Ein schöner Tag zum Sterben
"Gerade noch rechtzeitig", dachte der Priester, als der den abgedunkelten Raum betrat. Es war muffig und roch nach Krankheit und Tod.
Er hatte das abgelegne Haus kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreicht. Der alte Patrick hatte sich einen passenden Tag ausgesucht, um zu sterben. Draußen war es nebelig und kalt geworden. „Heute Abend ist Samhain“, kam es dem Priester in Erinnerung. Eines dieser verfluchten heidnischen Feste, die er nun schon so lange versuchte, seiner Gemeinde auszutreiben. Doch der Aberglauben war immer noch tief verwurzelt in den Menschen dieser abgelegenen Gegend. Und Patrick war der Schlimmste von ihnen.
Samhain - die Nacht in der die Toten auferstehen. Der Priester hatte keine Angst. Denn er kannte sich aus.
Der alte Patrick lag in seinem Bett und röchelte langsam seine letzten Atemzüge.
Der Priester kniete sich neben den Sterbenden und begann ihm die Sterbesakramente zu erteilen.
Im Hintergrund standen die Frau und der Sohn des Patrick und warteten. In der Küche flimmerte ein Fernseher. So hielten die Menschen heutzutage Totenwache, dachte sich der Priester traurig.
Er war vor vielen Jahren hierher versetzt worden. Weil er sich auskannte mit dem Glauben und dem Aberglauben. Ein Spezialist der heidnischen Gebräuche und Riten sei er, hieß es. Der richtige Mann für ein solches Dorf.
Oft sah man Licht aus den Kellerfenstern dringen, bis spät in die Nacht. Man munkelte, er habe allerlei Gerät in den Gewölben unter der Kirche und die Bibliothek sei groß und von seinen vielen Vorgängern übernommen. Alte, sehr alte Bücher, lagen in seinen Regalen.
Jetzt jedoch waren sie froh, dass er da war. Der alte Patrick hatte oft mit dem Priester in den Haaren gelegen. Gestritten hatten sie. Patrick hatte den alten Glauben im Dorf lebendig gehalten und dem Priester damit das Leben schwer gemacht. Obwohl alle Dorfbewohner getauft waren, hingen sie an ihren alten Bräuchen. Und Patrick hatte sie darin unterwiesen. Er hatte sie die Riten gelehrt und die Götter in ihren Häusern und auf den Feldern besänftigt. Patrick hatte damit die Autorität des Priesters untergraben, hatte seinen Drohungen von der ewigen Verdammnis den Stachel gezogen. Die Leute kamen zwar in seine Kirche, aber sie glaubten ihm nicht. Und das nahm der Priester ihnen übel.
Keiner hatte den Priester an das Sterbebett gerufen. Und doch war er gekommen. Es war eine Geste. Gott vergibt.
"Es ist ein guter Tag zum Sterben, oder?", krächzte Patrick und wiederholte damit fast wörtlich die Gedanken des Priesters.
„Etwas mehr Demut im Angesicht deines Todes wäre angebracht.“, wies ihn der Priester zurecht.
"Ich begebe mich endlich auf meine letzte Reise. Das ferne Ziel der Ewigkeit im Kreis der Götter ist nun zum Greifen nah." fuhr Patrick leise fort. Seine Augen blitzten.
"Heute werde ich mit den Toten reisen und Die Schönheit der Götter erfahren. Deiner oder meiner Götter. Wer weiß?"
"Du hast Dich die ganze Zeit nicht in meiner Kirche sehen lassen, und jetzt glaubst Du, dass Gott Dich zu sich holen wird?"
"Ja, das glaube ich", hustete der Alte.
"Wenn Du nicht bereust, und um Vergebung bittest, wirst Du nirgendwo hinkommen, nur in die Hölle.", raunzte der Priester leise.
"Wir werden sehen. Doch ich werde es vor Dir wissen. Du sagst doch immer, Dein Gott sei ein barmherziger Gott. Wenn es ihn also gibt, so wird er mir vergeben."
Mit diesen letzten Worten verstummte er. In dem Moment, als er sein Leben aushauchte, lief ihm eine Träne über die Wange, gleichsam, als würde seine Seele ihn verlassen. Vorsichtig lies der Priester die Träne in den kleinen Kelch, den er in seinem Mantel mitgebracht hatte, gleiten. Er steckte ihn vorsichtig wieder ein, ohne dass jemand dies bemerkt hätte. Dann drehte er sich um und verließ wortlos das Haus.
