Duften als subversiver Akt

Mein Lieblingsduft für den Winter wohnt in einem tiefroten Flakon, dessen Form an die weltbekannten Kuppeltürme auf dem Roten Platz in Moskau erinnert.
Reichverziert mit Gold kommt das Parfumfläschchen, kommt die Verpackung genauso opulent und edel daher wie der Duft selbst.
Bereits der Name ist eine Hommage an die russische Heimat des Parfümeurs: „Maroussia“.
In den 1990ern, eine ganz andere Zeit für Russland-Beziehungen, war dieses Duftwasser richtig angesagt und teuer und thronte in den obersten Regalen der namhaften Parfümerien - heute steht es in der Billigabteilung der Drogerie und ist für unter zehn Euro zu haben. In den großen Parfümerien gibt’s das Maroussia gar nicht mehr, dafür habe ich es neulich sogar beim ganz-ganz-billig-Discounter erspäht.

Ein echter Geheimtipp.
Billigparfum ist das wahrlich keins.
Das Maroussia riecht sehr besonders, warm und üppig. Zeder, Moschus, Sandelholz.
Ich kenne kaum einen Duft, der so lange anhaftet und den Träger den ganzen Tag lang einhüllt und begleitet, ohne aufdringlich zu wirken.
Immer wieder werde ich darauf angesprochen: Hmmmm, das würde ja sooo gut riechen, wie heißt das, wo gibt’s das.

Nun, nachdem schon alles Russische verpönt, geschasst und unter Vorbehalt gestellt ist - von russischer Kunst, Literatur, Sportler… bis hin zu gewöhnlichen Konsumprodukten - ist es durchaus denkbar, dass mein geliebter Duft bald schon gänzlich aus den hiesigen Regalen verschwindet.
Russischer Wodka war ja das Erste, was nach Beginn der Ukraine-Sache in flottem Hau-Ruck-Reaktionismus aus den Supermärkten verbannt worden war - haben die Leute halt einen anderen gekauft.
Ich fürchte fast, es könnte meinem Winterparfum genauso ergehen, nur ist es schwieriger, dafür Ersatz zu finden.
Schon spiele ich mit dem Gedanken, mich mit einem Lebensvorrat an Maroussia einzudecken.

Dass mein Lieblingsparfum russisch angehaucht ist: Damit macht man sich heutzutage keine Freunde mehr, soviel habe ich natürlich schon spitzgekriegt.
Duften als subversiver Akt, sozusagen.
Wie weit das alles noch gehen wird?
Findige Nasen werden den typischen und unverwechselbaren Maroussia-Geruch wohl immer erschnüffeln.
 

petrasmiles

Mitglied
Ein Duft sagt mehr als tausend Worte :)
Kenne ich und liebe ich - habe es jahrelang getragen (im Winter) - bis ich auf Deep Red stieß von Boss, das hat auch diese warme Schwere, ist aber nicht ganz so süß. Aber nun frage ich mich, müsste man es tragen, um diesem Cancel-Wahnsinn ein Ende zu bereiten? Und vielleicht mit ein paar russischen Klassikern unterm Arm durch die Gegend laufen ... ist es nicht ein Skandal, dass man das als subversiv bezeichnen muss?
Liebe Grüße
Petra
 



 
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