Dylan Thomas herumgereicht

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sufnus

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Hey Dio!
Das Gedicht ist zugleich genial und ein bisschen unpräzsise, ohne dass diese beiden Eigenschaften einander unbedingt bedingen müssten. Ich frage mich, ob hier der Graf Neipperg womöglich mit von der Partie war. Und ohne Zweifel ist fehlende Präzsion ein mehr als annehmbarer Preis für Genialität. Ich möchte die Kontaktdaten Deines Weinhändlers haben.
Überhaupt: Wovon fasele ich hier die ganze Zeit (sollte da etwa ein sehr annehmbarer slowenischer Rotwein involviert sein?!) ?
Nun es geht um die - durch die Wiederholung auch noch einigermaßen freigestellte - Formulierung der "unlösbaren Frage" - die ist natürlich ein bisschen nonchalant dargeboten - denn unlösbar ist allenfalls ein Problem, keinesfalls aber eine Frage, welche hindwiederum gegebenenfalls unbeantwortbar - aber keinesfalls unlösbar sein kann (das schrub ich, will mir scheinen, bereits).
Und latürnich ist das (von den Kontaktdaten Deines Weinhändlers abgesehen) einigermaßen irrelevant. Dein Gedicht ist nämlich derart beneidenswert gut gelungen, dass mir nur in völlig grünen Grüßen zu verbleiben übrig bleibt:
In spinatvoller Hochachtung!
S.
 
Hi @sufnus

ich erlaube mir -vollkommen nüchtern in der wunderschönen Oktobersonne Mallorcas weilend, einen frisch gebrühten Mokka in der einen Hand, eine handvoll frischen Babyspinat in der anderen, haltend - und den heißen Dichterblick wie einen jungen Adler dem Llevant entgegenwerfend- auf das Gedicht: „And Death shall have no Dominion“ (Pauls Brief an die Römer, 6:9) zu verweisen. Das Aufgreifen der "unlösbaren Frage" sollte in meiner Hommage auch den Kreis schließen, ebenso wie dort "dominion". Thomas berühmtestes Werk lässt viele Interpretationsansätze. Wir reichen es herum wie eine Waise, bis es sich als die vielleicht behütetste Familie offenbart. In diesem Sinne ist die Reise nie zu Ende, die Wandlung selber eine "unlösbare Frage". Dort ist der Tod -in meiner Lesart- nur insofern relevant, als er eine Frage aufwirft, an der wir uns zeitlebens (!) abarbeiten (wie vermutlich auch die Zeit vor der Geburt).

Nun, die "unlösbare Frage" ist für mich nicht nur legitimer Ausdruck des Bildwerks: "Eine Frage, die wie ein Rätsel daherkommt oder wie eine Meditation", sondern auch im Alltagsgebrauch so verankert, dass ich breitbrüstig behaupten möchte: "Ja, genau so !". Aber das gilt nur für mich und ich bin natürlich nicht das Maß der Dinge. Ebenso wie ein Glas guten Weines "süffig" sein darf, darf meine Frage auch "unlösbar sein". Insofern fand ich immer die Deutschlehrerchen besonders nonachalant, wie sie mit einer etwas aus der Zeit gefallenen, reduktionisitischen Logik eine Welt zu durchmessen versuchten, die allein dem Reich der Synästhesie, Ästhetik und Fantasie angehört. In jedem Fall freut es micht sehr, dass Du Dir das Teil mit einem schönen slowenischem Rotwein reingezogen hast. Denn ein gewisses Maß an Seligkeit wertet doch jedes Gedicht auf.

Den Neipperg anempfahl ich dir ja bereits. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den 2018er Muskateller "Seine Exzellenz" (S.E) explizit erwähnte, will das aber gerne hier noch einmal nachholen. Es ist wunderbar, wie Du mich hier schon drauf hast !

Zum Spinat fällt mir gerade noch ein etwas quirliger Popeye ein, der nicht so ganz weiß, wohin mit seiner Kraft und aufgestauten Säften. Manchen dieser geistigen Muskelprotze sah ich schon mit Anlauf Türen einrennen, die bereits offen standen, wobei: Stand nun wirklich die Tür offen oder war nur das Türblatt in den Raum hinein dergestalt geöffnet, dass es sich nicht mehr -das Gesamtwerk schließend- in Flucht mit der Zarge befand ?

Spaaaß: Manchmal kommt es mir so vor, als versuchtest du deine berechtigte und häufig auf den Punkt gebrachte wunderbare Kritik in einem trojanischen Pferd aus Gleitcreme, Girlanden und sibirischem Puffparfüm in den Kommentar zu schmuggeln ? Wenn das so wäre, wäre das meiner Meinung nach gar nicht nötig! Ich profitiere sehr von deinen kritischen ANmerkungen, auch wenn ich sie nicht immer teile.

Was genau ist an dem Text eigentlich "genial" und "beneidenswert gut gelungen" ? Oder ist das eher Ausdruck der trojanischen List von der ich oben sprach ? Ich finde, wenn dir einer so einen Haufen von Gold vor die Tür kackt, sollte es dem Beschenkten auch klar werden, womit er diese strahlenden Geschenke verdient hat.

Küsschen

mes compliments

Dio
 
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sufnus

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Hey Dio!

