Ein Mann und sein Quietscheentchen

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LexLehman

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Ausgezehrt sitzt Arnold in der Badewanne, die gleichermaßen Sarg und Arche für ihn sein könnte.
Das Badfenster ist gekippt und das Mondlicht erhellt die wenigen Schaumreste.

„Hast schon lang nicht mehr so geguckt, Prinzessin.“, sagt er zu dem Quietscheentchen, mit dem er sich das beinah kalte Wasser teilt.
„Hast mich auch lang nicht mehr wahrgenommen.“
Mit der Hand macht er Wellen, die die Ente näher zu ihm schwimmen lassen.
„Hab nochmal drüber nachgedacht weißt du…“ Hupen und Verkehrsgeräusche der sogar jetzt noch belebten Straße dringen in das Badezimmer und lassen ihn kurz lauschen.
Arnold lehnt sich zurück und genießt, dass draußen Leben ist. Er ist nicht allein auf dieser Welt.
„Und weiter?“
„Naja, weißt du, ich komme einfach nicht drauf, wann es bei uns so bergab ging.“
„Und das fällt dir erst jetzt auf?“
„Ich weiß, man hätte es bemerken müssen, dann hätte man auch was tun können.“
Die Ente schaukelt und dreht sich dabei langsam um die eigene Achse, so als würde sie Arnold den Rücken zu kehren.
„Vielleicht geht‘s eher um das Warum als ums Wann.“

Er schaut fragend durch die Nasszelle. Die eisgrünen Badfliesen lassen den Raum plötzlich kälter wirken. Arnold greift zum Warmwasserhahn, aber dreht ihn nicht auf. Er lässt sich lieber wieder in sein abgestandenes Badewasser versinken, das noch einen Hauch von künstlichem Pinienduft verströmt.

„Klar, warum ist es überhaupt so weit gekommen? Oder aber auch: Wer hat am meisten Schuld daran?“
„Da gehören immer zwei dazu.“
„Meinst du… Irgendwie haben wir den Blick für das Wesentliche verloren.“ Er streckt den linken Fuß aus dem Wasser und tippt mit dem Zeh gegen eine Shampoo-Flasche, die daraufhin taumelnd in die Wanne fällt. Wie Treibgut schwimmt sie richtungslos herum.
„Und seit wann bist du so leer?“, fragt Arnold die Flasche. Dabei fallen ihm seine langen Zehnägel auf und er fragt sich, wann er eigentlich zuletzt mal an sich selbst gedacht hat.
Er greift die Ente von unten, wie ein Hai seine Beute, und drückt sie langsam zusammen. Durch das kleine Loch im Gummi strömen Luftbläschen ins Wasser. Er freut sich.
„Und so schnell ist die Luft raus!“ Er lockert den Griff und das Gummitier saugt sich langsam mit Wasser voll. Als er loslässt, dreht sich das Quietscheentchen mit dem Bauch nach oben, treibt hilflos daher.
„Kannst ja mal versuchen, das Floß zu erreichen. Am Ende treibst du eh bloß auf offener See. Also ich mein, das wird dir nicht helfen.“

Arnold starrt aufs Wasser. Shampoo-Flasche und Ente treiben wippend zwischen seinen haarigen Kniescheiben. Mit seinen Händen rudert er unter Wasser und will einen Sturm auslösen. Seine Badegäste schwimmen wild umher und er plantscht immer heftiger, bis einiges Wasser über den Wannenrand hinaus schwappt.
Draußen auf der Straße hupt es wieder und er hört auf.
Er greift die Ente und dreht sie gerade, mit dem Bauch nach unten. Er lässt los und sie dreht sich augenblicklich wieder herum, mit dem Kopf unter Wasser.

„Ich hab gemacht, dass du dich so schwer fühlst, stimmt’s?“, flüstert er, nimmt die Ente aus dem Wasser und hält sie sich nah vors Gesicht. Er drückt sich das ganze Wasser in den Mund und schluckt es herunter. Am Ende saugt er noch daran, bis sie durch das Vakuum ganz verformt ist. Danach setzt er sie wieder ins Wasser. Der Unterdruck löst sich, die Ente saugt sich voll und dreht sich wieder mit dem Kopf unter Wasser.
„Mach’s mir doch nicht so schwer!!“ schreit Arnold und räumt tobend die verbliebenen Flaschen vom Wannenrand. Sie schwimmen wirr umher und er schiebt sie zur Ente. Er gibt dem Wasser Zeit sich zu beruhigen und starrt an die Wand. Das Kondenswasser läuft tränengleich den Spiegel herab.

