Ein Papierhaufen von Wien - Teil 5

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Oma stand auf und holte Taschentücher aus dem Schrank.

Auf ihren Homevisitor verzichtete sie oft ganz bewusst, sie liebte es, sich selbst zu bewegen.
„Mich hat aber keiner gefragt!“ Trotzig nahm Meike ein dargebotenes Taschentuch.
„Ja, ich weiß, Meike. Leider neigt der Mensch nicht dazu, andere Menschen neidlos leben zu lassen, wie sie das wollen. Irgendwann weiß immer irgendwer besser als alle anderen, wie die anderen leben sollen. Und wenn er über genügend Macht verfügt, kann er genau diese Vorstellungen durchsetzen. Wir haben den Menschen keine Zeit gelassen, in die neue Weltordnung zu wachsen. Sanfter Zwang nannten wir es damals. Heute weiß ich, dass es nicht sanft war.“ Oma legte ihre warme Hand an ihre Wange, ihre Hand fühlte sich an wie Pergamentpapier. Meike tröstete diese Hand, sie lehnte sich dagegen.
„Irgendwie ist es eigenartig, nicht wahr? Was Jahrhunderte für die Frauen okay war, nämlich das Männer schwer für die Familie in Bergwerken und in der Stahlindustrie schufteten und ihre Lohntüten nach mehr als 60 Stunden in der Woche nach hause trugen, daran zerbrechen die Frauen jetzt schon in der ersten Generation – und das ganz ohne harte körperliche Arbeit.“
Ruckartig wand sich Meike von der Hand ab, als hätte sie sie gebissen. „Willst du damit sagen, ich soll mich einfach fügen? Fügen? Mitmachen bei diesem Wahnsinn? Ist nicht viel mehr das ganze System kaputt? Alles nur hinnehmen? Ist das die Weisheit deines Alters?“, Meike peitschte die Worte um sich und sah kaum, ob dabei etwas zu Bruch ging. Sie stand bereits mit den Armen in der Hüfte, bereit einen Zweikampf anzutreten.

„Meike, vielleicht wäre es das Richtige. Vielleicht auch nicht. Die Welt ist groß, bunt, lebendig und vielseitig“, sie lächelte Meike mit ihren dritten Zähnen an und nahm sie an die Hand und fuhr fort: „Ich möchte dir was zeigen. Ich habe es schon so lange aufgehoben.“
Sie zog sie hinter sich her in den Schlafraum und öffnete ihren privaten Schrank. In vielen Familien wurde er selbst nach dem Ableben nicht von einer anderen Person geöffnet und oft sogar mit dem Leichnam verbrannt. Meike war diese Situation etwas unangenehm, so dass sie sich gegen den Eifer und den Sog ihrer Oma entziehen wollte.
„Oma, ist okay. Belassen wir es dabei, ich werde über deine Worte nachdenken“, dabei war sie bemüht, nicht in den Schrank zu sehen.
„Quatsch. Meikichen, das ist bloß ein Schrank mit viel zu viel altem Plunder. Komm her. Ich will dir die hier zeigen. Holst du mir die Kiste raus?“
Sie reagierte eher unwillig. Bislang hat sie nur in den privaten Schrank ihrer Mutter und ihrer Mitlebensgenossin geschaut. Jeder private Schrank war anders. Alle Geheimnisse wurden dort gesammelt, alles, was den Frauen wichtig war. Manche wollten nicht, dass jemand anders sehen konnte, welches Parfum man auflegte, welche Unterwäsche man trug und von welchem Mann man Erinnerungsstücke an vergangene Nächte aufbewahrte. Manche Frauen und Männer hatten auch besondere Leidenschaften, die sie nicht offenbaren wollten und mit ihrer Sexualität zusammenhingen. In ihrem Schrank war nicht viel, bislang hatte sie nur mit dem Schrank gespielt.
„Meike, komm schon, sei nicht albern. Dies ist wirklich nur ein Schrank!“
„Aber es ist dein privater.“
„Die anderen sind schon voll, deswegen. Mensch, Meike, du bist meine Enkelin, also komm jetzt endlich.“
Widerwillig riskierte sie einen Blick in das tosende Durcheinander von Büchern, Kleidungsstücken, kleinen und großen Schachteln, Fotos und allerlei Krimskrams. Sogar einen Wecker entdeckten ihre neugierigen Augen.
„Na, also. Guck, da unten ist eine alte Holzkiste. Sicher schon einige Holzwürmer drin. Kannst du die mal rausholen?“
Meike bückte sich schwerfällig und kramte die Kiste hervor. Erleichtert bemerkte Meike, dass sie von weiterem Begutachten des Schrankinhaltes Abstand nahmen. Meike hievte die Kiste auf den Tisch im Schlafraum, Oma öffnete sie und trat einen Schritt zurück.
„Schon seit Jahren hab ich darauf gewartet, diese Kiste dir zu geben. Ich glaube, du kannst sie vielleicht brauchen“, sagte sie lächelnd wie ein alter Berberteppich.
In der Kiste lagen stapelweise alte staubige und gefaltete Papiere mit Namen obenauf.
„Was ist das denn?“
„Straßenkarten!“
„Aha!“
„Straßenkarten benötigt man, wenn man sie irgendwo nicht auskennt und dort bewegen möchte. Navigatoren haben diese Straßenkarten auch im Computer.
„Du meinst, ich brauche die alten Dinger.“
„Nun, wahrscheinlich ändern sich die Wege manchmal ein bisschen, aber letztlich werden sie dir noch immer die Richtung weisen können.“
„Oma, was denn für eine Richtung?“
„In ein anderes Land mit anderen Regeln zum Beispiel.“
„Du meinst, ich soll fliehen?“
„Nein, ich meine, dass man manchmal die Dinge im Großen und Ganzen nicht ändern kann. Vielleicht aber im Kleinen. Vielleicht gibt es manchmal Umwege, die man dennoch ablaufen sollte. Manche dauern dann auch schon mal zwei oder drei oder vier Jahre.“ Oma lächelte verschmitzt.
Meike verstand, worauf ihre Oma hinaus wollte. Sicherlich eine interessante Option, aber alleine?
„Also die Karte?“, zerriss Niklas ungeduldig ihre Erinnerung an das Gespräch. Ihr erschien ein anderes Land so unwirklich wie Avalon.
„Was willst du denn wissen?“
„Was zeigte die Karte?“
„Straßen von Wien!“
„Was für ein Wien?“
„Ich glaube es war ein Land vor der Wende, das wohl in der Nähe der deutschen Grenze gelegen haben muss.“
„Wow. Und was willst du damit?“
„Nichts mehr, sie ist ja zerfallen.“
„Meike“, er sprang auf und kreuzte den Raum.
„Früher haben sie solche Karten zum navigieren benutzt. Und ich wollte sie sehen. Ich war neugierig.“
„Warum ist sie hier!“
Meike blickte in sein vor Furcht und Aufregung glühendes Gesicht. Seine Augen waren aufgerissen und sahen sie flehentlich an.
 

