Arno Abendschön
Mitglied
Ich habe sie niemals sprechen hören - dabei sind wir einige Jahre in dieselbe Klasse gegangen. Sie wurde mitten in einem Schuljahr in unseren Klassenraum geführt, mitten in einer Stunde. Sie hieß Armgard und lächelte bei ihrer Vorstellung angstvoll. Dann huschte sie an den ihr zugewiesenen freien Platz und rührte sich nicht mehr. Als hätte ihr einer gesagt: Mucks dich ja nicht! Armgard muckste sich niemals, darin bestand das Problem.
Sie war in einem anderen Schulsprengel ansässig und ihre Lehrer dort waren an ihrem Mutismus verzweifelt. Selbst für die Sonderschule schien sie ungeeignet. Die Schulpflicht musste dennoch erfüllt werden – nur wie? Ihr Vater kannte den Lehrer unserer Schulklasse und erreichte über ihn die Aufnahme bei uns. Unser Lehrer wusste, mit wem er es zu tun bekam, mit einem stummen Kind, dessen Schweigen in der Schule mit keinem Mittel zu brechen gewesen war. Sie kam nur zu uns, um die restlichen Pflichtschuljahre abzusitzen und sich dabei womöglich noch etwas Wissen anzueignen. Sie wurde automatisch versetzt, ohne Prüfung ihrer Kenntnisse.
Damals war ich acht oder neun Jahre alt, Armgard etwas älter. Sie wirkte kindlicher, als es ihrem Alter entsprach, und wies zugleich schon greisenhafte Züge auf. Sie saß verkrampft in der ersten Reihe, machte einen Buckel, hörte hin und schwieg immerzu. Für uns blieb sie ein Rätsel, das wir gern ungelöst ließen. Es sickerte durch, dass sie mit ihren Eltern daheim sprach, nur außerhalb des Hauses nie.
Wie viel erfasste sie im Unterricht, was eignete sie sich an? Das blieb allen verborgen, auch dem Lehrer. Manchmal geriet er bei ihrem Anblick in Zorn. Er warf ihr Trotz und Verstocktheit oder sogar Bösartigkeit vor. Armgard presste dann die Lippen nur noch fester aufeinander und kicherte angstvoll. Ihr Rücken krümmte sich noch mehr, wie bei einem Igel, der die Stacheln aufrichtet. Es war deutlich zu sehen: Es war für sie auch ein Machtkampf, den sie ein wenig genoss.
Sie war noch im Klassenverband, als ich Jahre später aufs Gymnasium wechselte. So ist sie mir im Gedächtnis geblieben: ängstlich und störrisch, schon etwas dicklich und unbeweglich, fast steif. Wie mag sie durchs spätere Leben gekommen sein?
Sie war in einem anderen Schulsprengel ansässig und ihre Lehrer dort waren an ihrem Mutismus verzweifelt. Selbst für die Sonderschule schien sie ungeeignet. Die Schulpflicht musste dennoch erfüllt werden – nur wie? Ihr Vater kannte den Lehrer unserer Schulklasse und erreichte über ihn die Aufnahme bei uns. Unser Lehrer wusste, mit wem er es zu tun bekam, mit einem stummen Kind, dessen Schweigen in der Schule mit keinem Mittel zu brechen gewesen war. Sie kam nur zu uns, um die restlichen Pflichtschuljahre abzusitzen und sich dabei womöglich noch etwas Wissen anzueignen. Sie wurde automatisch versetzt, ohne Prüfung ihrer Kenntnisse.
Damals war ich acht oder neun Jahre alt, Armgard etwas älter. Sie wirkte kindlicher, als es ihrem Alter entsprach, und wies zugleich schon greisenhafte Züge auf. Sie saß verkrampft in der ersten Reihe, machte einen Buckel, hörte hin und schwieg immerzu. Für uns blieb sie ein Rätsel, das wir gern ungelöst ließen. Es sickerte durch, dass sie mit ihren Eltern daheim sprach, nur außerhalb des Hauses nie.
Wie viel erfasste sie im Unterricht, was eignete sie sich an? Das blieb allen verborgen, auch dem Lehrer. Manchmal geriet er bei ihrem Anblick in Zorn. Er warf ihr Trotz und Verstocktheit oder sogar Bösartigkeit vor. Armgard presste dann die Lippen nur noch fester aufeinander und kicherte angstvoll. Ihr Rücken krümmte sich noch mehr, wie bei einem Igel, der die Stacheln aufrichtet. Es war deutlich zu sehen: Es war für sie auch ein Machtkampf, den sie ein wenig genoss.
Sie war noch im Klassenverband, als ich Jahre später aufs Gymnasium wechselte. So ist sie mir im Gedächtnis geblieben: ängstlich und störrisch, schon etwas dicklich und unbeweglich, fast steif. Wie mag sie durchs spätere Leben gekommen sein?