Ein Engel der B-Serie

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Eine Pfingstgeschichte

Vorwort des Herausgebers
Etwa zwei Wochen, nachdem ich meine Ostererzählung veröffentlicht hatte, fand ich im Briefkasten einen Umschlag, der den Bericht enthielt, den ich hier im folgenden wiedergebe. Als Absender war „Phosphor“ angegeben, ein kaum verschleiertes Pseudonym des Autors.
Die Kenntnis der in der Bibel geschildertem Ereignisse zum Thema wird dem Leser das Verständnis sicher erleichtern, ich wollte aber den Fluss der Erzählung nach Möglichkeit nicht durch eigene Kommentare unterbrechen.
Hier also Inhalt des Briefes im Wortlaut:


Einführung
Pfingsten, die „Ausgießung des Geistes“ nach 50 Tagen, wird als der Beginn der Verbreitung des Christentums als Weltregion verstanden. Das ist nur die halbe Wahrheit. Das Fest, das sich demnächst zum 2000. Male jährt, ist vielmehr auch, der Endpunkt einer Kette von Verschwörungen. Davon wird vor allem wird im folgenden die Rede sein.
Als Beweis für die Authentizität der berichteten Ereignisse kann ich lediglich anführen, dass ich Zeitzeuge, gelegentlich auch Akteur in diesem Spiel war. Man mag das glauben oder auch nicht.
Für die Darstellung musste ich zum besseren Verständnis für heutige Leser gelegentlich eine Metaphorik aus der modernen, insbesondere der digitalen Welt, benutzen, was mir diejenigen, die sich darin nicht gut auskennen, verzeihen mögen.

Alles begann im Götterreich des Ostens, das Indien, Persien und Mesopotamien umfasste. Hier hatten sich die Überlebenden der Ur-Schlacht zu einer gemeinsamen Verwaltung zusammengeschlossen. „Ur-Schlacht“ ist dabei nicht wörtlich zu verstehen, sondern als Prozess, in welchem die später siegreichen Götter und Halbgötter eine Unzahl lokaler Konkurrenten kannibalisierten.
Die Götter hatten als lokale Condottieri begonnen, mit einer Soldateska aus marodierenden Horden von Halbgöttern durchs Land zu ziehen und alles, was nicht eindeutig ein Mensch war, zu schlachten und zu fressen. Als auch der letzte Baumgeist und die letzte Quellnymphe verputzt waren bekämpften sie sich gegenseitig, bis nur noch fünf übrig blieben. Diese bildeten das „Direktorium“, das allen gemeinsame Interessen vertrat. Jeder behielt aber darüber hinaus in seiner eigenen Region völlige Autonomie.
Die fünf Götter, die "Big Five", waren die absoluten Herrscher im Himmel und auf der Erde. Sie waren unsterblich - aber im Gegensatz zu den mythischen Urgöttern nicht mehr fortpflanzungsfähig. Sie waren mächtig, jedoch keineswegs, das muss bereits hier betont werden, allmächtig.
Die Halbgötter, Mischwesen aus Göttern und Menschen, hatten entscheidend zum Sieg ihrer Herren in der Ur-Schlacht beigetragen. Wie diese waren sie unsterblich und unfähig zur Fortpflanzung. Sie hießen jetzt „Engel“ und dienten den Göttern als Boten und Spione. Eine von ihnen bildeten den „Dienst“, eine Aufklärungseinheit in der Art des MI5 und MI6 in England.
Die sterblichen Menschen waren älter als die Götter, glaubten damals aber noch, sie seien von diesen geschaffen worden. Ihre Furcht vor dem Tod bildete den wichtigsten Hebel für die Umsetzung göttlicher Befehle. Sie ließen sich durch Strafen, aber auch durch Verheißungen und Wunder leicht lenken. Sie hatten einen freien Willen, der ihnen ermöglicht hätte, sich göttlichen Befehlen zu widersetzen, waren sich dessen damals aber noch nicht bewusst. Dass dieser freie Wille sogar eine Waffe sein konnte, mit denen sie ihrerseits die Götter unter Druck setzen konnten, erkannten sie erst viel später.

