Ein neues Königreich (Fortsetzung von 'Die vier Königreiche')

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Ein neues Königreich (Fortsetzung von 'Die vier Königreiche')

Die Hochzeiten I

Drei Monate vergingen.
Vier Hochzeiten in vier Königshäusern sollten an vier aufeinanderfolgenden Tagen gefeiert werden. Das Haus Kreuzblume machte den Anfang. Dessen Bube ehelichte die Herzdame. Und selbstverständlich wurde die Feier nach den Maßstäben der Adligen abgehalten, mit allem Prunk und Pomp, den es nur geben konnte. Wahrlich eine hohe Bürde für die folgenden Paare, denn wer wollte nicht das unvergesslichste Fest feiern? Jeder würde die anderen überbieten wollen!

Die Adligen erkannten in ihrem Hochmut nicht, dass sie die anderen mit ihrer Art, Feste zu feiern, düpieren könnten. Sie tischten alles auf, was die Speisekammern hergaben, präsentierten ihr feinstes Gold und Silber, schmückten das Schloss, dass es im Sonnenlicht erstrahlte.
Gewiss, eine Hochzeit war ein prunkvolles Fest, aber so mancher der Gäste aus den anderen drei Königshäusern rümpfte die Nase über diese Zurschaustellung des vorhandenen Reichtums des Hauses Kreuzblume.
Freilich war das Königspaar daran nicht direkt schuldig, denn sie hatten die Planung der Feierlichkeiten natürlich einem Dutzend Conciergen anvertraut, jenen dabei freie Hand gewährt. Wie Königin und König nun mit Verdruss zur Kenntnis nehmen mussten, hatten die Beauftragten in ihrer Eifrigkeit ein wenig über das Ziel hinausgeschossen.

Schon nach der Zeremonie in der schlosseigenen Kapelle ging König Kreuzblume auf, dass er seinem Fest noch einen Stempel aufdrücken musste. Und so rief er den Wettbewerb zur Abstimmung aus, die Gäste mögen am Ende entscheiden, welches Hochzeitsfest das schönste gewesen sei. Für diese Abstimmung gäbe es extra ein fünftes Fest, welches drei Tage nach den vier Hochzeiten und zudem gleichzeitig in allen vier Schlössern stattfinden solle.
Eingeladen waren die Hofstaaten der vier Königshäuser, dazu einhundert ausgewählte Untertanen jedes Reiches, sowie am jeweiligen Austragungsort der Hochzeit zudem alle übrigen Untertanen eben jenes Reiches. All jene, die bei den Feierlichkeiten zugegen waren, dürften ihre Stimme abgeben.
König Kreuzblume wurde sogleich von den anderen Königen um eine Unterredung gebeten. Obwohl dieser Vorstoß mit der Abstimmung nicht abgesprochen war, deuteten die anderen letztlich jedoch ihr Wohlwollen an.
So fühlte sich jeder ein wenig unter Druck gesetzt, auch zu seinem Fest eine Besonderheit zu präsentieren. Hinter vorgehaltener Hand waren sich die drei Bevormundeten allerdings einig, dass das Fest auf Schloss Kreuzblume neben der obligatorischen Tanzveranstaltung und nun dieser Ausrufung einer Abstimmung kaum etwas zu bieten hatte, das das Prädikat 'außergewöhnlich' verdient hätte.
Und so hatte König Kreuzblume einen Wettbewerb heraufbeschworen, bei dem er, wenn es nach der Meinung der Kontrahenten ginge, nur verlieren konnte. Das wurde ihm später schmerzlich bewusst.

So plätscherte das Fest dahin, wie ein stilles Bächlein. Die Gäste genossen die edlen Speisen und Getränke, unterhielten sich durchaus mit großer Freude auch mit bis dahin völlig fremden Leuten aus anderen Königreichen, ohne Rücksicht auf den gesellschaftlichen Stand.
Mit dem Tanz nahm die Stimmung tatsächlich ein wenig Fahrt auf. König Kreuzblume sprang unvermittelt auf und forderte die Königin Pike zum Tanz auf.
Die drei anderen Könige schauten nur verdattert drein, erkannten nicht die Symbolkraft, die König Kreuzblume entfachen wollte. Auch, als er zum zweiten Tanz die Königin Herz auf das Parkett führte, reagierten die anderen Herren nicht.
Und als ob das noch nicht genug gewesen wäre, bat er beim dritten Lied die Königin Raute zum Tanz. Die drei anderen Herren schauten so perplex drein, als ob sie diese Aktionen für einen Affron hielten, den sie nicht zu erwidern gedachten. Offenbar war ihnen gar nicht nach Tanzen zumute.
König Kreuzblume strahlte hingegen ob seiner Kühnheit, erwies schließlich der Braut des Abends die Ehre, die bis dahin nur mit ihrem Bräutigam getanzt hatte.

Während König Kreuzblume später mit seiner Gemahlin tanzte, sprach sie ihn auf sein Husarenstück an: „Sag, mein König, du hast sie allesamt in Verlegenheit gebracht. War das deine Absicht?“
„Sieh sie dir an, meine Liebe. Sie sind völlig ratlos. Nicht einer hat mit gleicher Tat reagiert. Warum nicht? Es wäre doch ihr gutes Recht gewesen. Dann hätte ich freilich nicht diese Aufmerksamkeit des Publikums erhalten.“
„Jetzt wäre jede Reaktion vergebens. Die Leute haben dich bewundert, werden dir Respekt zollen, indem sie unser Fest als das Gelungenste küren werden. War es das, was dich trieb, mein König?“
„Wie weise du doch bist, meine Königin.“
Während sie tanzten, konnten sie beobachten, dass zwei der drei anderen Könige ihre Conciergen zu sich riefen und sie ganz offensichtlich ins Schloss jagten, um für die eigene Feier ein effektvolles Amüsement zu ersinnen.
Die Getreuen des Hauses Pike forderten auch die Schneidersleut auf, das hiesige Fest unverzüglich mit ihnen zu verlassen. Und als das die Königin Herz erkannte, rief sie ebenfalls nach ihrer Näherin und derer Gehilfen. Auch sie wurden gebeten, den eigenen Conciergen zu folgen.
Nur das Königspaar der Raute blieb gelassen. Hatten sie schon eine geeignete Antwort auf die heutige und auch jene in den folgenden zwei Tagen zu erwartenden um Aufmerksamkeit heischenden Aktionen?

Das Fest dauerte noch einige Stunden. Doch dann zogen alle müde, aber satt und zufrieden gen Heimat.



Die Hochzeiten II

Am nächsten Tag fand die Hochzeit auf dem Schloss des Königs Pike statt. Dessen Bube heiratete die Dame des Hauses Raute. Es war keineswegs so, dass das Volk der Arbeiter arm war, doch die Auswahl der Speisen und Getränke fiel ein wenig rustikaler aus. Doch diese Abwechslung gegenüber dem Vortag wurde von allen mit Wohlwollen begrüßt.

Noch vor der Zeremonie sprach der Hausherr den König Kreuzblume an: „Du hast gestern alle überrascht. Das gebe ich zu. Aber auch meine Getreuen haben sich ein kleines Amüsement erdacht, ein kleines Spiel, mein Freund.“
„Es ist dir gegönnt, auf meinen angezettelten Wettstreit einzugehen“, meinte König Kreuzblume und schmunzelte. „Solange ich nicht nackt auf dem Tisch tanzen muss.“ Nun lachte er laut und hielt sich den Bauch. „Sodenn du an eine Spitze gegen mich zu spielen gedachtest.“
Das bekamen auch die anderen beiden Könige mit, weil sie neugierig gelauscht hatten.
„Oh, mein werter Herr. Wo denkst du hin? Das wäre eine unwürdige Antwort auf deine gestrige Inszenierung.“ Nun bemerkte König Pike die anderen. „Nun, was habt ihr euch denn ausgedacht? Na, egal, wir werden es ja sehen. Hauptsache, es dient der Unterhaltung. Nicht mehr und nicht weniger beabsichtige ich heute vorführen zu lassen.“
„Da sind wir aber sehr gespannt“, antwortete König Raute. Dann lachte er. „Nein, nackt auf den Tischen zu tanzen, wäre in der Tat eine Demütigung, die keinem zuteil werden sollte.“

Dann schritten sie alle zur Kapelle. Wer sich die Mühe hätte machen wollen, der hätte bemerkt, dass niemand, der am Vortag ebenfalls zu den Gästen gezählt hatte, zu dieser zweiten Hochzeit im selben Gewand erschienen war. Wirklich niemand.
Die Zeremonie selbst konnte der vom Vortag keinen Vorteil abringen, hatte doch das atemberaubende Kleid der gestrigen Braut schon alle Blicke auf sich gezogen. Wie es für die Herzdame passend war, hatte die Korsage die Form eines Herzens, die Spitze tief bis in den Schoß, die Rundungen reizvoll um dieselbigen der Braut geformt.
Dagegen war das Kleid der Rautedame sehr schlicht, aber dennoch schön anzusehen. Dem hätte gewiss niemand zu widersprechen gewagt.