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Korrekturvorschläge:

Ein Papierhaufen von Wien - Teil 5
Veröffentlicht von ScarlettMirro am 11. 09. 2006 21:18
Oma stand auf und holte Taschentücher aus dem Schrank.

Auf ihren Homevisitor verzichtete sie oft ganz bewusst, sie liebte es, sich selbst zu bewegen.
„Mich hat aber keiner gefragt!“ Trotzig nahm Meike ein dargebotenes Taschentuch.
„Ja, ich weiß, Meike. Leider neigt der Mensch nicht dazu, andere Menschen neidlos leben zu lassen, wie sie das wollen. Irgendwann weiß immer irgendwer besser als alle anderen, wie die anderen leben sollen. Und wenn er über genügend Macht verfügt, kann er genau diese Vorstellungen durchsetzen. Wir haben den Menschen keine Zeit gelassen, in die neue Weltordnung zu wachsen. Sanfter Zwang nannten wir es damals. Heute weiß ich, dass es nicht sanft war.“ Oma legte ihre warme Hand an ihre Wange, ihre Hand fühlte sich an wie Pergamentpapier. Meike tröstete diese Hand, sie lehnte sich dagegen.
„Irgendwie ist es eigenartig, nicht wahr? Was Jahrhunderte für die Frauen okay war, nämlich [red] das [/red] (dass) Männer schwer für die Familie in Bergwerken und in der Stahlindustrie schufteten und ihre Lohntüten nach mehr als 60 Stunden in der Woche nach [red] hause [/red] (Hause) trugen, daran zerbrechen die Frauen jetzt schon in der ersten Generation – und das ganz ohne harte körperliche Arbeit.“
Ruckartig [blue] wand [/blue] (wendete) sich Meike von der Hand ab, als hätte sie sie gebissen. „Willst du damit sagen, ich soll mich einfach fügen? Fügen? Mitmachen bei diesem Wahnsinn? Ist nicht viel mehr das ganze System kaputt? Alles nur hinnehmen? Ist das die Weisheit deines Alters?“,(kein Komma) Meike peitschte die Worte um sich und sah kaum, ob dabei etwas zu Bruch ging. Sie stand bereits mit den Armen in der Hüfte, bereit(Komma) einen Zweikampf anzutreten.

