„Eat´n X“

XRay

Mitglied
„Eat´n X“
oder
Rot und Schwarz

Meine Frau hatte mich beim Frühstück gebeten, ich möge doch draussen mal nachschauen; sie habe wieder Anzeichen für nächtliche Aktivitäten beobachtet. Und tatsächlich, im Gartenboden vor dem Küchenfenster waren frische Spuren.
Der Karton „Eat´n X“ im Wintergarten war leer. Ich fuhr deshalb sofort zum Bau- und Gartenmarkt, um Nachschub zu holen. Es war noch früh und in der riesigen Halle waren nur wenige Kunden. Das Regal, in dem die großen roten Schachteln standen, die ich suchte, war an der hinteren Wand des Geschäftes. Es sah leer aus, ich kniete mich aber nieder, um nachzusehen, ob nicht im unteren Fach eine Schachtel stand. Und wirklich fand ich noch einen der kleinen Kartons, den ich ächzend herauszog.
An der Kasse war ich der einzige Kunde. Die Kassiererin, etwa Mitte 50, hatte ein T-Shirt mit dem Logo des Baumarktes an, das fast vom gleichen Rot war, wie das auf der Schachtel „Eat´n X“, die ich vor ihr auf das Transportband stellte.
„Scheint gut zu gehen das Zeug“, sagte ich, „das hier war das letzte“.
„Hinten im Lager haben wir noch frische Ware“, antwortete sie. Während sie den Code scannte kamen laut gestikulierend und kichernd zwei dunkelhäutige Männer herein, die eilig an der Kasse vorbei Richtung Elektronik liefen. Die Kassiererin schaute ihnen einige Sekunden nach, dann sagte sie, sich wieder zu mir wendend:
„Die sind eine echte Plage. Die können ganz schön frech sein!“
„Wie meinen Sie das?“
Sie schien die Missbilligung in meiner Frage zu überhören während ich ihr einen 50-Euroschein reichte.
„Bei mir sind letzte Woche zwei am helllichten Tag einfach auf dem Grundstück herumgelaufen.“
„Dafür ist das Ordnungsamt zuständig! Melden Sie es dort!“ sagte ich grob.
„Habe ich ja. Sie wollen mir jemanden schicken. Wenn es denn wahr ist!“
Ich nahm das Wechselgeld und steckte es ins Portemonnaie.
„Sie glauben nicht, was die nicht alles fressen! Ich hatte am Fenster vor unserem Haus einen Meisenknödel aufgehängt, am nächsten Tag war der samt dem Draht verschwunden.“
Ich stutzte einen Moment, dann lächelte ich ihr freundlich zu.
„Ich habe auch das Ordnungsamt angerufen“, sagte ich dann, „und sie haben tatsächlich jemanden geschickt“.
„Was hat der denn gesagt?“
„Man soll auf jeden Fall mindestens 4 Wochen wachsam bleiben, aber auch später immer auf Spuren achten“.
Ich nahm das „Eat´n X“ und den Kassenbon und fuhr zurück nach Hause.
In der Einfahrt parkte der Lieferwagen des von der Stadt beauftragten Schädlingsbekämpfers. Er stand mit meiner Frau vor dem Küchenfenster. Ich liess die rote Schachtel im Auto; der brauchte ja nicht zu wissen, dass ich auch selbst aktiv werden wollte.
Als ich zu den beiden hinging fiel mir erneut die Ähnlichkeit auf, die der „Rattenfänger“, wie wir ihn bei uns nannten, in Gesichtsschnitt und Bewegungen mit den Tieren hatte, die er verfolgte. ‚Wie in alten französischen Gangsterfilmen, wo Kommissare und Ganoven oft vom gleichen Schlag sind‘, dachte ich. ‚Man kann sie oft nur an ihren Fahrzeugen unterscheiden: die Kommissare fahren einen Peugeot 404, die Ganoven einen Peugeot 403, beide schwarz lackiert‘.
Der Mann kontrollierte die schwarzen Tunnelröhren mit den grellroten Warnhinweisen, die er vor 4 Wochen an mehreren Stellen im Garten aufgestellt hatte. Die schwarzen Plastikbeutel mit dem Giftköder darin waren sämtlich unberührt.
Ich zeigte ihm das frische Loch.
„Ja, hab´ ich auch schon gesehen.“ Er schüttelte nachdenklich den Kopf.
„Ich versteh´ das nicht“, sagte er dann. „Haben Sie irgend etwas im Garten, das die da unten - er zeigte auf das Loch im Boden - auch gern fressen,“ fragte er, „Vogelfutter, Meisenknödel“?
„Nein“, sagte ich und musste ein Grinsen unterdrücken, da ich mich sofort anderes Gespräch mit der Kassiererin im Baumarkt erinnerte.
Er stocherte noch mit einer kurzen Eisenstange lustlos in dem Loch herum.
Er wirkte depressiv.
„Ich denke, wir warten zuerst noch einmal 2 Wochen ab“, sagte er müde, „ich schaue dann noch einmal nach.“
Wir gingen zu seinem Wagen, wo ich ihm seinen Besuch auf einem Arbeitsblatt quittierte.
Scheissjob, dachte ich, als er mir bei der Ausfahrt noch einmal mit einem gequälten Lächeln durch die Windschutzscheibe seines kleinen Lieferwagens zuwinkte.
Ich holte das „Eat´n X“ aus meinem Auto und legte eines der roten Polster vor das Rattenloch.
Wie beim Roulette konnte rot oder schwarz gewinnen, es sei denn, die Kugel fiel auf „zero“.
 
Zuletzt bearbeitet:



 
Oben Unten