Die Zeremonie war vorbei. Die Tafel war gedeckt, alle nahmen Platz, der gemütliche Teil des Abends begann.
Der Gastgeber erhob sich. „Meine verehrten Gäste. Wir kommen nun zu einem kleinen Spiel, das sich meine Conciergen ausgedacht haben. Dazu bitte ich zunächst aus jedem Hause eine Magd zu mir.“
Da sich keine freiwillig melden wollte, bestimmten die Königinnen der vier Häuser kurzerhand eine ihrer Mägde, die das Spiel bestreiten sollten.
Die vier jungen Frauen kamen zum Gastgeber. Ihnen wurden die Augen verbunden.
Dann wurden aus jedem Haus vier Burschen gebeten, sich am Spiel zu beteiligen. Sie alle wurden in die gleichen schlichten Wandungen gekleidet, damit man sie an ihrer Tracht nicht erkennen konnte.

Jede Magd wurde gebeten, sich einen beliebigen Burschen auszuwählen. Diesem durfte sie drei Fragen stellen, die nur mit 'ja' oder 'nein' zu beantworten waren. Dann musste sie entscheiden, zu welchem Königshaus er gehören mochte. Diese Prozedur wurde noch dreimal wiederholt, bis schließlich alle Burschen ein Wappen angeheftet bekommen hatten. Ob es das richtige war, würde sich nun auflösen.
Schummeln war gewiss kaum möglich. Dazu hätten die Burschen der fragenden Magd persönlich bekannt sein müssen. Diese Frage verneinten sowohl Mägde, als auch Burschen.

Um so erstaunlicher war zumindest das Ergebnis der Magd aus dem Hause Kreuzblume. Sie hatte tatsächlich allen vier Burschen das richtige Wappen angeheftet. Es waren zwei aus dem Hause Pike, einer von der Raute, und der letzte stammte aus ihrem eigenen Hause, der Kreuzblume.
Die anderen Mägde schienen sich von dem Irrglauben haben leiten lassen, dass sie aus jedem Hause genau einen Burschen vor sich hätten. Dementsprechend war die Fehlerquote recht hoch. Die Magd der Pike hatte lediglich zwei Richtige, die anderen beiden nur einen.

„Sag, wie hast du das gemacht, liebe Neun?“, fragte die Dame der Kreuzblume ihre Magd.
„Ich habe die richtigen Fragen gestellt, schätze ich.“
„Wohl wahr. Du bist sehr klug. Unser König wird es dir danken, wenn es Einfluss auf das Abstimmungsergebnis zu unseren Gunsten haben sollte. Da bin ich sicher.“
Da wurde die Magd verlegen. „Oh, ich hatte mir gewiss die hübschesten Burschen ausgewählt. Ich könnte mir durchaus vorstellen, einen von ihnen zu heiraten.“
„Oho, liebe Neun. Ist das dein Ernst?“
„Ich bin alt genug. Und ich wünsche mir Kinder. Also brauche ich auch einen Gemahl.“
„Das waren alles Burschen aus dem Volke, keiner vom Hof, meine Liebe. Ist dir das bewusst?“
„Sicher. Aber hat das Bedeutung? Ich möchte keinen x-beliebigen Kerl. Ich will aus Liebe heiraten. So, wie du es übermorgen tun wirst.“
Die Dame schaute ihre Magd unsicher an.
„Du liebst ihn doch, liebe Dame. Oder etwa nicht?“, hakte die Magd nach.
„Oh, ja. Er ist schon recht galant. Doch, doch, ich empfinde große Sympathie für ihn.“
„So ganz überzeugt bist du aber nicht, ob er der Richtige ist.“
„Das wird sich zeigen“, antwortete die Dame mit einem schelmischen Lächeln.
Die Magd schmunzelte. „Ich werde mir meinen Zukünftigen vorher genau anschauen.“

Das Fest wurde mit dem Tanz fortgesetzt. Diesmal sprang kein König auf, um die Königinnen auf das Parkett zu bitten, denn der Gastgeber hatte Damenwahl proklamiert. Und dies galt für den gesamten Abend.
Nach einigen Stunden zogen alle gen Heimat. Auch heute konnte sich niemand über einen Mangel an Speisen und Getränken beklagen.



Die Hochzeiten III

Am dritten Tag heiratete der Herzbube die Dame der Pike.
König Herz ließ es sich nicht nehmen, ebenfalls ein Spiel anzukündigen. Seine Schneider waren nicht untätig gewesen, konnten mit dem geleisteten Aufwand sogar die Ausstattung der Mitspieler vom Vortag noch deutlich überbieten.
Heute sollten die vier Brautpaare ein Spiel miteinander bestreiten. Als König Herz offenbarte, mit welchen Regeln dies zu erfolgen habe, erhob sich König Kreuzblume, animierte auch König Raute, sich seinem leisen Protest anzuschließen.
„Wäre es nicht angemessener, wenn alle Paare bereits verheiratet wären, somit die gleiche Erfahrung beim Tanze miteinander hätten?“, reklamierte König Kreuzblume.
„Hast du Sorge, dass deine Dame ihren Gemahl, ihren zukünftigen Gemahl, heute noch nicht erkennen würde?“, stichelte König Herz.
„Mein Bube hat gewiss oft genug mit seiner Verlobten getanzt. Aber du wähnst dich vermutlich im Vorteil, weil deine Dame vor zwei Tagen zufällig die erste Braut war, König Herz. So gesehen, hätte aber auch dein Bube, lieber König Kreuzblume, den gleichen Vorteil.“ König Raute schmunzelte.
„Meine Tochter wird deinen Sohn erkennen, König Raute“, lenkte König Kreuzblume ein. „Ob sie nun schon vermählt sind oder nicht.“
„Dann ist ja alles gut. Darf ich die Damen und Buben nun in die Kammern meiner Schneiderei bitten, damit sie sich das Tanzgewand anlegen können? Liebe Damen, liebe Buben, ab sofort bewahrt ihr absolute Schweigsamkeit.“

Nach über einer Stunde kamen offensichtlich vier Damen und vier Buben zurück. Allerdings war nicht erkennbar, wer hinter welcher Maske, die bei allen das gesamte Gesicht verdeckte, steckte. Außerdem trugen Damen wie Buben eine Haube, die das Haar vollständig verbarg. Die Kleider der Damen glichen sich bis ins kleinste Detail. Ebenso verhielt es sich mit den Roben der Buben. Da auch die jeweilige Körpergröße keine eklatanten Unterschiede zu erkennen gab, traten die Paare beinahe blind aufeinander zu. Lediglich die Augen waren zu sehen, konnten somit das einzige zuverlässige Erkennungsmerkmal sein, wenn es keine allzu großen Ähnlichkeiten geben würde.

„Das Sprechen ist den Tanzpaaren natürlich nicht gestattet“, sagte König Herz. „Jede Dame und jeder Bube hat eine Nummer. Jedes Paar erhält drei Tänze. Dann muss die Entscheidung fallen.“
„Wie soll eine Entscheidung kundgetan werden?“, hinterfragte König Raute.
„Gute Frage. Wenn die erste Dame oder der erste Bube seine Entscheidung ausspricht, könnte es die anderen dazu bewegen, sich anders zu entscheiden, als zuvor gedacht“, reklamierte König Kreuzblume.
König Herz lachte. „Natürlich, meine Freunde. Jede Dame und jeder Bube hat eine Karte bei sich. Darauf wird die Entscheidung markiert. Zunächst geheim, damit niemand kibitzen kann, falls Unsicherheit bei der eigenen Entscheidung bestehen sollte. Dann stellen sich alle auf und offenbaren gleichzeitig ihre Wahl.“
„Dann möge dieses Spiel beginnen!“, rief König Kreuzblume.
Die Paare waren weit genug von den Zuschauern entfernt, dass ein gewollter Blickkontakt kaum möglich erschien.

Die Musik begann. Vier Paare fanden willkürlich zueinander und tanzten. Unsicherheiten in Schrittfolge und Haltung konnten die Asse, die als neutrale Schiedsrichter fungierten, zunächst nicht ausmachen. Der erste Tanz endete ohne erkennbaren Regelverstoß.
Beim zweiten Tanz erkannte das Ass der Kreuzblume, dass sich ein Paar ganz besonders harmonisch bewegte. Das Ass der Raute wies die anderen darauf hin, dass es bei einem anderen Paar ein paar holprige Schritte gab.
Ähnliche Beobachtungen machten sie dann auch beim dritten und vierten Tanz. Es konnte also nicht immer dasselbe Paar gewesen sein, das so perfekt zu harmonieren schien. Und doch erkannten die Asse, da die Tanzenden Nummern trugen, dass es immer derselbe Bube war, der seine augenblickliche Dame sicher führte.
Da die Asse jedoch nicht gesagt bekommen hatten, hinter welcher Nummer welche Dame oder welcher Bube steckte, konnten sie das Geschehen objektiv beurteilen. Das glaubten zumindest die Veranstalter. Aber die Asse besaßen ja besondere Fähigkeiten. Schließlich hatten sie mit eben diesen Fähigkeiten erst dafür sorgen können, dass diese Hochzeiten stattfinden würden.

