Was bedeutet ein bisschen?
Ein bisschen kann viel sein:
Gehen Sie in ein Feinkostgeschäft, verlangen sie 10 Deka Beinschinken und bejahen sie die Frage „Darf es ein bisschen mehr sein?“.
Spätestens, wenn sie die Rechnung prüfen, werden Sie mir Recht geben.
Ein bisschen kann wenig sein:
„Liebst Du mich“ – „Ja. - Ein bisschen“
Hier werden Sie mit Recht vermuten, dass es mit der Liebe nicht weit her ist.
Dann aber gibt es noch das ein Bisschen, das weder viel, noch wenig, sondern ein Gefühl ausdrückt.
Ich verweise dazu auf Georg und Mathilde. Wobei ich aus Gründen der Pietät die Geschichte so weit wie möglich aus seiner Sicht erzählen möchte:
Georg würde noch schauen, ob etwas zu essen da wäre. Er sagte dies in leicht gereiztem Ton zu Mathilde und ging vom Esszimmer, das mit den Jahren mehr die Funktion eines Fernseh- und Schweigezimmers erlangt hatte, in die Küche.
Dort öffnete er den Kühlschrank.
Zunächst fielen ihm die unzähligen Dinge auf, die bald verderben würden. Mathilde war natürlich unfähig, sich irgendetwas unter einer intelligenten Bevorratung vorzustellen; schon gar nicht konnte er von ihr erwarten, dass weniger als die Hälfte der von ihr so großzügig eingekauften Waren unbenutzt entsorgt werden musste. Weil mit der Zeit auch das Ablaufdatum abläuft.
Leider war das aber nicht das einzig wenig Schmeichelhafte, das es zu ihr zu sagen gab. Mathilde war auch in finanziellen Fragen zu rein gar nichts zu gebrauchen. Unkritisch gab sie prinzipiell alles Geld aus, das er ihr gab. Dabei wäre es so einfach einen kleinen Teil auf die Seite zu legen. Und damit irgendwann einmal - er würde nicht drängen - spontan mit ihm in den Urlaub zufahren zu können.
Interessant, ja paradox mutete es in diesem Zusammenhang auch an, dass sie ungerührt und beständig vorgab, den Haushalt zu führen und zu meistern. Wobei sie mit meistern wirklich ein großes Wort in den Mund nahm, wenn man bedachte, dass all die Kleidungsstücke, die er gerade einmal wirklich brauchte, mit der Schicksalshaftigkeit einer griechischen Tragödie nicht gewaschen oder wenigstens nicht gebügelt waren.
Nicht einmal die Kinder waren auch nur halbwegs vernünftig erzogen worden; und in seinem Sinn schon gar nicht. Warum, so fragte er sich, warum hat er sich das Ganze über die vielen Jahre eigentlich angetan. Selbst wenn die Kinder jetzt schon erwachsen waren, und endlich das Haus verlassen hatten, so verließen sie es mit einer Undankbarkeit, die er ganz genau gefühlt hatte. Die logische Folge dieser fehlgeleiteten Erziehung.
Endlich. Da stand sie, die Glasschüssel mit den Wiener Schnitzeln.
Die Schnitzel waren vom Mittagessen übriggeblieben. „Du isst sie doch eh so gerne“ hatte Mathilde gesagt. Und so getan, als ob sie für ihn diese Unmengen gebacken hätte. Viel wahrscheinlicher war allerdings, dass alles nur als Vorwand diente, und sie einfach weniger Stress hatte, sich ein neues Essen einfallen lassen zu müssen. Er kritisierte sie schon öfter einmal wegen zu großer Phantasielosigkeit beim Kochen. „Vielleicht geht bei anderen die Liebe einfach so durch den Magen, aber mein Magen prüft sie auch“, pflegte er ab und an zu scherzen. Bevor er sich dann ernsthaft übers Essen beschwerte. Nur bei der auffallenden Häufung von Schnitzeln hatte er eine Ausnahme gemacht und nichts gesagt. Was wahrscheinlich ein Fehler war. Er war einfach zu gutmütig, zu nachsichtig.