„Meike, vielleicht wäre es das Richtige. Vielleicht auch nicht. Die Welt ist groß, bunt, lebendig und vielseitig“,(Punkt und groß weiter) sie lächelte Meike mit ihren dritten Zähnen an [blue] und [/blue] (Komma) nahm sie an die Hand und fuhr fort: „Ich möchte dir was zeigen. Ich habe es schon so lange aufgehoben.“
Sie zog sie hinter sich her in den Schlafraum und öffnete ihren privaten Schrank. In vielen Familien wurde er selbst nach dem Ableben nicht von einer anderen Person geöffnet und oft sogar mit dem Leichnam verbrannt. Meike war diese Situation etwas unangenehm, so dass sie sich[blue] gegen den Eifer und den Sog ihrer Oma entziehen wollte[/blue] (gegen den Eifer stemmte und sich dem Sog ihrer Oma – aber auch das haut sprachlich nicht hin, lass dir was einfallen) .
„Oma, ist okay. Belassen wir es dabei, ich werde über deine Worte nachdenken“,(Punkt und groß weiter) dabei war sie bemüht, nicht in den Schrank zu sehen.
„Quatsch. Meikichen, das ist bloß ein Schrank mit viel zu viel altem Plunder. Komm her. Ich will dir die hier zeigen. Holst du mir die Kiste raus?“
Sie reagierte eher unwillig. Bislang hat sie nur in den privaten Schrank ihrer Mutter und ihrer Mitlebensgenossin geschaut. Jeder private Schrank war anders. Alle Geheimnisse wurden dort gesammelt, alles, was den Frauen wichtig war. Manche wollten nicht, dass jemand anders sehen konnte, welches Parfum man auflegte, welche Unterwäsche man trug und von welchem Mann man Erinnerungsstücke an vergangene Nächte aufbewahrte. Manche Frauen und Männer hatten auch besondere Leidenschaften, die sie nicht offenbaren wollten und mit ihrer Sexualität zusammenhingen. In ihrem Schrank war nicht viel, bislang hatte sie nur mit dem Schrank gespielt. (die sache mit den schränken gefällt mir super gut)
„Meike, komm schon, sei nicht albern. Dies ist wirklich nur ein Schrank!“
„Aber es ist dein privater.“
„Die anderen sind schon voll, deswegen. Mensch, Meike, du bist meine Enkelin, also komm jetzt endlich.“
Widerwillig riskierte sie einen Blick in das [blue] tosende [/blue] (tosend ist beweglich. Saust in dem schrank wirklich alles durcheinander? Vielleicht unglaubliches Durcheinander besser) Durcheinander von Büchern, Kleidungsstücken, kleinen und großen Schachteln, Fotos und allerlei Krimskrams. Sogar einen Wecker entdeckten ihre neugierigen Augen.
„Na, also. Guck, da unten ist eine alte Holzkiste. Sicher schon einige Holzwürmer drin. Kannst du die mal rausholen?“
Meike bückte sich schwerfällig und kramte die Kiste hervor. Erleichtert bemerkte Meike, dass sie von weiterem Begutachten des Schrankinhaltes Abstand nahmen. Meike hievte die Kiste auf den Tisch im Schlafraum, Oma öffnete sie und trat einen Schritt zurück.
„Schon seit Jahren hab ich darauf gewartet, diese Kiste dir zu geben. Ich glaube, du kannst sie vielleicht brauchen“, sagte sie lächelnd wie ein alter Berberteppich.(herrlich!)
In der Kiste lagen stapelweise alte staubige und gefaltete Papiere mit Namen obenauf.
„Was ist das denn?“
„Straßenkarten!“
„Aha!“
„Straßenkarten benötigt man, wenn man [red] sie [/red] (sich) irgendwo nicht auskennt und dort bewegen möchte. Navigatoren haben diese Straßenkarten auch im Computer.(Anführungszeichen)
„Du meinst, ich brauche die alten Dinger.“
„Nun, wahrscheinlich ändern sich die Wege manchmal ein bisschen, aber letztlich werden sie dir noch immer die Richtung weisen können.“
„Oma, was denn für eine Richtung?“
„In ein anderes Land mit anderen Regeln zum Beispiel.“
„Du meinst, ich soll fliehen?“
„Nein, ich meine, dass man manchmal die Dinge im Großen und Ganzen nicht ändern kann. Vielleicht aber im Kleinen. Vielleicht gibt es manchmal Umwege, die man dennoch ablaufen sollte. Manche dauern dann auch schon mal zwei oder drei oder vier Jahre.“ Oma lächelte verschmitzt.
Meike verstand, worauf ihre Oma hinaus wollte. Sicherlich eine interessante Option, aber alleine?
„Also die Karte?“, zerriss Niklas ungeduldig ihre Erinnerung an das Gespräch. Ihr erschien ein anderes Land so unwirklich wie Avalon.
„Was willst du denn wissen?“
„Was zeigte die Karte?“
„Straßen von Wien!“
„Was für ein Wien?“
„Ich glaube(Komma) es war ein Land vor der Wende, das wohl in der Nähe der deutschen Grenze gelegen haben muss.“
„Wow. Und was willst du damit?“
„Nichts mehr, sie ist ja zerfallen.“
„Meike“, er sprang auf und kreuzte den Raum.
„Früher haben sie solche Karten zum [red] navigieren [/red] (Navigieren) benutzt. Und ich wollte sie sehen. Ich war neugierig.“
„Warum ist sie hier!(setz bitte ein Fragezeichen vor das Ausrufezeichen, das offenbart die verwirrung des jungen mannes)“
Meike blickte in sein vor Furcht und Aufregung glühendes Gesicht. Seine Augen waren aufgerissen und sahen sie flehentlich an.


lg
 



 
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