Jetzt setzt Du mich insofern in Verlegenheit, als es viel schwieriger ist, ein Haar in der Suppe zu finden als zu erklären, warum die Suppe köstlich sei.
Du möchtest wissen, weshalb ich Deine Zeilen für genial halte und ich komme in Schwierigkeiten.
Viel lieber listete ich alle kleinen Pillepalleschnitzer auf, krittelte hier und mokiert dort und käme dabei der Frage, warum die Zeilen wunderbar sind, keinen Deut näher.
Aber gut - ich versuche das Schwierigste bei einem Kommentar: Das begründete Lob. Aber dafür hab ich dann mindestens zwei schöne Gedichte von Dir frei, die ich völlig rechtfertigungsfrei mit soviel Gold zuscheiße, wie mir der Arsch gewachsen ist. :)

Also erstmal wendest Du in dem Gedicht fünf ganz einfache (?) Tricks an, die (in den richtigen Händen - bei Dir ist das der Fall) poetischen Mehrwert erzeugen:

1. Das Gedicht ist ziemlich kurz, aber nicht zu kurz. 11 Zeilen sind eine durchaus einengende Längenvorgabe, gleichwohl ist es soviel Raum, dass man als Leser einen oder mehrere "rote Fäden" erwarten darf (anders als beim Haiku, dass mehr von Nichtgesagten als vom Gesagten lebt - was wiederum eine ganz eigene Kunst ist). Wenn es (zurück zu Deinem 11-Zeiler) gelingt, in diesem relativ begrenzten (aber eben nicht ganzganz kleinformatigen) Textraum ein Bild zu gestalten, ist der lyrische Mehrwert um so größer.
2. Das Gedicht geht sparsam mit Verben um. Ich habe diese Theorie schon ein paar mal vertreten, dass Verben ein bisschen das Äquivalent von Wasser in der Kochkunst sind - ganz ohne geht es (eigentlich) nicht, doch sehr viele Aromen (sämtliche fettlöslichen Duftstoffe, aber auch viele der niedermolekularen hydrophilen Verbindungen, sofern sie gering konzentrierte Aroma-Agonisten sind) werden von zu viel Wasser ausgewaschen.
3. Das Gedicht hat einen vorzüglichen Opener: Der Titel bzw. das erste Wort des Haupttextes sind eindeutig ungewöhnlich und eye-catcher zugleich: man wird schlicht neugierig, was es hier mit dem armen, herumgereichten Dylan auf sich haben wird.
4. Das Gedicht besitzt "gute Knochen": Es zoomt in den ersten vier Zeilen zunächst langsam und noch nicht besonders strukturiert in das Thema ein, um in den folgenden Zeilen drei relativ streng konstruierte Relativierungen wohlfeiler Aussagen durchzudeklinieren: Die Sage ist nur eine Sage, der lauteste Schrei ist ein leiser Schrei und das Meisterstück ist bloß eine unlösbare Frage. Dieser innere Aufbau des Gedichts wirkt wohlkalkuliert (um so besser, wenn dem gar nicht so ist!) und schafft zugleich einen umgrenzten Raum (wie ein Bilderrahmen um ein Gemälde) wie auch eine innere Spannung.
5. Der eigentliche Clou ist aber natürlich die rekursive Schleife der "unlösbaren Frage", denn durch die Wortwiederholung wird ein sehr schöner Bogen von den beiden Schlusszeilen zur Zeile 2 des Gedichts "gebaut". Die innere Spannung des Gedichts bleibt zwar erhalten, gleichzeitig ist das ganze, wie ein Yin-Yang-Symbol in sich ruhend.

Und wenn man jetzt herginge und würde meine Punkte 1 bis 5 mit einem anderen Thema nachkochen (Arbeitstitel: Die Jungfrauen aus Avignon ohne Fruchtschüssel), dann käme dabei ziemlich sicher nur großer Klamauk (bestenfalls) oder irgendwas Peinliches heraus.

LG!

S.

P.S.:
Und aufgrund der immensen Bedeutung des Wendung von der "unlösbaren Frage" für die Gedichtstruktur, will ich nochmal meinen (einzigen) Kritikpunkt hervorheben, dass eigentlich - rein vom Sprachlichen her, jedenfalls wenn man sehr sprachpäpstlich-pingelig ist - die Wörter "Frage" und "unlösbar" nicht ganz sauber mit einander verfugbar sind. Eine Frage ist unbeantwortbar und ein Problem unlösbar, aber die Vertauschungen einer unlösbaren Frage oder eines unbeantwortbaren Problems sind nicht so ganz einwandfrei.
Damit schließe ich meine wortreichen Ausführungen einigeramßen antiklimaktisch mit einer kleinen Korinthe. Aber immerhin eine Korinthe, die auf einem Goldhaufen liegt. :)
 
lieber @sufnus ganz herzlichen Dank für die wertvollen Ausführungen, in denen wir auch ein bisschen über die Herangehensweise des Kritikers an den Text im Generellen lernen können. Das sind wertvolle Eindrücke und eine sehr profunde Auseinandersetzung mit dem Text . Die These zum sparsamen Umgang mit Verben finde ich auch sehr interessant. Auch deinen "lackmustest" mit der Jungfrau finde ich eine spannende Methode. Letztlich ist die ganze Interpretation wertvoll und formgebend.

Ich denke bei der "unlösbaren" Frage bleiben wir unterschiedlicher Meinung wobei ich die sprachliche Unsauberkeit in diesem Fall in Kauf nehme.

Merci

Mes compliments

Dio
 



 
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