Der Augenblick der Auflösung nahte. Alle Brautleute konnten noch einmal in Ruhe darüber nachdenken, wer nun der eigene Partner sei. Dann mussten sie sich entscheiden. Damen wie Buben wählten eine der vier Karten aus, die sie zu Beginn erhalten hatten, legten die übrigen drei verdeckt auf dem Tisch der Asse ab. Auch die ausgewählte Karte sollten sie noch verdeckt halten.
„Offenbart uns eure Wahl!“, forderte König Herz.

Kaum waren alle Karten offengelegt, ging ein Raunen durch die Menge. Königinnen und Könige sahen sich erschrocken an, denn das Ergebnis war erschütternd. Gleich drei Damen hielten den Buben mit der Nummer 2 für ihren Gemahl. Die vierte nannte die Nummer 3.
Auch die Wahl der Buben war nicht eindeutig, denn zwei benannten die Dame Nummer 1, einer die 3 und einer die 4.
„Das ist doch ein Skandal“, raunte König Pike. „Los! Offenbart euch! Senkt die Masken, damit wir die Sünder entlarven können!“
„Halt, halt, halt!“, rief König Kreuzblume. „Wer wird denn gleich so schamlos urteilen. Unsere Damen und Buben hatten jetzt an drei Abenden Gelegenheit, miteinander zu tanzen. Gewiss war das zu wenig, um die Eigenarten des Partners zu erkennen. Liebe Damen, liebe Buben, habt keine Angst. Zeigt eure Gesichter.“
Erneut ging ein Raunen durch die Zuschauer, als Damen und Buben sich zu erkennen gaben.
Der so begehrte Bube mit der Nummer 2 war der Bube aus dem Hause Raute. Hinter der Nummer 3 verbarg sich der Bube der Kreuzblume.
Beim Abgleich mit den Entscheidungen der Buben stellte sich heraus, dass der Bube der Kreuzblume seine Herzdame erkannt hatte und sie auch ihn. Ebenso hatten sich die Dame der Kreuzblume und der Bube der Raute einander erkannt.
Die anderen Damen und Buben lagen allesamt falsch.

Nur langsam erholten sich die Leute von diesem Schreck. Das Fest wurde im weiteren Verlauf von der Enttäuschung getragen und endete sehr bald. Nur König Kreuzblume und seine Gemahlin gingen zufrieden nach Hause.



Die Hochzeiten IV

Das vierte Brautpaar bildeten der Bube der Raute und die Dame der Kreuzblume.
Es war ein außerordentlich heißer Tag. Und so kam dem König Raute, der heute der Gastgeber war, eine verrückte Idee.
Sein Königreich war das einzige, das über einen wunderschönen Badesee verfügte.
Nachdem die Gesellschaft die Speisen und Getränke genossen hatte, sich beim anschließenden Tanz vergnügt hatte, erkannte König Raute, dass es allen nach Abkühlung dürstete. Es war auch am Abend noch sehr heiß.
„Verehrte Gäste. Wie ihr alle wisst, haben wir unweit des Schlosses einen wunderschönen Badesee. Der ist heute gewiss das richtige, um ein wenig Abkühlung zu bekommen, nicht wahr?“
„Vielleicht hättest du uns daran erinnern sollen, dass wir Badekleider mitbringen“, stichelte König Herz, der die gestrige Blamage, die er mit seinem Spiel erlitten hatte, noch immer nicht verwunden hatte.
„Oh, das ist gar nicht nötig, mein Freund“, konterte der Hausherr.
„Ach, du meinst, bei dieser Hitze trocknen die Kleider ganz schnell, wenn man das Wasser wieder verlassen hat, ja?“
„Das ist es auch nicht. Nein. Ich denke, wir sind Freunde. Und unter Freunden hat doch niemand etwas zu verbergen. Sehe ich das richtig?“
Zögerlich nickten alle.
„Eine kleine Abkühlung ist schon verlockend, mein König“, meinte Königin Raute.
„Gewiss, meine Liebe. Deshalb werden wir jetzt alle zum See gehen, werden unsere Kleider ablegen und das kühle Nass genießen.“
Ein Raunen ging durch die Reihen.
„Das ist nicht dein Ernst!“, schimpfte König Herz. „Aber bitte, wenn du meine Blamage von gestern noch zu überbieten gedenkst, dann gehe voran.“
„Was ist daran so unwürdig, baden zu gehen, wie Gott uns geschaffen hat, mein Guter? Ist dir das etwa peinlich?“
„Geh voran!“
„Mit Vergnügen. Ich erwarte euch alle mit großer Freude.“
Sogleich ergriff König Raute die Hand seiner Gemahlin und marschierte los.

„Das ist ungeheuerlich“, jammerte König Herz. „Was denkt er sich dabei?“
„Beruhige dich“, sprach König Kreuzblume ihm Mut zu. „Vielleicht glaubt er, mit seiner zur Schau gestellten Freizügigkeit die Stimmen der Gäste zu erhaschen, dass sein Fest das schönste gewesen sei.“
„Wenn ich ganz offen sein darf, mein Freund. Ich sehe dich ganz vorn bei diesem Wettbewerb.“
„Du willst mir schmeicheln. Dein Spiel gestern war auch sehr nett. Nur das Ergebnis war nicht in deinem Sinne. Das kann ich verstehen.“
„Das war sehr bedauerlich.“
„Jetzt entspanne dich. Ein kühles Bad wird da guttun.“
„Er will, dass wir nackt ins Wasser gehen!“
„Sicher“, antwortete König Kreuzblume knapp und schmunzelte.

Das weitläufige Ufer des Sees war bald mit hunderten von Leuten übersät. Alle warteten gespannt auf den Startschuss, warteten, dass König Raute den Anfang machte.
Er selbst hatte seine Kleider zügig abgelegt. Seine Gemahlin jedoch zögerte. Deshalb legte er selbst Hand an, trat hinter sie, öffnete die Korsage und flüsterte ihr ins Ohr: „Du musst dich nicht schämen, meine schöne Königin. Sie werden alle vor Neid erblassen, wie wunderschön du bist, meine Liebste.“
„Du weißt mich immer zu überzeugen, mein König.“ Nun legte sie ihre Kleider ab.
Der König ergriff die Hand seiner Gemahlin und schritt voran. Splitternackt waren sie. Und sie waren in der Tat ein wunderschönes Paar. Schritt für Schritt gingen sie ins seichte Wasser.
Als sie bis zum Bauchansatz im Wasser standen, drehten sie sich um.
„Nun folgt uns!“, rief der König. „Oder habt ihr etwas zu verbergen?“ Nun lachte er.
König Kreuzblume war der erste, der sich zu entkleiden begann, dann seine Gattin. Weitere folgten dem Beispiel.

Während die Königinnen und Könige eher gemächlich durch das flache Wasser spazierten, tollten die jungen Leute etwas ausgelassener herum.
„Sicher hat er uns etwas in die Getränke gemischt, dass wir uns alle so freimütig entblößen“, klagte König Pike. „Ich finde es empörend, dass selbst die Frauen ...“
König Kreuzblume antwortete gelassen: „Sieh es mal so, mein Freund. Es ist die reine Natur, die wir zu Gesicht bekommen. Wer da auf andere Gedanken käme, der gehört selbstverständlich geächtet.“
„Aber sieh dir doch die jungen Leute an. Die Unvermählten meine ich! Sie fassen sich an! Das ist doch nicht richtig.“
„Gönne ihnen die Freude. Vielleicht gibt es dann bald noch weitere Hochzeiten zu feiern.“
„Deine Gelassenheit bewundere ich.“
„Jetzt entspann dich, mein lieber Gemahl“, meinte die Königin Pike. „Ich ziere mich nicht, meine Blöße zu zeigen. Niemand hier tut das. Nur du schämst dich. Dabei ist das gar nicht nötig.“
„Ganz besonders für die Braut des heutigen Tages finde ich es entwürdigend. Eine Braut sollte auf ihrer Hochzeitsfeier auch ihr Brautkleid tragen.“
„Ach, Liebling. Jetzt schau sie dir doch mal an.“ Sogleich wandte sich die Königin Pike an König Kreuzblume: „Wenn du gestattest, dass mein Gemahl deine Tochter so bewusst anschaut.“
„Sie ist wunderschön“, frohlockte König Kreuzblume.
„Siehst du“, sagte Königin Pike zu ihrem Gemahl. „Das wollte ich auch gerade sagen. Sie kann stolz auf ihren naturgegebenen Körper sein.“
„Aber das weckt gewiss Begehrlichkeiten bei jenen, die es mit der Moral nicht so eng sehen. Und jetzt, wo der Unterleib unter Wasser ist, sieht man es noch nicht einmal.“
Der Gedanke daran schien den König Kreuzblume nun doch wütend zu machen. „Sollte da jemand sein, der sich meiner Tochter ungebührlich nähert, werde ich unverzüglich eine entsprechende Maßnahme zur Züchtigung dieses Barbaren anordnen!“
„Oho, eine solch strenge Reaktion hätte ich jetzt gar nicht erwartet“, erwiderte König Pike. Ein schelmisches Grinsen konnte er sich offenbar nicht verkneifen.
Dementsprechend war die Reaktion des anderen: „Ich hoffe doch sehr, dass du es mit deiner Tochter genauso halten würdest.“
„Selbstredend. Ich würde diesem Unhold die rechte Hand abhacken, wenn nicht sogar etwas anderes.“
Königin Kreuzblume schaute ihn belustigt an. Um ein Lachen zu unterdrücken, tauchte sie komplett unter Wasser, ungeachtet der Folgen für ihre kunstvolle Frisur. Als sie wieder auftauchte, rief sie: „Oh, das ist herrlich! Verschafft euch auch diese Abkühlung. Sie vertreibt alle bösen Gedanken. Es ist wunderbar!“ Wieder tauchte sie ab und schoss dann weit aus dem Wasser, dass sie für eine Sekunde bis zu den Knien über der Wasseroberfläche stand.
Ihr Gemahl schaute zunächst König Pike an, der ein wenig errötet war ob der unverhofften Ansicht. Dann schloss er seine Frau in die Arme und sagte: „Oh, meine schöne Königin. Du hast Mut.“
„Er hat uns etwas in die Getränke gemischt“, lamentierte König Pike erneut.
Seien Gemahlin jedoch folgte dem Vorbild der Kollegin, tauchte ab und schoss ebenso hoch aus dem Wasser, wie es Königin Kreuzblume getan hatte. Beim Niedersinken setzte sie allerdings ihre Hände auf die Schultern ihres Gatten, den sie damit ebenfalls unter Wasser drückte.
Als er wieder auftauchte, schüttelte er sich und schaute seine Gattin wütend an. Dann jedoch lächelte er.

