Rainer Lieser
Mitglied
Ein gutes Tässchen Tee
Frau Gisela Röhrendocht saß gedankenversunken hinter ihrem Fenster und betrachtete den Garten als es an der Tür läutete. Sie öffnete.
»Guten Tag, mein Name ist Jakob Mosgruber. Ich möchte ihnen Geld schenken. Ganz viel Geld. Denn ich bin ein netter junger Mann, der gerne älteren Damen ganz viel Geld schenkt.«
Freudig überrascht klatschte die alte Dame in die Hände.
»Ach wie ist das schön. Das gefällt mir wirklich sehr. Kommen sie doch rein. Ich mache uns ein gutes Tässchen Tee, dann können wir die Sache in aller Ausführlichkeit besprechen.«
Gisela führte ihren Gast in das Wohnzimmer und bot ihm einen Platz an. Da sie nur selten Besuch bekam, war sie in der Rolle der Gastgeberin nicht gerade geübt. So stellte sie erst jetzt fest, dass Herr Mosgruber immer noch seinen Mantel trug und einen Aktenkoffer in der Hand hielt.
»Also Herr Mosgruber, ich muss ihnen schon sagen, dass man sich im Mäntelchen und mit einem Aktenköfferlein in der Hand nicht an ein Tischlein setzt, um ein gutes Tässchen Tee zu trinken. Das ist nicht recht. Da muss ich sie schon bitten mir das Mäntelchen und das Aktenköfferlein zu überreichen, so das ich beides beiseite legen kann.«
»Nun gute Frau, den Mantel lege ich gerne ab. In dem Aktenkoffer jedoch befindet sich das Geldgeschenk welches ich ihnen überreichen möchte – und da wäre es natürlich für unser Gespräch unvorteilhaft den Aktenkoffer jetzt fort zu geben.«
»Papperlapapp! Sie geben mir das Aktenköfferlein und setzen sich hernach hin oder es wird nichts mit dem Gespräch über das Geldgeschenk.«
Ehe sich Herr Mosgruber versah, hatte ihm Frau Röhrendocht den Aktenkoffer entrissen. Dann wies Frau Röhrendocht auf den Mantel. Herr Mosgruber dachte nach. Schließlich zog er den Mantel ohne ein weiteres Wort aus. Frau Röhrendocht nahm den Mantel entgegen und brachte ihn zusammen mit dem Aktenkoffer in den Flur.
Herr Mosgruber setzte sich an den Tisch. In dem Wohnzimmer und in dem Flur hatte er weder Schalter, Steckdosen noch Kabel gesehen. Nirgendwo gab es einen Hinweis auf ein Telefon oder auch nur eine einzige Lampe. Seine Informationen schienen demnach zu stimmen. In diesem Haus gab es keinen Hauch von Elektrizität. Hier verweigerte man sich allen Annehmlichkeiten des modernen Lebens. Wahrscheinlich wurde sogar das Teewasser noch auf einem Ofen mit Brennholz erhitzt. Was auch den Stapel Holz neben der Eingangstür erklären würde, über den sich Herr Mosgruber gewundert hatte.
Jakob Mosgruber konnte von seinem Platz aus den Raum in dem er die Küche vermutete zwar nicht einsehen, allerdings hörte er gerade wie dort ein Streichholz angezündet wurde, wodurch er seine Annahmen über den Ofen mit dem Brennholz als bestätigt betrachtete. Ein Streichholz. Gab es so etwas heute wirklich noch. Unglaublich. Zuletzt hatte er dieses Geräusch vor mindestens zwei Jahrzehnten gehört. Vielen seiner Kollegen wäre es sicher fremd gewesen.
