Fredy Daxboeck
Mitglied
dies ist die geschichte von susan und kyle – sie beginnt mit "ich warte am wegesrand" in den kurzgeschichten. ich habe sie hierher verlegt, weil ich noch ein oder zwei geschichten dazu anhängen will. und damit scheint sie mir hier besser aufgehoben.
viel spass beim lesen
"Also, wohin führt Sie ihr Weg." wiederholte Susan die Frage an ihren Beifahrer, den sie vor einigen Meilen aufgelesen hatte, und hob herausfordernd ihr Kinn. "Ich werde Sie jetzt irgendwo absetzen müssen."
"Werfen Sie mich einfach beim nächsten Wäldchen raus, okay."
Drei Stunden später saß Susan mit weit offenen Augen unter einem sternklaren Himmel an eine knorrige alte Eiche gelehnt, die ihre ausladenden Äste großzügig von sich streckte, lauschte fasziniert den verschiedenartigen Geräuschen der Nacht, und fragte sich, warum sie diesen Mann nicht eingeladen hatte, mit ihr die Nacht in ihrem Zelt zu verbringen.
Sie kicherte bei diesem Gedanken und ein kleiner aber wohliger Schauer lief über ihren Rücken. Ich bin allein, fiel ihr mit einem Male ein, und das Kichern verschwand aus ihrem Kopf und machte einem seltsamen Staunen Platz. Völlig allein, wurde sie sich plötzlich bewusst. Sie horchte in die Stille des Waldes neben ihr.
Nichts.
Nur das knackende, beruhigende Prasseln des Feuers, wenn das Harz in den Ästen kochte und schließlich in der Hitze explodierte, ein leises Brechen von kleinen Zweigen im Unterholz, wenn unachtsame Tiere darauf traten, das erste zaghafte Zirpen von Grillen vor ihr auf der Waldwiese, und die helle Sichel des Mondes am sternenübersäten Himmel.
Susan lehnte sich zurück, fühlte die raue Rinde der Eiche an ihrem Rücken, atmete die frische Luft des Waldes ein und schüttelte den Kopf.
Sie erhob sich umständlich und krabbelte auf allen Vieren zum Feuer, warf ein paar Zweige in die Glut und stocherte ein wenig unbeholfen darin herum. Sie würde heute sicher lange nicht einschlafen können. Unwillkürlich sah sie in die Runde.
Nein. Sie war wirklich allein. Vielleicht sollte sie auch wach bleiben und warten bis die Sonne sich wieder zeigte. Ihr Blick suchte unter der samtschwarzen Decke des Himmels die nachtdunklen Konturen des Horizonts. Nicht ein einziges Licht war in der scheinbar weiten Unendlichkeit, die sich unter ihr ausbreitete auszumachen, außer den kleinen funkelnden Sternen über ihr.
Susan war, nachdem sie Kyle beim nächsten größeren Wäldchen, an dem sie vorbeikamen, abgesetzt hatte, noch ein paar Kilometer die Straße entlang gefahren, in den nächsten Seitenweg abgebogen und hatte auf Anhieb diesen wunderbaren Platz zum Übernachten gefunden. Sie konnte hier ihren Wagen abstellen, das Zelt aufbauen und ein kleines Lager errichten. Nachdem sie ihre erste Mahlzeit unter freiem Himmel seit langer, langer Zeit gegessen hatte, wollte sie sich nur ein wenig entspannen und über ihre bevorstehende Fahrt nachdenken. Sie hatte sich unter die alte Eiche zwischen die breiten Wurzeln gesetzt, den Gedanken freien Lauf gelassen, und musste eine Weile eingenickt sein. Die Nacht war mild und klar. Ein leiser Wind spielte zärtlich in ihrem Haar und streichelte ihr Gesicht. Dieser Ort ist so sehr erfüllt mit den Geräuschen einer Frühlingsnacht wie er gleichzeitig still und unendlich weit ist, dachte sie. Er ist so sehr Friede wie Einsamkeit, dass es fast schmerzt. Susan legte ihren Kopf in den Nacken und betrachtete nachdenklich die Sterne. Sie fühlte sich sehr allein in diesen Minuten.