Inzwischen waren die anderen Königspaare, sowie die vier Damen und vier Buben dazu gekommen, um das Schauspiel aus der Nähe zu beobachten.
„Papa, du hast ja noch trockenes Haar“, ermahnte seine Tochter den König Kreuzblume. Sie rief: „Jetzt alle zugleich! Einmal abtauchen!“
„Jawohl. Einmal die Gemüter kühlen. Dann könnt ihr die Feier wieder genießen“, fügte der Gastgeber, König Raute, hinzu.
Er machte gemeinsam mit seiner Gemahlin den Anfang. Und schon wollten die anderen nicht mehr außen vor bleiben und folgten dem Beispiel.

Da es ein außergewöhnlich heißer Tag war, kamen viele nur kurz aus dem Wasser, gingen jedoch immer wieder zurück ins kühle Nass. Die Nacktheit führte keineswegs zu den von König Pike gefürchteten Übergriffen. Es wurde jederzeit respektvoll und mit Anstand miteinander umgegangen.

So fand die vierte Hochzeit ihren Abschluss mit einer Ansprache aller vier Könige.
„Es war ein herrliches Fest“, lobte König Raute sein eigenes.
„Außergewöhnlich“, fügte König Kreuzblume hinzu.
„In drei Tagen feiern wir, jeder für sich im eigenen Schloss, ein weiteres Fest, um alle, die in den vergangenen vier Tagen diese wunderbaren Hochzeiten erleben durften, um die Stimme für das schönste Fest zu bitten“, erklärte König Herz.
König Pike schließlich bestimmte: „Am nächsten Tag soll von jedem Königshaus ein Reiter zu den anderen geschickt werden, um das Ergebnis zu verkünden. Bliebe die Frage, was dem Sieger gebühren soll.“
„Darüber werden wir beraten“, verkündete Königin Kreuzblume. „Wir vier werden, wie einst nach der Geburt unserer Kinder, ins neutrale Land reisen, um uns in Klausur zu begeben.“
Die drei anderen Königinnen stimmten dem zu, denn sie hatten es schon miteinander besprochen.
Dann traten die vier Asse nach vorn. Sie versicherten, dass die Königinnen diesmal nicht erneut zwanzig Jahre lang verschollen sein würden, da der Weg nun bekannt sei.
Durchaus beschwingt traten alle in der Nacht den Heimweg an.



Die Entscheidungen

Es geschah, wie es beschlossen worden war. In jedem Schloss gab es ein kleines Fest und die damit verbundene Stimmabgabe. Allein die Asse nahmen die Stimmen entgegen und zählten sie bis zum endgültigen Ergebnis aus. Niemand sonst erhielt Einblick, selbst die Königspaare wussten am Ende nicht, wie ihre jeweiligen Untertanen abgestimmt hatten. Die Asse legten ihren Königen den Umschlag in vierfacher Ausfertigung vor, damit diese mit dem königlichen Siegel versehen werden konnten.
Am nächsten Morgen wurde aus jedem Schloss ein Reiter mit drei Umschlägen im Gepäck losgeschickt, um sie an die drei anderen Königshäuser zu überbringen. Den vierten behielten die Könige selbst, durften diesen aber erst öffnen, wenn der eigene Reiter zurück war. In der Zwischenzeit würden gewiss auch die Reiter der drei anderen Häuser vorstellig geworden sein.
Die Königinnen machten sich mit den Reitern ebenfalls auf ihren Weg, allerdings ins neutrale Land. Sie wollten in drei Tagen zurückkehren.

Ungeduldig warteten die Könige auf die Ankunft der Reiter. Am Abend war es schließlich soweit. Sie hielten alle vier versiegelten Umschläge mit den Ergebnissen in ihren Händen.
Die Asse hatten darüber gewacht, dass kein König auf die Idee verfallen würde, einen der Umschläge vorzeitig zu öffnen. Doch nun durften sie ihre Neugier befriedigen.
Vier Ergebnisse lagen ihnen nun vor. Das Erstaunen war groß, denn es hatten nicht alle für das eigene Fest gestimmt. So mussten die Stimmen addiert werden. Das Ergebnis war sehr knapp. Alle vier hatten beinahe gleich viele Stimmen erhalten. Aber eben nur beinahe. Das lag gewiss auch daran, dass in jedem Königreich etwa gleich viele Untertanen lebten, nämlich ungefähr fünftausend.
Die Könige mussten zudem allesamt auf das gleiche Ergebnis gekommen sein. Und dem war auch so.
Demnach hatte das Haus Kreuzblume 5.824 Stimmen erhalten, das Haus Pike 5.742, das Haus Herz 5.701 und das Haus Raute 5.807. Somit hatte das Haus Kreuzblume den Sieg davongetragen.
Erneut wurden vier Umschläge mit Siegel angefertigt. Einer blieb im Schloss, die anderen wurden am nächsten Tag per Reiter an die drei Konkurrenten geliefert. So konnte jeder König alle vier Ergebnisse miteinander vergleichen.

Unterdessen berieten die Königinnen, welches Geschenk dem Sieger zu geben sei. Sie waren sich einig, dass sie zu einem einstimmigen Ergebnis kommen müssten, damit nachher niemand sage möge, überrumpelt worden zu sein.
Und so unterbreitete jede Königin ihre Idee.

„Ich denke, das siegreiche Königshaus sollte die Untertanen, alle Untertanen belohnen. Bisher war unser See nur für das Königreich der Raute zugänglich. Das soll sich nun ändern. Er soll für Jedermanns Vergnügen da sein“, verkündete die Königin der Raute.
„Hätte das nicht ohnehin unserer aller Wunsch entsprochen?“, stichelte die Königin der Pike.
„Dann mach einen besseren Vorschlag“, konterte die Königin Herz.
„Die strikte Abgrenzung aufgrund der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Königshaus sollte abgeschafft werden. Die Arbeiter sollten dort leben können, wo sie gebraucht werden. Das verkürzt die Lieferzeiten enorm. Das wäre unser Geschenk an alle Untertanen unserer vier Königreiche“, forderte die Königin der Pike.
Die Königin der Kreuzblume schmunzelte, sagte aber nichts.
„Das ist gewiss ebenfalls eine Entscheidung, die bereits getroffen wurde“, gab die Königin Herz zu bedenken. „Es sollte eher etwas sein, was unsere neugewonnene Gemeinschaft in einem einzigen neuen Königreich zusammenschweißt. Damit wollte ich nicht sagen, dass die bisherigen Vorschläge dies nicht täten, aber sie entsprechen ohnehin unseren Wünschen nach einer neuen Vielfältigkeit im gesamten neuen Königreich. Aber wer soll nun das Sagen haben?“
„Was schlägst du also vor?“, hakte Königin Kreuzblume nach.
„Wir sind schon in die Jahre gekommen. Vielleicht sollten wir unseren jungen Leuten das Zepter übergeben. Ich denke, der Bube des Siegerhauses sollte zusammen mit seiner Angetrauten das erste Königspaar unseres gemeinsamen Reiches werden.“
„Oh, verehrte Freundin“, hofierte Königin Kreuzblume die andere. „So sehe ich das auch. Allerdings war mein Gedanke noch ein wenig solidarischer. Die beiden Jungvermählten, Bube wie Dame, des Gewinners sollen zusammen mit ihren Ehegatten ein Regentenquartett bilden. So ist gewiss, dass niemand allein entscheiden kann, welchen Weg wir in Zukunft gehen wollen.“

Mag sein, dass sich niemand eine Blöße geben wollte, die Gefahr einer Nichtbeteiligung an der Regierungsgewalt zuzugeben, aber schon nach einer kurzen Beratung waren sich alle vier einig, dass der Vorschlag der Königin Kreuzblume allen gerecht werden würde. Lediglich ein Haus würde keine Teilhabe an der Regierung erhalten, egal wer gewinnen würde. Die Chance war also für alle gleich.
„Dann lasst uns heim reisen“, erbat die Königin Herz.
Auch die Königinnen hatten vier gleichlautende Dokumente erstellt, sie mit allen vier Siegeln versehen und kurz darauf die Heimreise angetreten.



