Ein Abend mit Louis

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Marc Hecht1

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Es war Ende 1999, ich war damals viel allein. Und froh, als Louis anrief. Er lud mich ein, zu seiner großen Millenniumsparty. Und ob wir nicht vorher noch einmal einen trinken wollten? Noch einmal im alten Jahrtausend, sozusagen.
Ich sagte zu, und er schlug dann das "Eckstein" vor, auf dem Ku´damm.
Louis, der große Agenturchef. Er besaß eine PR-Agentur, recht erfolgreich, nur einen Steinwurf vom Kurfürstendamm entfernt.
Kennengelernt hatten wir uns einmal im Flugzeug. Er hatte mich erkannt, wir saßen nebeneinander, auf dem Weg nach Hamburg. Ich schrieb damals eine wöchentliche Kolumne, über dies und das im Leben, mit einem kleinen Foto von mir darüber. Damals sprachen mich manchmal Leser an, auf diese Kolumne. Und auch Louis hatte mich angesprochen, und wir kamen ins Gespräch, plauderten, tauschten nach dem Flug die Visitenkarten. Und danach stellte sich heraus, dass Louis ein großer Partygeber war.
Immer wieder lud er mich jedenfalls ein. Stoisch, ohne eine Spur von Groll, obwohl ich ihn einige Male versetzt hatte.
Einmal hatte er bei Luther & Wegner seinen Geburtstag gefeiert. Ich war dabei, mit Lisi, meiner Frau. Sie hatte für ihn und die Gäste gesungen – und alle waren damals hin und weg.
»Sie hat Klasse, Marc«, hatte er später erklärt, ein ums andere Mal. Jedes Mal betrunkener: »Die deutsche Callas …, sie hat wirklich Klasse!«
Als ich jetzt auf das Cafe am Ku´damm zuging, sah ich ihn schon durch die Tür. Am Telefon hatte ich ihm erzählt, wie ich meine Tage so verbrachte, was ich gerade so machte. Und er war begeistert.
Louis hatte kaum noch Haare, klein und gedrungen saß er da. Mit seinen kleinen Äuglein sah er ein wenig bauernschlau aus, aber das wurde ihm nicht gerecht. Ich fand, dass Louis sehr gebildet war. Er hatte einen guten Sinn für Texte und Bücher; und wenn er getrunken hatte, erging er sich gern in Literatur. Und vor allem: Er hielt meinen Schritt zur Schreiberei für großartig und richtig – und das machte ihn mir zum Freund.
Als ich an den Tisch trat, sprang er auf und begann sofort, mir auf die Schulter zu klopfen.
»Marc! Ich hab´ eben die ganze Zeit schon darüber nachgedacht. Es ist großartig! Dass du jetzt schreiben willst, großartig! Genau richtig! Klasse!«
Ich bedankte mich artig. Doch Louis hatte wohl schon ein paar Gläser Rotwein Vorsprung und war ganz aufgedreht: »Mach dir keine Sorgen, das wird schon alles! Wie gesagt, ich hab’ deine Kolumne ja immer gelesen. Jede Woche! Und der Roman wird deshalb garantiert eine lesenswerte Sache. Du schreibst gut, ja, das tust du!«
Ich bedankte mich noch einmal und sah mich dann nach einem Kellner um. Um Wein zu bestellen und auch, um das Thema zu wechseln.
Wir plauderten und tranken Rotwein. Und Louis erging sich dann in seinen augenblicklichen Lieblings-Schriftstellern – und war schließlich bei Laxness angekommen.
Ich erwärmte mich. Empfand es als Wohltat, mit Louis über Laxness zu plaudern, beim Rotwein, auf dem Kudamm. Über einen isländischen Nobelpreisträger. Ich erzählte Louis, dass Laxness überall seine Jünger sitzen hätte, und dass zum Beispiel auch Strittmatter den großen Laxness zum Vorbild gehabt hätte.
»Guck an«, Louis hatte genickt, »so was ist halt international.«
Er wollte dann wissen, welche Schriftsteller ich mag und ich hatte ihm ein paar genannt. Er hatte zugehört, weiter Rotwein getrunken – und schließlich hatte er erklärt, dass Hamsun doch ein verdammter Nazi gewesen wäre. Ganz empört wurde Louis.
Und auch ich trank Rotwein, rauchte und legte mich ins Zeug. Musste zugeben, dass Louis natürlich recht hatte. Abscheulich hätte sich Hamsun damals benommen. Als er von Ossietzky beschimpft - und Goebbels sogar seine Nobelpreis-Medaille geschenkt hatte. Aber Hamsun wäre damals ja nur noch ein alter störrischer Mann gewesen, hatte ich hinzugefügt, und im Grunde hätte er Hitler verabscheut. Ich, hätte der immer nur gesagt, während ihrer Begegnung. Ich, ich, ich. So jedenfalls hätte Hamsun es später beschrieben. Und Louis solle gefälligst "Segen der Erde" lesen und "Mysterien", vorher nähme ich ihn sowieso nicht ernst in dieser Frage, er wäre gewissermaßen gar nicht satisfaktionsfähig.
Louis hatte sich schließlich aufs Schweigen und Trinken beschränkt und ich erging mich ungehindert, zeigte zum Beispiel mit einer fulminanten Bewegung den Ku´damm hinab, bis in den Ostteil der Stadt: »Die durften Hamsun überhaupt nicht lesen, 40 Jahre lang nicht! Das musst du dir mal vorstellen! Eine Regierung, die Hamsun verbietet …, die kann man doch beim besten Willen nicht ernst nehmen!«
Ich trank. Und beschimpfte Louis schließlich, gerade so, als wäre er persönlich für das Hamsun-Verbot in der DDR verantwortlich. Später kam ich auf andere Skandinavier, wurde milder, erklärte die damalige DDR-Führung zwar weiterhin für verrückt, nahm sie dann aber wieder in Schutz, wegen Andersen-Nexö, dem sie immer viel Verehrung entgegengebracht hätten. Viel mehr im Übrigen als im Westen – und das wäre sehr gut, denn Andersen-Nexö wäre ebenfalls ein glänzender Schriftsteller gewesen, ein Dichter. Und Ditte Menschenkind wäre überhaupt der sozialistische Roman. Und nicht Die Mutter von Gorki. Und darüber solle sich Louis mal Gedanken machen. Und er solle gefälligst Mysterien lesen. Ich überhäufte Louis mit Vorwürfen – und er stierte mich betrunken an und hatte zu allem freundlich genickt. Es war ein netter Abend.
 
