Ehrgeiz

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trivial

Mitglied
Meines Erachtens tust Du dem schönen Wort Ehre unrecht und ich würde, die von Dir genannten Attribut eher beim Stolz sehen, aber wahrscheinlich gibt es auch einen Bedeutungswandel der Worte.

Liebe Grüße
R
 
Aloha trivial!

In meinen Ohren hat „die Ehre“ keinen so guten Klang.
Wie viele Verbrechen, wie viel Leid hat das kleine Wörtchen auf dem Kerbholz!
Ausgangspunkt für Zwist, Krieg und Unfrieden in der Welt. Kränkungen, Fehden, Sinnlosstreits usw.
Etwas, das aggressiv verteidigt werden muss. Etwas, für das gestorben und gemordet wird… muss ich noch mehr sagen?
Unsichtbar und giftig wie Atomstrahlung.
Standesdünkel. Unterordnung. „Ehrfurcht!“ - und noch mehr fällt mir ein.

Ich weiß schon, dass man das Wort auch anders lesen kann.
„Wertschätzung“, „Anerkennung“, „Edelmut“ usw.
Hab ich außen vor gelassen, weil das nicht so gut zur Pointe passt und weil das auch wirklich nicht meine erste Assoziation ist.

So wirken die Worte, Wörter und Wörtchen eben bei jedem anders.

In diesem Sinn: Habe die Ehre,


Erdling
 

mondnein

Mitglied
ich würde, die von Dir genannten Attribut eher beim Stolz sehen
das ist schon sehr richtig angemerkt. "Stolz" hat mit "Ehre" immerhin gemeinsam, daß es eine Menge Leute gibt, die beide Begriffe für eine Tugend, oder gar für die Essenz ihres Kulturverständnisses, ihrer "Tradition", oder (neuhochdeutsch) ihrer "Blase" (ihr Pipi?) halten.
Aber in unserer Tradition galt "Stolz" als eine Todsünde. Wahrscheinlich kam der Umbruch, die radikale Umwertung des Lasters zur Tugend, mit dem Selbstwertgefühl in der Renaissance, "Gargantua und Pantagruel" siehe https://www.leselupe.de/beitrag/beginn-der-neuzeit-160461/, überbordend im Barock, ein wenig zurückgenommen in der bürgerlichen Bescheidenheit, um so wahnsinniger exaltiert dann in den Faschismen und Nationalismen des 20. Jahrhunderts, deren Echo überall (nicht nur hier in Sachsen) lauter klingt als die selbstkritische Distanz zur eigenen "Biographie".

Aber "Ehre" ist ein noch viel gefährlicherer Traditions-Anker in all den Kulturen, die sich überlebt haben und vor sich hinwelken. Überheblich und trügerisch. Ein übel stinkender Anspruch. Das geile Drüsenparfüm zwischen Scheintod und Verwesung.

grusz, hansz
 
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Agnete

Mitglied
dein Gedicht inspirierte mich nachzuforschen woher der Begriff Ehr-Geiz kommt. Denn wenn man Geiz als übertriebene Sparsamkeit verbindet, dann passt es ja gerade nicht.
Es leitet sich von git ab mhd. Gier. das passt schon besser.
Das Gieren nach Ehre.
Ehre im Sinne von veehrt werden, bewundert werden, Anerkennung.
Das wäre auch die Erklärung dafür, dass der Begriff Ehre für Kriegsmotivation missbraucht wurde und wird.
Anerkennung durch Held sein. Den Tod von Menschen nimmt man billigend in Kauf.

Ich möchte diese Worte nicht verdammen. Sie sind ein Teil von Menschen.
Mir persönlich ist Ehrgeiz fremd, obwohl ich manchmeal denke, dass es schade ist, dass das Wort Ehre so missbraucht wurde, dass es eigentlich nicht Gutes mehr sein konnotiert...lG von Agnete
 

petrasmiles

Mitglied
Nun, ich möchte mich Dichter Erdling anschließen mit ihrer Fundamentalkritik an dem Begriff Ehre.
Ehre ist der Inbegriff von einem Kanon, der Menschen auferlegt wird, wie sie zu sein haben, damit ihr Handeln ihnen zur Ehre gereicht. Auch der Vorwurf 'Hast Du keine Ehre im Leib' bezieht sich auf diesen Kanon und lässt keinen Spielraum, ob der Beschimpfte vielleicht ein anderes Wertekostüm haben könnte. Es ist die 'Gesellschaft', die diese Regeln aufstellt und eigentlich regelt, wer alles keinen Zugang haben soll.
Ich persönlich benutze dieses Wort quasi nie ohne Unterton. Gerade mal ein 'es gereicht Dir (zwar) zur Ehre, dass ...., aber, und soll heißen: Du hast es verbockt - aus den falschen Gründen das richtige getan, oder Dir etwas abverlangt, wonach keiner gefragt oder gar gebeten hatte. Und der nach Ehre Süchtende will eigentlich akzeptiert werden, indem er den Kanon bedient.