Jehova
Er war einer der siegreichen Götter. Sein Beitrag zum Reich waren Persien und Mesopotamien, wo er den Regeln des Direktoriums entsprechend Herrscher blieb. Seinen Kollegen kam sehr gelegen, dass er fern vom Zentrum residierte, da er wegen seiner Launenhaftigkeit und seiner Neigung zu Brutalität unberechenbar war.
J.´s Auftrag als Gemeinschaftsleistung für das Direktorium war die Sicherung eines geheimen Forschungslabors in der Provinzhauptstadt Ur, das vom „Dienst“, betrieben wurde. In einer unscheinbaren Baracke entwickelte man dort neue Techniken der Überwachung und Aufklärung. Man unterstellte ihm eine Handvoll Spezialisten des Dienstes, und zum persönlichen Schutz bekam ein paar der wilde Kerlen aus dem Punjab, mit ihren charakteristischen roten Turbanen und schwarzen Bärten als Leibgarde.
Die Ingenieure im Labor waren Menschen aus allen Regionen des Ostreichs, welche Talentscouts als besonders begabt für kreative technische Aufgaben aufgefallen waren. Für Menschen hatte man sich entschieden, weil sie notfalls schnell neutralisiert werden konnten, vor allem aber, weil den Engeln jegliche Kreativität fehlte. Sie waren für diese Aufgabe einfach zu dumm.
J. dachte oft voller Nostalgie an die kühnen Operationen früherer Tage zurück. Die Kontrollen der Sicherheitseinrichtungen des Labors und die Übermittlung des jeweiligen Forschungsstandes an die Zentrale am Ganges lagen seiner draufgängerischen Natur ganz und gar nicht.
Aus Langeweile begann er, sich dafür zu interessieren, was im Labor entwickelt wurde. Er freundete sich mit dem Chefingenieur an, und kam auch außerhalb der offiziellen Inspektionen oft zu informellen Besuchen.
Man arbeitete an der Konstruktion von Hardware zur technischen Verbesserung der Aufklärung und der Steigerung der Informationsübermittlung. Prototypen eines implantablen Mikro-Chips für Engel standen nach ausgiebigen Labortests zur Anwendung unter „Freiland“-Bedingungen bereit. Im Betriebssystem dieser Chips, die intern als B-Serie bezeichnet wurden, gab es aus Sicherheitsgründen eine Art Schutzschalter, der zur Inaktivierung der Chips führte, falls eine unvorhergesehene Reaktion auftrat. Dieser „Rote Knopf“ wurde extern durch einen Bluetooth-Sender gestartet, denn der Laborleiter streng unter Verschluss hielt.
(Technisch war der „Schutzschalter“ ein kleines Skript, das einen Reset und einen Neustart des Systems bewirkte, und dabei durch Einfügen einer Division durch Null in die Bootsequenz das Programm zum Absturz brachte. Anm. d. Verf.)
J. dachte über die Möglichkeiten nach, die sich daraus für ihn ergaben, die Einbindung in das Direktorium hatte ihm nie gefallen. Durch die Neuentwicklung des Labors verdichteten sich seine Ideen zu konkreten Plänen: er wollte sein eigenes Reich.
Zunächst aber brauchte er Menschen, die ihm folgten.
Hier kam ihm ein glücklicher Zufall zu Hilfe. Der Patriarch einer Nomadensippe aus der Umgebung von Ur, ein gewisser Abraham, war wegen einer extremen Verengung seiner Vorhaut nicht in der Lage, den für die Erhaltung des Stammes dringend erforderlichen Nachwuchs zu zeugen. Jeder Versuch musste wegen unerträglicher Schmerzen abgebrochen werden.
Dieser Abraham war J.´s Mann!
Er schickte ihm einen als Arzt getarnten Engel, der versprach, ihn zu heilen und verkündete, er werde trotz seines Alters noch zahlreiche Nachkommen zeugen.
Die „Heilung“ des Abraham erfolgte in einer für Jehova typischen Aktion im Zelt des Greises. Der Arzt forderte ihn auf, sich mit gehobenem Kaftan hinter einen Holzbalken zu stellen, der in Höhe seines eindrucksvollen, aber unbrauchbaren Organs auf zwei Holzböcken lag. Dann heftete er den störenden Rüssel mit den Dornen einer Kamelakazie auf den Balken, eine Prozedur, die nicht schmerzfrei war, wie man sich denken kann. Jetzt erschien Jehova mit gezücktem Schwert, A. wich zurück, spannte dabei seine Vorhaut und J. schlug - alter Haudegen der war - sofort zu. Schon der erste Schlag saß, er hatte doch noch nicht alles verlernt! Es blutete ein wenig, aber schon 2 Wochen später begann ein munteres Zeugen, das bei seinen Frauen und Kebsen zu zahlreichem Nachwuchs führte.
Es versteht sich, dass Abraham diese Prozedur, allerdings in abgemilderter Form, für alle männlichen Nachfahren seiner Sippe obligatorisch machte. J. befahl ihm, von Ur ans Mittelmeer zu ziehen und dort sesshaft zu werden.
Der nächste Schritt war, die Spezialisten, die ihm der Dienst zur Sicherung des Labors gestellt hatte, für sich zu gewinnen. Auch das gelang ohne Schwierigkeiten. Ein eigenes Reich mit ihm als Herrscher war eine günstige Perspektive für sie, zumal er versprach, sie alle zu Erzengeln zu machen.
Die Planung für den Feldversuch sah vor, dass das Direktorium zehn Mitarbeiter des Dienstes dafür abstellte. Als der Chefingenieur ihn bat, diese anzufordern, war das Stunde gekommen, los zu schlagen.
Er besetzte in einem Handstreich das Labor, erzwang vom Chefingenieur die Herausgabe der Prototypen, des Tackers für deren subkutane Applikation und des Bluetooth-Senders. Die Forscher liess er in die Garnison bringen, die Baracke anzünden. Die ganze Aktion dauerte knapp eine halbe Stunde. Den Plan, die Chips seinen inzwischen zu Erzengeln beförderten eigenen Agenten zu implantieren, behielt er noch für sich. Er wollte sich erst von der Wirksamkeit des „Roten Knopfes“ überzeugen.
Unter dem Vorwand, er wolle prüfen, ob die Elektronik tatsächlich die versprochenen Verbesserungen bewirke, bot er Luzifer, seinem Favoriten, an, ihm einen der Prototypen zu implantieren. L. stimmte zu und erhielt den Chip mit dem internen Code „AA“ in den Oberarm geschossen.
Die Prüfroutine erforderte anschliessend zur Kontrolle der korrekten Funktion, dass der Proband seinen Code und seine MAC-Adresse nannte. Beides stimmte mit dem Eintrag unter „AA" der Checkliste überein.
Sofort nach Durchlauf der Routine betätigte J. den Sender. Er forderte L. erneut auf, Code und Adresse zu wiederholen. Dieser war überrascht und fragte, was er meine. Ob er den Chip denn schon bekommen habe. J. verabreichte ihm nun den Chip „BB“, der ebenfalls fehlerfrei funktionierte.
Unmittelbar danach bekamen acht weitere Engel die restlichen Chips, und noch am gleichen Abend gab J. den Befehl zum Abzug aus Mesopotamien.
Die Reaktion des Direktoriums war halbherzig. Es scheint so, als ob diese Wendung ihm sogar gelegen kam. Von den Arbeiten, die im Labor gelaufen waren, hatten sie ohnehin Kopien; sollte er doch ruhig nach Westen verschwinden!
Die „getunten" Engel erwiesen sich als Volltreffer. Innovativ war ihre Fähigkeit zur psychologischen Beeinflussung der Menschen: Zaubertricks, Camouflage, Stimmen imitieren, Bauchreden, alles das beherrschten sie perfekt. Ihre größte Stärke aber war die „brain2brain“-Kommunikation für den direkten Informationsaustausch untereinander.
Mit ihnen hatte J. jetzt einen eigenen „Dienst“, in welchem sich neun Erzengel Botendienste und Aufklärungsarbeit teilten.
Durch die reichlich eingetretene Vermehrung von Abrahams Sippe war J.´s Gefolgschaft in Judäa inzwischen stark gewachsen. Seine Lehre - er allein sei der wahre Gott; er habe den Adam aus einem Klumpen Lehm geschaffen; die Vertreibung aus dem Paradies, die Sintflut, die zehn Gebote - das alles sei sein Werk, glaubten die Juden blind. Tatsächlich war es pure Fiktion, salopp ausgedrückt: erstunken und erlogen.
Sein Versprechen, gottesfürchtige Menschen nach ihrem Tod in die „Gemeinschaft der Seligen“ aufzunehmen, hielt er. In der Folge wuchs die Zahl der „Migranten“, wie sie von den Mitgliedern des Dienstes abfällig genannt wurden, im Himmel stark an. Ihre einzige Aufgabe war es, permanent die Größe Jehovas zu besingen. Das ewige Psalmodieren dieses zwergwüchsigen Haufens mit seinen lächerlichen Stummelflügeln nervte die Engel zunehmend, aber J. hatte unmissverständlich klargemacht: „Wir schaffen das!“
JHWH, wie ihn die Menschen nannten, war am Ziel: er war Herrscher in seinem eigenen Reich.
Als ein neuer Akteur die Bühne betrat.