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Was mich hier überzeugte: Wie unter zwei guten Bekannten ein Gespräch über Sach- und Fachfragen alkoholbedingt entgleist und wie sich dabei die jeweilige Persönlichkeit zu einem Teil enthüllt. Ja, nicht nur im Wein, im Alkohol schlechthin liegt Wahrheit, d.h. er bringt bisher Verborgenes oder unter Kontrolle Gehaltenes ans Licht. Dieser Ablauf mit seinen Details ist hier recht gekonnt dargestellt.

Was ich kritisieren möchte, ist die Statik des Textes, der ja als Erzählung firmiert. Beginn und ungefährer Verlauf der Bekanntschaft werden uns relativ ausführlich geschildert. Dem entspricht jedoch nicht der abrupte Schluss. Der Leser kann vermuten, dass die persönliche Beziehung unter diesem Abend massiv gelitten hat. Sicher ist das nicht. Es bleibt so ein formal unbefriedigendes, allzu offenes Ende. Der Einleitung sollte, wenn auch nur mit zwei, drei Sätzen, ein erzählerischer Abschluss entsprechen.
 

Marc Hecht1

Mitglied
Hallo Arno Abendschön, vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Mit deiner Kritik hast du natürlich recht, denn eine Erzählung ist dieser Beitrag nicht, zumindest wäre es dann eine recht schiefe Erzählung, weil das Verhältnis von Anfang und Schluss nicht stimmt. Der Anfang ist vielleicht etwas zu lang und der Schluss ist definitiv zu kurz.
Mit bestem Gruß
Marc
 



 
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