Unbekannt

Die Königinnen Kreuzblume und Pike folgten dem Fluss nach Norden, die anderen beiden dem nach Süden. Als sie den Rundweg erreichten, wurden sie von je acht maskierten Räubern empfangen. Diese Masken glichen jenen, die die Brautleute beim Tanzwettbewerb der dritten Hochzeit getragen hatten. Und die einheitlichen Gewänder waren ganz offensichtlich jene, mit denen die Burschen beim Erkennungsspiel der zweiten Hochzeit eingekleidet waren.

Die Reiter drängten die Königinnen zurück ins neutrale Land.
Königin Kreuzblume forderte Antwort: „Wer seid Ihr? Und was wollt Ihr?“
„Euch wird nichts geschehen, edle Damen. Steigt bitte ab.“
Sie befolgten seine Bitte. Dann stieg er selbst ab.
„Was soll das?“, fragte nun auch Königin Pike.
„Ich werde euch nun die Augen verbinden. Seid versichert, es wird euch nichts geschehen.“
„Wozu das Ganze? Wir werden heute Abend im Schloss erwartet.“
„Ihr werdet wohl etwas später heimkehren“, meinte der Räuber süffisant. Währenddessen verband er den Königinnen die Augen. „Und jetzt schweigt.“

Ganz ähnlich lief der Wortwechsel bei den Königinnen Herz und Raute mit ihren Räubern.
„Seid Ihr Abtrünnige?“, fragte Königin Raute.
„Abtrünnig? Ganz im Gegenteil. Wir sind treuer, als manch einer eurer feinen Untertanen.“
„Dann sagt, was Ihr wollt!“, forderte Königin Herz.
„Schweigt!“

Die Reiter führten ihre Gefangenen in ihr Lager im neutralen Land. Ihnen wurde gesagt, dass die Anführer mit den Königinnen sprechen wollten.
„Wer sind denn eure Anführer?“, fragte die Königin Raute.
„Es sind die gleichen, die mit ihrer Magie seinerzeit dafür gesorgt hatten, dass ihr vier den Weg zurück aus diesem Land nicht gefunden hattet.“
„Unsere Asse!“, rief Königin Herz.
„Oh, nein. Die haben euren Königen den Weg gewiesen, wie sie euch wiederfinden würden. Nein. Hier im neutralen Land, wie ihr es nennt, leben die einfachen Leute. Die Zweien, Dreien, Vieren, Fünfen und Sechsen. Und sie werden von uns, da es aus euren Reihen ja niemanden gab, der unsere Existenz anerkennen wollte, mit allem versorgt, was sie zum Leben brauchen.“
„Ihr seid Leute von uns?“
„Gewiss Königin. Ich sage nicht 'meine Königin', denn ich will nicht offenbaren, zu welchem Haus ich gehöre.“
„Von der Existenz dieser Leute wusste ich nichts“, sagte Königin Kreuzblume mit ruhiger Stimme.
„Ich auch nicht!“, rief Königin Raute.
„Seid ihr sicher?“ Der Maskierte hatte Zweifel.
Dann traten plötzlich die drei Anführer in den Raum. Es waren drei Joker. Einer sah aus, wie ein Clown, der zweite mimte einen Wandergesellen, und der dritte war ein Barde.
„Nehmt den hohen Damen die Augenbinden ab!“, befahl der Clown.
Die Räubergesellen gehorchten unverzüglich. Sie sagten fortan kein Wort mehr.

Wieder sehend, sprach die Königin Kreuzblume: „Wer seid ihr?“
„Verzeiht uns diese Art der Kontaktaufnahme“, sagte der Wandergeselle.
„Kontaktaufnahme? Ihr habt euch damit schändlich benommen. Warum seid ihr nicht einfach ins Schloss gekommen?“
„Hätten wir sicher sein dürfen, freien Zugang zu erhalten? Nein. Aber diese sechzehn Kameraden kommen aus euren Königshäusern.“
„Ihr seid Verräter!“, schimpfte die Königin Pike.
„Keineswegs. Sie haben nur für das Wohlergehen für die offenbar unbekannten Bewohner des neutralen Landes gesorgt“, erklärte der Clown. „Ist das ein Verbrechen?“
Die Königinnen schauten sich fragend an.
„Gut“, meinte schließlich die Königin Herz. „Es ist wohl eher lobenswert. Aber der Weg, den ihr gewählt habt, um uns darüber zu informieren, war falsch.“
„Wollt ihr diese sechzehn Kameraden deshalb des Hochverrats beschuldigen?“, fragte der Barde.
„Das wäre gewiss der falsche Weg“, gestand Königin Kreuzblume ein. „Aber weshalb habt ihr uns überhaupt entführt? Was wollt ihr?“
„Betrachtet es bitte nicht als Entführung“, sagte der Clown. „Eher als Einladung.“
„Im Schloss wird es aber wie eine Entführung wirken. Wir werden nicht zum vereinbarten Zeitpunkt zurück sein. Das wird Argwohn hervorbringen. Man wird uns suchen.“
„Verehrte Königin, es sind bereits vier Reiter mit unseren schnellsten Pferden unterwegs zu euren Herren Gemahlen, um ihnen unsere Botschaft zu überbringen.“
„Und ihr seid sicher, dass ihnen das gelingen wird? Eben hattet ihr noch Sorge, den freien Zutritt verwehrt zu bekommen.“
„Es sind Burschen eures eigenen Hofstaates. Natürlich reitet jeder der vier zu seinem Schloss.“
„Und wie soll deren Nachricht unsere Könige beruhigen können?“
„Es wird ihnen die Augen öffnen“, versicherte der Clown.

Etwas später, als vereinbart, aber noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichten die vier Reiter ihre Ziele.
„Mein König, ich habe Nachricht von der Königin.“
König Kreuzblume schaute den Boten an. Es war das Ass. „Warum ist meine Gemahlin noch nicht hier?“
„Sie wird erst morgen kommen. Sie hat die Bewohner des neutralen Landes kennengelernt, möchte mit ihnen reden.“
„Bewohner? Im neutralen Land? Seit wann gibt es dort Bewohner?“
„Schon immer. Sie lebten im Verborgenen, weil ihnen der Zugang in die vier Königreiche offenbar verwehrt worden ist.“
„Das kann ich nicht glauben. Ich habe niemanden zurückgewiesen, der den Wunsch hatte, in meinem Königreich eine Heimat zu finden.“
„Dann ist es gewiss ein Leichtes, sie nun im vereinten Königreich als gleichwertige Untertanen zu akzeptieren.“
„Ist meine Gemahlin freiwillig bei ihnen?“
„Sie wurde, wie auch die drei anderen Königinnen, gebeten, zu bleiben.“
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber der König hatte keine Möglichkeit, es zu überprüfen.
Ganz ähnlich verliefen die Gespräche der anderen Asse mit ihren Königen.

Da die Asse keine Aufgaben im Schloss hatten, waren sie den Königinnen gefolgt, nachdem die Ergebnisse allesamt vorlagen. Niemand hatte davon Notiz genommen. Sie hatten diesen Geheimbund zum Wohle der unbekannten Bewohner ins Leben gerufen.



Eine neue Zeit

„Nun reitet heim, verehrte Königinnen. Je vier unserer Burschen, einer aus jedem Hause, werden euch begleiten. Schließlich soll euch kein Ungemach widerfahren“, verkündete der Clown.
„Die Masken dürften sie aber gerne ablegen“, erbat Königin Kreuzblume.
„Das werden wir gerne tun“, sagte der erste, nahm die Maske ab und verbeugte sich vor seiner Königin.
Die anderen taten es ihm gleich.
„Vertrauen gegen Vertrauen. So ist es fair“, lobte Königin Kreuzblume.
„Eine Bitte noch“, sprach der Clown und reichte den Damen je einen Umschlag. „Nehmt diese Botschaft mit zu euren Königen. Und zwar anstelle eurer versiegelten Briefe, die ihr bei euch führt.“
„Das ist nicht möglich, guter Mann“, reklamierte Königin Herz.
„Was immer ihr beschlossen habt, unsere Botschaft wird einen höheren Wert haben.“
„Beschlossen?“ Königin Raute versuchte, den Clown und seine Genossen zu verunsichern.
„Beschlossen! Ja. Der Sieger eures Hochzeitswettstreits sollte etwas erhalten oder etwas bestimmen dürfen. Richtig? Warum glaubt ihr, wir wüssten nicht davon?“
„Woher wisst ihr davon?“, fragte Königin Pike wütend.
„Na na na, nicht so aufgebracht. Wir wissen es eben. Wir wünschen, dass unsere Botschaft diese Belohnung des Siegerhauses sein soll. Und wir sind sicher, dass es Gefallen finden wird.“
„Fehlte nur noch, dass ihr das Ergebnis kennt, wer gewonnen hat“, meinte Königin Herz.
Der Clown schmunzelte, schaute seine Kameraden an. Dann begannen alle drei zu lachen.
Wortlos zogen sie sich zurück.
Die Königinnen machten sich mit ihren Begleitern auf den Heimweg.