Patrick erwachte in der Dunkelheit. Erst wusste er nicht, was geschehen war. Doch dann erinnerte er sich und mit einem Schlag kam die Erkenntnis.
Nach dem Tod ging es weiter! Wenn er jetzt die Augen öffnen würde, würde er sehen, was danach kam. Patrick wurde ganz aufgeregt.
Kurz wunderte er sich, dass er noch so menschliche Gefühle hatte, aber vielleicht blieben diese auch nach dem Tod an der Seele haften. Oder sie würden erst mit der Zeit verschwinden. Wie ein Echo aus der Welt der Lebenden.
"Patrick, wach auf." hörte er eine Stimme.
Patrick freute sich. Das konnte nur ein Engel sein. Oder Gott? Er riss sich zusammen und öffnete die Augen.
Vor ihm stand der Priester und grinste ihn an.
Patrick erschrak und versuchte den Kopf zu heben, doch es gelang ihm nicht. Sein ganzer Körper schien steif zu sein. Er hatte keine Kontrolle darüber. Stumm blickte er den Priester an. Sie befanden sich offensichtlich in den Gewölben unter der Kirche. Alte Bruchsteine bildeten die feuchten Wände des Kellers. Riesige Regalreihen mit uralten Büchern und Folianten standen im flackernden Kerzenschein an den dunklen Mauern aufgereiht. Er selbst lag auf dem Rücken. Neben ihm standen ein paar schwarze Kerzen und ein goldener Kelch mit blutigen Fingerabdrücken.
"Na, da staunst Du, oder?", fragte der Priester. „Du bist gestorben. Aber mit deiner letzten Träne habe ich Deine Seele aufgefangen." fuhr er fort.
"Ich habe sie just in dem Moment aufgehalten, als sie sich davon machen wollte in Richtung des ewigen Lebens." Der Priester kicherte.
Patrick bemühte sich die Augen zu rollen und es gelang ihm ein wenig an sich herab zu blicken.
Was er sah erschreckte ihn. Kleine, helle Stummelfüße ragten aus einem roten, karierten Kleidchen. Aus denn Augenwinkeln sah er gelbe Stofffetzen wie Haare an seinem Kopf herunterhängen.
Er steckte in einer Puppe! Er war in ihr gefangen! Wo war Gott? Wo war das ewige Leben? Wieso war er nicht tot?
Als ob der Priester seine Gedanken lesen könnte, fuhr er fort.
"Du, mein lieber Patrick, bist... nein, entschuldige, Du warst nicht der Einzige, der noch alte und vergessene Bräuche kennt.“
Er nahm den blutigen Kelch in die Hand und lies ihn im Kerzenlicht schimmern.
„Ich habe Deine Seele gefangen und ihr einen neuen Körper gegeben. Wie fühlst Du Dich in der Puppe? Hilflos?"
Patrick wollte schreien. Er konnte sich nicht bewegen, er konnte nicht schreien, nichts konnte er, nur seine Gedanken kreisen lassen.
"Dein Ziel ist nun in weite Ferne gerückt. Es dürfte eine kleine Ewigkeit dauern, bis Du Deine Reise fortsetzen kannst." Der Priester lachte.
"Vielleicht wirst Du befreit, wenn diese Puppe einst verrottet ist. Zum Glück für Dich habe ich keine Plastikpuppe genommen, denn die halten ja ewig!" Er lachte noch einmal dreckig.
"Doch bis dahin...." Er griff zu einer Schachtel und hob Patrick auf. Dann legte er ihn vorsichtig hinein und nahm den Deckel auf.
"Vielleicht lasse ich mal meine Nichte mit dir spielen. Die süße Kleine... manchmal kann sie etwas grob sein. Von wem sie das wohl hat?"
Dann schloss er den Deckel und es wurde dunkel.
"Verlier Deinen Glauben nicht." hörte er ihn noch sagen. Und dann, ganz leise, als der Priester bereits den Keller verließ, hörte Patrick ihn noch einmal rufen.