Der Tag erwachte mit dem fröhlichen Gezwitscher der Vögel, die auf Bäumen, Sträuchern und in ihren Nestern sitzend, die ersten zaghaft wärmenden Strahlen der Morgensonne begrüßten. Die Luft war klar und kalt und roch nach feuchtem Gras, nasser Erde und Waldboden. Susan schlug die Augen auf und überlegte für einen Lidschlag wieso ihre Zimmerdecke in diesem eigenartigen Grünton und die Temperatur um sie herum eisig kalt war, zog schließlich ihren Schlafsack bis über den Kopf und verkroch sich darin wie ein frierendes kleines Pelztier, das vom Winter überrascht wurde.
"Oh, nein", flüsterte sie in die warme, dumpf riechende Dunkelheit des Schlafsacks. "Was habe ich nur gemacht? Ich muss da jetzt raus und es gibt weit und breit keinen Kaffee."
Seufzend drehte sie sich zur Seite und rollte sich fest zusammen. Ich werde jetzt nicht aufstehen, dachte sie entschieden. Es ist wirklich egal, wann ich heute den Tag beginnen werde. Es sind meine Ferien, es ist meine Zeit, und ich habe soeben beschlossen, dass heute Feiertag ist. Susan entspannte sich und schlief wieder ein. Lächelnd, die Arme unter ihrem Kopf verschränkt, während die Sonne am Horizont langsam aber stetig höher kletterte.
Die feuchte Kühle des Morgens war längst von den wärmenden Sonnenstrahlen des frühen Vormittags aufgesogen, als Susan schlaftrunken, mit leicht geröteten Augen und wirrem Haar aus ihrem Schlafsack kroch und ins blendend helle Tageslicht taumelte.
Sie gähnte, streckte sich, und schnupperte zufrieden. Kaffeeduft lag schwer in der Luft.
Jetzt weiß ich, was mich geweckt hat, dachte sie, obwohl sie sich kein bisschen darüber wunderte woher der Kaffeeduft stammte, und streckte sich wieder. Mit einem summenden Laut der Zufriedenheit fuhr sie mit ihren Fingern durch die Haare und sah sich um.
Der neue Tag versprach genauso herrlich sonnig zu werden wie der vorhergehende. Der Himmel spannte sein Dach wie einen Baldachin in tiefem Azurblau von den weiß leuchtenden Berggipfeln zu ihrer Linken bis zu der weit entfernten Linie des Horizonts zu ihrer Rechten. Die Sonne stand auf halber Höhe im Südosten und legte bereits jetzt ihre Strahlen kräftig wärmend über das Land. Susan seufzte wohlig, drehte sich herum ... und erschrak plötzlich, als sie merkte, dass sie nicht mehr allein war.
"Guten Morgen, ich dachte schon Sie würden heute gar nicht mehr herauskommen." lachte der Anhalter, den sie gestern am späten Nachmittag ein Stück mitgenommen, und dann vor einem Wäldchen abgesetzt hatte. "Schlafen sie immer so lange?"
"Nur wenn ich Ferien mache!" erwiderte Susan und war mit einem Male gereizt. Sie war sich ihrer zerrupften Erscheinung sehr wohl bewusst. Außerdem hatte sie im Jogginganzug geschlafen und sah so schnell nach dem Aufstehen und ohne morgendliche Toilette im hellen Tageslicht sicherlich schrecklich aus. "Was machen Sie überhaupt hier?" knurrte sie verärgert. Sie fühlte sich irgendwie bei einer verbotenen Handlung ertappt.
"Ich koche Kaffee und warte bis Sie aufstehen, damit ich endlich das Frühstück fertig machen kann. Ich bin nämlich schon mächtig hungrig." erklärte Kyle fröhlich. "Dort hinten, ungefähr dreißig Meter den Waldrand entlang ist eine kleine Quelle. Dort können Sie sich frisch machen. Sie sehen ja zum Fürchten aus." Er deutete mit einer Pfanne in der Hand in die angegebene Richtung und widmete sich, ohne sie weiter zu beachten, seinem Rucksack.
Wütend und in ihrem Stolz ein wenig verletzt verschwand Susan in ihrem Zelt, schnappte ihre Waschutensilien und stapfte davon. "Eingebildeter Kerl!" schnaubte sie erbost.