„Wann kommt sie denn endlich?“ König Kreuzblume wirkte ungeduldig.
„Bald“, antwortete das Ass mit stoischer Ruhe.
„Was hat das alles zu bedeuten?“
„Es werden sich ein paar Dinge ändern. Aber davor muss dir nicht bange sein, mein König.“
„Ich verstehe nicht.“
„Warte auf deine Gemahlin. Sie wird dir alles erklären können.“
„Woher weißt du das alles?“
„Ich weiß es eben.“
Es dauerte keine Minute, da vermeldete der Torposten: „Die Königin!“
„Wer sind diese vier Burschen?“
„Das ist der Geleitschutz, mein König“, antwortete das Ass.
„War die Königin in Gefahr?“
„Nein, keineswegs. Habe Vertrauen.“
Der König eilte zu seiner Gemahlin. „Geht es dir gut?“
„Mir geht es gut. Ich habe einen Brief von den Anführern der Bewohner im neutralen Land. Hier, nimm ihn, öffne ihn und lies.“ Sie reichte ihm das Schriftstück.
„Wir haben übrigens gewonnen, Liebes.“
„Oh, tatsächlich? Dann wird dich der Inhalt erst recht erfreuen. Obwohl unsere ursprüngliche Lösung auch nicht schlecht gewesen wäre.“
„Welche ursprüngliche Lösung?“
„Lies.“
Der König öffnete den Umschlag, faltete ihn auseinander und las. Seine Augen wurden immer größer, während er die Worte aufnahm, die dort geschrieben standen.
Wir wünschen uns eine Königin für das gesamte Königreich. Sie sollte unser Vertrauen genießen. Sie sollte souverän und selbstbewusst, aber nicht eigennützig handeln. Sie sollte zu ihrem Wort stehen, das sie gibt. All dies sehen wir vereint in unserer zukünftigen Königin, der Königin Kreuzblume. Aber das ist nur ein Wunsch. Möge der Sieger eures Hochzeitswettstreits die neue Königin stellen.“
„Das ist … Diese Fremden wollen dich zu ihrer Königin küren.“
„Ja, mein König. Aber das wird den anderen gewiss nicht gefallen.“
„Aber wir haben den Wettstreit gewonnen. Also wirst du unser aller Königin!“
„Dann soll es wohl so sein.“
„Sag, was meintest du eben von einem ursprünglichen Vorschlag? Das kann nur euer Beratungsergebnis sein, nicht wahr? Was hattet ihr da beschlossen?“
„Es ist nicht mehr wichtig. Die Bewohner des neutralen Landes wollen zu unserem gemeinsamen Königreich gehören. Sie setzen Vertrauen in mich. Also werde ich Königin. Dennoch werden die anderen Königshäuser davon nicht sehr angetan sein.“
„Weil ihr etwas Anderes vorgesehen hattet, was allen mehr Einfluss brächte, ja?“
„Es ist nicht mehr wichtig. Aber, ja, du kennst mich gut. Es war mein Vorschlag, auf den wir uns geeinigt hatten. Doch die Dinge haben sich geändert.“

Wie Königin Kreuzblume richtig vermutete, war die Stimmung in den anderen drei Königshäusern nicht sehr wohlwollend, denn der Text der Botschaft war überall derselbe.
Drohte nun Ungemach?



Eintracht oder Zwietracht?

Die vier Hochzeiten sollten das bis dahin ohnehin recht freundliche Miteinander festigen. Doch das neutrale Land hatte niemand bedacht. Auch die Asse nicht. Sie hatten geglaubt, alles mit ihrer Magie regeln zu können. Nun wurden sie eines Besseren belehrt.
„Ihr habt wohl geglaubt, ihr seid allmächtig, was?“, klagte König Pike sein Ass an.
„Die Leute im neutralen Land waren niemals eine Bedrohung. Warum denn auch? Sie wollten friedlich unter euch leben. Doch sie wähnten sich nicht willkommen. Das war ein Fehler.“
„Allerdings. Wer nicht fragt, kann auch nicht erhört werden. Stattdessen wollen sie jetzt bestimmen, wer hier regieren soll. Das mache ich nicht mit.“
„Was willst du denn tun? Willst du dich in deinem Schloss einschließen?“
„Das Haus Kreuzblume ist doch jetzt fein raus. Sie sollen über alle herrschen.“
„Sie haben den Wettstreit gewonnen, wenn ich dich daran erinnern darf.“
„Wer sind diese drei Joker, dass sie sich herausnehmen, über uns bestimmen zu wollen?“
„Sie sind voller Magie, mein König. Sie haben mehr Magie, als ich und meine drei Kameraden der anderen Königshäuser.“
„Magie. Magie! Was kann ich damit anfangen? Nichts! Geh und fordere bei König Kreuzblume eine Besprechung mit allen Oberhäuptern und diesen drei Jokern. Los! Geh!“

Ganz ähnlich verliefen die Gespräche im Hause Herz und im Haus Raute. Auch sie schickten ihre Asse los. Und so machten sich diese am nächsten Morgen auf den Weg.

König Kreuzblume jedoch war cleverer. Er hatte noch spät in der Nacht drei Reiter losgeschickt, um den anderen Königspaaren eine Einladung zukommen zu lassen. Ebenso eingeladen waren die frisch vermählten Paare. Ein vierter Reiter suchte die Joker auf, um sie ebenfalls einzuladen.

Kaum dass die Asse der drei unzufriedenen Königshäuser fort waren, trafen schon die Reiter des Hauses Kreuzblume ein. Alle wunderten sich sehr.
„Was tust du hier, Knappe?“, fragte König Pike den Ankömmling.
„Ich überbringe eine Nachricht von König Kreuzblume.“
„Aber ich habe doch gerade mein Ass losgeschickt, das gleiche zu tun.“
„Das war offenbar nicht notwendig. Mein König hat Reiter an alle Parteien geschickt.“
„Das ist unglaublich! Und er will natürlich, dass wir alle zu ihm kommen, ja?“
„Das nehme ich an.“
„Reite zurück und richte deinem König aus, dass wir in drei Tagen kommen werden.“

So erstaunlich das auch war, im Hause Herz ebenso, wie im Hause Raute bekamen die Reiter die gleiche Nachricht für König Kreuzblume mit auf den Heimweg.

Wie König Kreuzblume, so war auch seine Gemahlin in Diplomatie sehr geschickt.
„Ich werde die neue Königin dieses vereinten Reiches, sofern alle mitspielen. Aber ich werde diesen Jokern eine Bedingung stellen. Wie ich schon sagte, hatten wir eine andere Variante ersonnen. An das neutrale Land hatte offenbar niemand gedacht. Denn dieses sollte doch gewiss ebenfalls Teil unseres gemeinsamen Königreiches werden, oder?“
„Oh, selbstverständlich. Aber woher sollten wir ahnen, dass dort Leute leben, von denen niemand Kenntnis hatte? Was sind das für Leute?“
„Das sind einfache Leute, mein König.“
„Das sind die Arbeiter des Hauses Pike im Grunde ebenso. Sie … Ich will jetzt nicht schlecht über sie reden, aber sie sind schon etwas weniger königlich. Sie sind von niedrigerem Stand. Das soll sie jedoch nicht herabstufen. Eigentlich sind wir alle gleich. Deshalb sollen sie auch eine weise Königin bekommen, die über solche banalen und zudem subjektiven Werte erhaben ist.“
„Auch wenn du es jetzt ausgesprochen hast, so weiß ich wohl, dass du nicht so kleinkariert denkst. Für dich sind alle Untertanen mit dir auf einer Stufe.“
„Ich denke, sie haben dich nicht umsonst ausgewählt, meine Liebe. Sie wissen offenbar, dass wir beide dieser Linie der Solidarität treu sind.“

Ganz anders dagegen klangen die Unterhaltungen in den anderen Königshäusern.
So klagte König Pike, dass er glaube, das Haus Kreuzblume hielte sich für etwas Besonderes, dass sie sich bereits mit den Jokern verbündet hätten, ohne dieses preiszugeben. Und als seine Gemahlin ihm die mit den Königinnen besprochene Lösung offenbarte, fühlte er sich in seiner Einschätzung bestärkt. Auch da hätte doch das Haus Pike das Nachsehen gehabt, lamentierte er.
König Raute ereiferte sich darüber, dass er gar nicht verstehen könne, warum das Fest des Hauses Kreuzblume die meisten Stimmen bekommen habe. Daran wäre nun wahrlich nichts Spektakuläres gewesen. Bestimmt hatten schon bei den Abstimmungen diese Joker die Finger im Spiel gehabt.
Lediglich König Herz erinnerte sich seiner Aussage gegenüber König Kreuzblume, dass er diesen vorn sähe. Die Verärgerung in seinem Hause hielt sich daher in Grenzen.