"Gott vergibt. Ich nicht."
"Gerade noch rechtzeitig", dachte der Priester, als der den abgedunkelten Raum betrat. Es war muffig und roch nach Krankheit und Tod.
Er hatte das abgelegne Haus kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreicht. Der alte Patrick hatte sich einen passenden Tag ausgesucht, um zu sterben. Draußen war es nebelig und kalt geworden. „Heute Abend ist Samhain“, kam es dem Priester in Erinnerung. Eines dieser verfluchten heidnischen Feste, die er nun schon so lange versuchte, seiner Gemeinde auszutreiben. Doch der Aberglauben war immer noch tief verwurzelt in den Menschen dieser abgelegenen Gegend. Und Patrick war der Schlimmste von ihnen.
Samhain - die Nacht in der die Toten auferstehen. Der Priester hatte keine Angst. Denn er kannte sich aus.
Der alte Patrick lag in seinem Bett und röchelte langsam seine letzten Atemzüge.
Der Priester kniete sich neben den Sterbenden und begann ihm die Sterbesakramente zu erteilen.
Im Hintergrund standen die Frau und der Sohn des Patrick und warteten. In der Küche flimmerte ein Fernseher. So hielten die Menschen heutzutage Totenwache, dachte sich der Priester traurig.
Er war vor vielen Jahren hierher versetzt worden. Weil er sich auskannte mit dem Glauben und dem Aberglauben. Ein Spezialist der heidnischen Gebräuche und Riten sei er, hieß es. Der richtige Mann für ein solches Dorf.
Oft sah man Licht aus den Kellerfenstern dringen, bis spät in die Nacht. Man munkelte, er habe allerlei Gerät in den Gewölben unter der Kirche und die Bibliothek sei groß und von seinen vielen Vorgängern übernommen. Alte, sehr alte Bücher, lagen in seinen Regalen.
Jetzt jedoch waren sie froh, dass er da war. Der alte Patrick hatte oft mit dem Priester in den Haaren gelegen. Gestritten hatten sie. Patrick hatte den alten Glauben im Dorf lebendig gehalten und dem Priester damit das Leben schwer gemacht. Obwohl alle Dorfbewohner getauft waren, hingen sie an ihren alten Bräuchen. Und Patrick hatte sie darin unterwiesen. Er hatte sie die Riten gelehrt und die Götter in ihren Häusern und auf den Feldern besänftigt. Patrick hatte damit die Autorität des Priesters untergraben, hatte seinen Drohungen von der ewigen Verdammnis den Stachel gezogen. Die Leute kamen zwar in seine Kirche, aber sie glaubten ihm nicht. Und das nahm der Priester ihnen übel.
Keiner hatte den Priester an das Sterbebett gerufen. Und doch war er gekommen. Es war eine Geste. Gott vergibt.
"Es ist ein guter Tag zum Sterben, oder?", krächzte Patrick und wiederholte damit fast wörtlich die Gedanken des Priesters.
„Etwas mehr Demut im Angesicht deines Todes wäre angebracht.“, wies ihn der Priester zurecht.
"Ich begebe mich endlich auf meine letzte Reise. Das ferne Ziel der Ewigkeit im Kreis der Götter ist nun zum Greifen nah." fuhr Patrick leise fort. Seine Augen blitzten.
"Heute werde ich mit den Toten reisen und Die Schönheit der Götter erfahren. Deiner oder meiner Götter. Wer weiß?"
"Du hast Dich die ganze Zeit nicht in meiner Kirche sehen lassen, und jetzt glaubst Du, dass Gott Dich zu sich holen wird?"
"Ja, das glaube ich", hustete der Alte.
"Wenn Du nicht bereust, und um Vergebung bittest, wirst Du nirgendwo hinkommen, nur in die Hölle.", raunzte der Priester leise.
"Wir werden sehen. Doch ich werde es vor Dir wissen. Du sagst doch immer, Dein Gott sei ein barmherziger Gott. Wenn es ihn also gibt, so wird er mir vergeben."
Mit diesen letzten Worten verstummte er. In dem Moment, als er sein Leben aushauchte, lief ihm eine Träne über die Wange, gleichsam, als würde seine Seele ihn verlassen. Vorsichtig lies der Priester die Träne in den kleinen Kelch, den er in seinem Mantel mitgebracht hatte, gleiten. Er steckte ihn vorsichtig wieder ein, ohne dass jemand dies bemerkt hätte. Dann drehte er sich um und verließ wortlos das Haus.