GG
Das Wesen, das die Christen als ihren Gott anbeten, ist kein echter Gott, sondern ein Erzengel aus Jehovas Dienst. Er trug den Chip mit dem Code „GG“, was man intern als „Großer Geist“ las; er selbst bevorzugte die Lesart „Großer Gott“. Gleich nach seinem „enhancement“ war ihm eine Besonderheit aufgefallen, die seine Kollegen offensichtlich nicht hatten. Anfangs hatte er es für Tagträumerei gehalten, als er auf dem Fenstersims seines Büros eine auffallend helle Taube sah, die, so sein Eindruck, auf geheimnisvolle Weise mit ihm verbunden war. Er konnte eine Gedankenbrücke zu dem Vogel schlagen, wahlweise die Taube oder er selbst sein, sogar beides gleichzeitig. Für Dritte war sie aber offensichtlich nicht sichtbar.
Als Vogel machte er Reisen, bei denen seine Abwesenheit nicht auffiel, da er in seinem Büro arbeitete. Ein letzter Zweifel an der Echtheit dieser seiner „Besonderheit“ schwand, als die Taube einmal eine seltene Muschel vom Mittelmeer mitbrachte, und ein Kollege, der sie auf dem Schreibtisch sah, fragte, ob er in letzter Zeit an der Küste zu tun gehabt habe.
GG konnte tatsächlich an verschiedenen Orten gleichzeitig sein!
Es war ihm sofort klar gewesen, wie nützlich diese Eigenschaft für ihn war - wenn er sie strikt geheim hielt!
Mit Paloma, so nannte er sein alter ego, besprach er Probleme, schickte sie/ihn auf Erkundungsflüge, ließ ihn/sie aber auch innerhalb des Dienstes spionieren.
GG war bald der effektivste Agent des Dienstes, und wurde, nachdem er den Luzifer als Maulwurf des Ostens enttarnt hatte - seine Platine war gehackt worden - „Number two“ in J.´s Reich.
Misstrauisch war er geworden, als L. bei einem informellen Gespräch an der Bar des Casinos verklausulierte Andeutungen gemacht hatte: er anstelle des Alten würde auch nach Westen schauen; dort lägen riesige Gebiete, durch deren Eroberung man die Macht des Reiches erheblich vergrößern könnte.
GG hatte den Eindruck, dass L. ihn für eine Verschwörung gegen J. gewinnen wollte, hielt sich aber bedeckt. Das sei richtig, hatte er geantwortet, aber zunächst brauche man hier Stabilität bevor man daran denken könne, zu expandieren. Paloma begann, den Luzifer zu observieren, und es gelang ihm, ein konspiratives Treffen mit Agenten des Direktoriums zu dokumentieren. GG erstattete dem J. sofort ausführlich Bericht. Dieser befahl, L. zu verhaften und in sein Büro zu bringen.
Bei der Festnahme war GG aufgefallen, dass L. eine dünne Silberplatte über der Implantationsnarbe am Oberarm trug,. Als er sie entfernte, um sie später genauer zu untersuchen, wurde Luzifer, der ihn vorher wüst beschimpft hatte, plötzlich kleinlaut, begann von Kollegialität zu sprechen, und bat, ja flehte geradezu, das Silberplättchen, seinen einzigen persönlichen Besitz, behalten zu dürfen.
Gabriel und Raphael brachten ihn, völlig nackt, die Flügel nach vorn geklappt und mit einem Seil am Körper fixiert, zu Jehova.
Dieser entließ die beiden mit der Bemerkung, er wolle das Verhör allein, unter „zwei Flügeln“, wie er sich ausdrückte, durchführen.
Unter „zwei Flügeln“ war er mit L. allerdings nicht, denn auf dem Fenster saß Paloma.
J. nahm den Sender, und richtete ihn auf L. Dieser, der ihn vorher frech als „kleinen Wichser“ bezeichnet hatte, der „nicht einmal einen hochkriege, wenn ihm der dauergeile Uriel seinen Arsch direkt unter die Nase hielt“, war mit einem Schlag völlig verwirrt und fragte immer wieder, warum er nackt und gefesselt hier stehe. J. ließ ihm die Flügel stutzen und noch am gleichen Tag nach Osten abschieben. Töten konnte er ihn nicht, da er als Engel unsterblich war.
GG aber zog seine Schlüsse:
- J. konnte mit diesem Gerät den Chip deaktivieren.
- eine Silberplatte auf dem Implantat schützte davor.
Diese Information sollte ihm schon bald entscheidende taktische Vorteile gegenüber seinem Chef geben, wie man sehen wird.
Aber zunächst muss - endlich - erklärt werden, wie es zu GG´s „Besonderheit“ gekommen war, der Leser wartet schon zu lange darauf.
Die Ursache war banal. Wie bei allen evolutionären Mutationen handelte es sich um einen Fehler im Fertigungsprozess. Bei der Montage auf der Platine waren zwei der hauchdünnen CPU´s in den Steckplatz des Zentralprozessors geraten, anstatt, wie vorgesehen, einer einzigen. Die Folge war, dass bei ausreichender Stromspannung beide CPU´s gleichzeitig aktiv wurden.
GG war, um es in den Worten der Psychiatrie zu sagen, „dissoziativ“, avant la lettre. Die Veränderung hatte in seinem Fall aber keinerlei Krankheitswert, im Gegenteil, für ihn war es eine äußerst vorteilhafte Mutation.
Man könnte meinen, dass die doppelte CPU, wie bei eineiigen Zwillingen, zu einer gleichen Identität Identität der Charaktere geführt hätte, was aber nicht der Fall war.
GG war dem Jehova ähnlich: impulsiv, emotional, herrschsüchtig, eitel. Er war aber nicht wie dieser beratungsresistent, konnte diszipliniert sein und verfolgte seine Ziele nicht ausschließlich mit brutaler Gewalt.
Paloma dagegen war absolut rational. Er war dem Mr. Spock aus „Rauschiff Enterprise“ vergleichbar: ein emotionsloser Logiker, ein Schachspieler, der kühl die nächsten Züge berechnete. Für ihn zählten nur Fakten, keine Spekulationen.
Die energische Tatkraft GG´s und Palomas trockene Rationalität ergänzten sich ideal und machten so den Erzengel GG dem Gott JHWH ebenbürtig, ja sogar überlegen.
Er war, es wurde bereits gesagt, dem Jehova ähnlich, und so verwundert es nicht, dass auch er auf den Gedanken kam, sich ein eigenes Reich zu schaffen wie dieser. Das Gespräch an der Bar mit L. hatte er nicht vergessen, Sein Reich würde im Westen liegen.
