Ein Pfingstwunder

sufnus

Mitglied
Ein Pfingstwunder

Sprichst, Herz, Du heut in Zungen?
Auf, auf, paarweises Lungen-
geflügel, zu den Zielen
der höheren Natur!
Schlecht lebt sich's nur vom Fühlen,
schlecht auch vom Brote nur.

Heut will ich Dich umgarnen,
Du letztes Wörtchen mein!
Da hilft kein taubes Warnen
und auch kein "bin allein".

Wir lassen Zungen züngeln
beim Ineinanderklüngeln,
beim Beieinanderspielen:
Das Herz auf weiter Flur
folgt im Gewühl der Vielen
als Spürhund Deiner Spur!
 

gitano

Mitglied
Hallo sufnus,
nach einem Beitrag von Dir unter einer meiner Texte wollte ich nun schauen was und wie Du schreibst - und nun werden mir einige Deiner Anmerkungen zu meinem Text nochmal deutlich klarer...
Meine Anmerkungen zu diesem Deinen Text - sind eben nur meine Eindrücke...
Dies stelle ich mal voran um Mistverständnisse zu begegnen:

Was schon nach dem ersten Lesen auffällt ist der Sprachstil:
barocker Rückgriff, mit Abostrophierungen, Wortverkürzungen Redewendungen die wir in unserem heutigen Sprachgebrauch fast nie antreffen.
In heutiger Zeit mutet dieser Rückgriff etwas aus der Zeit gefallen an und lässt auf Grund dieser Nachahmung kaum Rückschlüsse auf eine eigene poetische Sprache zu.
Und es gibt noch eine zweite Wirkung auf mich:
Obwohl es ja ein Anliegen des Textes zu sein scheint, emotionale Momente zu erörtern, wirken die gewählten Formulierungen doch sehr "rational - abgestimmt" zurückhaltend. Mancher würde gar das Adjektiv "verkopft" benutzen. Insbesondere in S1 und S2 - in S3 deutlich weniger . All dies im 21. Jahrhundert...
Der insbesondere in S3 beabsichtigte Humorvolle Blick mag bei mir nicht recht zünden - die Redewendungen nehmen zuviel an Direktheit und Spontanität für einen affektiv zündenden Spaß zurück. Wer Freude an bürgerlich-bidermeier_/barock beschnittenden Formulierungen hat, kann dort wesentlich mehr Vergnügen finden.

S1 und S3 sind im Reimschema gleich ...und auch in dieser Hinsicht zeigt sich das barock anmutende Sprachkonzept in mir befremdlicher Art, weil Wortstellungen im Satz verkehrt werden um Reime zu erzielen (ein häufiges Mittel der damaligen Zeit) - was viel Spontanität -aus heutiger zeit gesehen- zum Stutzen und Irritation werden lässt. z.B. in S1 Z6 , S2 Z2
Ebenso kenne ich die vorausahnenden gedacht wörtliche Rede (S2 Z4) aus vielen Gedichten aus Barock und Romantik
Etwas -vielleicht auch ungewollt- elitär liest sich für mich doch in S1 Z3/Z4, im Zusammenhang mit den fortwährenden sehr "gemessenen" inhaltlichen Äußerungen...Der Zeit des Sprachstils entsprechend wird nebenher auch transportiert (Haltung des LyrICH) dass hier das "Bildungsbürgertum" am Wirken ist - und dies auch zeigen mag.

Inhaltlich - zu Pfingsten - ( das Fest der Aussendung des heiligen Geistes, der Kirchengründung und der Erneuerung des Bündnisses mit Gott) sicher eine schöne Anlehnung der erörterten Begebenheit. Inhaltlich finde ich keine neue Idee / Betrachtung auf das Thema No.1...Zur Ehrenrettung möchte ich aber auch ganz klar anmerken, die Sichtweise liegt eben bei jedem Autor selbst - etwas Objektives gibt es da wohl kaum.

Zur Textform bitte ich fehlende Einlassungen zu entschuldigen, ich erkenne zwar die Regelmäßigkeit/Reimschema - mir wird allerdings eine Korrespondenz mit dem Inhalt nicht so recht klar....gibt es da eine?

Mein Fazit ist:
Sprachstilistisch und und der Wahl lyrischer Mittel haben wir anscheinend grundsätzlich verschiedene Auffassungen und von daher auch an sehr verschiedenen Gegenstandbehandlungen (Methode/Konzept) Freude. Für mich persönlich käme ein derart sprachstilitischer Text bestenfalls als Ironie/Persiflage in Frage, da ich ihn für das 21.Jahrhundert in Sachen Lyrik / Lyriksprache nur als Rückgriff in zweiter Qualität ohne persönliche lyrische Prägung halte. Nach meiner Auffassung möchte ich meine Inhalte mit meinen dazu nötigen Sprachideen - eigenen Annäherungen - auf der Spur sein.
Positiv als Erkenntnis bleibt aber: Ich verstehe Deine getippten Einlassungen auf meinen und andere Texte jetzt besser

Grüße & Winke
gitano
 

sufnus

Mitglied
Hey gitano!
Lieben Dank für Deine umfangreiche Exegese! ;)
Dabei ist das (Memo an mich selbst) ja mit der Eigen- und Fremdwahrnehmung immer ein delikates Terrain - diese Captatio prudentiae vor Augen glaube ich doch, dass Du mit einer Verortung unter den disparaten Stichpunkten Biedermeier/bürgerliche Lyrik & Barock, sowohl was dieses Gedicht im Besonderen als auch was meine sonstigen Ergüsse betrifft relativ weit daneben liegst.
Bei der bürgerlichen (postromantischen) Lyrik des 19. Jh. fällt mir grad fast gar kein sinniger Anknüpfungspunkt ein - womöglich gewisse Vorlieben für Artifiziellvolkstümliches (was aber für die bürgerliche Lyrik m. E. kein wirklich alleinstellendes Charkatermerkmal darstellt). Und bei den alten Barockern... ? Hm... vielleicht die Diesseitsfreude einiger Vertreter*innen? Ein gewisses Gefallen an sprachlicher Extraverspieltheit? Irgendwie wird auch da in meiner Selbstwahrnehmung keine treffende poetologische Beschreibung draus. :)
Vergnügte Grüße!
S.
 



 
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