„Können wir es nicht nochmal versuchen? Da muss doch irgendein Weg sein…“
Das Entchen treibt reglos mit dem Kopf zur Seite geneigt unter Wasser. Diverse Shampoo- und Duschgel-Flaschen eskortieren es.
„Wirklich Prinzessin, lass uns das alles vergessen.“
Arnold nimmt sie behutsam aus dem Wasser, führt sie sich langsam vors Gesicht und quetscht sich erneut das gesamte Badewasser aus ihrem Leib in seinen Mund. Widerwillig schluckt er es herunter und zerdrückt die Ente dabei bis zur Unkenntlichkeit. Er setzt sie wieder zurück zwischen seine Beine, aber sie beginnt augenblicklich damit, sich mit Wasser vollzusaugen. Als sie erneut mit dem Kopf unter Wasser schwimmt und auch die Flaschen keine Hilfe sind, bricht Arnold in Tränen aus.
„Was mach‘ ich denn falsch??? Sag‘s mir!! Ich hab‘ doch immer versucht alles richtig zu machen! Ich hab’s immer und immer wieder versucht!! Was ist dein Problem?? Sag’s mir endlich!!!“

Als er fertig ist steht das halbe Bad unter Wasser. Es hämmert an die Wohnungstür. Arnold sammelt sich und steigt aus der Wanne. Er bindet sich notdürftig ein Handtuch um die Hüfte und läuft aus dem Badezimmer heraus, durchs Wohnzimmer bis zur Wohnungstür. Das Hämmern ist mittlerweile sehr energisch.
„Öffnen Sie die Tür! Sofort!“ Er öffnet die Tür.
„Oh, meine Waschlappen! Wusste gar nicht, dass ich euch bestellt hab‘!“
„Bitte was??? Man hat uns wegen nächtlicher Ruhestörung gerufen. Treten Sie beiseite, wir würden uns hier gerne mal umsehen.“
Arnold geht zur Seite und die Polizisten kommen herein.
„Also meine Herren, ich weiß wirklich nicht wovon Sie reden!“
Vier Polizeibeamte haben die Wohnung betreten und schauen sich um. Eine Beamtin befragt Arnold.
„Die Nachbarn sagen, sie hätten Geschrei aus Ihrer Wohnung vernommen. Hat hier jemand geschrien?“
„Also, Frau Badeentchen, ich wasche mich nun mal sehr energisch.“
„Polizei Oberkommissarin Welke ist mein Name! Lassen Sie diesen Tonfall!“
Arnold zieht sich das Handtuch zurecht und schaut sie ungläubig an.
„Nein das glaub‘ ich nicht.“
„Sie glauben was nicht?“
Plötzlich stürmt ein Polizeibeamter aus dem Bad und richtet seine Dienstwaffe auf Arnold.
„Die Hände hinter den Kopf! SOFORT DIE HÄNDE HINTER DEN KOPF!!“
Die Oberkommissarin zieht ebenfalls ihre Waffe und richtet diese auf Arnold. Er tut was man verlangt.
„Drehen Sie sich um, mit dem Gesicht zur Wand, Hände bleiben oben!“ Arnold leistet Folge.
„Wir haben hier eine 107, wiederhole, Code 107 in der Louisenstraße 55, dritte Etage, bitte um Verstärkung und einen Notarztwagen!“ funkt der Beamte hektisch, während seine Kollegen Arnold Handschellen anlegen.
„Hier ist alles sauber! Ihr könnt mir gar nichts! Ich hab‘ nur sauber gemacht!!“ Sie führen ihn ab.

In der Zeitung wird später stehen, dass Arnold B. in dringendem Tatverdacht steht, seine Frau in der Badewanne ertränkt zu haben. Darüber hinaus ließ er ihren Kopf wochenlang darin liegen und badete täglich damit.

Er wird als vermindert schuldfähig eingestuft und in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen.

Dort darf er einmal die Woche baden, ohne Quietscheentchen.
 

petrasmiles

Mitglied
Na, das ist mal ne Pointe. Boah!
Mein Magen spricht zu mir bei dem Gedanken an das Badewasser, das Dein Protagonist trinkt ... püh.
Hat voll reingehauen - gut geschrieben!

Liebe Grüße
Petra
 

Neziri

Mitglied
Das war genial. Grenzwertig, aber genial. Mir war kurz fast schwindelig, so schnell wurde die Geschichte herumgerissen. Applaus!

LG Aslan
 



 
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