»Lieber Herr Mosgruber, möchten sie ihr Tässchen Tee lieber mit Zucker oder ohne? rief es aus der mutmasslichen Küche.«
Wenn seine Gastgeberin von dort aus wo das Streichholz entzündet worden war, nach den Beigaben für den Tee fragte, musste dieser Raum dort einfach die Küche sein, entschied Herr Mosgruber. Allerdings fragte er sich, wie Frau Röhrendocht dort hinein gekommen war, ohne an ihm vorbeizulaufen. Eine Verbindungstür zwischen Flur und Küche hatte er nicht gesehen. Trotz seiner scheinbar schlichten Bauweise wies dieses Haus also die eine oder andere architektonische Finesse auf. Herr Mosgruber konzentrierte sich wieder mehr auf das Gespräch.
»Ohne, bitte.«
»Mit Milch oder ohne? Manche mögen ja immerhin ihren Tee lieber mit Milch habe ich gehört, auch wenn ich die Milch eher dem Kaffee zugehörig empfinden. Ach sagen sie einer alten Frau doch bitte, wie sie es damit halten? Ich vermag es ihnen nämlich nicht an der Nasenspitze abzulesen.«
»Ohne, bitte.«
»Meine Freundin Agathe nimmt in ihren Tee zuweilen gerne auch eine gehörige Portion Sahne, was eine Form von Milch ist, bei der die Milch noch weiter bearbeitet wurde. Kennen sie Sahne? Ach sie sind ja ein gebildeter Mann und kennen deshalb ganz bestimmt Sahne. Viele Menschen ihrer Art gibt es heutzutage nicht mehr. Meine Freundin Agathe ist ebenso sehr gebildet. Leider besucht sie mich viel zu selten. Hat immer viel zu tun, die Gute. Sie ist ja auch noch so jung. Für jemandem in meinem Alter gibt es nicht mehr so viel zu tun. Da ist es schon eine wohltuende Ausnahme einen Gast wie sie zu haben. Das ist richtig aufregend für mich.
Möchten sie etwas Sahne? Es ist noch welche übrig. Vielleicht nehmen sie ihren Tee ja lieber mit Sahne oder aber sie möchten es heute einmal ausprobieren. Bei mir verhält es sich mit der Sahne wie mit der Milch – zu Tee empfinde ich beides gleichermassen unpassend. Wobei mir Milch im Kaffee schon schmecken tut, wie ich bereits erwähnte. Sahne im Tee jedoch ist mir regelrecht ein Gräuel. Vielleicht geht es ihnen ja aber mehr wie Agathe. Immerhin ist Agathe auch ein sehr feiner Mensch.
Manchmal denke ich, alle feinen Menschen müssten sich eigentlich kennen. Kennen sie Agathe Windstoss?«
Herr Mosgruber rang darum die Nerven nicht zu verlieren. »Nein, ich bedauere.«
»Nein? Oh natürlich nicht. Sie sind wohl nicht oft hier in dieser Gegend – wozu auch. Nein, nein, vergessen sie diese Frage und vergeben sie einer törichten alten einsamen Dame. Sagen sie mir doch jetzt lieber einmal, wie sie zu einer gehörigen Portion Sahne in ihrem Tee stehen, denn diese Frage ist weiterhin unbeantwortet, obgleich sie doch von so hoher Bedeutung für unser Gespräch über das Geldgeschenk ist. Hatten wir doch beschlossen dieses Thema bei einem guten Tässchen Tee weiter zu vertiefen – und da sollten wir beiden dann selbstverständlich auch ein Tässchen Tee vor uns auf dem Tisch stehen haben, welches uns dann auch richtig gut schmeckt. Finden sie nicht, Herr Mosgruber?«
»Ja, ein Tässchen guter Tee ist schon etwas feines und nein, meinen Tee bitte ohne Sahne.« Antworte er, hörbar bemüht ruhig zu bleiben.
»Ich dachte mir schon, dass sie zu ihrem Tee keine Sahne würden haben wollen, da sie die Milch bereits zuvor abgelehnt hatten. Dennoch wollte ich ihnen die Sahne zumindest anbieten. Schade übrigens, dass sie die Agathe nicht kennen.«
»Sie ist bestimmt eine wunderbare Frau.« Doch die Worte die er sprach, passten nicht so recht mit dem Ausdruck in seiner Stimme zusammen. Herr Mosgruber hoffte inständig, dies bliebe seiner Gastgeberin verborgen.