Die Quelle war ein zwei Handbreit schmaler Miniaturwasserfall, der gut zweieinhalb Meter über eine felsige Rinne in ein kleines Auffangbecken stürzte und als bescheidenes Bächlein den Waldrand entlang plätscherte. Susan kniete sich neben das Becken nieder und tauchte ihre Hände hinein. Das Wasser war klar und eisig kalt, aber herrlich erfrischend. Schnell schlüpfte sie aus ihrem Jogginganzug und stellte sich an den Rand des kleinen Beckens unter den Wasserfall. Scharf sog sie die Luft ein, als der erste Schwall Wasser auf ihren Rücken prasselte. Aber nach dem ersten Schreck genoss sie das prickelnde Gefühl des kalten, sauberen Wassers auf ihrer Haut. Sie wusch sich ohne Seife und achtete sorgfältig darauf, auch beim Zähne putzen die Quelle nicht zu verunreinigen. Abschließend bürstete sie ausgiebig ihre nassen Haare und machte sich auf den Weg zurück. Der Duft von gebratenem Speck, vermischt mit dem würzigen Geruch eines Reisigfeuers und dem angenehmen Aroma des Kaffees, der sie geweckt hatte, lag wie eine lockende Versuchung über dem Lager und ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie lächelte in Erwartung auf das Frühstück, das der Anhalter offensichtlich auch für sie zubereitet hatte. Der kleine Zorn von vorhin war längst wieder verflogen.
Kyle beobachtete Susan unauffällig aus den Augenwinkeln, als diese von der Quelle zurückkam. Sie bewegte sich anmutig und geschmeidig, wie eine große Raubkatze die sich ihrer Beute nähert, deren sie sich absolut sicher wähnt. In ihrem Lächeln lag eine gespannte Zuversicht. Ihre Augen strahlten in dem hellen Braun von frischem, feuchtglänzendem Lehm. Ihre Nasenflügeln bebten. Das aschblonde Haar fiel in leichten Wellen und schmiegte sich wie ein weicher Schleier um ihrem schmalen Kopf. Die Sonne stand genau hinter ihr und tauchte sie in ein unwirklich illuminierendes Licht. Noch nie hatte er ein Mädchen gesehen, das Anmut gepaart mit Energie und Schönheit so sehr miteinander vereinte, wie diese junge Frau. Für einen winzigen Augenblick hatte Kyle das Gefühl Susan würde direkt aus der Sonne kommen, und er musste an sich halten, um sie nicht mit weit offenen Mund zu bestaunen. Kyle wäre am liebsten hochgesprungen und hätte sie in seine Arme genommen. Nur um sie zu berühren und um sich zu vergewissern, dass sie wirklich und nicht nur eine Phantasiegestalt aus einem Traum war, die kam, um ihn in seiner Einsamkeit zu besuchen.
"Guten Morgen", krächzte er, und stocherte eifrig im Feuer herum. Er wagte es nicht, sie noch länger anzusehen. Aus dem sicheren Gefühl heraus, dass er sich sonst in ihren Augen gefangen hätte. "Wie ich sehe, haben Sie die Quelle gefunden."
"Ja, danke." Susan setzte sich auf die Decke, die Kyle ausgebreitet hatte und sah in das Tal, das sich unter ihren Augen ausbreitete. Sie sah weit ausgedehnte Wälder, saftige Bergwiesen und in ziemlicher Entfernung ein kleines Dorf, dessen niedrige Häuser sich eng zusammengedrängt an ein kleines Wäldchen, das vermutlich als Schutz vor Wind und Wetter diente, schmiegten. Den Fluss sah sie nicht. Vielleicht liegt er irgendwo hinter den Bäumen verborgen und ich kann ihn nur nicht sehen, dachte sie und legte den Kopf in den Nacken um die warmen Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht zu spüren. Sie fühlte Kyle mehr, der neben ihr mit seinem Kochgeschirr hantierte, als sie ihn hörte.
"Wie haben Sie mich hier gefunden?" fragte sie neugierig, die Augen geschlossen, ohne sich umzuwenden. Ein angenehm wohliges Gefühl von Frieden füllte sie aus. Sie lauschte den fröhlichen Zwitschern eines Vogels, der hoch über ihr sein Lied in die klare Luft hinaus schmetterte. "Was ist das für ein Vogel, den ich da hören kann? Eine Lerche?"
