ecce fagus

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Hi wiesner,

dein Text gefällt mir sehr gut in seiner "schnörkellosen Baumform", gewachsen, wie er wachsen sollte.

Er umgreift in meinem Verständnis die großen Themen der Zeit, Wiedergeburt, des Überdauerns . das LI -als arbor cognationis spiritualis- steht der in die Welt gereiften Buche gegenüber und huldigt vielleicht dem Wesentlichen darin. Das "Bleiben" der Buche, das dem LI versagt bleibt, welches stirbt und wiederkehrt, stirbt und wiederkehrt, setzt das LI final eine Vertintung der Blätter gegenüber. Damit macht es sich auf ähnlich authentische Weise unsterblich, das ist, in der Umwandlung, dem kreativen Prozess, der Vergeistigung der Materie im großen Schöpfer (dem künstlerischen Geist). Konsequent wird das schöpferische am Gewässer im "Geiste der Jugend" wieder aufgenommen und zu einem Lied, jener ersten und letzten erhabensten Schönheit.

Auf einer anderen Ebene sehen wir das LI vielleicht in Erinnerung zurückkehren zu der "Buche der Jugend", die "alle Welt" in sich trägt. Während sie dort blieb, ging das LI fort und kehrt erst jetzt, schlurfend und gebückt (alt und krafttlos) zurück. Vielleicht erinnert es sich an eine vergangene liebe, an gelebtes leben im Dorf naher des Gewässers und der Buche. Vielleicht ist es nun, nachdem alles, was "vertintet werden sollte, vertintet worden ist", Zeit für die große Vereinigung, wobei -das will ich nicht verschweigen- das christtliche Andachtsbild des "Jesus in der Rast" mitklingt, beim überraschenden Ausruf: Ecce fagus

mes compliments

Dionysos
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo wiesner,

dieses letzte Lied, voller Erhabenheit und Schönheit, danach suchen wir doch alle. Aber tröste dich, wenn du so ein großartiges Gedicht schreiben kannst, dann sind deine Blätter noch nicht vertintet und das Lied mag dir gelingen. Du kannst der Buche wieder den Rücken kehren, sie wird warten.

Ich empfehle diese Gedicht mit Begeisterung und wenn es die Wahl zum Gedicht des Jahres gäbe, dann wäre es dieses.

Liebe Grüße
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 24962

Gast
Hi wiesner,

mir gefällt das Komprimierte, allerdings hinkt das Präfix „ver-tinkt“ im Kontrast zum Inhalt.
Den Neologismus versuche ich zu ver-stehen:
Das Präfix “ver-” in der deutschen Sprache hat oft eine Bedeutung, die auf eine Veränderung oder einen Übergang hinweist. Es kann auch eine falsche oder misslungene oder den Versuch einer Handlung implizieren. In diesem Kontext könnte “vertintet” bedeuten, dass etwas mit Tinte bedeckt oder durchtränkt ist, möglicherweise auf eine umfassende oder gründliche oder weniger gründliche Weise. Es könnte auch eine Transformation bedeuten, bei der der ursprüngliche Zustand des Objekts/Subjekts durch die Tinte veränderlich wird. Lese ich das Präfix wie erläutert und den Rest des Gedichtes, beginnt der Pinguin freiwillig in den Kühlschrank zu gehen. Manchmal klingen Sachen gut, fügen sich aber in der Überordnung ein wie ein Blitz unterm Gullideckel.

Verändern wir das Präfix zu „zer-tintet“, könnte folgendes dabei herauskommen: Das Präfix “zer-” wird im Deutschen typischerweise verwendet, um eine Zerstörung, Fragmentierung oder das Auseinanderfallen von etwas anzuzeigen. “Zertintet” könnte also bedeuten, dass etwas durch Tinte zerstört oder beschädigt wurde, oder dass die Tinte selbst zer-laufen oder zer-streut wurde. Dieses Wort impliziert eher einen Prozess der Zerstörung oder Auflösung oder einer Veränderungen aus dem Kern durch intensive Einflüsse von außen. Am besten wäre es, denn da liegt die Meisterschaft begraben, zu einem einfachen und ordinären Wort zu greifen. Von „zer-„ ließe sich auch „ertintet“ ableiten und ich glaube, dass wir der Bedeutungsmanier wahrlich näher kommen.

