Ein Bankrott

Anonym

Gast
Die Betty hat sich echt rausgemacht, das fällt jedem auf, der sie kennt. Windschnittig frisiert, modisch auf dem neuesten Stand. Mit Anfang fünfzig will sie es jetzt wirklich nochmal wissen. Seit wann ist sie regelmäßig im Fitnessstudio, trägt den Rücken kerzengrade? Vor etwa einem Jahr ist sie zur rechten Hand ihres etwas jüngeren Chefs erklärt worden, Mode und Design. Der Roman, ja, der hat einfach ein Händchen für Trends. Und Betty offenbar auch. Seit ihrem Aufstieg bei Roman hat sie etliches übernommen von ihm, ernährt sich naturbelassen vollwertig und hat ihr Interesse für Umweltfragen entdeckt. Es macht schon Eindruck und hat fast etwas Militärisches, wenn Betty sich in ihrem khakifarbenen Freizeitanzug zielstrebig in ihren Landrover schwingt, um ihre Milchkanne beim Biobauern abzuholen. Ihr zügiger Fahrstil gefällt Roman sehr.

Betty's Ehemann Kurt hätte auch lieber einen so interessanten Vornamen gehabt wie der jüngere Designer mit dem Waschbrettbauch und der Föhnfrisur. Kurt ist nur Beamter in der Sozialbehörde, gut, gehobene Laufbahn, aber viel höher wird er nun nicht mehr kommen auf der Leiter. Seine Klientel ist sorgenbeladen und nicht halb so kreativ wie Betty's Künstlerkreise. Zum Dienst am Bürger taugt am besten das Fahrrad, der Arbeitsweg ist nicht lang. Trotzdem muß sich Kurt mit einer Bauchwölbung zufrieden geben, ebenso wie mit seinem Namen.

Der Grillabend mit Betty's Freunden und Kollegen ist ihm in lebhafter Erinnerung. Er bediente schwitzend den Kugelgrill aus Edelstahl, mit Chefkoch-Schürze, während die anderen ihre Sommergarderobe vorführten und bei reichlich Sangria miteinander lachten.
Später zur Nacht fragte er Betty: "Arbeitest du da eigentlich, oder bist du zur Kur?" Betty hatte mit der flachen Hand mehrmals klatschend auf seinen Bauch geschlagen und gespottet: "Du könntest auch mal eine Diätkur vertragen, mein Lieber, du läßt dich gehen." Wofür hatte er eigentlich Schläge verdient, mit der flachen Hand? Gut, ja, er hatte sich Currywurst und Pommes rotweiß nach Feierabend angewöhnt, in der Imbißbude bei seiner Behörde. Betty brauchte davon nichts zu wissen, sie kam abends doch sowieso immer später, und im Kühlschrank stand nur ihre Biokost nebst einem Sammelsurium undefinierbarer eingeweichter Körner und Keime.
Workshops, Fortbildungen, Training, im Winter Solarium... Betty war eine erklärte Sonnenanbeterin, selbst bei großer Hitze aalte sie sich im grellen Licht und stöhnte: "Aah, herrlich!"

Kurt war immer froh, wenn es Herbst wurde, die Tage kürzer, der Himmel bedeckter, genauso wie die Menschen, deren sommerliche Nacktheit und laute Lebenslust er stets als Indiskretion empfand, praktisch alles Leben wurde in der Sommerzeit öffentlich.
Kurt liebte das herbstliche Abschiedsgefühl, wenn vor den Straßencafes die Möbel schon zusammengeräumt standen, tropfend nach einem Regenschauer, vereinsamt. Die Eisdielen schlossen für den Winter, ihre Zettel mit Dank an die treue Kundschaft würden in den Folgemonaten im Schaufenster verrutschen und vergilben. Die große Buche bei seiner Terrasse hatte dann immer mit dem fallenden Laub im Wind geraschelt, besucht von ein paar gleichmütigen Krähen. Im Sommer hatte der mächtige Baum wenigstens wohltuend Schatten gespendet, bis er Betty zu sehr im Wege war, ihre Sonnenbäder störte und im Herbst die Terrasse mit zu viel scheidender Natur verschandelte.

Es war Kurt ein Rätsel, wie Betty die Fällung dieses alten, aber gesunden Baumes durchgesetzt hatte. Als er an einem Abend vom Dienst kam, wurde das noch lebende Holz gerade geschreddert. Kurt sog den Duft des Holzes ein, fassungslos und ein letztes Mal. Betty blieb lange weg an dem Abend. Kurt stahl sich nochmal zu dem Imbiß, keinen Hunger, aber jede Menge Revolte im geräumigen Bauch. Ein großer Hund kam freudig auf ihn zugestürmt, ein halber Welpe noch, erkennbar an den großen Pfoten und am losen Fell, in das er erst hineinwachsen wollte. Kurt mochte Tiere, und sie mochten ihn. Betty hatte nie Tiere gewollt, sie binden langfristig ebenso wie Kinder. Wie war es eigentlich mit der Ehe, überlegte Kurt, der als Beamter nichts gegen Verbindlichkeiten in sich finden konnte. "Alles alle", erklärte er dem Hund, streckte ihm bedauernd die leeren Hände hin und hatte plötzlich den Einfall: "Ich bin nämlich bankrott." Der fröhliche Hund stieß ihm trotzdem die feuchte Schnauze gegen die Hand, um dann seinem pfeifenden Herrn hinterherzustürmen und sein Gehorsamsdefizit wiedergutzumachen.

Betty würde gehen. Und ich... dachte Kurt. Plötzlich kam ihm der nächste Einfall: ich werde mir einen großen Hund anschaffen, den besten Freund des Menschen, vielleicht befreie ich einen aus dem Tierheimdasein, einen stämmigen, ehrlichen Gefährten mit treuherzigen, braunen Augen, einen gutmütigen, lieben Hund - so wie ich einer bin. Und bei diesem letzten Einfall lächelte er das erste Mal an diesem Abend wirklich.
 



 
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