Ein flügel, das rauschen und du

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Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
geräusche

haben ihre körper verlassen
die ohne grund sind. die

schwarzen ränder der bäume
rauschen im wolkenfeuer.

ich habe asche gesammelt als
es zu spät war für ein weiteres leben.

und deine worte ließen sich leicht
mit fremden gesichtern vertauschen.

wer bin ich? hast du gefragt. ich
habe den flügel angeschlagen und

mir keine antwort gegeben.
 

Perry

Mitglied
Hallo Patrick,

der Text hinterlässt bei mir einen resignativen Eindruck.
Durch die überwiegend hermetische Bildsprache ist es nicht leicht Aussagen herauszufiltern, am ehesten würde ich auf eine Suizidsituation tippen.
LG
Manfred
 
F

Frodomir

Gast
Hallo Patrick Schuler,

wenn ich mal hier auf der leselupe-Seite bin, lese ich bisweilen sehr gern deine Gedichte. Auch in diesem kann ich wieder einiges finden, was mich anspricht.

Ein Suizidthema, wie Perry es tut, will ich hier nicht unbedingt herauslesen, für mich scheinen sich eher Fragen der Identität, eines verschenkten Lebens und vielleicht einer Beziehung, welche unter den ersten beiden Themen zu leiden hatte, heraus zu kristallisieren.

Natürlich kann ich nicht sagen, was du dir bei diesem Gedicht gedacht hast, mir aber gibt es einen breiten Interpretationsraum, ohne den Eindruck irgendeiner Beliebigkeit zu erwecken.

Den Titel deines Gedichtes kann ich z.B. gegenwartskritisch deuten, also in diesem Sinne, dass dem heutigen Menschen und der heutigen Kommunikation die Bedeutung und der Sinn z.T. abhanden zu gehen scheint. Aus einer klaren Sprache von im Wortsinne selbstbewussten Menschen werden demnach "Geräusche", die "ohne Grund sind". Unter diesem Gesichtspunkt weiter denkend greift dein Gedicht die Probleme der modernen Mediengesellschaft unter dem neuen Geist des Kapitalismus auf, die sich alle um die Frage nach einer eigenen Identität drehen.

Dieser Interpretation folgend, hast du deinen Werk ein sehr gescheites Ende gegeben. Denn mir bleibt es nun offen, resigniert oder mit einer Art hedonistischer Hoffnung deinen Text zu verlassen. Resigniert, weil "mir" die Antwort nach der Identitätsfrage verwehrt blieb; hoffnungsvoll, weil die Dekonstruktion der Persönlichkeit auch Leichtigkeit bedeuten kann, die wohlklingende Leichtigkeit eines Instrumentes, welches im anderen Sinne auch die Leichtigkeit eines Objektes ist, welches im Stande ist, etwas zum Fliegen zu bewegen.

Vielleicht hast du dieses oder ähnliches intendiert, ich habe dein Stück jedenfalls mit Interesse gelesen.

Viele Grüße
Frodomir

PS: Deine Enjambements, vor allem natürlich das das Ego herausstellende in Vers 9, finde ich nicht verkehrt, aber der Artikel "die" in Vers 2 erklärt sich mir in seiner abgesonderten Stellung nicht.
 

Tula

Mitglied
Hallo Patrick

um den beiden wirklich guten Kommentaren noch etwas hinzuzufügen, ich dachte gestern beim ersten Lesen an Depression und Selbstaufgabe. Einen Versuch zum Thema Depression hatten wir neulich, dieses hier würde der emotionalen Verwirrung eines depressiven Menschen weitaus besser entsprechen (d.h. ich “weiß” das glücklicherweise nicht, ich bin nicht depressiv).

Nun ist es auch sehr hermetisch, wie schon festgestellt. Mir fällt auf, dass die Doppelzeilen in der Vergangenheit stehen, die zweite aber in der Gegenwart. Vielleicht würde mir der Präsens im gesamten Gedicht besser gefallen, d.h. als Beschreibung eines augenblicklichen Gefühlszustandes, und nicht als eine Art von 'Rückblick'. Sicher auch Geschmackssache.

Der Schluss ist ausgezeichnet. Auch hier ginge es gut in der Gegenwart: “Du fragst mich ...”.


LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Nachtrag: es sei denn, der Flügel des Engels bedeutet in der Tat Post- Suizid ... dann doch sehr traurig

LG
Tula
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo ihr lieben.
Das sind hervorragende Kommentare.
Ich frage mich manchmal womit ich das verdient
habe, wo ich doch so einsilbig kommentiere.

Ich möchte gerne näher darauf eingehen
daher nehme ich mir heraus noch ein, zwei tage
zu warten, bis mir das Gedicht selber
etwas fremder geworden ist, dann lässt sich
besser darüber reden.

Bis dahin
Vielen, vielen Dank
Und L.G
Patrick
 

Ralf Langer

Mitglied
gn?thi seautón

Hallo Patrick,:

geräusche

haben ihre körper verlassen
die ohne grund sind. die

schwarzen ränder der bäume
rauschen im wolkenfeuer.

ich habe asche gesammelt als
es zu spät war für ein weiteres leben.

und deine worte ließen sich leicht
mit fremden gesichtern vertauschen.

wer bin ich? hast du gefragt. ich
habe den flügel angeschlagen und

mir keine antwort gegeben.



Was ist ein Geräusch, schon der Titel fasziniert mich:

In erster Linie handelt es sich doch um ein „akustisches Phänomen“, das bezüglich seines Auslösers indifferent ist.
Viele Geräusche umgeben uns im Leben, keines hält dem Tod stand. Der Tod ist ohne Gräusch.
Da ist kein Blätterrauschen, kein „Hintergrund rauschen“.
Das Geräusch ist grundlos geworden und verschwindet.
Der Rest ist Widerhall, hervorgeholtes, Ersatzhandlung, wie das „Sammeln der Asche“
( eine strake Zeile, da komme ich sehr ins Grübeln!)

Das lyrische ich ist wie das lyrische du geworden, nicht mehr primär, nicht mehr Unikat. Die Worte lassen sich mit anderen Gesichtern vertauschen.

Etwas ging unwiederruflich verloren:
„Wer bin ich“
Der Auftrag des Lebens: Erkenne dich selbst,gn?thi seautón

Die letzte Zeile sehr vielschichtig: den Flügel angeschlagen.

Ich sehe einen Konzertflügel und höre einen Ton. Ist das eine Antwort?

Oder sehe ich einen Flügel, der nicht mehr zum fliegen taugt, weil er angschlagen, weil er verletzt ist.

Ich sehe beides

sehr schön

Ralf
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
So, entschuldigt den späten Kommentar.
Wie Frodomir schon richtig erkannt hat
geht es in dem Gedicht um die Suche nach
Identität. Es beginnt damit dass ich den
Geräuschen eine eigene Sprache geben wollte.
D.h eine Sprache verlässt ihren Körper, also
ihre Form, bspw. die Schrift, die nie einen
grund hatte als totes, unausgesprochenes
Wort zu existieren, das lyri. will
die Identitätssuche durch das finden von
Vergangenem befriedigen, es sammelt Asche.
Das kann bedeuten sich in tote Iche zu flüchten,
in Bücher, oder andere Werke.
Während das Du in dem Text, sich in der Sprache,
also dem ausdruck des eigenem Ichs, an lebenden
vielleicht unechten "Gesichtern" bedient.
Also klichee-Bildern nachhängt.
Aber das Du spricht die Frage aus und hier
ist der Flügel die Sprache des Lebens.
(wie Musik, der höchste Ausdruck des Lebens ist)
Auch wenn das lyri. sich die Identitätsfrage
nicht beantworten kann, ist er bereit sie mit
leben zu füllen.

Ich hoffe ich konnte es etwas deutlicher machen.

Lieben, lieben Dank euch allen.
Das freug mich sehr :)

L.G
Patrick
 

Monochrom

Mitglied
Da wollte ich nur mal kurz reinschauen und einen kleinen Text einstellen. Da habe ich dieses Gedicht entdeckt.

PONK ZACK FETZ !!!

Das ist mithin eines der besten Gedichte, das ich bisher hier gelesen habe. Hammerkrasse Scheiße...

Danke, dass ich das lesen durfte, ohne dafür bezahlen zu müssen.

Monochrom
 



 
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