"Nein, keine Lerche. Die ziehen das Leben auf dem offenen Land vor. Sie sind nicht so knapp am Wald. Das ist ein Gelbspötter." erklärte Kyle und verteilte gebratenen Speck und Eier auf zwei Blechteller, goss Kaffee in Tassen und reichte Susan zwei Scheiben Brot, die er über der Glut leicht geröstet hatte. "Er sitzt genau hinter uns auf der hohen Birke und mokiert sich über die Eindringlinge die ihn stören."
"Stören wir ihn denn?" Susan öffnete die Augen und suchte den kleinen Sänger.
"Vielleicht beachtet er uns ja auch nicht einmal, vielleicht sind wir ihm sogar egal." Kyle zuckte mit den Schultern und zeigte auf den kleinen gelb-grünen Singvogel, der halb versteckt hoch oben in einer hohen, alten Birke, deren Rinde nur mehr sehr wenig weiß aufwies, saß. "Der Zweig der ein wenig auf und ab wippt, dort sitzt er. Können Sie ihn sehen?"
"Hmmh. Wie haben Sie mich hier gefunden?" fragte Susan noch einmal. "Ich dachte, das wäre ein guter Platz zum Übernachten."
"Oh, das ist er auch." grinste Kyle verschmitzt, sah sich um und reichte Susan den Teller, eine Gabel und ihre Tasse mit dem Kaffee. "Milch und Zucker?"
"Ja, danke." Sie nahm das Angebotene entgegen und begann hungrig zu essen. "Ich warte."
"Na ja", erklärte Kyle zögernd. "Ich ziehe immer ziemlich früh los, am Morgen marschiert es sich leichter, und als ich diese Abzweigung in den Wald gesehen habe dachte ich, wenn ich eine kleine Lichtung finde, lege ich vielleicht einen Tag Pause ein, bleib´ eine Nacht hier und zieh´ erst am nächsten Morgen weiter." Er grinste wieder dieses verschmitzte Lächeln, das ein Netz aus feinen, weißen Fältchen um seine Augen und seinen Mund legte, wobei seine grünen Augen blitzten wie kleine Teiche im Widerschein des glitzernden Sonnenlichts.
Susan sah ihn an, ihr Herz machte einen kleinen Sprung nach vorn. Eine sanfte Windbö legte plötzlich eine Strähne seiner braunen Haare über die Stirn, die er mit einer unbewussten Reaktion mit einer Geste seiner Hand wegstrich. Er blickte unvermittelt zu Susan, die schnell wegsah, aber ihr Verhalten sofort bedauerte.
"Als ich dann hier um die Ecke kam, hab’ ich erst ihren Wagen und dann das Zelt gesehen. Also habe ich mich zurückgezogen, bin ein Stückchen den Wald raufgegangen und habe die kleine Quelle gefunden. Ich dachte mir, dass ich dort genauso den Tag verbringen könnte. Ich hab’ Zweige und Reisig gesammelt und wollte mir ein Feuer machen, für Frühstück." Kyle sah fröhlich zu Susan, die versonnen das Tal unter ihr zu betrachten schien und ihm lauschte. Ein vergnügter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht der ihre Lippen kräuselte und in ihre Augen ein stilles Leuchten legte. Kyle ließ seinen Blick für einen Atemzug auf ihrem Gesicht ruhen, und beeilte sich dann weiterzuerzählen, bevor er diesen reizvollen Moment zerstörte.
"Na ja, dann bin ich mir ziemlich blöd vorgekommen; ich sitze dort drüben und mache mir Frühstück und Sie sitzen hier, allein. Da dachte ich mir, ich setze mich rüber und lade Sie ein." Er lachte vergnügt. "Tatsächlich sind Sie erst so spät aufgewacht, dass ich Sie schon wecken wollte."
"Danke", Susan lächelte, die Lider über die braunen Augen gesenkt, ihre Stimme klang tief und melodisch. "Danke dass Sie gewartet haben ... und für das wunderbare Frühstück ... und dass sie mich nicht geweckt haben."
Kyle lachte. Sie wollte ihm noch mehr sagen, wollte ihm sagen, dass sie es verrückt fand, dass sie hier saßen und gemeinsam frühstückten. Verrückt und irgendwie nicht passend, und wie herrlich sie sich dabei fühlte. Aber sie schwieg.