»Auch etwas sonderbar. Wunderbare Menschen sind ja oft auch etwas sonderbar. Aber eigentlich hätte ich mir wirklich gleich denken können, dass sie Agathe nicht kennen. Versteckt die Gute sich doch schon seit Jahren regelrecht vor den Menschen. Nur eben vor mir nicht. Dazu kennen wir uns wohl inzwischen auch bereits zu lange. Ach, sie ist so ein netter, höflicher Mensch. Ganz die alte Schule. Aber ich schweife wieder ab. Möchten sie vielleicht etwas Gebäck?«
»Nein. Kein Gebäck, bitte. Wie lange wird es wohl noch dauern mit dem Tee?«
»Was sind sie denn plötzlich so ungeduldig, mein lieber Herr! Sprachen sie nicht selbst davon ein gutes Tässchen Tee trinken zu wollen, während wir uns über das Geldgeschenk unterhalten? Da ist es doch nun sehr unhöflich mich so zu drängen. Bevor ein gutes Tässchen Tee getrunken werden kann, dauert es eben seine Zeit. Das hat der liebe Herrgott so verfügt und nicht etwa die alte Gisela Röhrendocht. Da müssen sie sich wohl oder übel schon noch ein wenig in Geduld üben, bester Herr Mosgruber, kann ich dazu nur sagen. Aber die Agathe ist ja auch ewig in Eile. Daher bin ich zumindest ein wenig an eine derartige Hektik gewöhnt. Und gerade weil die Agathe immer so in Eile ist, verstehe ich es übrigens noch sehr viel weniger, dass sie ihren Tee immer mit Sahne mag. Muss ich die Sahne doch jedes Mal erst aus der Milch schlagen, die mir die Agathe mitgebracht hat. Und das dauert eben seine Zeit. Die nimmt sich die Agathe dann allerdings. Wie gesagt, die Agathe ist halt ein ganz wunderbarer Mensch. Ja, ohne die Agathe hätte ich hier in meinem Häuslein schon lange keine Milch mehr. Ich komme ja kaum noch raus, so alt und gebrechlich wie ich bin – und besuchen tut mich hier außer der Agathe niemand.«
»Warum versteckt sich ihre Freundin denn vor den Menschen?«
»Ach, das interessiert sie jetzt schon, gell? Das dachte ich mir fast. Darum habe ich ja auch angefangen von ihr zu erzählen, als sie mir sagten, wir würden über das Geldgeschenk erst bei einem guten Tässchen Tee sprechen – und ich hernach gleich wusste, dass es bis dahin dann noch ein Weilchen dauern würde. Mein alter Ofen braucht mit dem Brennholz halt recht lange bis das Teewasser heiss ist. Und da man einen Gast nicht so lange still und stumm sitzen lassen sollte, habe ich mir natürlich gleich überlegt, worüber ich mit dem Herrn Mosgruber reden könnte. Die Zutaten für ein gutes Tässchen Tee so wie sie es mögen abzufragen, ist da natürlich eine Sache, damit allein die Zeit zu überbrücken, erschien mir dann aber doch etwas zu gewagt, deshalb suchte ich schon gleich nach einem weiteren Thema. Und da dachte ich mir, dass die Agathe für sie schon von Interesse sein könnte, womit ich ja auch gar nicht so falsch lag, wie sich nun zeigt. Sie sind mir schon ein Spitzbube, Herr Mosgruber. Am Ende ist es vielleicht gar so, dass sie nur hier sind, um mich über die Agathe auszuhorchen und das mit dem Geldgeschenk nur als Vorwand nutzten. Na das wäre was. Die Agathe meinte allerdings schon, dass so etwas einmal passieren könnte.«
Jakob Mosgruber zuckte zusammen. Ruhig bleiben sagte er sich. Auf keinen Fall darfst du dir etwas anmerken lassen.
