Hey Dio!
Jetzt setzt Du mich insofern in Verlegenheit, als es viel schwieriger ist, ein Haar in der Suppe zu finden als zu erklären, warum die Suppe köstlich sei.
Du möchtest wissen, weshalb ich Deine Zeilen für genial halte und ich komme in Schwierigkeiten.
Viel lieber listete ich alle kleinen Pillepalleschnitzer auf, krittelte hier und mokiert dort und käme dabei der Frage, warum die Zeilen wunderbar sind, keinen Deut näher.
Aber gut - ich versuche das Schwierigste bei einem Kommentar: Das begründete Lob. Aber dafür hab ich dann mindestens zwei schöne Gedichte von Dir frei, die ich völlig rechtfertigungsfrei mit soviel Gold zuscheiße, wie mir der Arsch gewachsen ist.
Also erstmal wendest Du in dem Gedicht fünf ganz einfache (?) Tricks an, die (in den richtigen Händen - bei Dir ist das der Fall) poetischen Mehrwert erzeugen:
1. Das Gedicht ist
ziemlich kurz, aber nicht zu kurz. 11 Zeilen sind eine durchaus einengende Längenvorgabe, gleichwohl ist es soviel Raum, dass man als Leser einen oder mehrere "rote Fäden" erwarten darf (anders als beim Haiku, dass mehr von Nichtgesagten als vom Gesagten lebt - was wiederum eine ganz eigene Kunst ist). Wenn es (zurück zu Deinem 11-Zeiler) gelingt, in diesem relativ begrenzten (aber eben nicht ganzganz kleinformatigen) Textraum ein Bild zu gestalten, ist der lyrische Mehrwert um so größer.
2. Das Gedicht geht
sparsam mit Verben um. Ich habe diese Theorie schon ein paar mal vertreten, dass Verben ein bisschen das Äquivalent von Wasser in der Kochkunst sind - ganz ohne geht es (eigentlich) nicht, doch sehr viele Aromen (sämtliche fettlöslichen Duftstoffe, aber auch viele der niedermolekularen hydrophilen Verbindungen, sofern sie gering konzentrierte Aroma-Agonisten sind) werden von zu viel Wasser ausgewaschen.
3. Das Gedicht hat einen
vorzüglichen Opener: Der Titel bzw. das erste Wort des Haupttextes sind eindeutig ungewöhnlich und eye-catcher zugleich: man wird schlicht neugierig, was es hier mit dem armen, herumgereichten Dylan auf sich haben wird.
4. Das Gedicht besitzt
"gute Knochen": Es zoomt in den ersten vier Zeilen zunächst langsam und noch nicht besonders strukturiert in das Thema ein, um in den folgenden Zeilen drei relativ streng konstruierte Relativierungen wohlfeiler Aussagen durchzudeklinieren: Die Sage ist nur eine Sage, der lauteste Schrei ist ein leiser Schrei und das Meisterstück ist bloß eine unlösbare Frage. Dieser innere Aufbau des Gedichts wirkt wohlkalkuliert (um so besser, wenn dem gar nicht so ist!) und schafft zugleich einen umgrenzten Raum (wie ein Bilderrahmen um ein Gemälde) wie auch eine innere Spannung.
5. Der eigentliche Clou ist aber natürlich die
rekursive Schleife der "unlösbaren Frage", denn durch die Wortwiederholung wird ein sehr schöner Bogen von den beiden Schlusszeilen zur Zeile 2 des Gedichts "gebaut". Die innere Spannung des Gedichts bleibt zwar erhalten, gleichzeitig ist das ganze, wie ein Yin-Yang-Symbol in sich ruhend.
Und wenn man jetzt herginge und würde meine Punkte 1 bis 5 mit einem anderen Thema nachkochen (Arbeitstitel: Die Jungfrauen aus Avignon ohne Fruchtschüssel), dann käme dabei ziemlich sicher nur großer Klamauk (bestenfalls) oder irgendwas Peinliches heraus.
LG!
S.
P.S.:
Und aufgrund der immensen Bedeutung des Wendung von der "unlösbaren Frage" für die Gedichtstruktur, will ich nochmal meinen (einzigen) Kritikpunkt hervorheben, dass eigentlich - rein vom Sprachlichen her, jedenfalls wenn man sehr sprachpäpstlich-pingelig ist - die Wörter "Frage" und "unlösbar" nicht ganz sauber mit einander verfugbar sind. Eine Frage ist unbeantwortbar und ein Problem unlösbar, aber die Vertauschungen einer unlösbaren Frage oder eines unbeantwortbaren Problems sind nicht so ganz einwandfrei.
Damit schließe ich meine wortreichen Ausführungen einigeramßen antiklimaktisch mit einer kleinen Korinthe. Aber immerhin eine Korinthe, die auf einem Goldhaufen liegt.