Ich finde es sehr interessant, wie das in Reimform gelungen ist.
Über Geiz braucht man nicht diskutieren.

Liebe Grüße
Petra
 

trivial

Mitglied
Ich hatte zwar beschlossen, im Mangel an Diskussionsgeschick, mich nicht weiter zu äußern, aber da das Thema mich doch beschäftigte, ob ich mittlerweile so konservativ oder geistig abgedriftet bin, teile ich mal meine privaten Gedanken zum Thema. Da ich es nur für mich schrieb, mag es in mancher, vielerlei Hinsicht einer objektiven Diskussion nicht standhalten, aber vielleicht ist doch ein geringer Mehrwert darin...


Natürlich kann man abstrakte Begriffe willkürlich mit Inhalt füllen, aber Grade dieser Relativismus führt dann zur Bedeutungslosigkeit oder zum Ausschluss aus dem Sprachgebrauch, da alles schlechte in ihnen verbannt wird und die Grenzen der Welt werden immer enger. Weshalb mir ein konstruktivistischer Universalismus angebrachter scheint.

Das verletzliche, verbindende, sich öffnen und zeigen, dieses exponierte, der Raum, in dem sich die Würde der Menschen im hier und jetzt berührt, das ist die Ehre.

Etwas, was sich nicht aus der Vernunft herleiten lässt, das aus der eigenen Identität entsteht und diese nicht erst stiftet, so sich in den eigenen Verhalten widerspiegelt, kein Verhalten verlangt, sich im Geben zeigt, nicht im Verteidigen.

Unabhängig von der Vernunft, die sich selbst reflektiert und der Respekt, der die Vernunft des anderen anerkennt.

Respekt, ein passenderes Wort? aber dies besitzt etwas distanziertes, verschlossenes, atomisierendes...

So viel dazu, tut mir leid wenn es wirr wirkt.

Liebe Grüße
R
 
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petrasmiles

Mitglied
Liebe(r) R,

ich bin sehr beeindruckt von Deinen Gedanken - danke, dass Du sie mit uns teilst!

Natürlich kann man abstrakte Begriffe willkürlich mit Inhalt füllen
Hier kann ich Dir nicht zustimmen, weil es gerade am Beispiel der Ehre auf die gelebte Tradition ankommt, in der er verwendet wurde - also das Leben, mit dem er gefüllt wurde. Das ist nichts Willkürliches. Zudem ist insbesondere im österreichischen und preußisch-deutschen Kaiserreich viel zu viel von 'Ehre' die Rede gewesen. Das spiegelt die Literatur der Zeit wieder. Und heute noch bekommt der Begriff tragisches 'Leben' eingehaucht durch die Ehrenmorde an muslimischen Frauen und Mädchen, die durch ihr Verhalten die 'Ehre' der 'Familie' verletzten. Diesen Aspekt bekommt man auch schlecht wegdiskutiert.

Aber dieser Einwand hat mich geflasht:
Das verletzliche, verbindende, sich öffnen und zeigen, dieses exponierte, der Raum, in dem sich die Würde der Menschen im hier und jetzt berührt, das ist die Ehre.
und darüber werde ich noch länger nachdenken müssen. Ist das Ehre?

Liebe Grüße
Petra
 

trivial

Mitglied
Liebe Petra,

es ehrt mich sehr, dass Du dir die Zeit für meine Gedanken nahmst und sie als nachdenkenswert empfindest.
Dafür danke ich Dir.

Liebe Grüße
R
 

mondnein

Mitglied
ich habe Ehrfurcht, wenn ich in den Sternenhimmel schaue oder bei uns auf der Erde staune über die Vielfältigkeit der Natur - denke nicht, dass dies Standesdünkel ist.
nur, daß "Ehre" mit "Ehrfurcht" so wenig zu tun hat wie "Stolz" mit "Demut".
Etymologische Identifikationen sind unhistorisch, wenn sie die Bedeutungsverschiebungen der scheinbaren "Ableitungen" nicht beachten.

Das verletzliche, verbindende, sich öffnen und zeigen, dieses exponierte, der Raum, in dem sich die Würde der Menschen im hier und jetzt berührt, das ist die Ehre.
nein, das ist schlicht und einfach Kommunikation. mit "Ehre" hat das wo wenig zu tun wie die Empathie im Verstehen etwas mit dem längst verwelkten Stolz sich duellierender Adliger zu tun hat. Die ohnehin das exakte Gegenteil von "Verletzlichkeit" demonstrieren. Die durften mit Waffen herumlaufen, ihrer "Ehre" wegen.

grusz, hansz
 



 
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