. Eben im Kontrast zu Zeile 4, da ist noch alles traditionell und schön in Ordnung.

In der letzten Zeile scheint mir ähnlich wie in 8 eine Tonschmelze vorzuliegen: JA DU. Überprüfbar vielleicht, inwieweit das summierende und auch empörte "Ja" mit der impliziten Pause zusammen noch überzeugender rauskommt:

Ja (..) schöner Mai ...

Gut, das ist das Einlösen des Titels ..

greetse

ww
 

Tula

Mitglied
Hallo Peter
dass du meinetwegen später schlagen gegangen bist, freut mich sehr :) - Zu einigen Punkten:

Die Wiederholung des Titels ist sicherlich nicht notwending, da hast du recht. Den Titel kann ich wahrscheinlich auch noch origineller gestalten, werde drüber nachdenken.

Die Nachtigallen singen ja typischerweise den Liebenden etwas vor. Wenn sie vom Lyri aus hohn-speiende Fabelwesen wahrgenommen werden, trifft es hoffentlich den „depressionistischen“ Charakter des Gedichts, mit satirischer Übertreibung – versteht sich bei mir von selbst.

Der Vergleich mit expressionistischen Werken ehrt mich andererseits; vielleicht erzeugt die Verwendung des Trochäus mit leicht abstrusen Bildern etwas diese Wirkung.

'himmelstürmende Würmer ' vom letzten Jahr könnten ebenso an Fabelwesen erinnern, da sollen manche sieben Köpfe haben. Jedenfalls waren Liebe und Begeisterung damals 'feurig' :)

Vielen Dank für deinen ebenso begeisterten Kommentar und natürlich die super-Bewertung

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Lieber Willibald
ich bin leider kein Forenredakteur, sonst hättest du bei mir bei eigentlich jedem deiner Kommentare ein Bienchen sicher :)

Nur in einem Punkt muss ich widersprechen, das ist der Bezug auf das Deutschlandlied. Das wäre dann eher die Maiwiese als Metapher fürs sinnlose Saufen :D

Ich wusste echt nicht, was eine Synekdoche ist, wobei die Absicht genau diese war, die doppelsinnige Anspielung auf Frauenbeine und das geschwinde Entschwinden und Davonlaufen der Hoffnung, Lust am Leben usw.

Dankend liebe Grüße !
Tula
 



 
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