Patrick erwachte in der Dunkelheit. Erst wusste er nicht, was geschehen war. Doch dann erinnerte er sich und mit einem Schlag kam die Erkenntnis.
Nach dem Tod ging es weiter! Wenn er jetzt die Augen öffnen würde, würde er sehen, was danach kam. Patrick wurde ganz aufgeregt.
Kurz wunderte er sich, dass er noch so menschliche Gefühle hatte, aber vielleicht blieben diese auch nach dem Tod an der Seele haften. Oder sie würden erst mit der Zeit verschwinden. Wie ein Echo aus der Welt der Lebenden.
"Patrick, wach auf." hörte er eine Stimme.
Patrick freute sich. Das konnte nur ein Engel sein. Oder Gott? Er riss sich zusammen und öffnete die Augen.
Vor ihm stand der Priester und grinste ihn an.
Patrick erschrak und versuchte den Kopf zu heben, doch es gelang ihm nicht. Sein ganzer Körper schien steif zu sein. Er hatte keine Kontrolle darüber. Stumm blickte er den Priester an. Sie befanden sich offensichtlich in den Gewölben unter der Kirche. Alte Bruchsteine bildeten die feuchten Wände des Kellers. Riesige Regalreihen mit uralten Büchern und Folianten standen im flackernden Kerzenschein an den dunklen Mauern aufgereiht. Er selbst lag auf dem Rücken. Neben ihm standen ein paar schwarze Kerzen und ein goldener Kelch mit blutigen Fingerabdrücken.
"Na, da staunst Du, oder?", fragte der Priester. „Du bist gestorben. Aber mit deiner letzten Träne habe ich Deine Seele aufgefangen." fuhr er fort.
"Ich habe sie just in dem Moment aufgehalten, als sie sich davon machen wollte in Richtung des ewigen Lebens." Der Priester kicherte.
Patrick bemühte sich die Augen zu rollen und es gelang ihm ein wenig an sich herab zu blicken.
Was er sah erschreckte ihn. Kleine, helle Stummelfüße ragten aus einem roten, karierten Kleidchen. Aus denn Augenwinkeln sah er gelbe Stofffetzen wie Haare an seinem Kopf herunterhängen.
Er steckte in einer Puppe! Er war in ihr gefangen! Wo war Gott? Wo war das ewige Leben? Wieso war er nicht tot?
Als ob der Priester seine Gedanken lesen könnte, fuhr er fort.
"Du, mein lieber Patrick, bist... nein, entschuldige, Du warst nicht der Einzige, der noch alte und vergessene Bräuche kennt.“
Er nahm den blutigen Kelch in die Hand und lies ihn im Kerzenlicht schimmern.
„Ich habe Deine Seele gefangen und ihr einen neuen Körper gegeben. Wie fühlst Du Dich in der Puppe? Hilflos?"
Patrick wollte schreien. Er konnte sich nicht bewegen, er konnte nicht schreien, nichts konnte er, nur seine Gedanken kreisen lassen.
"Dein Ziel ist nun in weite Ferne gerückt. Es dürfte eine kleine Ewigkeit dauern, bis Du Deine Reise fortsetzen kannst." Der Priester lachte.
"Vielleicht wirst Du befreit, wenn diese Puppe einst verrottet ist. Zum Glück für Dich habe ich keine Plastikpuppe genommen, denn die halten ja ewig!" Er lachte noch einmal dreckig.
"Doch bis dahin...." Er griff zu einer Schachtel und hob Patrick auf. Dann legte er ihn vorsichtig hinein und nahm den Deckel auf.
"Vielleicht lasse ich mal meine Nichte mit dir spielen. Die süße Kleine... manchmal kann sie etwas grob sein. Von wem sie das wohl hat?"
Dann schloss er den Deckel und es wurde dunkel.
"Verlier Deinen Glauben nicht." hörte er ihn noch sagen. Und dann, ganz leise, als der Priester bereits den Keller verließ, hörte Patrick ihn noch einmal rufen.
"Gott vergibt. Ich nicht."