Zu lange schon jagten er und seine Mitarbeiter Agathe Windstoss vergeblich hinterher. Nach all den Jahren war die alte Dame in der Küche die erste wirklich heiße Spur.
Es gab nur noch sehr wenige Menschen, die über keinen Internetanschluss und kein Telefon verfügten. Menschen also, die man nahezu unmöglich überwachen konnte. Die Alte war beinahe ein ebensolches Gespenst, wie Agathe Windstoss selbst. Die Verbrechen von Agathe Windstoss waren jedoch sehr real. Immer wieder schlug sie mittels Computerviren tiefe Löcher in das globale Überwachungsnetz der Großkonzerne – immer wieder gingen dadurch intimste Informationen über den Einzelnutzer verloren. Das sorgte für enorme Umsatzeinbussen. Ein untragbarer Zustand für die Konzerne.
Jakob Mosgruber leitete die Spezialeinheit, die Agathe Windstoss unschädlich machen sollte – und er war es auch gewesen, der den Gedanken aufgebracht hatte, dass es eine Verbindung zwischen Agathe Windstoss und den überwachungsfernen Menschen geben musste. Von irgendwo her musste Agathe Windstoss ja Kleidung, Nahrung und ein Dach über dem Kopf bekommen. Wenn man auch sonst nichts von den überwachungsfernen Menschen wusste, so waren doch zumindest die meisten ihrer Namen und Adressen bekannt. Seit Monaten suchten Jakob Mosgruber und seine Mitarbeiter jeden einzelnen dieser Menschen auf.
Heute war Jakob Mosgruber nun zu Frau Gisela Röhrendocht gegangen um sie auszuhorchen. Gleiches taten seine Mitarbeiter zur selben Zeit bei anderen überwachungsfernen Menschen – auf der ganzen Welt.
Das gesamte Gespräch zwischen ihm und Frau Röhrendocht wurde mittels eines Senders ins Hauptquartier übertragen. So zumindest glaubte Jakob Mosgruber. Seit er dieses Haus betreten hatte, wurde der Sender jedoch gestört.
»Wenn sie möchten, kann ich ihnen heute die Agathe sogar persönlich vorstellen. Sie hat die letzte Nacht im Gästezimmer verbracht. Und da sie ja nun schon ohnehin einiges über sie erfahren haben, kann ich sie wohl auch gleich direkt miteinander bekannt machen.«
Doch als Frau Röhrendocht aus der Küche kam befand sich Herr Mosgruber nicht mehr auf seinem Platz. Stattdessen saß Agathe auf dem Stuhl und lächelte ihre alte Freundin an.
»Wie ich sehe hast du ein gutes Tässchen Tee gemacht. Wunderbar. Würdest du in mein Tässchen bitte noch eine gehörige Portion Sahne geben? Von gestern Abend müsste ja noch etwas übrig sein.«
»Eigentlich war der Tee für meinen Besuch gedacht, der mit mir über ein Geldgeschenk sprechen wollte.«
»Ich fürchte, liebe Gisela, der Mann ist bereits gegangen. Als ich herein kam und ihn begrüsste bat er mich ihn zu entschuldigen. Er hätte da noch eine wichtige Terminsache.«
»Das ist sehr schade. Er war so nett. Vielleicht ein wenig verschlossen und ungeduldig, ansonsten aber wirklich sehr nett. Du hättest ihn bestimmt gemocht. Hatte er wegen des Geldgeschenks noch etwas gesagt?«
»Du solltest wirklich nicht so leichtgläubig sein, Gisela. Vermutlich war das doch nur ein Vorwand, um mit dir über irgend eine andere Sache ins Gespräch zu kommen.«
»Wahrscheinlich hast du recht, meine Liebe. Das mit dem Geldgeschenk erschien mir gleich ein wenig sonderbar.«
Herr Mosgruber lag derweil gefesselt und geknebelt unter dem Bett im Gästezimmer.
