Ein lausiger Lehrer

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....Ein frommer Knabe wollte sehr gern ein guter Christ sein. Ihn sah man morgens als ersten in die Kirche gehen und heraus als letzter des nachts kam er. Stets setzte er sich recht fromm in die erste Reihe, dem Altar gegenüber, und da es ihm gelang, das Auge des Priesters zu fangen, fragte ihn dieser einst, ob er nicht sein treuer Messdiener sein wolle. Freudig versprach es der Knabe.
.....Als nun aber der Sonntag näher und näher rückte, graute es dem Knaben plötzlich vor seiner Aufgabe. Warum nur? Hatte er nicht unzählige Male die Messe gefeiert, sehnsüchtig die jungen Messdiener bewundert, deren zarte Hände so andächtig die geweihten Kerzen hielten, beobachtet, wie eifrig sie das Brot brachten, den Wein und das Messbuch? Warum schämte er sich nun vor dieser Aufgabe?
....Als man Gott im Himmel von der Verzweiflung des neuen Ministranten erzählte, beschloss der, ihm zu helfen. Wie er es oft zu tun pflegt, nahm er die Gestalt eines alten Mannes an und erwartete den Knaben vor der Kirche.
....“Traurig schaust du aus!” sagte Gott. Und indes der Knabe noch überlegte, was er antworten solle, gab sich der Herr ihm bereits zu erkennen und versprach es, den Knaben in die Lehre zu nehmen. Der nahm das Angebot auch freudig an.

....Wie sehnte sich der Fromme aber nun nach seiner ersten Stunde! Den neugierigen Freunden erzählte er von der Herrlichkeit seines Lehrers und pünktlich erschien er in der Wohnung Gottes. Hätte er sich nicht vor Gott fürchten müssen? Der Herrgott jedoch erschien ihm nicht als brennender Dornbusch sondern nur als ein lieber alter Mann. Anstatt ihn zu schelten, lobte der Herr seinen jungen Schüler. Er bedankte sich für dessen Frömmigkeit und versprach ihm allerlei Wunderbares im Himmel. Er fiel auch ein wenig ins Schwatzen, spann allerlei Anekdoten über sich selbst und als ihm die völlige Leere in der geistigen Karaffe des Knabens bewusst wurde, schenkte er gar reichlich nach und zeigte ihm in seiner unendlichen Güte den kürzesten Pfad zur ewigen Seligkeit: “Alles auf Erden ist herrlich, denn ich selbst habe es ja erschaffen! Dein Auge – öffne es nur!” Leider schaute der Herr nicht auf seine Uhr. Die Stunde war beendet, bevor sie eigentlich begonnen.
....Wie enttäuscht war nun der fromme Geselle von seinem Meister! Zwar anmerken ließ er sich nichts und mit demütiger Miene bedankte er sich beim Herrn. Als ihn aber nun seine Freunde zur Rede stellten, da konnte er sich nicht länger beherrschen: “Ein lausiger Lehrer ist das! Kein Wort davon, wie ich die Kerzen halten soll! Brot, Wein, Messbuch? Kein Wort! Lächerlich werd' ich mich machen am Sonntag! Schelten wird mich der Priester! Ich suche mir einen besseren Lehrer!”
 
Danke, wiesner! Diese Geschichte schrieb ich für bestimmte Klavierschüler, die [hauptsächlich] praktische Ratschläge von Go ihrem Lehrer erwarten… ;)

Lg,
RP
 



 
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