Ein schlechter Freund

Wintersonne

Mitglied
Wir stehen in einem Kreuzverhör, der Angeklagte, wie er sich selbst zu nennen pflegt „schlechter Freund“, sowie sein Gegner, er selbst, schauen sich wie durch einen Spiegel tief in die Augen.

Der schlechte Freund seufzt, er zögert, er hat sich lange auf diesen Moment vorbereitet, und die geistlichen Trainingseinheiten sollten sich am heutigen Tage auszahlen. Der Gerichtsschreiber tippt lautstark jedes Wort, jede Pause, jede gedankliche Sekunde mit, ein Tippen erfüllt den gesamten Raum, den es als solchen nicht einmal gibt. Er spricht, es tippt und der wiederkehrende Ablauf dieser einprägenden Melodie versetzt uns in eine schlafähnliche Trance – trotzdem versuchen wir zuzuhören, der schlechte Freund hat das Recht sich zu erklären:

Diese Gerichtsverhandlung, so schreibt es die kleine Maschine mit, handelt von einem schlechten Freund, der erzählt, wie es zu seiner Misere kam, ebenso wie es auch der Teufel gegenüber Gott tuen würde – denn der hat auch nie etwas Falsches getan. Ein Räuspern

Ich hatte einst viele Freunde, dann hatte ich wieder wenige Freunde, enge Freunde, entfernte Freunde, gute Bekannte und weniger gute Bekannte. Wie eine ewige Sinuskurve (die nur über der X-Achse verlief) schlängelte sich mein Freundesbestand nur so dahin. Ich fand es nie schlimm, dass einzig schlimme daran war der gesellschaftliche Druck beliebt zu sein, die weiße Weste immer rein und im Notfall immer jemanden zu haben – doch wann setzt dieser Notfall dann schon ein. Bekannte hat man immer, die sammelt man wie Postkarten aus allen Orten von aller Welt, die sammelt man wie Bienen den Honig, wie Bänker das Geld. Und ein Bekannter, mag er vielleicht sogar noch ein guter sein, wie es der Deutsche zu sagen pflegt, wenn er eine eher schwache Bindung hegt, und sich vielleicht vor dem Nachbar doch nicht eingesteht, dass diese zwischenmenschloche Beziehung in Richtung Freundschaft geht, ist doch das Beste, was man haben kann, sagt sich der schlechte Freundsmann.


Ich steckte wenig Energien in viele Freundschaften, hatte Spaß, wenn man etwas unternommen hat, ließ es dann aber auch sein, mit dem Kontakt. Die Freundespersonen sollten mir zu meiner Unterhaltung dienen, wenn ich es von ihnen verlangt habe, sobald sie etwas von mir wollten, war ich nicht mehr erreichbar, schaltete mein Handy, meinen Kopf und mein Mitgefühl aus und das für Tage.

Kein Raunen rauscht durch den Saal, nur noch ein dünner Lichtstrahl, kein Wort, kein Seufzen, kein Atmen… nicht ein einziges Mal.

Ich war ein guter Kontakt, ich war witzig und agil, mit mir konnte man jede noch so unsinnige Idee umsetzen, doch als wahrer Freund taugte ich nicht viel, meine glänzende Außenseite war innerlich stets matt.

Ein Herz, das so groß schien und dann doch so wenig bat, man könnte es fast als eine Enttäuschung beschreiben, wie ein Buch mit gutem Cover doch der Inhalt danach,

war eher unzureichend.

Ein Schweigen so laut, der schlechte Freund hatte es so noch nie gesehen, eine fast tote Versammlung, bereit sich zur Ruhe zu legen. Seine Stimme wird aufbrausend, fast so als wolle er die fehlende Reaktion des Publikums nun ausgleichen, doch eine einzige Stimme wird kaum dafür ausreichen.

Und bevor ihr mich nicht verstehen wollt, bevor ihr sagt, ein solcher verdient das Alleine-Sein, vielleicht habt ihr Recht, aber vielleicht bin ich auch lieber allein.

Reicht es nicht sein eigener bester Freund zu sein? Die Beziehung zu sich selbst zu pflegen, wenige oder gar keine Rücksicht auf andere zu geben, sich stets das größte Stück, nein gar den ganzen Kuchen auf den eigenen Teller zu laden… es ist so weit, ich muss es euch fragen: ich brauche keine Menschen, um allein zu sein und alleine fühlt man sich doch so viel besser als in Teilen, aufgeteilt über die Gedanken verschiedener Personen, wer kann hierbei das Gute in Freundschaft betonen? seht ich weiß ich wirke gemein, ich bin kein Teil des „wir“, aber wart ihr nicht auch immer gemein zu mir?

Ich als schlechter Freund will doch auch keiner sein, doch dieses Schicksal wählt nun mal einen, der sich nicht mehr wehren kann und es bleibt für diesen nur noch zu meinen, den Pfad, der sich ergeben hat, weiter zu gehen und das nun mal allein.

Ein trauriger Blick des schlechten Freundes sucht den Boden, doch keine Träne fielen, er scheint die Opferrolle vielmehr zu spielen.

Mein Umfeld wird dadurch nicht mehr verletzt, meine Person wird leicht ersetzt und ich schalte meinen Kopf aus und halte mich aus Dingen raus, die mich nicht interessieren und damit schaffe ich es all meine Taten zu legitimieren.

Er nickt, wirkt stolz und lacht, eine wahrlich meisterhafte Rede, hinaus aus der Schuld, genauso hatte er sich das gedacht. Doch ein kurzer Blick in die Menge verrät mehr, seine Augen verengen sich zu schlitzen, seine Schultern beben und seine Stimme zittern nun sehr

Bevor er die letzten Worte spricht

In den dunklen Raum fällt nunmehr kein Licht, während er alles, was er zuvor hat erpicht, mit nur einem Satz niedersticht

Ich bin ein schlechter Freund ich stehe dazu ich bin gerne allein, nur die Einsamkeit … die holt mich nachts ein.

Das Reden so wie das Tippen stoppt, die Trance wird unterbrochen, er erwacht aus seinem Traum – und der schlechte Freund steht in einem leeren Raum, seine Hand berührt die Maschine nur noch kaum,

Es ist vorbei, er hatte seinen Sieg vor sich selbst fast erlangt, doch etwas scheint ihn zu stören? Er hatte vergessen, um nach Verständnis zu streben, musste es wohl zuerst einen Zuhörer geben.
 



 
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