Duponts Dilemma

Haarkranz

Mitglied
Eines Tages trat die Gräfin Hochfried in Pierres Leben. Nein, eines Tages betrat die Gräfin Hochfried, Straußbergs Laden. Nachdem Simon Straussberg sie empfangen, einige der neuen, alten, wichtigen Unwichtigkeiten, des Wiener Gesellschaftslebens mit ihr durchgehechelt hatte, wandte er sich Pierre mit den Worten zu:
„Monsieur Dupont, ich möchte Sie mit der Gräfin Hochfried bekannt machen, Sie bitten, meine hochverehrte Freundin und Gönnerin unseres Hauses, unter Ihre Fittiche zu nehmen. Maritza Gräfin Hochfried verfügt wie Sie, über erlesenen Geschmack. Ich glaube weitere erläuternde Einführungen sind überflüssig, ihr machts das schon untereinand aus.“
„Machen wir, Simmi,“ lachte die Gräfin, wobei sie mit dem Handschuh nach Herrn Straußberg schlug, der sich lächelnd zurückzog.
Da stand ich vor ihr, oder sie vor mir, auf Augenhöhe. Die Dame war für eine Dame hochgewachsen. Sie sah mich aus grossen grünen Augen, ein wenig länger als schicklich an, um nach der Inspektion zu bemerken: „Dupont, so auf den ersten Blick tun‘s mir gefallen, ich darf doch Dupont sagen? Pierre ist mir fad, sie nennen mich Gräfin, all meine Freund die nicht von Adel sind, sagen so.“
Dann ging‘s los mit der Besprechung einer rustikalen Garderobe, die die Gräfin beim Besuch ihrer Güter, an der ungarisch-ruthenischen Grenze, tragen wollte. Was, Warmes aber Leichtes, in gedeckten Wald-Feldfarben, stelle sie sich vor. Wir unterhielten uns zwischen französisch, deutsch und englisch pendelnd, den halben Vormittag, bis sie unvermittelt fragte: „Haben‘s einen Eindruck von meiner Person gewonnen, Dupont?“
Das hatte ich und antwortete: „Gräfin, die Antwort werden meine Vorschläge sein!“
„Gut Dupont, also bis heute in einer Woche!“ Ein leichter Schlag mit dem Handschuh auf meinen Arm, weg war sie.
Nach einer Woche, ich hatte soweit als möglich meiner Intuition, die Vorstellungen der Dame zu erfassen, Raum gegeben, gedachte ich Herrn Straußberg meine Auswahl vorzustellen. Der lehnte meinen Vorschlag vehement ab, um Gottes Willen, sie würde das sofort merken, Schlimmeres könnten wir ihr nicht antun! Jungfräulich, will sie die Vorstellung erleben! Sie allein entscheidet ob gelungen oder nicht! Doch fürchten sie nichts, sie ist was Mode angeht, stets auf dem neuesten Stand. Wenn sie ihr Vertrauen gewinnen, steht ihnen tout Wien offen.
Der grosse Tag begann völlig weanerisch entspannt. Die Gräfin schob ihren Arm unter meinen und zog mich ins Atelier.
„Bevor wir anfangen, Dupont, einen Mokka hätt ich gern. Sie sind aufgeregt? Mei gehen‘s, wegen solch einer Chose, da sollten Sie mich beim Galoppen erleben, wenn der Strizzi mein Hengst, a Nasenläng hinter der Gutefrau von meinem Mann zurückliegt, mei Dupont, da platzt mir schier das Mieder!“
Ich breitete meine Skizzen vor ihr aus, koloriert in Feld und Wald, die Complets, Reit und Jagdanzüge, Hüte und Kappen.
Sie sah mir zu, befühlte hier und da einen Stoff, den ich den skizzierten Vorschlägen zugeordnet hatte, hielt sich den Mokka unter das Näschen, trank einen Schluck, setzte die Tasse ab, legte ihren einen unvermeidlichen Handschuh auf den Tisch, zog sich den anderen von der Hand, legte ihn dazu. Saß da, ein wenig versunken mein Werk betrachtend.