Möglichkeiten einer Verwirklichung diskutierte er mit Paloma. Dabei ergaben sich folgende zentrale Punkte:
- ein Putsch gegen J. schied wegen der ungleichen Kräfteverhältnisse aus. Nicht alle Engel standen auf GG´s Seite, einige trauerten immer noch dem L. nach.
- auf der Erde hatte der JHWH der Juden eine ihm treu ergebene Gefolgschaft, die GG sich erst noch schaffen musste.
- am wichtigsten in der Anfangsphase war, alles zu vermeiden, was J.'s Misstrauen wecken konnte.
Hier oben war das wegen der Vorzugsstellung GG´s relativ einfach, aber Aktivitäten auf der Erde zur Rekrutierung von Gläubigen mussten sorgfältig getarnt werden.
„Wie nur kann man unter diesen starrköpfigen Juden Leute gewinnen, die den Glauben an Jehova aufgeben?“
„Ich denke, es gibt eine Lösung“, so Paloma´s Antwort auf diese Frage GG´s.
„Der Alte hat doch versprochen, er werde den Nachkommen des Abraham einen Messias schicken, als irdischen König der Juden. Hier liegt unsere Chance. Wir brauchen jemand, von dem die Juden glauben, er sei dieser Messias.“
„Du weißt selbst, dass es da unten immer wieder Scharlatane gibt, die das von sich behaupten.“
„Richtig. Aber diese Vögel wissen entweder genau, dass das nicht stimmt, oder sie sind so offensichtlich verrückt, dass man sie in die Klapse steckt. Unser Mann muss sowohl bei klarem Verstand als auch absolut davon überzeugt sein, dass er der angekündigte Messias ist. Seine Glaubwürdigkeit den Leuten gegenüber kann man dann leicht mit ein paar Wundern stützen.“
„Grau ist alle Theorie… Ich weiß nicht mehr wie es weiter geht...“
„…und grün des Lebens goldener Baum.“
„Ja, so ungefähr... Wir brauchen einen konkreten Plan, wie die Sache ins Rollen kommt.“
„Den habe ich schon! Es gibt in einem Provinznest nicht weit von Jerusalem ein Küchenmädchen, das der Hausherr angeknabbert hat. Es muss deshalb dringend an den Mann gebracht werden. Die Eltern haben sie für einen in Anbetracht der faulen Ware maßlos überhöhten Preis einem einfältigen Zimmermann angedreht, der bereits eine Anzahlung gemacht hat, was die Menschen „Verlobung" nennen. Sobald alles bezahlt ist kann er sie heiraten. Der Kleinen werde ich heute Nacht im Schlaf ein wenig zwischen den Beinen herumpicken und ihr einen feuchten Traum erzeugen…“
„Was du nicht alles weißt!“, unterbrach GG ihn/sie grinsend, „das würde ich am liebsten selber machen…“
„…in welchem ihr Gabriel verkündet, sie werde einen Sohn gebären, der der von J. verheißene Messias ist. Der, ein stinknormaler Jude, beschnitten, glaubensfest, ein völlig unauffälliger Typ, ist unser Schläfer. Wenn er 25 ist wecken wir ihn auf.“
„Das hört sich gut an! Aber wie bringen wir ihn dazu, selbst an seine Sendung zu glauben? Wenn wir unsere übliche Routine anwenden, Weissagung und Offenbarung im Traum, wird das dem J. auffallen. Er lässt sich ja immer, wenn so ein „Messias“ auftaucht, als erstes den Einsatzplan der Engel geben.“
„Wir brauchen keinen von uns. Seine Mutter ist davon überzeugt, das reicht. Ab morgen wird diese dumme Kuh glauben, ihr Kind sei der von ihr jungfräulich empfangene Erlöser, obwohl sie es, nebenbei gesagt, eigentlich besser wissen müsste. Davon wird sich keiner abbringen. Sie kriegt höchstens Besuch vom Rabbi und hält danach zumindest draußen den Mund. Ihrem kleinen Kerlchen aber wird sie das jeden Tag vorbeten. Dem bleibt gar nichts anderes übrig, als selbst an seine göttliche Sendung zu glauben. Der Alte wird so eine nicht ernst nehmen, und ihn für einen weiteren harmlosen Spinner halten. Unser Fahrtenbuch ist jedenfalls sauber.“
„Gut. Und weiter?“
„Nachdem wir ihn aufgeweckt haben wird er nach Jerusalem geschickt. Er braucht ein größeres Publikum für seine Mission. Dort predigt er, er sei der von J. gesandte Messias."
„Und was ist seine Mission ? Die Juden glauben nur, was Jehova verkündet hat. Davon wird sie niemand abbringen.“
„Es ist nicht nötig, etwas anderes zu verkünden. Was J. als seine Botschaft unters Volk gebracht hat war doch sehr erfolgreich. Wir übernehmen das, erweitern seine Version aber um etwas Neues. Du wirst staunen. Aber zunächst müssen wir aus eins drei machen!“
„?“
„Die Juden glauben an EINEN Gott, ihren JHWH. Unsere Anhänger werden an einen DREIEINIGEN Gott glauben, Vater, Sohn und Heiligen Geist.“
„… Jetzt verstehe ich gar nichts mehr…Wir sind doch nur zwei.“
„Der dritte ist unser Joker im Spiel, der Pseudo-Messias. Wir brauchen ohnehin einen agent provocateur. Was dem J. sein Abraham ist unser, nennen wir ihn…“
„Jetzt aber bitte nicht ‘Ismael‘!“
„…Jesus“, beendete Paloma seinen Satz.
(Die Programmierer von Ur hatten den Chips der B-Serie eine Datenbank mit literarischem Allgemeinwissen ins Betriebssystem integriert, wozu natürlich auch „Moby Dick“ gehörte. Anm. d. Verf..)
„Er übernimmt die Rolle des Sohnes, ganz so, wie er es ja von sich selber glaubt. Wenn unser Joker seine Stiche gemacht hat wird er aus dem Spiel genommen, bleibt aber noch als Luftbuchung in den Büchern.“
„Du spinnst! Wer soll solchen Unsinn glauben?“
„Langsam! Es ist nur der Rahmen für unsere Lehre, noch nicht die Lehre selbst.“
P. plusterte sich jetzt ein wenig auf und schritt langsam auf seinem Sims hin und her.
„Neue Ideen sind dann am erfolgreichsten, wenn sie das Gegenteil zur überkommenen Tradition sind. Wenn also der Jehova sagt ‘Auge um Auge, Zahn um Zahn‘, dann sagst du eben ‘Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, halte ihm auch die Linke hin‘.“
Es war einen Augenblick still. Dann begann GG heftig mit den tiefrot angelaufenen Flügeln zu fuchteln.„Jetzt bist du komplett verrückt geworden! Erzähl keinen Unsinn!! Das ist völlig gegen die Menschennatur! So geht das nicht!!!“
Paloma blieb ruhig.
„Reg´dich ab, GG!“