Georg nahm die Schüssel und auch ein Bier, und stellte beides auf den Küchentisch. Sein fassförmiger Rumpf, der ein Leben lang einen großen fleischigen Kopf von unproportioniert dünnen Beinen getrennt gehalten hatte, konnte nicht genau sagen, wonach ihm mehr war, nach fester oder flüssiger Nahrung. Sicherheitshalber wurde daher einmal das Bier ins Glas mit dem blauen Enzian eingeschenkt, ein Erbstück des Vaters. Der Schaum stieg hoch, stieg über den Rand des Glases - es ging aber nichts über. Besser eingeschenkt als jeder Schankbursche das kann! Natürlich wäre er viel lieber ins Wirtshaus gegangen. Aber Sonntag abends, da hatte nur der Fasanwirt offen. Und mit dem hatte Georg vor kurz heftig gestritten. Der würde ihn eine Weile nicht sehen, und wenn, dann müsste der sich auch noch in irgendeiner Form entschuldigen. Nicht dass Georg kleinlich war oder darauf angewiesen wäre, aber alles ließe er auch nicht mit sich machen. Und schon gar nicht von so einer primitiven Person, wie der Fasanwirt nun einmal eine war.
Mathilde. Was tat sie die ganze Zeit? Eigentlich hätte sie ihm das Essen bringen können. Und wenn sie es nur aufwärmt hätte, und ein paar Beilagen dazu gezaubert, all das könnte so einfach und mit Liebe gemacht werden. So musste er jetzt das kalte Zeug essen, während sie faul vor dem Fernseher saß.
Es war wirklich schwer, einen positiven Zug an ihr finden. OK, im Bett klappte es mit ihr. Hauptsächlich funktionierte es deswegen aber auch, weil er einfach ein richtiger Mann war. Wenn die anderen schon jahrelang jammerten und klagten, musste er immer still in sich hinein grinsen. Obwohl, er würde bald mit den blauen Pillen anfangen. Sie wirkten wirklich nicht schlecht, und halfen außerdem bei Bluthochdruck.
Durchs Glas der Schüssel betrachtete er die Panier der übereinander gestapelten Schnitzel. Einmal war sie verbrannt oder dann wieder zu hell. Mathilde schaffte es einfach nicht. Also ob sie sich nicht irgendwann in ihrem so langen Hausfrauenleben nicht das gewisse Geschick hätte aneignen könnte. Und es ging ja nicht nur um die Panier. Der Geschmack des Fleisches litt ja auch unter so unsachgemäßer Behandlung. Er würde wohl etwas sagen müssen. Und hoffentlich, hoffentlich für sie, würde sie auch einsehen. Ansonsten würde er noch ein paar anderen Sachen aufs Tapet bringen.
Aber zunächst hieß es, einmal ein Schnitzel kosten. Er entschied sich für eines mit einer nahezu verkohlten Panier.
Und dann ging alles relativ rasch.
Fast behände kippte Georg vom Stuhl. Der dumpfe Aufprall war nicht spektakulär genug, um Mathilde vom Fernsehen wegzulocken. Der Körper rollte ein Stück auf dem Boden und kam auf dem Bauch zu liegen. Der Teint des Gesichts schlug rasch auf dunkelblau um. Schaum trat vor den Mund; dazu ein kleines Fleischstück, noch in der dunkelbraunschwarzen Panier.
Bevor Georg es einfach nicht glauben konnte, konnte er auch schon nicht mehr glauben, nicht mehr sehen, nicht mehr reden, nicht mehr denken.
Ihm war nur mehr ein großes Nichts.
Später hatte Mathilde ihn gefunden. Natürlich kam dann großes Theater.
Notarzt, Todesfeststellung, Schulterzucken, Beileid.
Begräbnis. Leichenschmaus. Neues Leben.
Und noch später, auf die Frage, ob sie ihn denn vermisse, würde sie dann endlich sagen: ein bisschen.