Plötzlich: „Dupont kommen‘s mal näher,“ ich trat vor sie hin. „Noch näher, Dupont, noch näher!“ Ich machte noch einen Schritt, stand nun unmittelbar vor ihr. „Beugens sich runter zu mir,“ ich tat wie befohlen: Da schlang sie einen Arm um meinen Nacken, zog mein Gesicht zu sich heran, küsste mich fest und kühl mitten auf den Mund, ließ los und sagte: „Mein Dankeschön, Dupont, sie sind ein Künstler!“
Ich hatte die Gunst der Gräfin Hochfried errungen, vielleicht sogar ein Stückchen Freundschaft, der Kuss jedenfalls ließ mich ahnen, dass ich akzeptiert war.
Herr Straußberg zwinkerte mir munter zu, als die Gräfin ihm temperamentvoll und drängend, ihre Ungeduld nahe zu bringen suchte, mit der sie die neue Kledage erwartete.
Für mich beschleunigte sich die Zeit. War ich vorher, mich der einzigartigen Stadt vergewissernd, gemächlich Schritt gegangen, so geriet ich nun in munteren Trab, der sich bisweilen zu gestrecktem Gallop steigerte.
Wie der Chef voraus gesehen hatte, rissen sich bald die Damen von tout Wien um mich. Nicht nur, wurde ich mit Aufträgen zu Entwürfen eingedeckt, nein es verging fast kein Abend, an dem ich nicht zu einer der ständig stattfindenden, kleinen galanten Tanzereien, oder Salonspielen eingeladen war. Das Fatale, die Einladenden waren meine Kundinnen, keine durfte ich der anderen vorziehen. Nur wie sollte ich meine Arbeit zu ihrer Zufriedenheit erledigen, die Damen stellten höchste Ansprüche, ich brauchte Ruhe!
Herr Straußberg wusste Rat. Es wurde ein Plakat in schönster Kalligraphie angefertigt, auf dem stand:
Ab sofort ist Herrn Pierre Dupont untersagt, das Haus nach sechs Uhr abends zu verlassen! Ausnahme: Der Samstag und der Sonntag! Keine weiteren Erklärungen hierzu! Simon Straußberg, Prinzipal.
Schön gerahmt, hing das nun an der Wand meines Ateliers, über dem grossen Spiegel.
Die erste Dame die auf die Neuerung stieß, war Mizzi, die Gräfin Hochfried. Mittlerweile war ich von der Anrede Gräfin, für solche nicht von Adel, zu denen die sie Mizzi nennen durften, avanciert. Eines Abends befand die Gräfin so nebenbei: „Lassen‘s das mit der Gräfin, Dupont, ich bin die Mizzi.“
Also Mizzi sah das Verbotsschild, lachte und meinte: „Recht so! Nur für mich gilt das nicht!“
Auf mein bedenkliches Gesicht, ging sie zur Tür, rief: „Straußberg!“ wobei sie dem Ausruf zum Ende hin eine fragende Aufwölbung gab, und erhielt prompt die Antwort: „Wo denken‘s hin, Gnädigste, gilt nicht für Sie!“ Als sie sich mir wieder zuwandte, mein verduztes Gesicht sah, wollte sie sich ausschütten vor Lachen. „Aber Dupont gluckste sie, der Straußberg und ich sind so alte Freund, wir verstehen uns halt im Dunkeln!“
Zur Mizzi durfte ich also auch während der Woche. Stets waren einige ihrer allerengsten Freundinnen eingeladen, ich war im Kreis der Damen der einzige Mann, Hahn im Korb. Auf der Hand lag natürlich, die Damen waren weniger an meiner Männlichkeit interessiert, als vielmehr an meinen Ansichten und Vorstellungen, zur und von Mode. Dies tat meiner Freude, an diesem munteren Kränzchen teilzunehmen, keinen Abbruch.
Eben weil die Damen mich als Mann nicht wahrnahmen, hatte ich Gelegenheit tiefe Einblicke in die Psyche des weiblichen Geschlechts zu tun. Da wurde kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es darum ging, eine nicht Anwesende zu denunzieren, oder zu karikieren.