Frau Gisela Röhrendocht saß gedankenversunken hinter ihrem Fenster und betrachtete den Garten als es an der Tür läutete. Sie öffnete.
»Guten Tag, mein Name ist Jakob Mosgruber. Ich möchte ihnen Geld schenken. Ganz viel Geld. Denn ich bin ein netter junger Mann, der gerne älteren Damen ganz viel Geld schenkt.«
Freudig überrascht klatschte die alte Dame in die Hände.
»Ach wie ist das schön. Das gefällt mir wirklich sehr. Kommen sie doch rein. Ich mache uns ein gutes Tässchen Tee, dann können wir die Sache in aller Ausführlichkeit besprechen.«
Gisela führte ihren Gast in das Wohnzimmer und bot ihm einen Platz an. Da sie nur selten Besuch bekam, war sie in der Rolle der Gastgeberin nicht gerade geübt. So stellte sie erst jetzt fest, dass Herr Mosgruber immer noch seinen Mantel trug und einen Aktenkoffer in der Hand hielt.
»Also Herr Mosgruber, ich muss ihnen schon sagen, dass man sich im Mäntelchen und mit einem Aktenköfferlein in der Hand nicht an ein Tischlein setzt, um ein gutes Tässchen Tee zu trinken. Das ist nicht recht. Da muss ich sie schon bitten mir das Mäntelchen und das Aktenköfferlein zu überreichen, so das ich beides beiseite legen kann.«
»Nun gute Frau, den Mantel lege ich gerne ab. In dem Aktenkoffer jedoch befindet sich das Geldgeschenk welches ich ihnen überreichen möchte – und da wäre es natürlich für unser Gespräch unvorteilhaft den Aktenkoffer jetzt fort zu geben.«
»Papperlapapp! Sie geben mir das Aktenköfferlein und setzen sich hernach hin oder es wird nichts mit dem Gespräch über das Geldgeschenk.«
Ehe sich Herr Mosgruber versah, hatte ihm Frau Röhrendocht den Aktenkoffer entrissen. Dann wies Frau Röhrendocht auf den Mantel. Herr Mosgruber dachte nach. Schließlich zog er den Mantel ohne ein weiteres Wort aus. Frau Röhrendocht nahm den Mantel entgegen und brachte ihn zusammen mit dem Aktenkoffer in den Flur.
Herr Mosgruber setzte sich an den Tisch. In dem Wohnzimmer und in dem Flur hatte er weder Schalter, Steckdosen noch Kabel gesehen. Nirgendwo gab es einen Hinweis auf ein Telefon oder auch nur eine einzige Lampe. Seine Informationen schienen demnach zu stimmen. In diesem Haus gab es keinen Hauch von Elektrizität. Hier verweigerte man sich allen Annehmlichkeiten des modernen Lebens. Wahrscheinlich wurde sogar das Teewasser noch auf einem Ofen mit Brennholz erhitzt. Was auch den Stapel Holz neben der Eingangstür erklären würde, über den sich Herr Mosgruber gewundert hatte.
Jakob Mosgruber konnte von seinem Platz aus den Raum in dem er die Küche vermutete zwar nicht einsehen, allerdings hörte er gerade wie dort ein Streichholz angezündet wurde, wodurch er seine Annahmen über den Ofen mit dem Brennholz als bestätigt betrachtete. Ein Streichholz. Gab es so etwas heute wirklich noch. Unglaublich. Zuletzt hatte er dieses Geräusch vor mindestens zwei Jahrzehnten gehört. Vielen seiner Kollegen wäre es sicher fremd gewesen.
