Ehrenrettung des Arschlochs

rotkehlchen

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Dem Arschloch, wenn es wohl gepflogen
ist auch ein weiser Mann gewogen* . . .

Nothing bad can happen to a writer.
Everything is material." (Philip Roth)

Nun regen Sie sich doch nicht gleich auf! Ich meine Sie doch gar nicht persönlich! Arschlöcher gab es schon, da war an Sie oder an mich noch gar nicht zu denken. Und, um ein Haar hätte es auch andersherum kommen können. Dann hätten Sie vielleicht Grund, sich zu beklagen, aber so nicht.
Wie ich das meine?
Gut, ich erklär´s Ihnen.
Vor langer langer Zeit (es können auch ein paar Jährchen mehr oder weniger gewesen sein), als Mutter Natur noch nicht so recht wusste, wie sie ihre Geschöpfe gestalten sollte, entwickelte sich aus einer befruchteten Eizelle eine Art Blase mit nur einer Öffnung, Blasenkeim genannt. Diese Öffnung entwickelte sich zum Mund, der Hinterausgang bildete sich neu. Doch bald stellte Mutter Natur fest, dass sich diese so genannten Urmünder ums Verrecken nicht höher entwickeln wollten; was dabei herauskam war allerlei Gewürm und Krabbelzeug wie Insekten, Spinnen und Krebstiere. Doch sie träumte von starken Recken, die wissen, wo das Klavier steht, die sich kein X für ein U verkaufen lassen, kurz: Burschen wie Sie und ich.
Allmählich dämmerte ihr, der guten Mutter, woran es lag: Der neue Hinterausgang taugt nichts. Irgendwie verhindert es, dass sich Geschöpfe mit Witz, Ironie und dem Gespür für tiefere Bedeutung entwickeln konnten. Also setzte sie sich noch einmal hin und schuf Wesen, bei denen der Urmund zum –
Wie? Aber ja doch, genau das will ich sagen! Der Urmund wird zum After, und der Mund bildet sich neu – –
Was das mit Ihnen zu tun hat? Das will ich Ihnen gerne sagen, mein Lieber. Auch Sie durchlaufen in ihrer Individualentwicklung dieses Blasenkeim- oder Blastulastadium, in dem es sich entscheidet, ob der Urmund zum Hinterausgang wird oder –
Nun unterbrechen Sie mich doch nicht immer! Ja. Ihr Arschloch war mal ihr Mund, und Ihr jetziger Mund –
Wie? Natürlich ist diese Vorstellung abartig. Trotzdem, seien Sie froh, dass es nicht andersherum gekommen ist. Wie ich schon sagte. –
Ob ich mir da sicher bin? Hundert pro! Schließlich ist es bei mir genauso. Was meinen Sie? Wenn was? – –
Ja, das kommt vor! Beim männlichen Hausschwein zum Beispiel gibt es eine seltene Missbildung, die Afterlosigkeit oder Atresia ani. Es sieht so aus, als habe sich zwar der Neumund bestimmungsgemäß entwickelt, der Urmund allerdings nicht, aus welchen Grunde auch immer.
Sie schweigen. Kann ich gut verstehen. Die Vorstellung ist ja auch zu bizarr. Doch ich kann Sie beruhigen: Beim Menschen ist dergleichen noch nie beobachtet worden. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht vorkommt. Vermutlich führen solche Missbildungen bei menschlichen Embryonen schon frühzeitig zum Absterben. Aber wer sagt denn, dass es irgendwann nicht doch noch passiert? Irgendwann geschieht alles zum ersten Mal. Verstehen Sie jetzt, warum jeder Mensch froh über sein . . . na ja, Sie wissen schon, was ich meine, sein sollte? Und warum es der Bedeutung dieses Körperteils nicht angemessen ist, wenn man die meiste Zeit darauf sitzt? Und warum es zum Schimpfwort überhaupt nicht taugt? Abgesehen davon, dass darin viel weniger Viren und Bakterien hausen als beispielsweise im Mund, auf den man sich küsst. Da wäre es doch viel angebrachter –
Wie? Unsinn, natürlich nicht. Wer sind wir denn. Was ich meine ist dies: Man sollte jedem Arschloch mit Achtung begegnen und es nicht für gemeine Beschimpfungen missbrauchen. Das hat es nicht verdient.
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*Original: Dem Hunde, wenn er wohl gezogen, ist auch ein weiser Mann gewogen. (Goethe)
 



 
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