Auch meine Gönnerin lief zu Hochform auf, wenn es galt einer Konkurrentin Benehmen, auf dem Gallop nachzuahmen. Da schürzte sie die Röcke, paradierte mit stampfenden Hufen durch den Salon, ahmte deren Sprache im Fiakerton nach, dass man nicht glauben mochte, eine der ersten Damen der Gesellschaft vor sich zu haben.
Ich fragte sie einmal, als wir eines lauen Sonntagnachmittags, einen Sherry schlürfend, auf der Terrasse ihres Palais saßen: „Mizzi, jetzt bin ich schon fast ein Jahr unter Ihren Fittichen, habe manches gelernt über die Wiener Gesellschaft, was mir nicht in den Kopf will, Sie können sich praktisch alles rausnehmen, wofür eine Andere geächtet würde?“
„Sehen‘s Dupont,“ antwortete sie ganz ernst, „an dem was ich mir leisten darf, schmeck ich mei Stellung ab. Das heißt, ich muss, auf dass der Geschmack stets sicher und frisch, also beurteilbar bleibt, mir ständig was leisten. Nur so halt ich die Spitzenstellung. Älter darf ich auch nicht werden, das wär tödlich! Also irgendwann in a paar Jahr, werd ich a Weltreisen antreten, die dauert, wenn ich dann zurück komm, hat eine andere meinen Platz. So geht das! Bis dahin bleib ich auf dem quivive, dass sich eine vorwagt, gehört zum Spiel.
Aber Dupont, zerbrich Dir nicht meinen Kopf, fuhr sie fort, wobei sie mir die Hand in den Nacken legte, mich zu sich hinzog und ausgiebig und gekonnt küsste. Ich lag ruhig in ihren Armen. Bei anderer Gelegenheit war ich offensiv geworden, aber von Mizzi mit den Worten: „Dupont! Ich küss gern, wie ich fühl, Du auch, aber bitte keine Schwachheiten!“ Worauf sie sich wieder meines Mundes bemächtigte. Wenn die Kusslust sie übermannte, duzte sie mich, und ich wusste ein spezielles Mizzi Schäferstündchen stand bevor. Sie nahm übrigens keine Rücksicht auf das stets im Palais anwesende Personal, der Sherry wurde nachgeschenkt, der Tisch abgeräumt, ohne das die Mizzi sich stören ließ. Ich gab mich ihrem köstlichen Mund gern und mit Feuereifer hin, unsere Zungen umschlangen sich, saugten und schlürften, und nicht nur ich geriet in Hitze. So auf den Höhepunkt gebracht, wusste ich das Ende nahte! Schluss befand der Mund, manchmal noch, bist ein gefährlicher Dupont, oder ähnliches.
Eines Tages, Mizzi hatte mir eine Billet zukommen lassen, mit der Bitte ich möchte mich gegen Nachmittag bei ihr einfinden, saß ich im Salon und wartete auf die unpünktliche Dame. Es fehlte mir an nichts, Sherry, kühle Limonade, Bisquits und die neuesten Journale aus London und Paris, sollten mir die Zeit verkürzen. Die Journale kannte ich bereits, ein Schluck Sherry ließ mir die Augen schwer werden, alsbald entschlummerte ich, auf dem bequemen Diwan. Ob der Schlummer ein kurzer, oder ein ausgedehnteres Schläfchen gewesen war, konnte ich nicht erinnern, als mich ein vorsichtiges Rütteln an der Schulter weckte. „Herr Dupont,“ Charles, Mizzis Butler stand über mich gebeugt, „Herr Dupont, Ihre Exzellenz wünscht Sie zu sprechen!“ „Mich, Charles? Ihre Exzellenz, die Generalin?“ Bevor Charles antworten konnte, vernahm ich eine etwas brüchige, aber klare weibliche Stimme aus dem Hintergrund: „Eben die!“
Ich wandte mich der Stimme zu, die gleich darauf befahl: „Treten Sie näher, Dupont! Kommen Sie her zu mir, möchte Sie in Augenschein nehmen, möchte wissen, wieso meine Mizzi scheint‘s einen Narren an Ihnen gefressen hat?“.
„Ich bin schon auf dem Wege, Euer Exzellenz,“ beeilte ich mich zu antworten, und stand schon vor ihr.