»Lieber Herr Mosgruber, möchten sie ihr Tässchen Tee lieber mit Zucker oder ohne? rief es aus der mutmasslichen Küche.«
Wenn seine Gastgeberin von dort aus wo das Streichholz entzündet worden war, nach den Beigaben für den Tee fragte, musste dieser Raum dort einfach die Küche sein, entschied Herr Mosgruber. Allerdings fragte er sich, wie Frau Röhrendocht dort hinein gekommen war, ohne an ihm vorbeizulaufen. Eine Verbindungstür zwischen Flur und Küche hatte er nicht gesehen. Trotz seiner scheinbar schlichten Bauweise wies dieses Haus also die eine oder andere architektonische Finesse auf. Herr Mosgruber konzentrierte sich wieder mehr auf das Gespräch.
»Ohne, bitte.«
»Mit Milch oder ohne? Manche mögen ja immerhin ihren Tee lieber mit Milch habe ich gehört, auch wenn ich die Milch eher dem Kaffee zugehörig empfinden. Ach sagen sie einer alten Frau doch bitte, wie sie es damit halten? Ich vermag es ihnen nämlich nicht an der Nasenspitze abzulesen.«
»Ohne, bitte.«
»Meine Freundin Agathe nimmt in ihren Tee zuweilen gerne auch eine gehörige Portion Sahne, was eine Form von Milch ist, bei der die Milch noch weiter bearbeitet wurde. Kennen sie Sahne? Ach sie sind ja ein gebildeter Mann und kennen deshalb ganz bestimmt Sahne. Viele Menschen ihrer Art gibt es heutzutage nicht mehr. Meine Freundin Agathe ist ebenso sehr gebildet. Leider besucht sie mich viel zu selten. Hat immer viel zu tun, die Gute. Sie ist ja auch noch so jung. Für jemandem in meinem Alter gibt es nicht mehr so viel zu tun. Da ist es schon eine wohltuende Ausnahme einen Gast wie sie zu haben. Das ist richtig aufregend für mich.
Möchten sie etwas Sahne? Es ist noch welche übrig. Vielleicht nehmen sie ihren Tee ja lieber mit Sahne oder aber sie möchten es heute einmal ausprobieren. Bei mir verhält es sich mit der Sahne wie mit der Milch – zu Tee empfinde ich beides gleichermassen unpassend. Wobei mir Milch im Kaffee schon schmecken tut, wie ich bereits erwähnte. Sahne im Tee jedoch ist mir regelrecht ein Gräuel. Vielleicht geht es ihnen ja aber mehr wie Agathe. Immerhin ist Agathe auch ein sehr feiner Mensch.
Manchmal denke ich, alle feinen Menschen müssten sich eigentlich kennen. Kennen sie Agathe Windstoss?«
Herr Mosgruber rang darum die Nerven nicht zu verlieren. »Nein, ich bedauere.«
»Nein? Oh natürlich nicht. Sie sind wohl nicht oft hier in dieser Gegend – wozu auch. Nein, nein, vergessen sie diese Frage und vergeben sie einer törichten alten einsamen Dame. Sagen sie mir doch jetzt lieber einmal, wie sie zu einer gehörigen Portion Sahne in ihrem Tee stehen, denn diese Frage ist weiterhin unbeantwortet, obgleich sie doch von so hoher Bedeutung für unser Gespräch über das Geldgeschenk ist. Hatten wir doch beschlossen dieses Thema bei einem guten Tässchen Tee weiter zu vertiefen – und da sollten wir beiden dann selbstverständlich auch ein Tässchen Tee vor uns auf dem Tisch stehen haben, welches uns dann auch richtig gut schmeckt. Finden sie nicht, Herr Mosgruber?«
»Ja, ein Tässchen guter Tee ist schon etwas feines und nein, meinen Tee bitte ohne Sahne.« Antworte er, hörbar bemüht ruhig zu bleiben.
»Ich dachte mir schon, dass sie zu ihrem Tee keine Sahne würden haben wollen, da sie die Milch bereits zuvor abgelehnt hatten. Dennoch wollte ich ihnen die Sahne zumindest anbieten. Schade übrigens, dass sie die Agathe nicht kennen.«
»Sie ist bestimmt eine wunderbare Frau.« Doch die Worte die er sprach, passten nicht so recht mit dem Ausdruck in seiner Stimme zusammen. Herr Mosgruber hoffte inständig, dies bliebe seiner Gastgeberin verborgen.
