ein seltener Besuch

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anemone

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Ich war sehr in Eile. Die Koffer standen gepackt vor der Türe und jeden Moment musste das Taxi kommen, um mich und das Gepäck abzuholen, als ich flüchtig jemanden auf die Haustüre zulaufen sah. Ich stand im Hauseingang und das Gesicht des Mannes kam mir irgendwie bekannt vor. Kurz sah ich auf, um mich gleich darauf wieder zu meinem Gepäck hinunter zu beugen. Der Taxifahrer war es nicht und einen zweiten Blick hatte ich für diesen Herrn nicht übrig der sicher einen Prospekt verteilen wollte oder eine sonstige uninteressante Nachricht hatte, die mir jetzt mehr als lästig war.
Erstaunt sah ich jedoch hoch, als er seine Stimme erhob und mich ansprach, als wenn er mich ewig kennen würde. Ja, diese Stimme kannte ich sehr gut. Ich sah den Mann an und wühlte in meinen Erinnerungen.
Es wollte mir partout nicht einfallen, woher ich diesen Menschen kannte.
An der Bordsteinkante hielt mein Taxi und ich eilte mit meinen Koffern dem Taxifahrer entgegen. Der Fremde stand noch immer dort, wo ich ihn verlassen hatte und wartete geduldig. Er registrierte es scheinbar nicht, dass ich jetzt absolut keine Zeit für ihn hatte. Doch wollte ich ihm gegenüber nicht unhöflich sein und da er mir wie ein alter, sehr guter Freund vorkam, bat ich ihn beim Verschließen der Haustüre, doch mit in mein Taxi zu steigen, um unterwegs Näheres von ihm zu erfahren.
Im Fahrzeug erkundigte er sich nach meinen Verwandten. Er nannte die Namen von Vettern und Cousinen, die ich zum Teil schon lange nicht mehr gesehen hatte. Es ging mir noch immer kein Licht auf und ich fragte nach seinem Namen und erwähnte beiläufig, dass mein Flugzeug um 18.30 Uhr ohne mich flöge, wenn ich den Anschluß daran verpassen würde.
„Ich heiße Heinz Schmitz!", sagte mir allen Ernstes dieser Mann und sah mich verschmitzt aus den Augenwinkeln an und richtig, ich erinnerte mich: Mein verstorbener Onkel Heinz Schmitz saß hier leibhaftig neben mir. Ich fiel aus allen Wolken! „Wie ist das möglich?!", rief ich dermaßen laut aus, dass der Taxifahrer vor Schreck einen Schlenker auf der Fahrbahn riskierte.
„Du bist längst tot, gestorben!", ich sah ihn perplex an und pickte mit meinem Finger in seinen Arm, als wenn ich erwartete, dass er sich im gleichen Moment in Staub auflösen würde.
Mein Onkel ließ das alles seelenruhig über sich ergehen. Offensichtlich hatte er mit dieser Reaktion meinerseits gerechnet. Gelassen lehnte er sich in die Polster des Taxis zurück und sagte: „Das hättest du nicht erwartet, nicht wahr?".
Laut überlegte ich, wann er denn gestorben wäre: „War das nicht 1997?" Jetzt hätte ich gerne in die Totenzettelsammlung meines Vaters nachgesehen und überhaupt, warum besuchte er mich und nicht ihn?
Ich musste es ihm gleich vorwerfen und beleidigt verteidigte er sich: „Ich konnte es doch nicht wissen, dass er noch lebt!"
Nun gingen mir so wahnsinnig viele Fragen durch den Kopf und recht ungehalten war ich, als das Taxi hielt und
der Fahrer mir zum Aussteigen die Türe öffnete.
Ich nahm meinen Onkel bei der Hand, dass er mir nur nicht entkam und angelte mir mit der anderen einen Kofferkuli.
Onkel Heinz wollte mir nicht länger seine Hand geben. Sobald er hörte, dass sein Bruder noch lebt wurde er sehr unruhig. „Wo ist er, habt ihr ihn in ein Altenheim gesteckt?" Seine Augen blinzelten mich böse an.
Ich nutzte die Gelegenheit den Kuli zu beladen, warf noch einen letzten Blick auf das Taxi, ob ich auch nichts vergessen hatte und sah dem erstaunten Taxifahrer ins Gesicht, der noch immer zögerte seinen Wagen zu besteigen.
Onkel Heinz lief direkt auf ihn zu: „Sag mir die Adresse!", rief er mir zu. „Parkstraße 13!", antwortete ich mechanisch und fort war er und nun grüble ich darüber, was ich ihn noch alles hätte fragen wollen und ob er wohl Geld hatte, um das Taxi zu bezahlen, während mein Flieger sich in die Luft erhebt.
 



 
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