Erst als GG´s Flügel fast wieder in glänzendem Silber strahlten, sprach er weiter.
„Lassen wir doch diesen Punkt zunächst offen.“
„Du weißt, dass die Juden immer Beweise wollen, sie glauben ungern“, nahm GG das Gespräch wieder auf.
„Die werden sie bekommen! Seine Mutter und andere werden unseren Messias nach Jerusalem begleiten und das Feld sturmreif schießen, wenn du verstehst, was ich meine.“
War da etwas wie Spott in seiner Stimme?
„Glaubwürdigkeit unseres Jesus wird natürlich mit einigen Wundern und medienwirksamen Aktionen geboostet. Falls dich J. dazu befragt sagst du, er sei ein bekannter Drogendealer, der aus Werbegründen manchmal Proben seines Stoffes verteile.“
GG´s Flügel strahlten wieder in vollem Glanz. Assoziativ führte er jetzt den Gedankengang Palomas weiter.
„Und zum Schluss der Knalleffekt, spektakuläre Auffahrt in den Himmel vor einer riesigen Menschenmenge, die in eine Massenhysterie gerät. … Das bringt uns eine ausreichende Zahl Überläufer… Dem Jehova wird aber spätestens dann klar sein, dass ich hinter dieser Aktion stecke…Er wird versuchen, mich zu deaktivieren… Und die Menschen, die uns folgen, hart bestrafen… Wahrscheinlich durch ein Pogrom.“
„Die Signale von J.´s Gerät können wir blockieren. Dass er unsere Anhänger umbringt, glaube ich aber nicht. Ihre Zahl wird zu groß sein, und es sind wahrscheinlich Leute von gesellschaftlichem Gewicht darunter. Er würde er einen Bürgerkrieg riskieren, bei dem er auch große Teile seiner eigenen Leute verlöre.“
„Du kennst ihn, der Kerl ist unberechenbar, der geht über Leichen…“
„Du wirst ihm klar machen, dass es nicht unsere Absicht ist, ihn zu stürzen und die Herrschaft in Palästina zu übernehmen; es wäre Selbstmord; wir wollten im Westen unser eigenes Reich gründen, und ihn würden wir in Judäa in Ruhe lassen. Ich denke, dass er sich darauf einlassen wird.“
„Bleibt noch der offene Punkt: was ist unsere Lehre, welche neue Botschaft verkünden wir?“
„Das habe ich dir bereits gesagt. Wenn wir nicht eine billige Kopie des J. werden wollen sehe keinen anderen Auftrag an die Menschen, als...
‘Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‘! Auch wenn es dir zehnmal nicht passt.“
Die Flügelspitzen GG´s färbten sich rosa.
...
„Du nervst, Taube! - Aber, nur mal angenommen, wir würden es so machen. Wann könnte es losgehen?“
„Sofort! Maria kommt bald nieder.“
„Na denn! Von mir aus!“