Exzellenz war eine sehr alte Dame mit wachen, dunkelbraunen, fast schwarzen, scharfblickenden Augen, in einem faltig geschrumpften, für die Augen zu kleinem Gesicht.
Ich verbeugte mich fragend „ Euer Exzellenz?“ „Lassen Sie die dritte Person Dupont, Exzellenz genügt!“ „Zu Befehl, Exzellenz“, hauchte ich. „Schon besser, Dupont.“
Exzellenz saß in einem Sessel mit Rädern, in einer Nische des Salons vor einer Tür. Durch die Tür konnte sie jederzeit aus dem Salon hinaus gerollt werden. Vor sich hatte sie einen wunderschönen, mit Pfauen und anderem exotischem Getier bemalten und intarsierten chinesischen Paravant, der zugeschoben sie allen Blicken verbarg.
„Da haben wir also den Herrn Dupont“, sie musterte mich eingehend von Kopf bis Fuss. Ich machte mich schon darauf gefasst, aufgefordert zu werden, zu hüpfen oder einen Purzelbaum zu schlagen, stattdessen wies sie auf einen Sessel und befahl: „Setzen Sie sich!“
Ich gehorchte und sah sie erwartungsvoll an. Als Nächstes kam: „Sie erinnern mich an Barry, meinen vor fünfzig oder mehr Jahren, dahin gegangenen Schnauzer, der konnte mich auch so ansehen, wie Sie das gerade tun.
Sie verzeihen einer alten Frau die Spöttelei, möchte ich bitten! Sie wissen, alt werden widerfährt Jedem, es geschieht unmerklich und in Gesellschaft. Alt sein, dagegen ist statisch. Da geht nix mehr, das steht. Was enorm problematisch ist, du wirst zum Exoten, wenn unter exotisch, einzigartig zu verstehen ist. Siehst dich um, nirgendwo deinesgleichen, ausser im Spiegel, der im Alter kein gemochter Gegenstand ist. So ein Spiegel ist so emotionlos ehrlich, der belehrt dich ständig eines Besseren.
Wenn ich so sitz und meine Stunden vertändele, führt‘s mich glücklicherweis oft zurück zu dem was gewesen. Kein Kunststück Dupont, sie werden‘s kaum glauben, mein alt sein ist äußerlich, bild ich mir ein. Drinnen, ich sprech nicht von meiner Fantasie, lebt‘s noch, geht‘s zu, wie‘s einmal war. Bin ich eins mit den glücklichsten Stunden meines Lebens. Das Besondere ist, ich träum mir nur herbei was ich möcht, hundert und tausenmal wie‘s mir gefällt. Entschuldigen Sie meine Abschweifung, Dupont, was wollt ich Ihnen sagen? Im Moment ist‘s mir entfallen, also stimmt das mit dem nur äußerlichen Alter nicht so ganz.“
Sie lachte, was sich mehr wie ein trockenes Husten anhörte. Schnell fing sie sich und fuhr fort: „An sich wollte ich nicht von mir und meinen Zuständen erzählen, sondern erfahren, was für eine Krabbe meine Mizzi, sich aus der Schale gepult hat? Nehmens das mit der Krabbe nicht übel, das geht nicht auf Sie. Mehr soll es die Exzentrizitäten meiner Nichte charakterisieren. Wobei Nichte, wie sie leicht durchschauen werden, nicht stimmt. Die Mizzi ist, wenn ich mich nicht verrechne, meine Ur-ur-Großnichte. In unserem Haus nimmt man‘s mit der Genealogie genau, allein schon weil nichts in fremde Hände soll. Also verwandt, muss einer der erben soll, schon sein. Blutsverwandt, nicht angeheiratet, wo kämen wir da hin! Zugegeben, gut tut das der Linie nicht. Da gibt‘s arge Deppen, aber es Gelump hält‘s zusammen.

Die Mizzi ist mit so einem verheiratet, so einem Deppen! Seit zehn Jahr! Moment mal, siebzehn war’s, als wir sie mit dem Hochfried, dem Dammerl vermählt haben.