Den Rest ihres Frühstücks verbrachten sie in Gedanken, Kyle summte leise eine kleine Melodie, aber keiner brach das Schweigen des anderen.
viel spass beim lesen
"Also, wohin führt Sie ihr Weg." wiederholte Susan die Frage an ihren Beifahrer, den sie vor einigen Meilen aufgelesen hatte, und hob herausfordernd ihr Kinn. "Ich werde Sie jetzt irgendwo absetzen müssen."
"Werfen Sie mich einfach beim nächsten Wäldchen raus, okay."
Drei Stunden später saß Susan mit weit offenen Augen unter einem sternklaren Himmel an eine knorrige alte Eiche gelehnt, die ihre ausladenden Äste großzügig von sich streckte, lauschte fasziniert den verschiedenartigen Geräuschen der Nacht, und fragte sich, warum sie diesen Mann nicht eingeladen hatte, mit ihr die Nacht in ihrem Zelt zu verbringen.
Sie kicherte bei diesem Gedanken und ein kleiner aber wohliger Schauer lief über ihren Rücken. Ich bin allein, fiel ihr mit einem Male ein, und das Kichern verschwand aus ihrem Kopf und machte einem seltsamen Staunen Platz. Völlig allein, wurde sie sich plötzlich bewusst. Sie horchte in die Stille des Waldes neben ihr.
Nichts.
Nur das knackende, beruhigende Prasseln des Feuers, wenn das Harz in den Ästen kochte und schließlich in der Hitze explodierte, ein leises Brechen von kleinen Zweigen im Unterholz, wenn unachtsame Tiere darauf traten, das erste zaghafte Zirpen von Grillen vor ihr auf der Waldwiese, und die helle Sichel des Mondes am sternenübersäten Himmel.
Susan lehnte sich zurück, fühlte die raue Rinde der Eiche an ihrem Rücken, atmete die frische Luft des Waldes ein und schüttelte den Kopf.
Sie erhob sich umständlich und krabbelte auf allen Vieren zum Feuer, warf ein paar Zweige in die Glut und stocherte ein wenig unbeholfen darin herum. Sie würde heute sicher lange nicht einschlafen können. Unwillkürlich sah sie in die Runde.
Nein. Sie war wirklich allein. Vielleicht sollte sie auch wach bleiben und warten bis die Sonne sich wieder zeigte. Ihr Blick suchte unter der samtschwarzen Decke des Himmels die nachtdunklen Konturen des Horizonts. Nicht ein einziges Licht war in der scheinbar weiten Unendlichkeit, die sich unter ihr ausbreitete auszumachen, außer den kleinen funkelnden Sternen über ihr.
Susan war, nachdem sie Kyle beim nächsten größeren Wäldchen, an dem sie vorbeikamen, abgesetzt hatte, noch ein paar Kilometer die Straße entlang gefahren, in den nächsten Seitenweg abgebogen und hatte auf Anhieb diesen wunderbaren Platz zum Übernachten gefunden. Sie konnte hier ihren Wagen abstellen, das Zelt aufbauen und ein kleines Lager errichten. Nachdem sie ihre erste Mahlzeit unter freiem Himmel seit langer, langer Zeit gegessen hatte, wollte sie sich nur ein wenig entspannen und über ihre bevorstehende Fahrt nachdenken. Sie hatte sich unter die alte Eiche zwischen die breiten Wurzeln gesetzt, den Gedanken freien Lauf gelassen, und musste eine Weile eingenickt sein. Die Nacht war mild und klar. Ein leiser Wind spielte zärtlich in ihrem Haar und streichelte ihr Gesicht. Dieser Ort ist so sehr erfüllt mit den Geräuschen einer Frühlingsnacht wie er gleichzeitig still und unendlich weit ist, dachte sie. Er ist so sehr Friede wie Einsamkeit, dass es fast schmerzt. Susan legte ihren Kopf in den Nacken und betrachtete nachdenklich die Sterne. Sie fühlte sich sehr allein in diesen Minuten.