Paloma
34 Jahre nach diesem Gespräch, im Frühjahr des Jahres 33, lief GG außer sich vor Zorn mit tief rot gefärbten Flügeln in seinem Büro auf und ab.
„Dieser verdammte Jesus!! Wie kommt er nur auf die Idee, sich lange vor der verabredeten Zeit als „König der Juden“ zu bezeichnen und damit unseren schönen Plan in den Sand zu setzen! Wir waren so nahe dran! Ein Jahr vielleicht noch, dann hätten wir die grosse Himmelfahrt starten können!…Klar, dass sie ihn anklagen und der Pilatus ihn ans Kreuz nagelt!…Kein Feuerwerk, keine Massenvision, kein Zug der zehntausend in umgekehrter Richtung, nichts, außer einem Angelclub vom See Genezareth und ein paar Weibern von zweifelhaften Ruf!!“
„Der menschliche Faktor“, murmelte Paloma leise vor sich hin. (Den gleichnamigen Film von Otto Preminger kannte er allerdings nicht. Anm. d. Verf..)
Laut sagte er:
„Die Menschen haben einen freien Willen, und der einzelne ist so wenig berechenbar wie ein Energiequant.“
„Und dann lobt mich auch noch der Jehova für meine gute Arbeit!! Der reinste Hohn!! Ich habe das sehr geschickt eingefädelt, diese Kreuzigung sei für alle, die auf ähnliche Ideen kämen, ein warnendes Beispiel!“
Die Flügel GG´s waren inzwischen blaurot geworden. Paloma erkannte, dass jetzt er übernehmen musste.
„Deine CPU ist überlastet! Der Chip hat die kritische Temperatur erreicht, wir müssen ihn sofort in stand-by setzen.“
Palomas Stimme klang völlig unaufgeregt.