Jetzt, Dupont, komm ich langsam dahin, wo ich hin will. Sehen‘s hier in dem Paravant den Schlitz? Schütteln‘s nicht den Kopf, von da wo Sie sitzen, soll man den nicht sehen. Kommen‘s hier hinter mich, hinter meinen Stuhl. So jetzt zieh ich zu und Sie gehen ein wenig in die Knie, auf meine Augenhöhe, was sehen Sie?“
„Den ganzen Salon, Exzellenz.“
„Genau, Dupont! An manchen Tagen wenn mir fad ist, lass ich mich durch die Tür da hinter mir, hier her schieben und vergnüge mich am Treiben im Salon. Keiner außer der Mizzi und den Bediensteten, ahnt von dieser Einrichtung, so ist niemand befangen, man schwadroniert munter drauflos und ich höre Dinge, von denen ich sonst nie erführe.
Nun habe ich schon mehrmals, Ihren und Mizzis Kussorgien beigewohnt, und ich muss sagen, auch ich alte Schachtel fühle beim Zusehen, ein leibliches, reales Ahnen, verbunden mit der Gewissheit: Ich hab mein Leben in Röcken verbracht.
Also was Sie da tun, Dupont, scheint gut getan. Jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Unruhe, was sag ich, Wallung, die die Mizzi überkommt. Nun würd ich dererlei mit Ihnen nicht erörtern, ohne eine Absicht zu verfolgen.
Der Dammerl Hochfried, dies zur Erklärung des Folgenden, wohnt der Mizzi nicht bei! Folglich kann‘s keinen Nachwuchs geben, was eine Katastrophe ist, denn mit der Mizzi stirbt unsere Linie aus! Nun hat in den Jahrhunderten seit‘s uns gibt, öfter mal das Schießzeug der einen oder anderen Durchlaucht versagt, was kein Beinbruch war.
Man lebte auf dem Land, reiste herum von Schloss zu Schloss, keiner scherte sich darum was man tat. Da war es kein Fehler, wenn ein gut gewachsener, nicht zu blöder Kutscher, Stallbursch oder Gärtner aushalf. Zudem schlug das im Blut gut an, hätten wir die hilfreichen Domestiken nicht gehabt, wer weiß wohin es mit uns gekommen wär! Um die Familie zusammen zuhalten, hätten wir viel zu viel, von Cousins und Cousinen, gemachten Nachwuchs.
Merken‘s worauf ich hinaus will, Dupont?“
„Ich glaube es zu ahnen, Exzellenz“.
„Also worauf?“
„So wie Exzellenz das vortragen, schwant mir, ich soll behilflich sein einen Grafen oder eine Comtess Hochfried zu schaffen.“
„Das haben Sie galant ausgedrückt, Dupont, trifft genau den Punkt!“
„Aber Exzellenz, ohne Mithilfe der Mizzi wird das unmöglich sein! Die Gräfin Hochfried küsst mit Leidenschaft, bringt sich und mich in Wallung, doch bei ihr wallt es nur bis zum Hals und basta, das dürfte nicht genügen.“
„Das genügt nicht, richtig, Dupont! Jedoch, warum wallt sie nicht tiefer?“
„Vielleicht will sie sich einem Domestiken nicht hingeben?“
„Unfug, Dupont, hab schon erklärt, rein adelig gäb‘s uns nicht mehr!“
„Darf ich, Exzellenz, eine intimere Prognose wagen?“
„Wagen Sie, Dupont, wagen Sie!“
„Könnt die Mizzi noch Jungfrau sein?“
„Daran dachte ich auch schon, Dupont. Die Entourage mit der sie umeinander zieht, ist dekadent genug, dass sich keiner getraut hat, sie zu entjungfern!“
„Gut möglich, Exzellenz.“
Die alte Dame neigte den Kopf ein wenig, wer ihre eben, vor Lust am Komplott sprühenden Augen nicht gesehen hat, hielt sie jetzt für das was sie war, eine uralte Frau.