Der Tag erwachte mit dem fröhlichen Gezwitscher der Vögel, die auf Bäumen, Sträuchern und in ihren Nestern sitzend, die ersten zaghaft wärmenden Strahlen der Morgensonne begrüßten. Die Luft war klar und kalt und roch nach feuchtem Gras, nasser Erde und Waldboden. Susan schlug die Augen auf und überlegte für einen Lidschlag wieso ihre Zimmerdecke in diesem eigenartigen Grünton und die Temperatur um sie herum eisig kalt war, zog schließlich ihren Schlafsack bis über den Kopf und verkroch sich darin wie ein frierendes kleines Pelztier, das vom Winter überrascht wurde.
"Oh, nein", flüsterte sie in die warme, dumpf riechende Dunkelheit des Schlafsacks. "Was habe ich nur gemacht? Ich muss da jetzt raus und es gibt weit und breit keinen Kaffee."
Seufzend drehte sie sich zur Seite und rollte sich fest zusammen. Ich werde jetzt nicht aufstehen, dachte sie entschieden. Es ist wirklich egal, wann ich heute den Tag beginnen werde. Es sind meine Ferien, es ist meine Zeit, und ich habe soeben beschlossen, dass heute Feiertag ist. Susan entspannte sich und schlief wieder ein. Lächelnd, die Arme unter ihrem Kopf verschränkt, während die Sonne am Horizont langsam aber stetig höher kletterte.
Die feuchte Kühle des Morgens war längst von den wärmenden Sonnenstrahlen des frühen Vormittags aufgesogen, als Susan schlaftrunken, mit leicht geröteten Augen und wirrem Haar aus ihrem Schlafsack kroch und ins blendend helle Tageslicht taumelte.
Sie gähnte, streckte sich, und schnupperte zufrieden. Kaffeeduft lag schwer in der Luft.
Jetzt weiß ich, was mich geweckt hat, dachte sie, obwohl sie sich kein bisschen darüber wunderte woher der Kaffeeduft stammte, und streckte sich wieder. Mit einem summenden Laut der Zufriedenheit fuhr sie mit ihren Fingern durch die Haare und sah sich um.
Der neue Tag versprach genauso herrlich sonnig zu werden wie der vorhergehende. Der Himmel spannte sein Dach wie einen Baldachin in tiefem Azurblau von den weiß leuchtenden Berggipfeln zu ihrer Linken bis zu der weit entfernten Linie des Horizonts zu ihrer Rechten. Die Sonne stand auf halber Höhe im Südosten und legte bereits jetzt ihre Strahlen kräftig wärmend über das Land. Susan seufzte wohlig, drehte sich herum ... und erschrak plötzlich, als sie merkte, dass sie nicht mehr allein war.
"Guten Morgen, ich dachte schon Sie würden heute gar nicht mehr herauskommen." lachte der Anhalter, den sie gestern am späten Nachmittag ein Stück mitgenommen, und dann vor einem Wäldchen abgesetzt hatte. "Schlafen sie immer so lange?"
"Nur wenn ich Ferien mache!" erwiderte Susan und war mit einem Male gereizt. Sie war sich ihrer zerrupften Erscheinung sehr wohl bewusst. Außerdem hatte sie im Jogginganzug geschlafen und sah so schnell nach dem Aufstehen und ohne morgendliche Toilette im hellen Tageslicht sicherlich schrecklich aus. "Was machen Sie überhaupt hier?" knurrte sie verärgert. Sie fühlte sich irgendwie bei einer verbotenen Handlung ertappt.
"Ich koche Kaffee und warte bis Sie aufstehen, damit ich endlich das Frühstück fertig machen kann. Ich bin nämlich schon mächtig hungrig." erklärte Kyle fröhlich. "Dort hinten, ungefähr dreißig Meter den Waldrand entlang ist eine kleine Quelle. Dort können Sie sich frisch machen. Sie sehen ja zum Fürchten aus." Er deutete mit einer Pfanne in der Hand in die angegebene Richtung und widmete sich, ohne sie weiter zu beachten, seinem Rucksack.
Wütend und in ihrem Stolz ein wenig verletzt verschwand Susan in ihrem Zelt, schnappte ihre Waschutensilien und stapfte davon. "Eingebildeter Kerl!" schnaubte sie erbost.