»Auch etwas sonderbar. Wunderbare Menschen sind ja oft auch etwas sonderbar. Aber eigentlich hätte ich mir wirklich gleich denken können, dass sie Agathe nicht kennen. Versteckt die Gute sich doch schon seit Jahren regelrecht vor den Menschen. Nur eben vor mir nicht. Dazu kennen wir uns wohl inzwischen auch bereits zu lange. Ach, sie ist so ein netter, höflicher Mensch. Ganz die alte Schule. Aber ich schweife wieder ab. Möchten sie vielleicht etwas Gebäck?«
»Nein. Kein Gebäck, bitte. Wie lange wird es wohl noch dauern mit dem Tee?«
»Was sind sie denn plötzlich so ungeduldig, mein lieber Herr! Sprachen sie nicht selbst davon ein gutes Tässchen Tee trinken zu wollen, während wir uns über das Geldgeschenk unterhalten? Da ist es doch nun sehr unhöflich mich so zu drängen. Bevor ein gutes Tässchen Tee getrunken werden kann, dauert es eben seine Zeit. Das hat der liebe Herrgott so verfügt und nicht etwa die alte Gisela Röhrendocht. Da müssen sie sich wohl oder übel schon noch ein wenig in Geduld üben, bester Herr Mosgruber, kann ich dazu nur sagen. Aber die Agathe ist ja auch ewig in Eile. Daher bin ich zumindest ein wenig an eine derartige Hektik gewöhnt. Und gerade weil die Agathe immer so in Eile ist, verstehe ich es übrigens noch sehr viel weniger, dass sie ihren Tee immer mit Sahne mag. Muss ich die Sahne doch jedes Mal erst aus der Milch schlagen, die mir die Agathe mitgebracht hat. Und das dauert eben seine Zeit. Die nimmt sich die Agathe dann allerdings. Wie gesagt, die Agathe ist halt ein ganz wunderbarer Mensch. Ja, ohne die Agathe hätte ich hier in meinem Häuslein schon lange keine Milch mehr. Ich komme ja kaum noch raus, so alt und gebrechlich wie ich bin – und besuchen tut mich hier außer der Agathe niemand.«
»Warum versteckt sich ihre Freundin denn vor den Menschen?«
»Ach, das interessiert sie jetzt schon, gell? Das dachte ich mir fast. Darum habe ich ja auch angefangen von ihr zu erzählen, als sie mir sagten, wir würden über das Geldgeschenk erst bei einem guten Tässchen Tee sprechen – und ich hernach gleich wusste, dass es bis dahin dann noch ein Weilchen dauern würde. Mein alter Ofen braucht mit dem Brennholz halt recht lange bis das Teewasser heiss ist. Und da man einen Gast nicht so lange still und stumm sitzen lassen sollte, habe ich mir natürlich gleich überlegt, worüber ich mit dem Herrn Mosgruber reden könnte. Die Zutaten für ein gutes Tässchen Tee so wie sie es mögen abzufragen, ist da natürlich eine Sache, damit allein die Zeit zu überbrücken, erschien mir dann aber doch etwas zu gewagt, deshalb suchte ich schon gleich nach einem weiteren Thema. Und da dachte ich mir, dass die Agathe für sie schon von Interesse sein könnte, womit ich ja auch gar nicht so falsch lag, wie sich nun zeigt. Sie sind mir schon ein Spitzbube, Herr Mosgruber. Am Ende ist es vielleicht gar so, dass sie nur hier sind, um mich über die Agathe auszuhorchen und das mit dem Geldgeschenk nur als Vorwand nutzten. Na das wäre was. Die Agathe meinte allerdings schon, dass so etwas einmal passieren könnte.«
Jakob Mosgruber zuckte zusammen. Ruhig bleiben sagte er sich. Auf keinen Fall darfst du dir etwas anmerken lassen.