Ich sollte der Mizzi ein Kind machen. Eine wohlige Wärme breitete sich in mir aus, ließ meine Seele, ob dieser herrlichen Aussicht lächeln. Nur wie fädeln wir das ein? Das wir, bezogen auf die Exzellenz und mich. Mizzi musste, was das Arrangement betraf, völlig außen vor bleiben. Die Herstellung der Umstände, unter denen der Coup gelingen konnte, musste ich der Exzellenz überlassen. Ich konnte nur zu gern willfährig sein. Hatte die zu treffende Absprache aus meinem Bewusstsein zu tilgen, sonst stand zu befürchten, dass ein so kluges und wohl auch scheues Wild wie die Mizzi, vorzeitig Witterung aufnahm und den Plan durchkreuzte.
Wie aus tiefem Schlummer erwachend, hob die alte Dame den Kopf:
„Sind Sie erleuchtet worden, Dupont?“
„Nur insofern Exzellenz, als ich mit ganzer Kraft bereit bin, den Engpaß zu beseitigen. Das ist es aber, mehr kann ich nicht tun,“ und ich unterbreitete der Dame meine Vorstellungen.
„Gut, Dupont, pflichtete sie mir bei. Ich erkenne, unserer Familie tritt nicht nur ein gut ausehendes, sondern auch kluges Mitglied bei, incognito versteht sich. Dabei tut uns Ihr Extra, ein wenig Hirnschmalz, bitter Not. Das geht nicht auf die Mizzi, die ist nicht nur fesch, auch klug ist sie. Nur was nutzt’s, wenn‘s nicht weitergegeben wird?
Also ich werde Anstalten treffen, und nach Ihren Empfehlungen und meiner Einsicht, die mit Ihrer d’accord geht, handeln. Dupont, Sie hören von mir!“
Sie hob die Hand zu einer verabschiedenden Geste und schob den Paravant zusammen. Ein Glockenzeichen, die Tür hinter ihrem Rücken ging auf, und der Rollsessel mit der Generalin entschwand.
Langsam dämmerte mir, wie fein sie das eingefädelt hatte, worauf ich drauf und dran war, mich einzulassen. Die Dame wollte mir nicht zu einem galanten Abenteuer verhelfen, die war nur interessiert an den eventuellen Folgen.
Ich hingegen, kam zwar in den Genuss von Mizzis gewiss entzückenden Reizen, sollte dabei aber Vater werden. Ob ich es würde, war nicht gesichert. Gesichert war, es würde eine längere Affaire mit der Mizzi geben. Der Mensch ist kein Vieh, da musste es mehrere zärtliche Enchantes geben, um zum Ziel zu kommen.
Was wär, ich verliebte mich? Noch fand ich sie sehr reizend, ihrer Tollheiten wegen, hoch amüsant. Was wär sie stähl mir das Herz, wie die Wiener sagen? Ich verfiel ihr in Liebe, ich der Dupont? Da bild dir nur keine Schwacheiten ein, gestand ich mir. Da stehst du in einer Reihe mit den Reitknechten und Gärtnern, die in der Vergangenheit Durchlauchtens zu Diensten waren.
Hier hieß es nachdenken. Ich konnte, nein ich musste es als Abenteuer nehmen, oder die Finger davon lassen. Selbst eine folgenreiche, langjährige Liason mit der Gräfin, hätte Hochfrieds zur Folge, nie Duponts. Hier lag der Unterschied zu vorangegangenen Amouren. Wären die fruchtbar geworden, hätte ich sie legalisieren, meinem Kind meinen Namen geben können. Mit der Mizzi war ich nur Biologie.
Richtig bedacht, war das zu ertragen. Die Nana hatte auch, nachdem es mit uns aus war, schnellstens geheiratet und ist gleich Mutter geworden. Theoretisch könnt ich da Vater geworden sein. Beschwerte es mich? Nein! Nur da war nichts gewollt, das war geschehen. Geschehen geschieht, schert sich nicht um Wunsch, Hoffnung, Plan.
Dagegen schmiedete die Generalin, mit mir als Helfer, an einem Hochfried-Geschlechter- Erhaltungskomplott. Wobei der richtige Graf Hochfried, genau wissen würde, da war ihm ein Kuckucksei unterschoben worden. Auch wenn der gute Miene zum Spiel machte, wissen tat er‘s. Wissen, während mein Sohn oder meine Tochter, als seine aufwuchsen, Papa zu ihm sagten. Wenn der das irgend wann nicht mehr aushielt, ihnen, meinem Kind oder Kindern, erklärte er sei nicht ihr Vater, wenn ihr wissen wollt, wem ihr Papa sagen müsst, fragt eure Mutter!