Die Quelle war ein zwei Handbreit schmaler Miniaturwasserfall, der gut zweieinhalb Meter über eine felsige Rinne in ein kleines Auffangbecken stürzte und als bescheidenes Bächlein den Waldrand entlang plätscherte. Susan kniete sich neben das Becken nieder und tauchte ihre Hände hinein. Das Wasser war klar und eisig kalt, aber herrlich erfrischend. Schnell schlüpfte sie aus ihrem Jogginganzug und stellte sich an den Rand des kleinen Beckens unter den Wasserfall. Scharf sog sie die Luft ein, als der erste Schwall Wasser auf ihren Rücken prasselte. Aber nach dem ersten Schreck genoss sie das prickelnde Gefühl des kalten, sauberen Wassers auf ihrer Haut. Sie wusch sich ohne Seife und achtete sorgfältig darauf, auch beim Zähne putzen die Quelle nicht zu verunreinigen. Abschließend bürstete sie ausgiebig ihre nassen Haare und machte sich auf den Weg zurück. Der Duft von gebratenem Speck, vermischt mit dem würzigen Geruch eines Reisigfeuers und dem angenehmen Aroma des Kaffees, der sie geweckt hatte, lag wie eine lockende Versuchung über dem Lager und ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie lächelte in Erwartung auf das Frühstück, das der Anhalter offensichtlich auch für sie zubereitet hatte. Der kleine Zorn von vorhin war längst wieder verflogen.
Kyle beobachtete Susan unauffällig aus den Augenwinkeln, als diese von der Quelle zurückkam. Sie bewegte sich anmutig und geschmeidig, wie eine große Raubkatze die sich ihrer Beute nähert, deren sie sich absolut sicher wähnt. In ihrem Lächeln lag eine gespannte Zuversicht. Ihre Augen strahlten in dem hellen Braun von frischem, feuchtglänzendem Lehm. Ihre Nasenflügeln bebten. Das aschblonde Haar fiel in leichten Wellen und schmiegte sich wie ein weicher Schleier um ihrem schmalen Kopf. Die Sonne stand genau hinter ihr und tauchte sie in ein unwirklich illuminierendes Licht. Noch nie hatte er ein Mädchen gesehen, das Anmut gepaart mit Energie und Schönheit so sehr miteinander vereinte, wie diese junge Frau. Für einen winzigen Augenblick hatte Kyle das Gefühl Susan würde direkt aus der Sonne kommen, und er musste an sich halten, um sie nicht mit weit offenen Mund zu bestaunen. Kyle wäre am liebsten hochgesprungen und hätte sie in seine Arme genommen. Nur um sie zu berühren und um sich zu vergewissern, dass sie wirklich und nicht nur eine Phantasiegestalt aus einem Traum war, die kam, um ihn in seiner Einsamkeit zu besuchen.
"Guten Morgen", krächzte er, und stocherte eifrig im Feuer herum. Er wagte es nicht, sie noch länger anzusehen. Aus dem sicheren Gefühl heraus, dass er sich sonst in ihren Augen gefangen hätte. "Wie ich sehe, haben Sie die Quelle gefunden."
"Ja, danke." Susan setzte sich auf die Decke, die Kyle ausgebreitet hatte und sah in das Tal, das sich unter ihren Augen ausbreitete. Sie sah weit ausgedehnte Wälder, saftige Bergwiesen und in ziemlicher Entfernung ein kleines Dorf, dessen niedrige Häuser sich eng zusammengedrängt an ein kleines Wäldchen, das vermutlich als Schutz vor Wind und Wetter diente, schmiegten. Den Fluss sah sie nicht. Vielleicht liegt er irgendwo hinter den Bäumen verborgen und ich kann ihn nur nicht sehen, dachte sie und legte den Kopf in den Nacken um die warmen Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht zu spüren. Sie fühlte Kyle mehr, der neben ihr mit seinem Kochgeschirr hantierte, als sie ihn hörte.
"Wie haben Sie mich hier gefunden?" fragte sie neugierig, die Augen geschlossen, ohne sich umzuwenden. Ein angenehm wohliges Gefühl von Frieden füllte sie aus. Sie lauschte den fröhlichen Zwitschern eines Vogels, der hoch über ihr sein Lied in die klare Luft hinaus schmetterte. "Was ist das für ein Vogel, den ich da hören kann? Eine Lerche?"