Ein bisschen kann viel sein:
Gehen Sie in ein Feinkostgeschäft, verlangen sie 10 Deka Beinschinken und bejahen sie die Frage „Darf es ein bisschen mehr sein?“.
Spätestens, wenn sie die Rechnung prüfen, werden Sie mir Recht geben.
Ein bisschen kann wenig sein:
„Liebst Du mich“ – „Ja. - Ein bisschen“
Hier werden Sie mit Recht vermuten, dass es mit der Liebe nicht weit her ist.
Dann aber gibt es noch das ein Bisschen, das weder viel, noch wenig, sondern ein Gefühl ausdrückt.
Ich verweise dazu auf Georg und Mathilde. Wobei ich aus Gründen der Pietät die Geschichte so weit wie möglich aus seiner Sicht erzählen möchte:
Georg würde noch schauen, ob etwas zu essen da wäre. Er sagte dies in leicht gereiztem Ton zu Mathilde und ging vom Esszimmer, das mit den Jahren mehr die Funktion eines Fernseh- und Schweigezimmers erlangt hatte, in die Küche.
Dort öffnete er den Kühlschrank.
Zunächst fielen ihm die unzähligen Dinge auf, die bald verderben würden. Mathilde war natürlich unfähig, sich irgendetwas unter einer intelligenten Bevorratung vorzustellen; schon gar nicht konnte er von ihr erwarten, dass weniger als die Hälfte der von ihr so großzügig eingekauften Waren unbenutzt entsorgt werden musste. Weil mit der Zeit auch das Ablaufdatum abläuft.
Leider war das aber nicht das einzig wenig Schmeichelhafte, das es zu ihr zu sagen gab. Mathilde war auch in finanziellen Fragen zu rein gar nichts zu gebrauchen. Unkritisch gab sie prinzipiell alles Geld aus, das er ihr gab. Dabei wäre es so einfach einen kleinen Teil auf die Seite zu legen. Und damit irgendwann einmal - er würde nicht drängen - spontan mit ihm in den Urlaub zufahren zu können.
Interessant, ja paradox mutete es in diesem Zusammenhang auch an, dass sie ungerührt und beständig vorgab, den Haushalt zu führen und zu meistern. Wobei sie mit meistern wirklich ein großes Wort in den Mund nahm, wenn man bedachte, dass all die Kleidungsstücke, die er gerade einmal wirklich brauchte, mit der Schicksalshaftigkeit einer griechischen Tragödie nicht gewaschen oder wenigstens nicht gebügelt waren.
Nicht einmal die Kinder waren auch nur halbwegs vernünftig erzogen worden; und in seinem Sinn schon gar nicht. Warum, so fragte er sich, warum hat er sich das Ganze über die vielen Jahre eigentlich angetan. Selbst wenn die Kinder jetzt schon erwachsen waren, und endlich das Haus verlassen hatten, so verließen sie es mit einer Undankbarkeit, die er ganz genau gefühlt hatte. Die logische Folge dieser fehlgeleiteten Erziehung.
Endlich. Da stand sie, die Glasschüssel mit den Wiener Schnitzeln.
Die Schnitzel waren vom Mittagessen übriggeblieben. „Du isst sie doch eh so gerne“ hatte Mathilde gesagt. Und so getan, als ob sie für ihn diese Unmengen gebacken hätte. Viel wahrscheinlicher war allerdings, dass alles nur als Vorwand diente, und sie einfach weniger Stress hatte, sich ein neues Essen einfallen lassen zu müssen. Er kritisierte sie schon öfter einmal wegen zu großer Phantasielosigkeit beim Kochen. „Vielleicht geht bei anderen die Liebe einfach so durch den Magen, aber mein Magen prüft sie auch“, pflegte er ab und an zu scherzen. Bevor er sich dann ernsthaft übers Essen beschwerte. Nur bei der auffallenden Häufung von Schnitzeln hatte er eine Ausnahme gemacht und nichts gesagt. Was wahrscheinlich ein Fehler war. Er war einfach zu gutmütig, zu nachsichtig.