Das Gespräch

Drei Tage später trafen sich alle im Schloss von König Kreuzblume. Das Königspaar begrüßte alle Gäste sehr herzlich, in der Hoffnung, gleich für angenehme Stimmung sorgen zu können.
„Gib dir keine Mühe“, stänkerte König Pike jedoch. „Das ist doch ein abgekartetes Spiel.“
„Ich denke, jeder hatte die gleichen Chancen“, antwortete der Gastgeber. „Wir werden alle Stimmen hören. Und dann werden wir alle gemeinsam entscheiden.“
„Die Entscheidung ist doch schon getroffen, dachte ich.“
„So ganz noch nicht. Wir sind gesprächsbereit. Dann sollten es alle anderen ebenso sein, nicht wahr?“
„Diese Joker wollen über uns bestimmen!“
„Das ist nicht ganz richtig, denke ich“, sagte Königin Kreuzblume. „Sie wollen Teil unserer Gemeinschaft sein. Und sie haben einen Wunsch geäußert. Mehr nicht.“
„Ihr habt ja auch nichts verloren, wenn ihr diesem Wunsch entsprecht.“
„Mein lieber König Pike. Es ist aber nicht das, was wir gewollt hatten. Darüber wollen wir mit den Jokern reden.“
„Meine Gemahlin hat mir erklärt, was ihr beschlossen hattet. Da wären wir ebenso leer ausgegangen. So ist es doch!“
„Das konnten wir nicht vorher erahnen. Wir kannten das Ergebnis der Abstimmung nicht.“
Zu keinem Zeitpunkt war in der Stimme der Königin Kreuzblume die geringste Verärgerung zu vernehmen. Sie sprach besonnen und freundlich. Das beruhigte König Pike schließlich.

Die drei Joker betraten als Letzte den großen Saal.
„Oh, welch illustre Runde“, sagte der Clown.
„Ihr sollt wissen, wer an erster Stelle Interesse an der Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft hat. Dazu gehören zweifellos all unsere Kinder, die kürzlich geheiratet haben, wie ihr wisst“, antwortete die Königin Kreuzblume.
„Das soll uns recht sein, verehrte Königin.“
„Lobt den Tag nicht vor dem Abend. Wir sind hier zusammengekommen, um zu reden. Es gibt einige Dinge, die wir besprechen müssen.“
„Das haben wir, wenn ich ganz ehrlich bin, erwartet. Wir haben nicht damit gerechnet, dass ihr unsere Bitte einfach so annehmen würdet. Wir sind durchaus zu Kompromissen bereit.“
„Dann hätte ich gleich mal eine Frage“, meldete sich König Pike zu Wort. „Warum habt ihr ausgerechnet die Königin Kreuzblume ausgewählt?“
„Lieber König Pike“, antwortete der Wandersmann. „Schon an deiner Stimme erkenne ich, dass du mit Groll sprichst. So sehr du dich auch bemühst, es zu verbergen.“
König Pike lachte, schaute verunsichert in die Runde. „Aber ...“
„Wir haben die Königin Kreuzblume gewählt, weil sie stets souverän und gelassen reagiert. Wer ein Königreich führen will, muss über den Dingen stehen, muss sich für alle gleichermaßen einsetzen, muss Wort halten.“
„Wollt ihr mir unterstellen, dass ich das nicht könnte?“, empörte sich König Pike.
„Ganz gewiss nicht. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass der, der widerspricht, auch von etwas ablenken will.“
Da war er still, schaute seine Gemahlin beleidigt an.

Einen Augenblick war Ruhe. Dann wandte sich der Clown an Königin Kreuzblume. „So, verehrte Königin. Dann erklären Sie uns Ihre Bedingungen.“
Sie schaute ihn erstaunt an. „Oh, das trifft schon recht gut meine Absichten.“
„Das ist uns bewusst. Deshalb bitte ich um Ihr Wort.“
„Nun. Ihr wollt mich zu eurer Königin küren. Das ist mir eine Ehre, die ich gewiss nicht abschlagen kann. Aber ich möchte dies nur genau ein Jahr lang machen. Danach gedenke ich das Zepter an die jungen Leute abzugeben. So war es im Übrigen mit meinen Kolleginnen besprochen.“
„So soll es sein. Nach einem Jahr werden Bube und Dame des Hauses Kreuzblume zusammen mit ihren Ehepartnern Herzdame und Rautebube zum königlichen Quartett. Wir sind damit einverstanden.“
„Woher wissen die, was wir besprochen hatten?“, ereiferte sich Königin Pike. „Wir haben ihnen unsere versiegelten Briefe nicht übergeben. Das ist ein abgekartetes Spiel!“
„Liebe Königin Pike“, sprach der Wandergeselle. „Nimm es so hin. Wir wissen es eben. Wir wissen sehr viel mehr, als ihr alle ahnt.“
„Ich bin sehr überrascht, dass es von euch keine Widerrede gegen meinen Vorschlag gibt. Habt ihr das alles vorher gewusst?“, hakte Königin Kreuzblume nach.
„Sicher.“
„Wenn ihr doch alles wisst, warum habt ihr dann damals zugelassen, dass unsere Königinnen in eurem Land, welches wir neutrales Land nannten, unauffindbar blieben?“, klagte König Herz.
„Dafür haben wir leider keine Erklärung. Es ist unseren magischen Sinnen offenbar entgangen. Das tut uns sehr leid“, versicherte der Barde.
„Papperlapapp!“, rief König Pike entrüstet. „Das Eine wisst ihr, das Andere nicht. Das ist doch lächerlich!“
"So lächerlich ist das nicht“, mischte sich das Herz-Ass ein. „Ich und meine drei Kollegen, ja, wir sind dafür verantwortlich. Wir haben die Magie der Joker erkannt, sie deshalb unterdrückt. Schließlich sollte die Suche nach den Königinnen eine lehrreiche Prüfung sein.“
„Diese Prüfung hat zwanzig Jahre unseres Lebens gekostet!“, schimpfte König Raute.
„Wir haben zwanzig Jahre benötigt, um weise zu werden, mein Freund“, antwortete König Kreuzblume.
„Schlag dich noch auf die Seite dieser Fremden!“, raunte König Pike. „Warum haben sie sich nicht viel früher zu erkennen gegeben?“
„Weil wir es verhindert haben“, offenbarte das Ass aus dem Hause Pike.
„Warum?“
„Weil ihr nicht bereit wart, an die Magie zu glauben. Ihr habt erst nach so langer Zeit erkannt, welcher der einzig richtige Weg war, um die Königinnen zu finden. So einfach ist das. Vorher hättet ihr die Joker nicht akzeptiert. Sie und ihre Mitbewohner im neutralen Land.“
„Das konntet ihr doch nicht wirklich wissen, oder?“, äußerte König Kreuzblume Zweifel.
„Nur einer von euch Vieren war Neuem immer aufgeschlossen. Aber das genügte uns nicht“, sagte der Clown.
„Wen willst du mit dieser Äußerung nun in den Himmel heben?“
„Dich gewiss nicht, König Pike! Denn wenn du es fragst, bist du gewiss nicht in der Lage, es dir auf die Fahne zu schreiben.“
„Ihr wollt nur Zwietracht sähen und über uns bestimmen!“ König Pike war nicht mehr zu bremsen. „So oder so sind wir außen vor. Das habt ihr alle doch gewollt.“ Er ergriff seine Gemahlin an der Hand. „Komm, wir gehen!“
„Du denkst nur an deine eigenen Interessen“, warf ihm König Raute vor.
„Wer so denkt, ist nicht bereit für Veränderungen“, fügte der Clown hinzu.
Königin Kreuzblume erhob sich, stellte sich dem Königspaar Pike in den Weg. „Seid nicht so stur. Sind wir nicht seit ein paar Tagen eine große Familie? Wir alle? Was bedeutet da schon ein Amt? Niemand wird hier zurückgesetzt. Wir sind alle gleich. Alle.“ Dabei wandte sie sich mit dem Blick an jeden Einzelnen an diesem großen Tisch.

Einen Augenblick herrschte Stille. Alle schauten sich an und nickten einander schließlich wohlwollend zu, bevor sie ihren Blick auf das Königspaar Pike richteten. Sie alle starrten die beiden regelrecht an. Sogar ihre eigenen Kinder.



Friedliche Einigung

Das Königshaus Kreuzblume hatte natürlich auch für das leibliche Wohl seiner Gäste gesorgt. Und so war die Unterbrechung zum Essen genau zur rechten Zeit erfolgt, um die Gemüter zu beruhigen.
Im Anschluss erklärten die Joker noch einmal eindringlich, dass sie keinerlei Machtansprüche hätten, sondern lediglich den Wunsch, eine souveräne Königin als die eigene anerkennen zu können. Sie wollten, wie sie die Formulierung der Königin Kreuzblume erneut bekräftigten, Teil der großen Familie sein, um in Frieden und Wohlstand leben zu können.
Trotz des unübersehbaren Argwohns des Hauses Pike einigten sich schließlich alle auf den von Königin Kreuzblume vorgetragenen Vorschlag.
Um allen zu zeigen, dass die Bewohner des neutralen Landes, welches es in dieser Form ab sofort nicht mehr gab, weil alle fünf bisherigen Territorien nun zu einem einzigen verschmolzen, kündigten die Joker ein großes Fest an. Bei diesem sollte die Königin gekürt werden.