Daran durfte ich nicht denken, konnte es nicht lassen, ging mir nicht aus dem Kopf. Was würde aus meinen Kindern, meinen nur gedachten Kindern werden, wenn etwas nicht nach Plan verlief? Noch nicht einmal gezeugt waren sie, und ich macht mir schon Sorgen! Berechtigte Sorgen. Die Zeiten änderten sich rasant. So Durchlaucht wie damals, zu Gärtners und Stallknechts Hilfsdiensten, waren die Hochfrieds nicht mehr.
Wie meinte die Mizzi einmal, ganz am Anfang unserer Bekanntschaft: Dupont, schaun‘s sich um, wir leben inmitten einer Operette, die Vorstellung ist bald aus.
Auch da gab es eine Komplikation. Die Ansichten von Generalin und Mizzi, was den Erhalt der Linie anging, klaften sicher sternenweit auseinander. Frage: Darf ich der Mizzi mit Vorbedacht, ohne ihr Wissen, ein Kind machen?
Sicher sie ist dabei, weiß was sie tut, kennt das Risiko, nimmt es in Kauf. Warum? Aus Leidenschaft, Liebesglut, Raserei weil‘s einfach nix Schöneres gibt im Leben? Und ich?
Auch aus eben den Gründen, aber ohne Zufall, Gelegenheit! Alles vorbedacht, arrangiert, Hauptziel die Schwangerschaft! Wenn das die Mizzi erfährt, bin ich erledigt, was schlimmer ist, sie könnt ihr Kind nicht mögen.
Nicht weil es von mir wäre. Weil sie sich entwürdigt fühlte, zur Schachfigur gemacht, auf einem Brett, nach den Regeln eines verwehten Jahrhunderts. Die Mizzi würde sagen: Wo denkst hin, Dupont, Jahrhunderts. Was im Moment geschieht, das Stück in dem wir handelnde Personen sind, entfernt sich von dem, was offizielle Doktrin ist, mit der Geschwindigkeit einer Sternschnuppe. Beobachte die Hanskasperln, unsere Männer, in ihren Faschingsuniformen, wie sie paradieren, salutieren, den Aff aus sich machen! Auf Pferden Attacke reiten und mit der Eisenbahn nach Ischl dampfen! Eine einzige Parodie das Ganze! Die sind so saublöd, so selbstverliebt, denen geht nicht auf, wir legen in zehn Jahr mehr Zeit zurück, als früher im Jahrhundert!
Dass die Mizzi so dachte, konnte die Generalin nicht wissen, wäre ihr auch nicht beizubringen. Nur ich, Pierre Dupont, darf bei aller Verlockung die die Intrige versprach, sie nicht blindlings, in eine solch infame Falle tappen lassen. Der Infame bei dem Spiel, wär einzig ich! Die Generalin handelte aus ihrer Sicht nach bestem Wissen und alter Tradition. Ganz abgesehen davon, dass sie sich schmeicheln konnte, ihrer Nichte einen bis dato nicht gekannten, Born von Lust und Liebe erschlossen zu haben.
Den würde ich der Mizzi nur zu gern öffnen, da gab es überhaupt keine Zweifel. Ihr wachsendes Ungestüm bei unseren Kussorgien, ließ mich ahnen wohin die Reise ging. Bei nächster Gelegenheit, würde ich einen Ausfall in Richtung Schwachheiten riskieren. Bevor es aber zu einer wirklichen Schwachheit kam, entdecke ich ihr das Komplott der Generalin.
Der hingegen würde ich meinen Meinungsumschwung nicht entdecken, vielmehr eifrig helfen, die Maschen ihres Netzes zu ziehen. Erfreut dem Dilema entronnen zu sein, gab ich mich wieder ganz und gar meiner Wiener Hauptbeschäftigung hin, Beruf und Leben zu einem interessanten, köstlichen Knoten zu schürzen.
 



 
Oben Unten