"Nein, keine Lerche. Die ziehen das Leben auf dem offenen Land vor. Sie sind nicht so knapp am Wald. Das ist ein Gelbspötter." erklärte Kyle und verteilte gebratenen Speck und Eier auf zwei Blechteller, goss Kaffee in Tassen und reichte Susan zwei Scheiben Brot, die er über der Glut leicht geröstet hatte. "Er sitzt genau hinter uns auf der hohen Birke und mokiert sich über die Eindringlinge die ihn stören."
"Stören wir ihn denn?" Susan öffnete die Augen und suchte den kleinen Sänger.
"Vielleicht beachtet er uns ja auch nicht einmal, vielleicht sind wir ihm sogar egal." Kyle zuckte mit den Schultern und zeigte auf den kleinen gelb-grünen Singvogel, der halb versteckt hoch oben in einer hohen, alten Birke, deren Rinde nur mehr sehr wenig weiß aufwies, saß. "Der Zweig der ein wenig auf und ab wippt, dort sitzt er. Können Sie ihn sehen?"
"Hmmh. Wie haben Sie mich hier gefunden?" fragte Susan noch einmal. "Ich dachte, das wäre ein guter Platz zum Übernachten."
"Oh, das ist er auch." grinste Kyle verschmitzt, sah sich um und reichte Susan den Teller, eine Gabel und ihre Tasse mit dem Kaffee. "Milch und Zucker?"
"Ja, danke." Sie nahm das Angebotene entgegen und begann hungrig zu essen. "Ich warte."
"Na ja", erklärte Kyle zögernd. "Ich ziehe immer ziemlich früh los, am Morgen marschiert es sich leichter, und als ich diese Abzweigung in den Wald gesehen habe dachte ich, wenn ich eine kleine Lichtung finde, lege ich vielleicht einen Tag Pause ein, bleib´ eine Nacht hier und zieh´ erst am nächsten Morgen weiter." Er grinste wieder dieses verschmitzte Lächeln, das ein Netz aus feinen, weißen Fältchen um seine Augen und seinen Mund legte, wobei seine grünen Augen blitzten wie kleine Teiche im Widerschein des glitzernden Sonnenlichts.
Susan sah ihn an, ihr Herz machte einen kleinen Sprung nach vorn. Eine sanfte Windbö legte plötzlich eine Strähne seiner braunen Haare über die Stirn, die er mit einer unbewussten Reaktion mit einer Geste seiner Hand wegstrich. Er blickte unvermittelt zu Susan, die schnell wegsah, aber ihr Verhalten sofort bedauerte.
"Als ich dann hier um die Ecke kam, hab’ ich erst ihren Wagen und dann das Zelt gesehen. Also habe ich mich zurückgezogen, bin ein Stückchen den Wald raufgegangen und habe die kleine Quelle gefunden. Ich dachte mir, dass ich dort genauso den Tag verbringen könnte. Ich hab’ Zweige und Reisig gesammelt und wollte mir ein Feuer machen, für Frühstück." Kyle sah fröhlich zu Susan, die versonnen das Tal unter ihr zu betrachten schien und ihm lauschte. Ein vergnügter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht der ihre Lippen kräuselte und in ihre Augen ein stilles Leuchten legte. Kyle ließ seinen Blick für einen Atemzug auf ihrem Gesicht ruhen, und beeilte sich dann weiterzuerzählen, bevor er diesen reizvollen Moment zerstörte.
"Na ja, dann bin ich mir ziemlich blöd vorgekommen; ich sitze dort drüben und mache mir Frühstück und Sie sitzen hier, allein. Da dachte ich mir, ich setze mich rüber und lade Sie ein." Er lachte vergnügt. "Tatsächlich sind Sie erst so spät aufgewacht, dass ich Sie schon wecken wollte."
"Danke", Susan lächelte, die Lider über die braunen Augen gesenkt, ihre Stimme klang tief und melodisch. "Danke dass Sie gewartet haben ... und für das wunderbare Frühstück ... und dass sie mich nicht geweckt haben."
Kyle lachte. Sie wollte ihm noch mehr sagen, wollte ihm sagen, dass sie es verrückt fand, dass sie hier saßen und gemeinsam frühstückten. Verrückt und irgendwie nicht passend, und wie herrlich sie sich dabei fühlte. Aber sie schwieg.
Den Rest ihres Frühstücks verbrachten sie in Gedanken, Kyle summte leise eine kleine Melodie, aber keiner brach das Schweigen des anderen.