Georg nahm die Schüssel und auch ein Bier, und stellte beides auf den Küchentisch. Sein fassförmiger Rumpf, der ein Leben lang einen großen fleischigen Kopf von unproportioniert dünnen Beinen getrennt gehalten hatte, konnte nicht genau sagen, wonach ihm mehr war, nach fester oder flüssiger Nahrung. Sicherheitshalber wurde daher einmal das Bier ins Glas mit dem blauen Enzian eingeschenkt, ein Erbstück des Vaters. Der Schaum stieg hoch, stieg über den Rand des Glases - es ging aber nichts über. Besser eingeschenkt als jeder Schankbursche das kann! Natürlich wäre er viel lieber ins Wirtshaus gegangen. Aber Sonntag abends, da hatte nur der Fasanwirt offen. Und mit dem hatte Georg vor kurz heftig gestritten. Der würde ihn eine Weile nicht sehen, und wenn, dann müsste der sich auch noch in irgendeiner Form entschuldigen. Nicht dass Georg kleinlich war oder darauf angewiesen wäre, aber alles ließe er auch nicht mit sich machen. Und schon gar nicht von so einer primitiven Person, wie der Fasanwirt nun einmal eine war.
Mathilde. Was tat sie die ganze Zeit? Eigentlich hätte sie ihm das Essen bringen können. Und wenn sie es nur aufwärmt hätte, und ein paar Beilagen dazu gezaubert, all das könnte so einfach und mit Liebe gemacht werden. So musste er jetzt das kalte Zeug essen, während sie faul vor dem Fernseher saß.
Es war wirklich schwer, einen positiven Zug an ihr finden. OK, im Bett klappte es mit ihr. Hauptsächlich funktionierte es deswegen aber auch, weil er einfach ein richtiger Mann war. Wenn die anderen schon jahrelang jammerten und klagten, musste er immer still in sich hinein grinsen. Obwohl, er würde bald mit den blauen Pillen anfangen. Sie wirkten wirklich nicht schlecht, und halfen außerdem bei Bluthochdruck.
Durchs Glas der Schüssel betrachtete er die Panier der übereinander gestapelten Schnitzel. Einmal war sie verbrannt oder dann wieder zu hell. Mathilde schaffte es einfach nicht. Also ob sie sich nicht irgendwann in ihrem so langen Hausfrauenleben nicht das gewisse Geschick hätte aneignen könnte. Und es ging ja nicht nur um die Panier. Der Geschmack des Fleisches litt ja auch unter so unsachgemäßer Behandlung. Er würde wohl etwas sagen müssen. Und hoffentlich, hoffentlich für sie, würde sie auch einsehen. Ansonsten würde er noch ein paar anderen Sachen aufs Tapet bringen.
Aber zunächst hieß es, einmal ein Schnitzel kosten. Er entschied sich für eines mit einer nahezu verkohlten Panier.
Und dann ging alles relativ rasch.
Fast behände kippte Georg vom Stuhl. Der dumpfe Aufprall war nicht spektakulär genug, um Mathilde vom Fernsehen wegzulocken. Der Körper rollte ein Stück auf dem Boden und kam auf dem Bauch zu liegen. Der Teint des Gesichts schlug rasch auf dunkelblau um. Schaum trat vor den Mund; dazu ein kleines Fleischstück, noch in der dunkelbraunschwarzen Panier.
Bevor Georg es einfach nicht glauben konnte, konnte er auch schon nicht mehr glauben, nicht mehr sehen, nicht mehr reden, nicht mehr denken.
Ihm war nur mehr ein großes Nichts.
Später hatte Mathilde ihn gefunden. Natürlich kam dann großes Theater.
Notarzt, Todesfeststellung, Schulterzucken, Beileid.
Begräbnis. Leichenschmaus. Neues Leben.
Und noch später, auf die Frage, ob sie ihn denn vermisse, würde sie dann endlich sagen: ein bisschen.