Nun schlurft aber das Lyrisch gebückt zur Jugendbuche, um sich in der Demut zu ergeben, offensichtlich vom Spießrutenlauf geläutert:
Dass die Buche alle Welt im Holz hat ist eine sehr schöne, invertierte und melancholischere Ableitung von „Alle Tassen im Schrank“. Es wirkt tief, wer die Verbindung nicht erkennt.
Neologismen und wortsatte Zeilen dürfen nicht fehlleiten. Miniwerke (sehr gut!) müssen im Detail glänzen, da nicht viel Raum für Erzählung da ist.
Das Gedicht erinnert an Schubert (Lindenbaum) aber auch marginal an Wordsworth (“Lines Composed a Few Miles Above Tintern Abbey”)

Hübsch ist es definitiv,

gernst gelesen!

lg ev
 

wiesner

Mitglied
ob ich das ganze ernst nehmen soll?

'bemerkenswert' außerhalb des threads

'alle tassen im schrank'
'hübsch ist es...' (noch schlimmer als nett)

belehrungsblabla auf vorsilbenniveau - und das in romanlänge

Dionysos, fee und Manfred - danke erstmal


gruß
wiesner
 

sufnus

Mitglied
Schade immer, dass Fritz so kurzluntig, selbst auf zugewandte Kommentare, reagiert, wenn sie die Erwartungshaltung nicht bedienen.
Ich finde, das ist wirklich ein angenehmes (wahlweise auch nettes oder hübsches) Gedicht und diese Attribute sehe ich als sehr positiv an (muss man offenbar dazu sagen). Wahrscheinlich hat jedes Menschenwesen, das in hinreichendem Naturkontakt seine frühe Welterkundung begann, einen Kindheitsbaum (oder vielleicht auch mehrere). In meinem Fall ist tatsächlich nur noch eine Buche übrig geblieben. Die Weide, die Lärche und die Birke sind nach und nach der Säge zum Opfer gefallen und die Zeder hat der Blitz getroffen. Dass in Deinem Gedicht die Buche noch die Stellung hält, ist eigentlich ein Hoffnungszeichen, auch wenn es nicht so bedichtet wurde.
Was ich aber falsch finde, ist der etwas preziöse und zugleich pathetische Titel,weil er nicht zur Stimmung des Gedichts passt (und das sag ich als jemand, der solche Titel auch schon häufiger verbrochen hat)...;)
LG!
S.
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wenn ihr hier nicht ohne Stänkereien über Lyrik diskutieren könnt, werde ich den Faden schließen.

Grüße
Manfred
 

wiesner

Mitglied
danke, Tula, für deinen besuch und die (vorweihnachtliche) wertung

ob ich wieder ganz zum gedicht zurückkehren kann, weiß ich nicht
wollte es schon löschen lassen

gruß
wiesner
 

sufnus

Mitglied
Also Stänkereien kann ich hier eigentlich keine finden und meinen Einwand gegen den Titel (der einzige Einwand, den ich bei diesem sonst schönen Gedicht habe) habe ich sogar liebevoll in die Beobachtung eingebettet, dass ich mir mit Titeln, die nicht so recht zum Gedicht passen, auch dann & wann Fehlschüsse erlaube. :)
Lateinische Titel habe ich hier schon mindestens zweimal verwendet, gerade aktuell bei Ex flammis und früher mal bei Ubique naufragium, und in beiden Fällen bin ich mir unsicher, ob das schon der Weisheit letzter Schluss war.
Die lateinische Titelei wirkt halt immer etwas manieriert, was einen gewissen Komik-Effekt generiert... gerade hier in diesem zurückgenommenen Gedicht passt es m. E. nicht, zumal der Vergleich der Buche mit dem Heiland noch eine zusätzliche Gravitas reinbringt.
Das ist alles & kein Grund für Meltdowns.
LG!
S.
 



 
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