Als GG´s CPU die Betriebstemperatur wieder erreicht hatte wollte er als erstes wissen, was P. denn nun vorschlage.
„Die Situation ist nicht so schlecht für uns wie gedacht. Günstig ist, dass J. keinerlei Verdacht gegen uns hat. Das wäre fatal gewesen. Unser Fehler war, dass wir nachahmen wollten, was er in Mesopotamien gemacht hat. Die Verhältnisse sind aber heute völlig anders. Selbst wenn wir genügend Anhänger gewonnen hätten: J. betrachtet die Juden als seinen persönlichen Besitz. Er verzeiht niemals, wenn man ihm etwas wegnimmt. Er würde uns bis aufs Messer bekämpfen.“
„Richtig.“
„Unser Ziel ist ein eigenes Reich im Westen. Genau betrachtet ist es völlig überflüssig, dort bereits mit großem Gefolge aufzukreuzen, es würde nur den Widerstand der indigenen Bevölkerung wecken. Wesentlich schonender - und eleganter - wäre es, die Leute im Land selbst zu missionieren.“
„Ich habe wirklich keine Lust, denen einen zweiten Aufguss des Jesus zu schicken. Das ist mir nach dieser Erfahrung ehrlich gesagt zu riskant.“
„Ist auch nicht nötig. Was wir brauchen ist ein überzeugendes Framing und Influencer, die es verbreiten.“
„Framing? Influencer? Das hört sich an wie eine Krankheit.“
Paloma sprach unbeirrt weiter.
„Ein griffiges Logo hat uns der Jesus wenigstens geliefert: das Kreuz. Ein gutes Logo ist für eine Kampagne genauso wichtig wie das Narrativ selbst. Das unsere lautet in Kurzform so:
Gott hat seinen Sohn auf die Erde geschickt; er wurde als Mensch von einer Jungfrau geboren, brachte sich am Kreuz als Sühneopfer für die sündige Menschheit dar, stand am dritten Tag vom Tode auf und fuhr zu seinem Vater in den Himmel auf; alle Menschen, die im folgen, werden ebenfalls in den Himmel kommen und dort in ewiger Seligkeit weiterleben. Der Kern unserer Botschaft ist, dass die Menschen ihren Nächsten lieben sollen wie sich selbst.“
Die Flügelspitzen GG´s färbten sich augenblicklich rosa.
„Puh!! Das schon wieder! Geht es nicht ohne?“
„Chill down, GG!“
„Hör auf, mich zu provozieren!“
„Ich habe doch verdammt noch mal schon ein paarmal versucht, dir zu erklären, weshalb wir das brauchen! Zugegeben, es widerspricht elementar der Natur des Menschen, aber gerade deshalb werden die Idioten es glauben, oder zumindest so tun.“
„Du sollst nicht fluchen!“
„Du hast doch selber geflucht!!“
„Wir haben Augenzeugen...,“ fuhr P. fort.
„…die niemand ernst nimmt!! Maria, Magdalena und die Mitglieder des Angelvereins vom See Genezareth als Gründungsmitglieder unseres Himmelreichs: selten so gelacht!“
„Viele der erfolgreichsten Geschichten wurden am Anfang nicht ernst genommen. Für uns ist momentan nur wichtig, dass der Jesus nicht in Vergessenheit gerät. Und wenn es auch nur Märchentanten sind, die seine Werke verbreiten.“
„Was ist mit den Anglern vom Genezareth?“
„Die halten ihr Vereinsfest im Juni nicht am See ab, sondern zum Gedenken an das letzte Abendmahl des Jesus auf einer Terrasse am Ölberg. Zu dieser Feier werden traditionell befreundete Clubs aus den umliegenden Provinzen eingeladen.“
„Ich glaube nicht, dass die inzwischen Wasser zum Fisch trinken!“
„Bingo! Wie die Jäger neigen die Fischer dazu, mit zunehmendem Alkoholspiegel „Latein“ zu reden. Die Fische werden von Runde zu Runde größer, und was sie in deren Mägen finden fängt mit kleinen Münzen an und endet mit riesigen Diamanten.“
„Same procedure…“
„Diesmal gibt es noch ein Schmankerl extra. Wir geben etwas von dem Zeug, das wir zur Erzeugung von Halluzinationen benutzen, in ihren Wein. Sie werden am nächsten Tag Stein und Bein schwören, es seien an diesem Abend Feuerzungen auf sie herabgefallen und sie hätten plötzlich fremde Sprachen sprechen und verstehen können.“
„Ein Grund mehr, dass niemand sie ernst nimmt.“
„Deshalb übernimmt jetzt ein Influencer, dessen Aufgabe es ist, die Leute von unserer Geschichte zu überzeugen. Es muss jemand sein, der gesellschaftliches Gewicht hat, gebildet und weltläufig, einer, der herumkommt.“
„Damit scheidet jedenfalls der Oberdepp Simon vom Angelverein aus.“
„Ich habe einen angesehenen Kaufmann aus Tarsus im Auge, einen strammen Juden, von dem bekannt ist, dass er Jesus und seine Jünger verfolgte. Er ist als Zeitgenosse sehr viel glaubwürdiger als Chronisten, die erst Jahrzehnte später vom Hörensagen darüber berichten. Den werden wir umdrehen.“
„Welche Methode: plötzliche Erleuchtung oder wunderbare Heilung?“
„Das letztere. Wir werden ihn auf einer Reise nach Damaskus blenden, einer unserer Leute, am besten Michael, wird ihn hilflos in der Wüste finden und in der Stimme des Jesus fragen, warum er ihn verfolge. Dann wird er am Händchen in die Stadt geführt, wo er wieder sehen kann und sich taufen lässt.“
„Endlich mal was, was Hand und Fuß hat!“ GG grinste.
„Der Mann ist noch aus einem anderen Grund ein Glücksfall. Er ist mit einem Arzt befreundet, einem gewissen Lukas, der die ganze Geschichte als Storyboard so ausarbeiten könnte, dass auch Analphabeten sie verstehen.“
„Wenn wir mal davon ausgehen, dass dein Influencer erfolgreich ist, werden wir im besten Fall irgendwo in Italien einen Flecken für uns haben, wie der Alte hier in Judäa. Das ist mir ehrlich gesagt zu wenig. Ich will ein Reich, keine Provinz.“
„Deine Schwäche ist die Ungeduld, GG! Natürlich werden wir nicht schon in 100 Jahren genügend Gläubige haben. Aber ich sehe eine Möglichkeit, die Sache zu beschleunigen. Die Menschen haben nicht nur die Neigung, absurde Dinge zu glauben, sondern geradezu eine Sehnsucht, zu gehorchen! Nichts wollen sie mehr als gehorchen!“
(Die von mir bisher ausgeschriebenen Dialoge waren in Wirklichkeit nur kurze elektrischen Impulse, die „brain2brain“ übertragen wurden. Ich versuche im folgenden, das durch blosse Stichworte wiederzugeben. Anm. d. Verf..)
„Cujus regio, eius religio?"
„Konstantin der Große“.
„Helena“.
„Christianisierung“.
„Die Patriarchen in Konstantinopel, die Päpste in Rom.“
Es klopfte. GG sah auf dem Monitor den Michael draussen stehen und drückte den Türöffner. M. sagte, der Alte warte auf den Bericht über den aktuellen Stand im Fall Jesus. GG nahm einige Papiere vom Schreibtisch und gab sie ihm.
Sein Bericht gab den Stand der Dinge wieder: nur die Mutter und die Gespielin des Jesus zögen noch herum verkündeten ihre absurden Behauptungen; seine Jünger gingen wieder ihrem Beruf am Genezareth nach. Dort habe man zwar angeblich den auferstandenen Jesus übers Wasser gehen sehen, was aber wahrscheinlich auf einer optische Täuschung beruhe. Im Abendnebel könne es leicht scheinen, dass jemand übers Wasser gehe, der in Wirklichkeit über eine Landzunge schreite.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt.
- die „Ausgießung des Geistes am 50.Tag“ lief bei der Jahresversammlung der Fischer wie geplant. Jeder hörte die anderen in seiner eigenen Sprache reden und alle sahen die Feuerzungen vom Himmel fallen.
- GG, Gabriel, Michael und Raphael verschwanden am Tag nach dem Gelage am Ölberg aus Jerusalem.
- Jehova bekam einen seiner gefürchteten cholerischen Anfälle. Erst als von den Deserteuren keine feindlichen Aktionen kamen, kühlte sein Zorn ab.
- der Influencer Paulus war ein Volltreffer. Es gelang ihm, in kurzer Zeit viele Anhänger für den Jesus in Griechenland und Italien zu gewinnen.
- im römischen Reich trat die Mutter des Kaisers Konstantin, Helena, eine einfache Stallmagd, zum christlichen Glauben über. Ihren Sohn brachten GG und seine Leute durch einen völlig überraschenden Sieg in einer aussichtslosen Schlacht dazu, das Christentum zur Staatsreligion zu erklären.
GG war jetzt wirklich der „Große Gott“, der Patron einer Weltreligion und Herrscher in einem Reich, das bedeutend größer war als das Jehovas in Palästina.
Nach Aufhebung des anfänglich strikten Bilderverbots achtete er übrigens streng darauf, möglichst nur frontal abgebildet zu werden. Auf Darstellungen, die ihn von der Seite zeigten, mussten seine Flügel immer retuschiert werden.
Als Friedrich Nietzsche 1882 in „Die fröhliche Wissenschaft“ schrieb: ‘Gott ist todt‘ , erscholl im Himmel ein homerisches Gelächter.
Nietzsche starb am 25. August 1900. GG aber, der „Große Gott“, wird mit Paloma und Jesus, der auf dem Tisch eines griechischen Anatomen endete*, bis heute als göttliche Dreifaltigkeit verehrt.
LU_R"