Zwei Wochen später strömten die Bewohner aller Königreiche ins ehemalige neutrale Land. Und sie staunten nicht schlecht, welch blühenden Landschaften sie dort vorfanden. Diejenigen, die schon im neutralen Land gewesen waren, wunderten sich über die neuen Wege, die bisher unbekannt schienen. Diese führten nun auch über die Berge, zudem nicht so beschwerlich, wie es zu erwarten gewesen wäre, eröffneten so ganz neue Horizonte. Erstaunlicherweise aus allen vier Himmelsrichtungen. Hinter diesen Bergen erstreckte sich ein weites Land mit Wäldern, Wiesen und kleinen Seen. Das Land war sehr viel größer, als man es vermutet hatte. Das lag allerdings auch daran, dass niemand diese Berge bisher bezwungen hatte. Es waren nur die verschlungenen Wege in den Berg hinein bekannt. Und doch fragten sich alle, die sich hier schon begegnet waren, wie es sein konnte, dass das Land hinter den Bergen sehr viel weitläufiger war, als die unterirdischen Wege bis zur Begegnungshalle es vermuten ließen. Dort, wo vor wenigen Monaten alle Vermissten der vergangenen zwanzig Jahre entdeckt worden waren.
Man schrieb es schließlich der Magie zu, die die Joker umgeben sollte.

Am Horizont - dieser Blick war aus allen vier Himmelsrichtungen gleich – sichteten die Gäste schließlich eine Stadt. Dort befand sich im Zentrum ein sehr großes Fachwerkgebäude. Dieses sollte der Ort der Feier sein.
Welch Überraschung! Dieses Gebäude war innen noch sehr viel größer, als es von außen wirkte. Wieder musste die Magie dafür herhalten, eine solche Wahrnehmung zu ermöglichen. Auf jeden Fall fanden alle Gäste mühelos Platz in dieser riesigen Halle.
Als dann die Joker mit ein paar schlichten Handbewegungen eine Wand etwa zur Hälfte öffneten, bekamen die Besucher einen kirchenähnlichen Raum zu sehen. Dort sollte die Zeremonie für die neue Königin stattfinden.
Nun waren auch die letzten Skeptiker überzeugt, dass die Joker mehr Macht besaßen, als sich irgendjemand vorstellen konnte, dass sie diese Macht aber ausschließlich für das Wohl aller einsetzten.

Die Zeremonie war ein faszinierendes Schauspiel. Alle, wirklich alle waren hellauf begeistert.
Als schließlich der feierliche Moment kam, wo die Königin die Krone auf ihr Haupt gesetzt bekommen sollte, da gab es indes eine große Überraschung. Die Eltern von Königin Kreuzblume traten vor ihre Tochter. Sie hatten sich lange nicht mehr gesehen, weil die Eltern viel auf Reisen waren.
„Mama! Papa!“
„Ja, mein Kind“, sagte die Mutter. „Wir sind heute natürlich hier, weil wir dir ein lange gehütetes Geheimnis verraten wollen. Alle sollen es wissen. Unser Kind kehrt zurück zu seinen ursprünglichen Wurzeln.“
„Was?“
„Dein lieber Gemahl, König Kreuzblume, hatte uns damals aufgenommen. Da war er noch nicht König, sondern sein Vater. Er hatte ein gutes Wort bei seinem Vater eingelegt, denn er hatte sich auf der Stelle in dich verliebt.“
„So wurden wir in den Adelsstand erhoben“, ergänzte der Vater.
König Kreuzblume trat näher. „Ja, meine Liebe. Mein Vater war ein kluger Mann. Aber all dies war seine letzte gute Tat, der viele andere vorausgingen. Wie du weißt, kamen meine Eltern von einer Reise nicht mehr heim. Da wurde ich König und machte dich zu meiner Königin.“
„Wir waren einst selbst einfache Leute des neutralen Landes“, fügte die Mutter hinzu. „Nun bist du unser aller Königin. Du kannst stolz sein.“
Die Königin strahlte.

Das Fest dauerte die gesamte Nacht. Es wurden viele neue Freundschaften und gewiss auch neue Liebschaften geschlossen. Der gesellschaftliche Stand wurde dabei völlig außer Acht gelassen. Schließlich war es das ausdrückliche Credo der neuen Königin: alle sind gleich.
So genoss auch sie das Bad in der Menge, gönnte sich selbst jene Freiheiten, die sie allen ebenso zugestehen wollte.
Erst im Laufe des folgenden Tages machten sich die Gäste nach und nach auf den Heimweg. Ein neues Lebensgefühl erfüllte alle, die Bewohner des ehemals neutralen Landes ohnehin, aber auch die Untertanen der ehemaligen Königshäuser, wie die Bewohner der Schlösser selbst, ausnahmslos. Ein neues Zeitalter hatte begonnen.

Wochen und Monate vergingen. Die Bewohner des gesamten Reiches nutzten die Freiheiten, die sie nun hatten, besuchten häufiger ihre neuen Freunde, wo immer diese auch beheimatet waren.
Das erste Jahr der Königin neigte sich dem Ende.
Einige, sich vor der Vereinigung des Reiches völlig fremde Leute hatten zueinander gefunden und freuten sich bereits über die Früchte ihrer Liebe.
Zum Ende des Jahres rief die Königin ihre Kinder und deren Ehepartner zu sich, um die Übergabe zu organisieren. So, wie es geplant war.
„Ich werde euch in der nächsten Zeit immer zur Seite stehen. Aber ich nehme auch gerne mal die Kinder“, sagte sie mit einem Schmunzeln.
Beide Familien hatten inzwischen Nachwuchs bekommen. Dieses Ansinnen hatten selbstverständlich auch die Königinnen Herz und Raute, wo die Kinder ebenso gern gesehen waren.

Die Königin führte die zukünftigen Regenten in alle Geschäfte ein, die dieser Posten mit sich brachte. Sie zog sich im folgenden Jahr mehr und mehr zurück und überließ den jungen Leuten die Arbeit ganz allein. Sie hatte sich vergewissert, dass sie diese sehr gut machten.

In den Folgejahren gab es zwar nach wie vor vier Schlösser, die vielen kleinen Dörfer im Umland und die Stadt im ehemals neutralen Land, aber die Leute zogen umher und ließen sich dort nieder, wo es ihnen gefiel. Die strengen Stände von einst gab es nicht mehr. Vielmehr war es so, dass die Reichen den Ärmeren durchaus behilflich waren, um ein würdiges Leben führen zu können.
Was für eine wundervolle Welt ...


ENDE
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo flammarion,

vielen Dank für die Sternchen. Ich hoffe, ich kann Deinem Urteil weiterhin gerecht werden, denn nun ist die 2. Hochzeit hinzugefügt.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Eine interessante Fortsetzung des Märchens über die Spielkarten. Meiner Meinung nach schlummert noch einiges an Potential in dieser Geschichte, genau wie im ersten Teil. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
 
Hallo Isabeau de Navarre,

und ich dachte schon, die Geschichte dümpelt jetzt so dahin, ohne viel Beachtung zu erlangen.
Ja, es kommen noch mindestens zwei Episoden dran.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Auf den ersten Blick gefällt mir die letzte Hochzeit am besten, aber die Geschichte als Ganzes scheint mir noch nicht zu Ende erzählt zu sein. Ich werde noch etwas mit meinem abschließenden Urteil warten.
 
Hallo Isabeau,

es kommen noch zwei bis vier weitere Kapitel. Ich arbeite an einem vernünftigen Ende.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Ich muss zugeben, dass ich es noch nie gemocht habe, auf eine Fortsetzung zu warten, weil ich viel zu ungeduldig bin. Die Geschichte entwickelt sich ganz gut, aber - meiner Meinung nach - steckt noch viel Potential in ihr. Zurzeit sehe ich in ihr erst einen Schössling, der aber zu einem stattlichen Baum wachsen kann, wenn er gehegt und gepflegt wird. Ungeduldig warte ich auf die Fortsetzung.
 
Hallo Isabeau,

dann werde ich Deine Geduld nicht unnötig strapazieren. Das nächste Kapitel "Unbekannt" ist eingestellt. Es kommen aber noch einige nach. Vielleicht werde ich sie dann alle zwei Tage nachreichen, damit Du nicht so lange warten musst.

Liebe Grüße,
Rainer Zufall
 
Hach, das mal jemand nachsichtig gegenüber meiner Ungeduld ist. Welche Wohltat! Und welch verschlungene Wege diese Geschichte nimmt, mit vielen Kurven und Biegungen, sodass wir (arme) Leser nicht imstande sind, weit nach vorn zu blicken. Ich hoffe, dass dieser Schössling gut gehegt wird.
 



 
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