Ein Gruß an Sinclair

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cecil

Mitglied
Sich selbst verbrennen
am heißen Ofen
das Angenehme dieser Welt
tun wir Irre uns reuelos an
deshalb ist es untersagt
denn wo eure Ärzte walten
habe ich zuvor die Welt genossen
und mit wahren Freunden
den Wahnsinn unterbunden

Aber toll machen
der Jugend Freude
durch eine Kirsche
eine Prise Arsen
und die Knebelmaske
für eine ruhige Nacht
ohne Widerstand
verfügten die Geringsten
und ich erlitt es
nicht gerne

Ich bin nichts mehr
wer hört mich noch
den Alten im Turm
der wohl leben soll
genährt und geputzt
aber vergreist als Monument
sterbender Ideen
denn alle kommenden Monde
sind meinen besten ferne
 

mondnein

Mitglied
Es ist ziemlich verrückt, Cecil,

wenn man in den Schulen, auch den Gymnasien, den Hölderlin vermeidet wie irgendein klassisches Gedicht, etwa von Sappho oder Horaz, deren Metrik und Sprachtanz die Deutschlehrer nicht mitsingen können, die Musik der Längen und Kürzen in melodischer Ordnung. Vides ut alta stet nive candidum z.B., erster Vers einer alkäischen Strophe. Die Silben, die Töne, sie schwingen weiter durch wie die durchgehaltenen Orgeltöne eines Hintergrundakkordes. Deshalb können die Attribute über ein zwischengeschobenes Prädikat zum zugehörigen Substantiv hinübergreifen: "Du siehst wie im tiefen steht im schnee das zuckerweiße ..."
Und alle Gedichte Hölderlins stehen in den griechischen Versmaßen und Strophenformen, also in alkäischen und asklepiadeischen, seltener in sapphischen Vierversstrophen. Episches oder Weitschweifiges in Hexametern. Das muß man lesen können, aber die mir bekannten Deutschlehrer können das nicht. Und da sie den Hölderlin nicht einmal rezitieren können, und da auch ihre Germanistikprofessoren das nicht melodisch hinkriegen, bleiben von Hölderlin nicht seine Werke, aber der Wahnsinn im Turm. Und das hat mit Arbeit an der Sprache oder mit dem Genuß der klassizistischen Lieder nichts zu tun. Also kennen ihn die Germanisten nicht. Logisch, aber schade.

grusz, hansz
 

sufnus

Mitglied
Hey Cecil!
Hab mich auch sehr über Deine Reverenz an Hölderlin gefreut! In meiner Schulzeit ist er schon (zugegebenermaßen etwas pflichtschuldig und ohne allzugroße Begeisterung unseres Deutschlehrers) "drangekommen" - aber tatsächlich nur mit einer relativ kleinen Auswahl seiner klassischen Werke. Ich muss sagen, dass ich gerade die Gedichte aus der Turmzeit besonders liebe (die unser Deutschlehrer ausgelassen hat). Dass diese "späten" Gedichte (eine ziemlich lange Spätzeit, muss man konstatieren) in nichtklassischen Versmaßen daherkommen und sprachlich deutlich schlichter (und kürzer) gehalten sind, würde ich vielleicht nicht gerade als besonderen Vorteil herausstellen, aber es spricht m. E. auch nicht gegen diese Werke. Was mich an Hölderlins später Lyrik fasziniert, sind die Fragilität (Zartheit!) ihrer inneren Logik und ihre weitgehende Pointenlosigkeit. Sie sind wie ein blauer Himmel, eine Abenddämmerung oder ein sachter Wind, der über Wiesen weht. Was braucht es da eine "Botschaft"?
LG!
S.
 



 
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