Zu lange schon jagten er und seine Mitarbeiter Agathe Windstoss vergeblich hinterher. Nach all den Jahren war die alte Dame in der Küche die erste wirklich heiße Spur.
Es gab nur noch sehr wenige Menschen, die über keinen Internetanschluss und kein Telefon verfügten. Menschen also, die man nahezu unmöglich überwachen konnte. Die Alte war beinahe ein ebensolches Gespenst, wie Agathe Windstoss selbst. Die Verbrechen von Agathe Windstoss waren jedoch sehr real. Immer wieder schlug sie mittels Computerviren tiefe Löcher in das globale Überwachungsnetz der Großkonzerne – immer wieder gingen dadurch intimste Informationen über den Einzelnutzer verloren. Das sorgte für enorme Umsatzeinbussen. Ein untragbarer Zustand für die Konzerne.
Jakob Mosgruber leitete die Spezialeinheit, die Agathe Windstoss unschädlich machen sollte – und er war es auch gewesen, der den Gedanken aufgebracht hatte, dass es eine Verbindung zwischen Agathe Windstoss und den überwachungsfernen Menschen geben musste. Von irgendwo her musste Agathe Windstoss ja Kleidung, Nahrung und ein Dach über dem Kopf bekommen. Wenn man auch sonst nichts von den überwachungsfernen Menschen wusste, so waren doch zumindest die meisten ihrer Namen und Adressen bekannt. Seit Monaten suchten Jakob Mosgruber und seine Mitarbeiter jeden einzelnen dieser Menschen auf.
Heute war Jakob Mosgruber nun zu Frau Gisela Röhrendocht gegangen um sie auszuhorchen. Gleiches taten seine Mitarbeiter zur selben Zeit bei anderen überwachungsfernen Menschen – auf der ganzen Welt.
Das gesamte Gespräch zwischen ihm und Frau Röhrendocht wurde mittels eines Senders ins Hauptquartier übertragen. So zumindest glaubte Jakob Mosgruber. Seit er dieses Haus betreten hatte, wurde der Sender jedoch gestört.
»Wenn sie möchten, kann ich ihnen heute die Agathe sogar persönlich vorstellen. Sie hat die letzte Nacht im Gästezimmer verbracht. Und da sie ja nun schon ohnehin einiges über sie erfahren haben, kann ich sie wohl auch gleich direkt miteinander bekannt machen.«
Doch als Frau Röhrendocht aus der Küche kam befand sich Herr Mosgruber nicht mehr auf seinem Platz. Stattdessen saß Agathe auf dem Stuhl und lächelte ihre alte Freundin an.
»Wie ich sehe hast du ein gutes Tässchen Tee gemacht. Wunderbar. Würdest du in mein Tässchen bitte noch eine gehörige Portion Sahne geben? Von gestern Abend müsste ja noch etwas übrig sein.«
»Eigentlich war der Tee für meinen Besuch gedacht, der mit mir über ein Geldgeschenk sprechen wollte.«
»Ich fürchte, liebe Gisela, der Mann ist bereits gegangen. Als ich herein kam und ihn begrüsste bat er mich ihn zu entschuldigen. Er hätte da noch eine wichtige Terminsache.«
»Das ist sehr schade. Er war so nett. Vielleicht ein wenig verschlossen und ungeduldig, ansonsten aber wirklich sehr nett. Du hättest ihn bestimmt gemocht. Hatte er wegen des Geldgeschenks noch etwas gesagt?«
»Du solltest wirklich nicht so leichtgläubig sein, Gisela. Vermutlich war das doch nur ein Vorwand, um mit dir über irgend eine andere Sache ins Gespräch zu kommen.«
»Wahrscheinlich hast du recht, meine Liebe. Das mit dem Geldgeschenk erschien mir gleich ein wenig sonderbar.«
Herr Mosgruber lag derweil gefesselt und geknebelt unter dem Bett im Gästezimmer.