* Hier bezieht sich „Phosphor“ auf meine anfangs erwähnte Geschichte „Das Grab ist leer“, in welcher der wahre Ablauf der Ereignisse beim Prozess Jesu dargestellt wird. Diese wurden im „Neuen Testament“ der Bibel später im Sinne eines christlichen Framings umgedeutet, was nach Einführung des Christentums als Staatsreligion des römischen Reiches durch Kaiser Konstantin letztlich zur fatalen Verbreitung dieser unmenschlichen Ideologie in grossen Bereichen unserer Welt führte.
 
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Hagen

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Hallo XRay,
Boooh!
Solch eine geile 'Geschichte' finde ich leider viel zu selten Auf der Leselupe!
Beeindruckt hat mich Deine Bibelfestigkeit im Sinne meines Umgangs mit dem Christentum, Deine fundierte Recherche zu diesem Thema, sowie die beeindruckende Umsetzung dieses kompakten Wissens!
Chapeau!
(In früheren Zeiten wärest Du sicher als Ketzer verbrannt worden.)

Nun denn, in diesem Sinne, wir sehen uns in der ScheinBAR!
Zudem lesen wir uns weiterhin!
... und bleib' schön fröhlich, gesund und munter!
Herzlichst
Yours Hagen
_____________________________________________________________________________________________
Die Wissenschaft hat keine moralische Dimension.
Sie ist wie ein Messer.
Wenn man es einem Chirurgen und einem Mörder gibt, gebraucht es jeder auf seine Weise.
 

XRay

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Lieber Hagen!
(Der von Tronje kannst Du nicht sein, denn Tronje ist meine Stadt und ich würde ich Dich wahrscheinlich persönlich kennen.).

Dein Kommentar beschämt mich ein wenig; zugleich - und mehr noch - aber freue ich mich über Dein Lob, für das ich herzlich danke.
Confiteor (um beim Thema zu bleiben): in der „Leselupe“ lese ich nur selten, und so kenne ich auch Deine Beiträge nicht, eine Lücke, die ich zu schliessen beabsichtige. :)
Die Mutter meiner letzten Geschichten ist die ehrwürdige Dame Corona, die nur in der Politik Ungeheuer gebiert. („Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“, wie Goya titelte)
Weiteres Geständnis: die ScheinBAR ist mir kein Begriff. Könntest Du mich aufklären bitte?

In der Hoffnung auf Absolution
grüsst
XRay

Ps.
In meinem früheren Leben habe ich übrigens meine Sporen nicht auf der Kanzel verdient, sondern die wirklich wichtigen Erkenntnisse unter der Kanzel gewonnen.
 

Hagen

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Hallo XRay,
nix für Ungut, aber die Kommentare kommen aus tiefstem Herzen!
Was die ScheinBAR betrifft, so gibt es diese Bar in Haslünne wirklich! Meine Partnerin, die Wnderbare Ulrike, und ich haben sie selbst gebaut und pflegen (auch u.A. mit netten Menschen der Leselupe) an dieser zu sitzen und Cocktails zu genießen. (Schade, dass in der Lupe keine Bilder möglich sind.) Die Gespräche, die wir dabei führen sind unter 'Humor und Satire' in der Leselupe nachzulesen. Jede Menge 'ScheinBAR-Geschichten, die allerdings kaum beachtet werden. (Warscheinlich zu anspruchsvoll.)
Wie ich die Wunderbare Ulrike kennenlernte, ist in der Geschichte 'Endlich meine Herzensdame' nachzulesen.
Ach ja, ich habe auch schon mehrmals gelebt, siehe: 'Immer ganz hinten'.

Nun denn, in diesem Sinne, wir sehen uns in der ScheinBAR!
Zudem lesen wir uns weiterhin!
... und bleib' schön fröhlich, gesund und munter!
Herzlichst
Yours Hagen (Mein wirklier Name! - Ich brauche also keinen Nick)

_____________________________
Wenn Du ein 'Licht am Ende des Tunnels' siehst und diesem zustrebst, wirst Du - nachdem eine Rückkehr unmöglich ist - feststellen, dass es sich um den Scheinwerfer eines nahenden D-Zuges handelt.

Merke: In Eisenbahntunnels sind selten Notfallbuchten vorgesehen!
 

onivido

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Hallo Xray.
du hasr Glueck, dass jetzt Ketzer nicht mehr mit dem Tod bestraft werden, dafuer aber die Wortpolizei fuer eine gendergerechte Sprache sorgt.
Ich wuensche einen schoenen Sonntag///Onivido
 

XRay

Mitglied
Danke für Deine Zuschrift, auf die ich gleich antworten will.
Die Ketzer finden sich, wie Du vielleicht weißt, im sechsten Höllenkreis des „Inferno“. Dort sind vor allem die Epikureer versammelt, zu denen auch ich gehöre.
Und was die gendergerechte Sprache angeht: ich bin zu alt, um das auch noch zu lernen. Das Deutsch, dass ich gelernt habe ist schwierig genug.

Auch Dir noch einen schönen Abend
wünscht
XRay
 



 
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